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Diese Esoterikmesse ist leider weit von der Erleuchtung entfernt

Auf der Esoterikmesse ergriff mich der Gedanke, ob mir im Leben nicht auch etwas fehle—eine innere Stabilität, das Verlangen nach Glückseligkeit und sexueller Vollkommenheit. Aber im Nachhinein habe ich nur feststellen müssen, dass hier alle nach...

Die Messe fand in einem vor Tristesse strotzenden Einkaufstempel in Schkeuditz—einem Ort irgendwo in der Peripherie von Leipzig—statt. Vor uns eröffnete sich erstmal ein in warmes Licht getauchter Raum, der aufgrund der Vielzahl von überdimensional großen und bunten Pappreklamen etwas grotesk wirkte.

Ich fühlte mich gleich inmitten der freundlich lächelnden Menschen wohl und aufgenommen und begann, mich umzusehen. Vorbei an überladenen, den halben Raum füllenden Bücherständen kam ich zu einem größeren Raum mit Ausstellern.

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Hier fand der erste Vortrag zum Thema „Mann/Frau, Partnerschaft im Wandel“ statt. Die Rednerin Grit Scholz, Autorin des Buches Das Tor zu Welt—gefüllt mit Muschis und deren formverwandten Pflanzen—erklärte, dass sexuelle Zufriedenheit vor allem mit der Öffnung des Schoßraumes und dem inneren Ying und Yang zu tun hätte.

Danke meiner privaten Erfahrungen aus einem sechsstündigen Tantrakurs verstand ich als einzige im Saal, was Yoni (Vagina) und Lingam (Penis) heißt, was mir das elitäre Gefühl von Erhabenheit gab.

Trotzdem war ich irgendwie enttäuscht, dass bisher keine wirklichen Kontroversen auf den Tisch kamen. Selbst dem Publikum leuchtete langsam ein, dass es wohl nur gezeichnete Schwänze zu sehen gab. Es ging größtenteils doch nur um ihre Erfahrungen als pubertierendes Mädchen, das seine Muschi entdeckt und plötzlich abstoßend findet, um durch innere Kraft am Ende wieder zu sich zurückzufinden.

Das war zumindest das einzige, was ich mitnahm an Informationen.

Grit Scholz ließ sich dann aber doch noch zu gewagteren Thesen hinreißen. Sexueller Missbrauch sei kein Verschulden des Mannes, sondern läge daran, dass dem Mann in der Vergangenheit nie die Möglichkeit gegeben wurde, sein Herz zu öffnen: So muss ja die innere Energie unweigerlich in den Schwanz fließen und zu Missbrauch an Frauen freigelassen werden. Grit meinte, dass Frauen ja auch permanent zu Doppelbotschaften neigen, die der Mann falsch versteht.

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Jedenfalls würde all das durch eine innere Klarheit des eigenen Systems verhindert werden. Die Frauen und die wenigen Männer im mittlerweile gefüllten Saal nickten zustimmend.

Desillusioniert von den Worten der Dame entschied ich mich gleich im Anschluss für den Erlebnisvortrag der Lichtboten des goldenen Zeitalters—genauer gesagt kommen sie aus Bad Belzig in Brandenburg. Die Lichtboten bestanden aus einem Paar, Ende 40, in wirklich farbintensiver Kleidung. Die hat laut Nachfrage bestimmte Bedeutungen: Der türkise Cardigan des Mannes zum Beispiel sage aus, dass er im früheren Leben eine hohe Stellung in der versunkenden Stadt Atlantis hatte. Sonst erinnert in diesem tristen, leeren Raum nicht wirklich viel an Farbenfrohsinn. Hier fand ich die üblichen Sitzreihen unbequemer Plastikstühle vor, und die Fenster waren abgedunkelt, um ein vermeintlich gemütliches Ambiente künstlich zu erzeugen. Keine Pflanzen, keine Bilder, kein Herz für Dekoration. Ich fühlte mich aufgrund der räumlichen Gegebenheiten an das Aufbauseminar für Telefonakquise erinnert, dem ich vor Jahren leider erfolglos beigewohnt habe.

Meine Befürchtung, alleine zwischen älteren Menschen eventuell die einzige junge Frau auf der Messe zu sein, zerschlug sich schnell, als ich bemerkte, dass sich mittlerweile auffällig viele junge Leute eingefunden haben. Ich zweifelte die Ernsthaftigkeit ihrer Motive kurz an, stand ihnen jedoch wohlwollend gegenüber.

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Ich war bereits an einem Punkt angekommen, an dem ich mich wehrlos der Spiritualität vor die Hände warf. Dem Gefühl geschuldet, vielleicht gar keine innere Mitte zu besitzen. Und ich hoffte auf Rettung aus dem göttlichen Tal der Selbstfindung, als ich die beiden Lichtboten antraf, die gerade einen Vortrag hielten.

Das (nach seiner Aussage) sexuell glückliche und geerdete Vortragspaar leitete mit der Kraft der 12 göttlichen Strahlungen eine Art Meditation ein, in die ich mich mit geschlossenen Augen und in bequemer Position, jedoch unbedingt mit den Füßen geerdet, auf dem harten Stuhl hingeben sollte sollte. Ich spürte die unangenehme Stimmung im Raum, die allein der Tatsache geschuldet war, dass wohl jeder noch etwas zu gehemmt für spirituelle Öffnung an einem Samstagmittag war.

Es fiel mir schwer, mich auf die Worte der Frau zu konzentrieren, während der Mann durch die Reihen lief und jede Person mit seinem länglichen Didgeridoo anblies. Seine Frau sprach derweil in sanfter Stimme von Engelsstrahlen, die sie durch unsere Körper schickte und die unsere Sorgen mit hinauf in den Himmel nahmen. Ich sollte in mich gehen und den Strahl der Engel durch meinen Körper gleiten lassen. Ab und zu wurde die andächtige Stille von einem Besucher durchbrochen, der eben noch schnell in den Saal wollte. Ich beobachtete, wie die zwei bis drei Paare zwischen den ganzen Einzelgängern im Raum wohl mit innerlichen Wallungen einen gewaltigen Ritt auf den Wellen der Lichtengel vollführten—danach sah es für mich zumindest aus, denn mein teilnahmsloser Ausdruck kam an ihr glückseliges Lächeln irgendwie nicht heran.

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Ich empfand kein Gefühl der Zufriedenheit und keine Linderung meiner inneren Leere. Ich empfang nichts außer das Gefühl meiner tauben Beine vom langen Sitzen. Ich schaute kurz zu meiner Freundin rüber, die in meiner Vorstellung die Engel sicherlich gerade in sich trug, und fühlte mich ausgeschlossen.

Nachdem ich meine Traurigkeit über das eigene Unvermögen, mich auf neue Ebenen zu begeben, bei einer Bockwurst überwand, sah ich mich weiter auf dem Messegelände um.

Mit fiel auf, dass hier wenig von der euphorischen Magie in den Vorträgen zurückblieb. Wenn die Aussteller nicht gerade damit beschäftigt waren, ihre göttlichen Erkenntnisse anzupreisen, starrten sie eigentlich nur in die für sie unerreichbare Ferne der Freiheit. Die Besucher der Messe waren eine von Schicksalsängsten geprägte, nach Erklärungen suchende homogene Masse, die feststellen musste, dass sich Rheumaerkrankungen nicht durch Handauflegen heilen lassen. Zu meiner Enttäuschung gab es leider keine optischen Koryphäen auf der Messe, das Publikum war unauffällig gekleidet und überwiegend mittleren Alters.

Es hätten genauso gut die Leute sein können, mit denen du dir im Bus einen Sitzplatz teilst. Die Stimmung ergriff mich und ließ mich nachdenken, ob mir im Leben nicht auch etwas fehlt—eine innere Stabilität, das Verlangen nach Glückseligkeit und sexueller Vollkommenheit.

Als hätte Gott mein Verlangen erhört, kam ich auch direkt an einem Stand vorbei, der mir all das—und noch dazu Schutz vor Handystrahlung—versprach. An jenem Stand war eine unüberschaubare Menge von Steinen jeglicher Formen und Farben aufgereiht und wurde jedes Mal, nachdem ich etwas berührte, akribisch neu sortiert.

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Mich sprach ein sehr aufgeschlossenes älteres Ehepaar aus dem Süden Deutschlands an und erklärte mir, dass sie mit der Kraft der Steine die Hüftleiden ihrer Hündinnen heilten und zudem noch einen verstärkten Glanz des Fells erzielten. Um der Aussage Glaubwürdigkeit zu verleihen, lief die alte Frau mehrmals am Tag mit ihren zwei Collies lächelnd durch die Hallen, wie an einem Sonntagmorgen durch den Datschenverein.

Sie war mir sofort sympathisch, schon allein weil sie überhaupt nicht das in meinem Kopf vorhandene, stereotype Bild der verschrobenen Öko-Esoterikerin vermittelte—mir fiel auf, dass mich die anwesenden Aussteller im Allgemeinen nicht missionieren wollten und viel Verständnis für meine Skepsis gegenüber Pendeln, Lebenselixieren und Energiewaschkugeln aufbrachten.

Dann lief mir auch schon Erzengel Ulf, bekannt vom Lichtvortrag mit seiner Frau, über den Weg und war offensichtlich bereit für einen Plausch mit mir. Er kam auf mich zu und wollte sich meine Stirn ansehen. Ich hatte keine Möglichkeit, dem auszuweichen, und fühlte sofort seine schwitzigen Hände an meinen Kopf.

Sein drittes Auge starrte mich an. Ich starrte seine Herzkette an, die seine innere Stärke zum Ausdruck bringen soll, wie ich auf Nachfrage erfuhr. Ich hätte einen kleinen Engel auf meiner Stirn, der zu weit links wäre. Bedeutet, ich müsse mein eigenes Potenzial erkennen und ausleben. Wie in Zungen sprach er zu uns Jüngern, dass wir unsere gottgegebenen Talente nicht im Bach der jugendlichen Gleichgültigkeit verfließen lassen sollten.

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Eigentlich wirkte er auf mich bei all den Erzählungen wie ein trauriger, einsamer Mann, der einfach nur gern mal mit jemanden reden möchte. Also hatte ich Mitleid und versuchte, ihm zu folgen. Er erzählte mir mit unangenehmer Aufdringlichkeit von seinen Anfängen im spirituellen Leben, der Aufnahme in die weiße Bruderschaft und den vielen Schneelandschaften, die sich in dieser prägenden Phase seiner Spiritualität vor seinem inneren Auge auftaten.

Um dem ganzen einen würdigen Abschluss zu verleihen, entschied ich mich noch, meine Hand lesen zu lassen. Da es gleich zwei Wahrsagerinnen gab und keine von beiden mich mit Rabatten locken konnte, entschied ich mich für eine alte Frau namens Angelina, deren Familie eine lange Tradition der Weissagungen pflegt—und ihre Großmutter hatte bereits Konrad Adenauer durch Kartenlegen geraten, die Kriegsgefangenen aus Russland zu holen und ihm noch dazu die Kanzlerschaft prophezeit—das sagt mir zumindest ihr Faltblatt.

Nach intensiver Salbung der Hände las sie aus selbigen, dass mir eine bürgerliche Zukunft an einem weitläufigen Meer bevorsteht. Dass ich jung und freiheitsliebend bin, hat mich ebenso überrascht wie das Gelenkleiden mit 84.

Mit einem Heilstein in der Hand verließ ich ernüchtert ihre Hallen und wartete auf irgendein Zeichen, das mir sagte, ich wäre nun angekommen im Nirvana der Erleuchtung. Stattdessen holte mich der mittlerweile den ganzen Raum dominierende Ingwergeruch des Lebensessenzenstandes zwei Meter entfernt von mir in die Realität zurück—eine Realität, die irgendwie doch nur aus Menschen besteht, die Hilfe auf solchen Messen suchen und hoffen, sie im Kartenlegen oder dem Selbstheilerschnellkurs zu finden. Ich habe meine innere Mitte zwar nicht entdecken können, weiß jetzt jedoch, dass es ein Yogabuch für Katzen gibt.

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