Warum es so wichtig ist, Frauenmorde als Hassverbrechen anzuerkennen
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Verbrechen

Warum es so wichtig ist, Frauenmorde als Hassverbrechen anzuerkennen

Männer sind weltweit einer der Hauptgründe für den vorzeitigen Tod von Frauen. Allerdings weigert sich die Gesellschaft nach wie vor, diese Tatsache anzuerkennen. Eine Gruppe von Frauen möchte das nun ändern und setzt sich dafür ein, dass Opfer von...

Samantha Sykes war 18 Jahre alt, als sie in West Yorkshire in die Wohnung eines Freunds ihres Ex-Freundes gelockt wurde, wo sie und die jüngere Schwester des Freundes dann von den beiden Männern erstochen wurden.

Der Vorfall ereignete sich im Jahr 2012 und erregte damals viel Aufmerksamkeit in den Medien—was nicht zuletzt auch daran lag, dass der Täter ein afghanischer Asylbewerber war. Doch die Opfer sind nur zwei von fast 1.000 Frauen, die seit 2009 in England und Wales von Männern ermordet wurden und deren Mord weitestgehend unbemerkt blieb.

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Der britische Femizidzensus, der im Dezember 2016 veröffentlicht wurde, soll nun die Details jedes einzelnen Todesfalls in Großbritannien dokumentieren und damit die Informationslücke im Falle der Frauen schließen, die durch die Gewalt von Männern zu Tode kamen. Femizide sind aber beiweitem kein rein britisches Problem.

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Laut der Small Arms Survey machen Femizide fast 20 Prozent der globalen Tötungsdelikte aus, etwa 66.000 Frauen jährlich. Laut eines Berichts der Süddeutschen Zeitung, die sich auf nicht veröffentlichte Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik des Bundeskriminalamtes berief, wurde im Jahr 2011 in jedem zweiten Fall von Femizid, der Ehemann, Freund oder Ex-Partner wegen dringendem Tatverdacht festgenommen. Durch die Dokumentation der Umstände der einzelnen Morde—wie Details zum Täter, seinen Motiven und der Tatwaffe—möchte der britische Zensus nun versuchen, Femizide vornehmlich als Hassverbrechen geltend zu machen, um sicherzustellen, dass Gewaltandrohungen gegenüber Frauen und Femizide von den Behörden und den Medien ernstgenommen werden.

Ein weiteres Kernziel des Projekts ist es, durch die Geschichten der Familien an die Opfer zu erinnern. „Ich habe oft den Eindruck, dass die Frauen und jungen Mädchen, die ermordet wurden, einfach nur zu einer Zahl in der Statistik werden", schrieb Julie Warren-Sykes, die Mutter von Samantha Sykes, zur Unterstützung des Zensus, der von der Nichtregierungsorganisation Women's Aid veröffentlicht wurde. „Diese Datenbank stellt dagegen reale Personen dar […] die an der Gesellschaft gescheitert sind."

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Der blutige Preis dieses Scheiterns wurde über die vergangenen fünf Jahre hinweg von Karen Ingala Smith dokumentiert. Ihr Blog Counting Dead Women hat der Organisation einen großen Teil der Daten für ihren Bericht geliefert. Karen erklärt, dass ihr eigenes Engagement mit einer Serie von Morden an Frauen in ihrem Viertel im Osten Londons begann.

„Als ich anfing, online nach Details [zu den Morden] zu suchen", sagt sie, „bin ich auf all diese Mordfälle gestoßen und dachte: ‚Um Himmels Willen, wie viele Frauen werden denn eigentlich umgebracht?'"

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Ihre Recherche ergab schnell, dass es eine erhebliche Lücke in der Statistik gab, da es keine speziellen Aufzeichnungen gibt, die sich ausdrücklich mit geschlechtsspezifischen Morden von Männern an Frauen beschäftigen—ein Problem, das auch in Deutschland immer wieder angemahnt wird. Die Daten veranschaulichen ein wiederkehrendes Muster, das sich hinter den offiziellen Berichten, Polizeistatistiken und Artikeln der britischen Presse über Femizide verbirgt.

„Ich habe mich gefragt, warum die Daten, nach denen ich gesucht habe, nicht verfügbar waren", sagt sie. „Wenn wir uns nicht das Gesamtbild ansehen und [die Femizide] tatsächlich zählen, haben wir doch keine Ahnung, womit wir es hier zu tun haben."

Die Statistiken von Karens Datenerhebung zeichnen ein eindeutiges Bild über Femizide—ein Verbrechen, das weitgehend verkannt wird, obwohl es weltweit zu einem der Hauptgründe für den vorzeitigen Tod von Frauen zählt. Die Statistik zeigt, dass in Großbritannien im Schnitt jede Woche zwei Frauen von einem Partner oder einem Ex-Partner umgebracht werden (in letzterem Fall meist innerhalb eines Jahres nach der Trennung). Sie zeigt aber auch, dass Femizide in allen Gesellschaftsschichten und Altersgruppen vorkommen—unabhängig vom Wohnort, dem Einkommen, dem kulturellen Hintergrund oder der schulischen Bildung.

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Der größte Risikofaktor, so scheint es, ist Nähe: 64 Prozent der Frauen wurden von ihrem aktuellen oder einem ehemaligen Partner umgebracht; die verbleibende Mehrheit durch einen Vater, Bruder, Sohn, Kollegen, Angestellten, Kunden oder Freund. Nur ein Bruchteil der Morde (weniger als 10 Prozent) wurden von einem fremden Täter begangen.

Diese unbestreitbaren Zusammenhänge werden in Berichten, die auch die geschlechtsspezifische Natur der Gewalt in den meisten Fällen verschweigen, überwiegend verschleiert. „Nur allzu oft behandeln Polizei und Medien die Morde an Frauen wie Einzelfälle, die ‚keine weitere Bedrohung für die Öffentlichkeit darstellen.' Dabei wäre es besser zu zeigen, dass sich dahinter ein Muster verbirgt", erklärt Polly Neate, CEO von Women's Aid—der Organisation, die den Zensus veröffentlicht hat.

„Die Punkte wurden nur noch nicht miteinander verbunden, weil keiner den Tatsachen ins Auge sehen möchte. Dabei ist es unglaublich wichtig, auf die Beziehung zwischen Opfer und Täter hinzuweisen. Andernfalls sehen wir über die Tatsache hinweg, dass Frauen alarmierend oft von Menschen umgebracht werden, denen sie eigentlich am meisten vertrauen."

Neate erklärt, dass die geschlechtsspezifische Natur dieser Verbrechen der Schlüssel zur Lösung ist—zum Bespiel, indem man daran arbeitet, wie Regierung und Polizei mit Missbrauchsfällen umgehen. Dennoch gibt es nach wie vor eklatante Versäumnisse in der Gesetzgebung, da Gewaltdelikte, die gegen Frauen gerichtet sind, nach wie vor nicht als Hassverbrechen anerkannt werden. Das betrifft allerdings nicht nur Großbritannien, sondern Ländern rund um die Welt. In den meisten Fällen schließt Hasskriminalität nur durch Vorurteile motivierte Gewaltverbrechen bezogen auf die Hautfarbe, Religion, Behinderung und Sexualität des Opfers mit ein.

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In der deutschen Gesetzgebung gibt es hingegen überhaupt keine gesondert als Hassdelikte zu qualifizierenden Straftaten—ausgenommen die Klassifikation als „politisch motivierte Kriminalität", welche 2001 eigeführt wurde, um ursprünglich insbesondere rechtsextremistisch orientierte Straftaten klarer zu definieren. Allerdings zählt auch in Deutschland das Geschlecht des Opfers nicht zu den vermuteten Motiven hinter einer politisch motivierten Straftat.

US-Präsident Obama hat im Jahr 2009 die gesetzliche Klassifikation von Hassverbrechen so erweitert, dass Menschen vor Gewaltverbrechen, die durch ihre sexuelle Orientierung und ihre (wahrgenommene) geschlechtliche Identität motiviert sind, besser geschützt werden können. Doch auch diese neue Gesetzgebung scheitert nach wie vor daran, Frauen als konkretes und bedeutendes Ziel von Gewaltverbrechen anzuerkennen—ein Ausschluss, der Aktivisten zufolge noch immer den Widerstand widerspiegelt, Frauenfeindlichkeit als weitverbreitetes Motiv anzuerkennen.

„Wir dürfen keine Angst haben zu sagen, dass Frauen Opfer von Gewalt werden, weil sie Frauen sind", sagt Neate, die die Kampagne unterstützt, um Hassverbrechen gegen Frauen in der britischen Gesetzgebung zu verankern. „Gewalt gegen Frauen fußt auf Frauenfeindlichkeit—dennoch weigern wird uns nach wie vor, diese Tatsache anzuerkennen."

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Glücklicherweise gibt es auch Institutionen, die nicht davor zurückschrecken, Hassverbrechen gegen Frauen klar zu benennen. Die britische Polizeibehörde in Nottingshamshire hat vor Kurzem auf die Kritik reagiert und ihre Kategorien von Hassverbrechen so erweitert, das sie nun auch Fälle von Frauenfeindlichkeit miteinschließen.

Die Polizeibehörde definiert frauenfeindliche Hassverbrechen nun als ein „von einem Mann ausgehendes Verhalten, das gegen eine Frau gerichtet ist, nur weil sie einen Frau ist"—eine Klassifikation, die Frauen auch dazu ermutigen soll, Fälle von Missbrauch und Belästigung zu melden, die normalerweise nicht als Verbrechen angesehen werden. Viele weitere Polizeibehörden in ganz Großbritannien haben seither ihr Interesse bekundet, diesem Beispiel folgen zu wollen.

Obwohl sie den Vorstoß für eine breitere Anerkennung und härtere Strafen von Hassverbrechen gegen Frauen unterstützt, hat Karen die Sorge, dass die Konzentration auf offizielle Definitionen die zugrundeliegenden gesellschaftlichen Probleme nur weiter abgrenzen und durch neue Gesetze beiseite schieben wird. „Das Problem entsteht nicht durch die Institutionen", sagt sie. „Die Institutionen bestehen auch nur aus Menschen, die mit denselben kulturellen Normen leben wie wir—sie spiegeln also nur die vorherrschenden Vorstellungen wider."

Die Feindseligkeit und der zum Teil offene Hass, der denjenigen entgegenschlägt, die gegen Gewalt gegen Frauen aktiv werden, macht deutlich, dass Frauenfeindlichkeit nach wie vor weit verbreitet sind. Schon kurz nach Veröffentlichung des Femizidzensus waren die sozialen Medien schon voller beleidigender Kommentare und den üblichen Reaktionen wie „Frauen sind genauso schlimm wie Männer!".

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„Es ist traurig, aber es scheint, als wären Frauen, die frauenrechtliche Themen ansprechen, Sexismus und Frauenfeindlichkeit nur noch stärker ausgesetzt. Die Denkweise der Menschen scheint sich kaum zu verändern", sagt Karen. Sie glaubt, dass ein großer Teil dieses Widerstands von der Regierung und dem sozialen Druck herrührt, öffentliche Politik und Debatten geschlechtsneutral zu führen—was allerdings die Wirklichkeit der sozialen Ungleichheiten, von denen Frauen nach wie vor betroffen sind, vollkommen außer Acht lässt.

„Das Wichtigste ist, sich mit der Frage der Gleichberechtigung sowie mit männlichen und weiblichen Stereotypen auseinanderzusetzen, welche die Grundlage dieses Problems darstellen—sei es nun die Objektifizierung durch die Medien, Prostitution oder beispielweise auch der wieder auflebende Trend von pinken Spielsachen und Kleidern für Mädchen. Wenn wir Frauen mehr Freiheiten geben, erzeugt das eine Gegenreaktion, die destruktive Geschlechterrollen verstärkt und Frauen weniger Wert beimisst."