Was man als Camgirl über Männer und Beziehungen lernt
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Was man als Camgirl über Männer und Beziehungen lernt

Wer als Frau begehrenswert sein möchte, muss Dessous tragen und muss die Unnahbare spielen? Zwei Amateurporno-Darstellerinnen haben da ganz andere Erfahrungen gemacht.

Um eine Sache klarzustellen: Natürlich sind Männer nicht vom Mars, Frauen nicht von der Venus und festgefahrene, binäre Geschlechterrollen an sich ganz großer Quatsch. Trotzdem erfreuen sich Artikel, Serien, Comedy-Programme und Bücher, die das zwischenmenschliche Miteinander zu etwas Kalkulierbarem, leicht Durchschaubarem machen wollen, nach wie vor großer Beliebtheit. Wann "darf" man sich nach dem ersten Date melden, wie bringt man wieder Feuer ins Schlafzimmer – die Antworten auf diese Fragen sind oft die gleichen: sei so attraktiv wie möglich, lass dich nicht gehen und melde dich niemals als erstes.

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Schnuggie91 und Bibixxx aus Hamburg arbeiten seit Jahren in der Erotikbranche und veröffentlichen selbstgedrehte Pornofilme auf der Plattform MyDirtyHobby.de. Ihre Vorstellung von dem, "was Männer wollen", wurde allerdings recht schnell über den Haufen geworfen. In den zum Teil stundenlangen Webcam-Sessions mit ihren Fans hören sie von Ängsten und Wünschen, die die Nutzer nicht einmal ihren Partnerinnen anvertrauen wollen. Und müssen immer wieder feststellen: "Die" Männer oder "die" Frauen gibt es nicht – und vieles, was wir über Erotik und das perfekte Verhalten in Beziehungen glauben, stimmt einfach nicht.

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Broadly: Es gibt sehr viele Klischees darüber, was Männer angeblich toll finden und was Frauen sein und darstellen müssen, um sexy zu sein. Was für Erfahrungen habt ihr als Camgirls damit gemacht?
Schnuggie91: Ich habe auf jeden Fall immer gedacht, dass Männer auf große Brüste stehen und ganz schlanke Frauen wollen. Oder dass man Dessous tragen muss, um sexy zu sein. Von den meisten Männern habe ich dann aber gehört, dass sie gerade Natürlichkeit total schätzen und eigentlich nur eine selbstbewusste Frau haben wollen, die sich gerne selber mag. Das hat mir schon sehr viel gebracht, weil ich mir das immer mehr verinnerlicht habe. Ich merke, dass ich jetzt Dinge an mir toll finde, die ich vielleicht früher gar nicht so toll fand.

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"Ihm ist aufgefallen, dass ich versucht habe, meinen Bauch einzuziehen. Er meinte dann: 'Das stört mich gar nicht. Ich finde das total sexy.'"

Ich habe zum Beispiel auf der linken Seite drei kleine Sommersprossen im Gesicht. Die habe ich selbst noch nie so richtig wahrgenommen und einmal meinte ein Fan plötzlich: "Ich liebe deine Sommersprossen." Ich habe ihn gefragt, von welchen Sommersprossen er redet und musste dann selbst erstmal in den Spiegel gucken. Seitdem mag ich die auch richtig gerne.

Bibixxx: Als ich als Camgirl angefangen habe, habe ich auch erst mal Dessous eingekauft und dachte, ich müsse mich jetzt wahnsinnig hübsch machen. Ich dachte, ich müsste wirklich in so eine Pornoschiene rutschen, weil die Nutzer das erwarten. Wenn man Außenstehenden erzählt, was man so macht, fragen die auch immer: "Musst du dich da den ganzen Tag in Dessous räkeln?" Dabei ist das gar nicht so. Das ist echt ein Klischee.

Foto bereitgestellt von Bibixxx (links) und Schnuggie91 (rechts)

Broadly: Wann habt ihr gemerkt, dass das eigentlich gar nicht stimmt? Dass es auch sexy sein kann, wenn man nicht total aufgedonnert ist?
Bibixxx: Bei mir war das relativ am Anfang. Ich hatte Dessous und High-Heels an, hatte mich richtig hübsch gemacht, bin dann aber noch mit der Webcam in der Badewanne. Als ich aus der Badewanne rausgekommen bin, wollte ich noch ein bisschen weitercammen, hatte aber keine Lust, mich wieder in meine Dessous reinzuquetschen. Eigentlich wollte ich nur noch meinen Schlafanzug anziehen. Ich saß also mit Hotpants und T-Shirt vor der Cam, alles sehr leger, abgeschminkt, nasse Haare – und das kam wahnsinnig gut an. Ich hatte auch mal eine Situation, in der ich nackt auf einem Stuhl saß und mit jemandem gechattet habe. Irgendwann ist ihm aufgefallen, dass ich versucht habe, meinen Bauch ein bisschen einzuziehen. Er meinte dann: "Das stört mich gar nicht. Ich finde das total sexy, das bist halt du."

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Schnuggie91: Ich hatte auch eine Situation, wo ich eigentlich verabredet war und eine ganz normale Jeans und ein Shirt anhatte. Als meine Freundin allerdings meinte, dass es bei ihr ein bisschen später wird, hatte ich ein Zeitfenster, das ich irgendwie überbrücken wollte. Also habe ich die Kamera angeschmissen und das angelassen, was ich sowieso anhatte. Die Leute fanden es super. Seitdem setze ich mich immer mal in ganz normalen Sachen vor die Cam, manchmal sogar in Schlafsachen. Ich hatte zum Beispiel mal so einen Typen, der gefragt hat, ob ich ein viel zu großes Shirt oder ein viel zu großes Hemd habe, was ich anziehen könnte. Weil er sich dann vorstellt, dass ich bei ihm übernachtet habe.


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Broadly: Also geht es bei den Fantasien gar nicht unbedingt immer um Sex?
Schnuggie91: Nein, wir reden allgemein auch viel darüber, was sich die Leute von Beziehungen wünschen. Manchmal habe ich Männer da, die schon eine Beziehung haben und dann über ihre Beziehung reden wollen. Über Beziehungsthemen, darüber, wie das so ist zwischen Männern und Frauen, was man eigentlich von dem anderen erwartet, wie man Frauen anspricht … Oft ist das aber auch umgekehrt. Ich saß auch schon vor der Cam und habe mir bei Fans Rat geholt. Manchmal ist es ja gar nicht so einfach, offen zu sein und jemandem zu sagen, was man gerade denkt oder was man will.

Bibixxx: Ich frage die Nutzer oft direkt, ob sie vergeben sind. Diese Männer wollen oft einfach wissen, wie Frauen bestimmte Dinge finden, wo sie gerne angefasst werden und wie sie über Männer denken. Sie fragen mich, weil sie ihren eigenen Frauen teilweise gar nicht solche Fragen stellen können.

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"Sie haben Angst, dass die Frau direkt Schluss macht oder es total eklig findet."

Broadly: Was sind die häufigsten Ängste und Fragen, mit denen ihr konfrontiert werdet?
Bibixxx: Wenn es um Sex geht, ist es definitiv die Frage: "Wie kann ich meiner Frau Analsex schmackhaft machen?" Viele Männer interessiert das wirklich und oft sind sie nicht mutig genug, das Thema überhaupt anzusprechen. Die fragen uns dann, wie wir damit angefangen haben, wie das für uns so ist und was sie machen können, damit ihre Frau das genießt. Ganz allgemein haben viele Probleme damit, ihre Wünsche anzusprechen. Sie haben dann Angst, dass die Frau direkt Schluss macht oder es total eklig findet. Jeder Mensch hat Bedürfnisse und möchte die dann natürlich auch ausleben – wen sollte man da anderes fragen als den eigenen Partner? Manche haben da aber doch Angst vor.

Broadly: Wie reagiert ihr auf solche Fragen? Im Endeffekt kennt ihr in dem Moment ja nur eine Seite der Geschichte.
Schnuggie91: Gerade wenn es darum geht, dass jemand seine Beziehung sexuell ein bisschen aufpäppeln will, hole ich mir erst noch ein paar andere Infos zur Frau und dazu, was sie bisher schon so gemacht haben. Was ich immer sage ist, dass es wichtig ist, nicht zu vermitteln, dass man unzufrieden ist. In der Regel ist es keine große Unzufriedenheit, viele wollen halt einfach nur mal was anderes machen. Deswegen geben wir eher Tipps dazu, wie man darüber sprechen kann, ohne jemanden zu verletzen.

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Foto: Lisa Ludwig

Broadly: Halten euch die Leute anschließend auf dem Laufenden darüber, wie das so weiterging?
Schnuggie91: [lacht] Ja, total! Ich habe jemanden mal richtig in einer Beziehung begleitet. Wir kannten uns schon, als er Single war. Dann hat er erzählt, dass er eine kennengelernt hat. Also habe ich ihm immer mal kleine Tipps gegeben, was er so machen kann. Er war sehr verliebt in sie und das ist ja auch immer nicht so einfach, wenn man vorher lange allein war. Ich habe ihn oft angeschrieben und gefragt, wie es so läuft. Mittlerweile wohnen sie sogar zusammen.

Bibixxx: Ich habe eine Geschichte von einem Pärchen, das schon ein bisschen länger zusammen ist. Beide sind über 30 und er hatte mir erzählt, dass so ein bisschen die Luft raus sei. Er würde gerne mal neue Sachen ausprobieren, meinte er, und zum Beispiel mal in einen Swinger-Club gehen. Also habe ich ihn dazu ermutigt, das einfach mal anzusprechen. Ein paar Tage später kam er wieder online und hat erzählt, dass sie total begeistert war. Sie wollte das wohl eigentlich auch schon ansprechen, hatte sich aber auch nicht getraut. Letztendlich gehen jetzt beide ständig auf irgendwelche Sex-Partys und er berichtet mir immer davon. Ich finde das total interessant. Ich habe eine Beziehung gerettet!

"Wenn einem danach ist, sich zu melden, dann sollte man das vielleicht auch einfach machen."

Broadly: Zum ersten Date gibt es ja auch bestimmte abstruse Regeln. Man darf nicht zu interessiert wirken, man darf sich nicht zu schnell wieder melden … Kommt so was auch manchmal zur Sprache?
Schnuggie91: Klar! Ich habe das schon öfter miterlebt, dass Männer ein Date hatten und danach meinten: "Mensch, jetzt kann ich der ja noch nicht schreiben!" Oder dass mich mal jemand fragt: "Soll ich der jetzt nicht doch mal schreiben?", "Soll ich der jetzt das und das sagen?"

Bibixxx: Bei mir war es glaube ich schon so, dass ich den ein oder anderen "Fehler" gemacht habe, bevor ich diesen sehr offenen Kontakt zu fremden Männern hatte. Ich habe Leuten zum Beispiel sehr häufig hinterher telefoniert. Mittlerweile ist es aber tatsächlich so, dass ich schon so oft über solche Themen gesprochen habe, dass ich einiges dazugelernt habe. Ich kenne jetzt die Sicht anderer Männer und kann selbstbewusster mit solchen Situationen umgehen. Wenn ich jetzt mal eine Stunde keine Antwort auf eine Nachricht bekomme, denke ich nicht mehr, dass es der Weltuntergang ist.

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Schnuggie91: Ich habe gelernt, dass man manchmal einfach das machen sollte, was man will. Dass man sich meldet, wenn man sich melden will und auch mal sagt, was man denkt. Klar, kann man das Spiel ein bisschen spielen und das macht ja auch Spaß. Es kommt aber immer besser an, wenn man authentisch und ehrlich ist. Wenn einem danach ist, sich zu melden, dann sollte man das vielleicht auch einfach machen. Manchmal ist das besser, als sich bewusst nicht zu melden, weil man möchte, dass sich der andere meldet. Wenn der andere genau so denkt, meldet sich im Zweifel nämlich keiner. Das wäre doch schade, vielleicht passt man eigentlich ganz gut zusammen und findet es nie heraus.

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