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Mit Hypnose zur schmerzfreien Geburt – funktioniert das?

Für die meisten Frauen sind Geburten etwas unvorstellbar schmerzhaftes. Das muss allerdings nicht sein, versprechen Angebote wie HypnoBirthing.
'The Birth of Venus' (1875) by Alexandre Cabanal. Image via Wikimedia Commons

Es ist Dienstagabend. Irgendwo im kalifornischen Berkeley sitzen acht schwangere Frauen und ihre Partner in einem schummrig beleuchteten Raum. An den Wänden hängen bunt bemalte Gipsabdrücke von den Torsos von Schwangeren.

„Wenn ich erzähle, dass ich Hypnosetherapeutin bin, machen sich viele Leute darüber lustig und fragen mich, ob ich machen kann, dass sie wie ein Hund bellen oder wie ein Huhn tanzen", erzählt Kathy Woo der Gruppe von werdenden Eltern, die im Kreis sitzen und aufmerksam dem Kurs folgen. Woo ist eine zertifizierte Hypnosetherapeutin und Geburtsvorbereiterin von HypnoBirthing®.

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Heute gibt es allerdings keine Hinterzimmermagie zu sehen. Stattdessen geht Woo mit den schwangeren Frauen Atem- und Visualisierungstechniken durch, die sie in den Wochen vor der Geburt üben sollen. Wenn es dann soweit ist, hoffen Woos Kursteilnehmerinnen, dass sie die Techniken anwenden können, um sich selbst während der Geburt in einen hypnotischen Zustand zu versetzen.

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Das große Versprechen von HypnoBirthing ist, dass auf diese Weise der Schmerz der „gebärenden Mamas" reduziert oder sogar komplett beseitigt wird. Dem Unterrichtsmaterial zufolge ist HypnoBirthing vielmehr eine „Philosophie" als eine Technik—samt eigenem Vokabular: Statt Wehen spricht man hier von „Wogen", Schmerzen heißen „Sensationen" und Presswehen „Geburtsatmung". Das soll die werdenden Eltern dazu ermutigen, „positiver zu denken und weichere Worte zu verwenden", um „sich den Gedanken an eine sanfte, natürliche Geburt ganz und gar zu eigen zu machen."

HypnoBirthing geht davon aus, dass der Schmerz während der Geburt größtenteils von einem „Angst-Spannung-Schmerz-Syndrom" herrührt. Durch die Hypnose sollen die Angst und die Spannungen gelöst werden, sodass die Mutter eine einfachere und angenehmere Geburt erlebt.

Die Visualisierungs- und Atemtechniken sollen der werdenden Mutter helfen, den gewünschten Zustand von Entspannung und Trance zu erreichen. Woo erklärt den Kursteilnehmern unter anderem eine Methode, bei der die Mutter lange und langsam einatmen und sich dabei vorstellen soll, wie sie einen Ballon in ihrem Bauch aufbläst. Wenn der Ballon vollständig mit Luft gefüllt ist, atmet die Mutter wieder aus und stellt sich dabei vor, wie der Ballon durch den Geburtskanal wandert.

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Heutzutage kommen nicht mehr nur Hippie-Mütter in unsere Kurse.

Woo zeigt während dem Kurs auch Videos von Müttern, die Techniken wie diese während der Geburt eingesetzt haben, um sich selbst zu hypnotisieren—und sie sehen tatsächlich bemerkenswert entspannt aus. Manche wirken in den frühen Stadien der Geburt sogar, als würden sie schlafen.

Der Kurs besteht aus insgesamt fünf Sitzungen. Die Paare zahlen eine Anmeldegebühr von umgerechnet rund 350 Euro, in denen das Unterrichtsmaterial und die Entspannungs-CDs bereits enthalten sind. HypnoBirthing ist ein markenrechtlich geschütztes Programm, das in den 80er-Jahren entwickelt wurde. Die Methode, sich bei der Geburt in einen tranceartigen Zustand zu versetzen, gibt es allerdings schon viel länger als das Wort „Hypnose" selbst. So gibt es unter anderem auch Kursleiter wie Rachel Yellin, die ihre eigenen Geburtsvorbereitungskurse entwickelt haben, die ebenfalls Hypnosetechniken mit einschließen.

„Wenn der Körper der Frau entspannt, verändern sich ihre Gehirnwellen und wenn sich ihre Gehirnwellen verändern, tritt ihr Unterbewusstsein stärker in den Vordergrund", sagt Yellin, deren Kurse in San Francisco sowie Audio-Fernkurse überaus beliebt sind. „Wenn die Frau einen hypnotischen Zustand erreicht, ist sie so entspannt, dass sie mit ihrem Unterbewusstsein kommunizieren kann." Im Grunde, sagt Yellin, geht es darum „den Verstand auszuschalten, damit der Körper tun kann, was er von Natur aus tut."

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„Wie bei Tieren", sagt Yellin und verweist auf den aus ihrer Sicht ruhigen, tranceartigen Zustand, in dem Tiere ihre Jungen zur Welt bringen. Yellin hat früher selbst als zertifizierte Kursleiterin von HypnoBirthing gearbeitet, hat seither aber ihre eigene Geburtsvorbereitungsreihe entwickelt, deren Schwerpunkt auf der Selbsthypnose liegt.

Obwohl das Konzept an sich nicht neu ist, haben hypnosebasierte Geburtsvorbereitungskurse in den letzten Jahren einen echten Hype erlebt, sagt Yellin. „Ich habe definitiv ein deutlich gestiegenes Interesse beobachtet." Neben den HypnoBirthing-Kursen können Mütter und werdende Eltern auch viele weitere Programme wie Hypnobabies®, Hypbirth, ChildbirthJoy, Birthing through Hypnosis besuchen. Das gesamte Kursprogramm wurde von Hypnosetherapeuten und Geburtsvorbereitern entwickelt.

Die hohe Nachfrage lässt sich in Yellins Augen auch durch den langanhaltenden Trend zu möglichst eingriffsfreien Geburten erklären—was in vielen Fällen gleichbedeutend mit Hausgeburten ist. Nach Angaben der Gesellschaft für Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe kommen in Deutschland jährlich rund 10.000 Kinder bei außerklinisch betreuten Geburten zur Welt. Diese Zahl ist in Deutschland seit Jahren relativ konstant, anders als in den USA, wo ein Bericht des Centers for Disease Control and Prevention bereits 2010 einen Anstieg von 20 Prozent bei den Hausgeburten verzeichnen konnte. Der Großteil der Mütter, die sich für eine Hausgeburt entscheiden, stammt aus der amerikanischen Mittelschicht. „Heutzutage kommen nicht mehr nur Hippie-Mütter in unsere Kurse. Es kommen alle möglichen gebildeten, intellektuellen Frauen zu uns, die sich genau informiert und daraufhin entschieden haben, dass eine natürliche Geburt am sichersten und besten ist", sagt sie.

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Funktioniert das Ganze aber tatsächlich? Hat Selbsthypnose zur Folge, dass man weniger oder sogar überhaupt keine Schmerzen mehr spürt?

[Während der Geburt] war plötzlich alles futsch.

Es gibt mehrere Studien, die sich mit Hypnosetherapien während der Geburt beschäftigen. Cochrane, eine in London ansässige Gruppe von Gesundheitsforschern, hat 2012 eine Übersicht über die systematische Bewertung von Schmerztherapien für Frauen während der Geburt erstellt und stellte dabei fest, dass es keine hinreichenden Beweise dafür gibt, dass Hypnose als Schmerzmittel bei der Geburt wirkungsvoller ist als ein Placebo.

Allerdings hat dieselbe Gruppe von Forschen bei einer zweiten Durchsicht von Fachliteratur zum Thema Hypnose während der Schwangerschaft, der Geburt und der postnatalen Phase festgestellt, dass Hypnose „erfolgreich bei der Vorbereitung auf die Geburt genutzt wurde" und „berichtet wurde, dass Frauen in Bezug auf die geburtshilflichen Ergebnisse [von der Hypnose] profitierten, da sie unter anderem besser mit dem Schmerz zurechtkamen und die Geburt nicht so lange dauerte."

Kathy Woo, die Kursleiterin von HypnoBirthing, sagt, dass sie selbst während der Geburt ihrer Tochter kaum Schmerzen hatte. „Ich persönlich würde sagen, dass mir die Wogen überhaupt keine Schmerzen bereitet haben", sagt sie und meint damit die Wehen. „Das heißt natürlich nicht, dass man überhaupt nichts spürt. Gebärende Mamas können beispielsweise merken, wenn sich der Körper zusammenzieht oder weitet", sagt sie.

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Harmony King hat Woos Kurs zur Vorbereitung auf die Geburt ihres ersten Kindes im vergangenen Mai besucht. Sie ist selbst Geburtshelferin und war eigentlich ziemlich zuversichtlich was die Geburt angeht. Ihr Partner wollte allerdings den Kurs besuchen, um sich für die Geburt zu rüsten und zu lernen, wie er sie unterstützen kann. „Sie bringen einem bei, wie man so eine Art Geburtscoach wird", sagt King. „Sie dröseln den gesamten körperlichen Prozess der Geburt auf." Als es dann aber soweit war, sagt King, konnte sie sich einfach nicht auf die Hypnosetechniken konzentrieren. „[Während der Geburt] war plötzlich alles futsch."

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Rachel Yellin sagt, dass Frauen ganz unterschiedliche Erfahrungen mit hypnosebasierten Geburtstechniken machen. Einige Mütter berichten von schmerzfreien Geburten, während es anderen überhaupt nicht zu helfen scheint.

„Man kann es nicht messen und man kann auch nicht sagen, wie die Erfahrung der Frau ohne die Hypnosetechniken ausgesehen hätte", sagt sie. Auf alle Fälle sind ihre Kursteilnehmer dankbar für die Geburtsvorbereitungskurse. „Ich hatte schon Frauen da, die gesagt haben, dass sie ohne den Kurs nicht gewusst hätte, was sie tun sollten", sagt sie.

„Das ist ganz natürlich und relativiert die gesamte Geburt", sagt Yuli Fershtat, der neben seiner schwangeren Frau Inbal in Woos Kurs sitzt. Yuli und Inbal haben sich dafür entschieden, den Kurs zu machen, weil Inbal bereits gute Erfahrungen mit Hypnose gemacht hat, als sie mit dem Rauchen aufgehört hat. Außerdem kennen sie noch mehrere andere Paare, die den Kurs als Vorbereitung auf die Geburt gemacht haben.

„Hypnose bringt uns dem Augenblick näher", sagt Inbal, „und die Geburt ist nur ein sehr intensiver Augenblick."


Titelbild: Alexandre Cabanel | Wikimedia Commons | Public Domain