Hinter den Kulissen von ‚Blair Witch Project‘
Illustration: Katherine Killeffer

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Film

Hinter den Kulissen von ‚Blair Witch Project‘

In „Blair Witch Project“ mitgespielt zu haben, klingt nach dem Highlight einer jeden Schauspielkarriere—schließlich wurde der Low-Budget-Film zu einem der einflussreichsten Horrorstreifen überhaupt. Die Beteiligten erzählen, warum das Ganze trotzdem...

Rund 17 Jahre nachdem Blair Witch Project dazu ansetzte, einer der ikonischsten Horrofilme überhaupt zu werden, kommt sein Sequel in die Kinos. An acht Tagen wurde der Kultklassiker im Sommer 1999 abgedreht. Trotz einem Minimal-Budget von umgerechnet rund 54.000 Euro spielte der Film weltweit über 222 Millionen Euro ein—und wurde damit zum fünfterfolgreichsten Indie-Film aller Zeiten.

Viele Zuschauer waren damals in Scharen ins Kino gerannt, um sich einen Film anzusehen, der, so glaubten sie, echte Filmaufnahmen von Studenten in einem Wald zeigte, die von einer Hexe verfolgt wurden. Dieser Glaube wurde zusätzlich durch eine Fake-Website verstärkt, die der Regisseur Eduardo Sanchez vor der Veröffentlichung des Films erstellt hatte. Diese Kampagne ließ die Hexe von Blair zu einem regelrechten Mythos werden (und selbst Jahre später glauben einige Leute immer noch, dass der Film eine echte Dokumentation gewesen ist). Der riesige Hype um den Film hat den raffinierten Produktionstechniken des Films ein wenig die Show gestohlen, die viele weitere Filme im Stil der pseudodokumentarischen Horrorfilme wie beispielsweise Paranormal Activity inspirierten und eine der ersten erfolgreichen viralen Marketing-Kampagnen des Internetzeitalters begründet haben.

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Der Erfolg hat die Schöpfer des Films und seine Stars nach Hollywood katapultiert, doch die überzeugende Marketing-Kampagne hat außerdem dazu geführt, dass viele davon überzeugt waren, dass die Schauspieler tatsächlich gestorben seien. Anlässlich des Nachfolgers Blair Witch, der ab dem 6. Oktober in deutschen Kinos läuft, hat sich Broadly mit den Drehbuchautoren, Regisseuren und Schauspielern des ersten Blair Witch Project-Films getroffen, um zu erfahren, wie der Film ihre Leben für immer geprägt hat—und warum der Erfolg des Ganzen gewissermaßen auch zum Fluch wurde.

Am Anfang

Die Drehbuchautoren und Regisseure Eduardo Sanchez und Dan Myrick haben sich Anfang der 1990er Jahre als Filmstudenten an der University of Central Florida kennen gelernt. Die Freunde haben zuvor schon einige andere Filme zusammen gedreht, bevor sie sich entschieden, gemeinsam einen Horrorfilm zu drehen.

Eduardo Sanchez, Autor/Regisseur: Wir hingen an einem Wochenende gerade zusammen ab und fingen an, uns über Horrorfilme zu unterhalten. Wir gingen also zur Videothek und liehen uns all die Horrorfilme aus, die uns als Kinder richtig Angst gemacht hatten, aber auch Filme und Sendungen im pseudodokumentarischen Stil wie In Search of…, Erinnerungen an die Zukunft [und] Legend of Boggy Creek. Diese Art von Horrorfilmen fanden wir viel schrecklicher, weil sie als Wahrheit dargestellt wurden. Wir fragten uns beide: „Wäre das mit einem heutigen Publikum wohl auch noch möglich?"

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Dan Myrick, Autor/Regisseur: Von da an begannen wir, zu überlegen, wie unheimlich es wäre, in diesem Stil im Wald auf eine alte Hütte zu stoßen. Du kannst nicht weg, du bist gezwungen zuzugucken während du dich diesem unheimlichen Haus mitten in der Nacht näherst, du musst hineingehen—es gibt kein Zurück. Das würde viele unserer Urängste bedienen. Im Laufe des nächsten Jahres überlegten wir uns dann einen Grund dafür, warum man diese Filmaufnahmen sehen sollte. Ursprünglich sollte es eine große Gruppe von Forschern auf einer Expedition im Wald sein, oder vielleicht eine Sekte.

Sanchez: Die vielen Ideen, die uns für die Mythologie rund um die Hexe von Blair kamen, sollten einfach so gut wie möglich in der Realität verwurzelt sein. Wir wollten, dass es für die Leute realistisch wirkte, als hätte es wirklich so passieren können. Wir wollten aber auch nichts zu ausgefallenes; wir wollten nicht zu viel Aufmerksamkeit auf die Mythologie ziehen. Wir wollten nicht, dass die Leute recherchieren und beginnen, unsere Behauptungen zu widerlegen.

Myrick: Wir haben uns als Bezugspunkt der amerikanischen, modernen Folklore bedient. Das Devil's Triangle war ein wirklich guter Bezugspunkt; ein mysteriöser Ort, an dem angeblich viele Leute verschwunden sind und um den sich viele Verschwörungstheorien ranke, doch niemand konnte sie je belegen oder widerlegen. Überlieferte Geschichten aus den Zeiten des Bürgerkriegs oder von amerikanischen Ureinwohnern—eine Mischung unterschiedlicher wahrer oder auch halbwahrer Begebenheiten aus der Gegend, um dem Universum, das wir erschaffen hatten, eine konkretere Gestalt zu geben.

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Sanchez: Wir hatten von Anfang an geplant, dass sich der Film in Maryland abspielen sollte. Dan und [das Team] lebten in Orlando und deswegen waren wir uns einig, dass es definitiv „keine Legende aus Florida sein" könnte.

Wir wussten, dass wir das Publikum verlieren würden, wenn es sich auch nur für den Bruchteil einer Sekunde so anfühlen würde, als würden die Leute schauspielern.

Die Besetzung

Mithilfe des Produzenten Greg Hale begannen Myrick und Sanchez damit, einen achtminütigen Teaser zusammenzustellen, um potenzielle Geldgeber anzulocken. Das Video wurde schließlich an die Fernsehserie Split Screen verkauft und der Verkaufserlös deckte—zusammen mit finanzieller Unterstützung von Freunden, Familie und Videos, die Myrick für Planet Hollywood bearbeitete—die Produktionskosten des Films. Dann haben die Regisseure nach einer passenden Besetzung für den Film gesucht, nach Schauspielern mit Erfahrung im Improvisieren, die den Found-Footage-Stil des Films gut umsetzen würden.

Sanchez: Wir wussten, dass wir das Publikum verlieren würden, wenn es sich auch nur für den Bruchteil einer Sekunde so anfühlen würde, als würden die Leute schauspielern—oder sich überhaupt wie ein Film anfühlen würde. Es lag uns also sehr viel daran, dass die Schauspieler gute Improvisations-Skills hätten und authentisch rüberkommen würden.

Heather Donahue, Schauspielerin: Ich war die Gründerin des Improvisationsunternehmens Red Shag und gehörte zu der feministischen Randbewegung einer Theatergruppe namens Collision Theory, wo wir öfters dokumentarische Theaterstücke aufführten. Ich habe viel improvisiert, aber in eine ganz andere Richtung, ich war also total aufgeregt, als ich von The Blair Witch [Project] hörte.

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Sanchez: Die [Schauspieler] kamen in den Raum und wir begannen sofort, sie mit bestimmten Fragen zu bombardieren. Wir sagten den Leuten vor dem Vorsprechen direkt „Sobald du in den Raum kommst, beginnt das Vorsprechen." Bei vielen hat das funktioniert, aber bei anderen auch nicht. Es gab viele Schauspieler, die in den Raum kamen und einfach nicht verstanden, wonach wir suchten.

Donahue: Dan, Ed und Greg haben sich für uns Improvisationsszenarien ausgedacht. Als ich zum Vorsprechen kam, sagten sie zu mir „Du hast die Hälfte deiner Strafe für die Ermordung deines Kindes abgesessen. Warum sollten wir dich frei lassen?" Und ich sah sie an und antwortete „Ich denke, das solltet ihr nicht." Ich glaube, ich war die einzige Frau, die das gesagt hat und so habe ich die Rolle bekommen.

Joshua Leonard, Schauspieler: Ich bekam die Rolle bei Blair Witch, weil ich bereits Schauspiel-Erfahrung hatte und mit einer Kamera umgehen konnte, ich habe damals nämlich oft als Freelancer gefilmt. Ich wusste damals wie viele junge Leute in New York noch nicht genau, was ich machen wollte und dachte mir, vielleicht werde ich Fotograf, oder Dokumentarfilmer, Spoken-Word-Poet oder Schauspieler—ich folgte einfach jedem Trend, der gerade angesagt war.

Ich war wahrscheinlich auch einfach viel zu bekifft, um wirklich Angst zu haben.

Zelten in Maryland

Heather Donahue, Joshua Leonard und Michael C. Williams konnten die Hauptrollen für sich gewinnen und ihre Charaktere wurden nach ihren echten Namen benannt. Zusammen mit dem Filmteam reisten die Schauspieler nach Maryland, wo sie innerhalb von acht Tagen den Film abdrehen sollten. Zuerst fuhren sie in die echte Stadt Burkittsville und dann in unterschiedliche Naturparks, in denen die Szenen gedreht wurden, die an eine ziemlich unheimliche Schnitzeljagd erinnern. Die Schauspieler schliefen jede Nacht in echten Zelten und nahmen ihr eigenes Material selbst auf, das Team folgte ihnen einfach nur. Die Schauspieler haben einen Großteil des Films komplett improvisiert, und das Team war dafür verantwortlich, für Unruhen zu sorgen, die die erwünschten Reaktionen auslösen sollten.

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Donahue: Zuerst wollten meine Familie und Freunde mir ausreden, mit einem Haufen fremder Typen in den Wald zelten zu gehen. Meine Mutter wollte sogar wissen, ob sie von jedem einzelnen die Sozialversicherungsnummer haben könnte. Meine Freunde bestanden darauf, dass ich mir ein Messer kaufte. Ich dachte, es würde viel härter sein, als es dann im Endeffekt tatsächlich war. Ich rechnete damit, dass ich Eichhörnchen häuten müsste oder so.

Leonard: Ich arbeitete mit einem Unternehmen zusammen, das all die Experimentalfilme von Kenneth Anger, Derek Jarman und Maya Deren und echt seltsames anderes Zeug machte, es schien also eine echt interessante, experimentelle Filmtechnik zu sein. Und außerdem war ich wahrscheinlich auch einfach viel zu bekifft, um wirklich Angst zu haben.

Myrick: All die komischen Geräusche kamen von uns. Wir sind einfach durch den Wald gegangen und haben uns Dinge einfallen lassen. Als sie aufwachen und um ihr Zelt herum die drei Steinhaufen vorfinden, haben wir die natürlich dort aufgestellt. Die Figuren aus Ästen haben wir an den Bäumen aufgehangen. Wir haben die drei im Grunde durch ein anhaltendes Theaterstück geführt. Sie hatten ein GPS-Gerät, das wir immer am Vortag vorprogrammierten und das ihnen gezeigt hat, wo sie wann hingehen sollten. Wir rüttelten an ihrem Zelt, wir spielten Geräusche spielender Kinder vor ihrem Zelt ab, machten mitten in der Nacht Krach und lockten sie zum Schluss zu dem unheimlichen Haus—im Grunde haben wir den Part der Hexe von Blair übernommen.

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Screenshot aus ‚Blair Witch Project'

Donahue: Wir wussten, dass die Aufnahmen den ganzen Tag und die Nacht durch dauern würden und waren darauf vorbereitet, dass es nicht unbedingt gemütlich werden würde. Wir wussten auch, dass es um eine Hexe ging. Wir wussten, dass jeder Hinweis von ihnen in unserer Gruppe für Unruhe sorgen sollte und wir wussten, dass wir so viel wie möglich mit unseren Kameras aufnehmen sollten.

Myrick: Was die Blair Witch-Mythologie angeht, haben wir Mike und Josh nur ein paar Dinge darüber wissen lassen, Heather aber wusste genau über die Hexe von Blair und die Hintergrundgeschichte Bescheid. Wir wollten die beiden anderen Schauspieler dazu bringen, Fragen wie „Warum sind wir hier draußen? Was hat es mit dieser Hexe von Blair auf sich?" zu stellen. Sie sollten diese Fragen ohne jedes Vorwissen über den Grund für ihren Studentenfilm stellen.

Donahue: Ich hatte zwei Jahre davor schon einen Studentenfilm mit einer jungen Filmemacherin zusammen gedreht, die eindeutig sehr viel Mut hatte. Ich dachte mir bei Blair Witch Project nur „Welche Frau würde die Kamera selbst in der schlimmsten Situation noch draufhalten?" Eine normale Person hätte längst aufgehört aufzunehmen, ich musste also für diese Rolle bis an meine äußersten Grenzen gehen. Ich glaube, es gab damals einfach nicht viele weibliche Charaktere dieser Art in Filmen. Es hat sich seitdem aber auf jeden Fall so einiges geändert. Die weiblichen Charaktere haben jetzt etwas mehr Spielraum. Ich habe damals für meine Rolle die Razzie-Auszeichnung als schlechteste Schauspielerin gewonnen und ich glaube, das lag teilweise daran, dass der Charakter beurteilt wurde und nicht wirklich meine schauspielerische Leistung. Sie (Heather im Film) war eine sehr emotionale Frau, die sich 1999 außerdem ganz ohne Make-Up vor der Kamera zeigte.

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Sanchez: Die Schauspieler waren fantastisch, sie haben sich vor nichts gescheut und waren sehr mutig, einfach das zu tun, was wir von ihnen verlangten. Wir haben ihnen gesagt: „Wir werden all das vorbereiten und euch nonstop im Wald rumlaufen lassen und wir werden euch nachts Angst machen"—und sie haben uns trotz alledem irgendwie vertraut. Das war während der Zeit wahrscheinlich unser größter Erfolg.

Wir haben sie auf keinen Fall hungern lassen, aber wir wollten, dass sie zum Schluss etwas mürrisch werden.

Die Mythen um den Film

Wie die Legende des Blair Witch Project selbst hat auch die Produktion des Films viele Geschichten hervorgebracht. Es kamen Gerüchte über die Schauspieler in Umlauf, die angeblich während bestimmter Szenen geweint und geschrien haben, weil sie glaubten, die Legende sei wahr. Doch tatsächlich waren die Aufnahmen viel unspektakulärer und ein hartes Stück Arbeit für die drei Hauptdarsteller.

Leonard: Es gab keine Geisterkinder im Wald. Der Teil war also schon mal frei erfunden, so weit ich weiß.

Donahue: Ein Haufen Steine ist an sich nichts unheimliches. Wir mussten aber an die fiktiven Umstände glauben, wie auch bei jedem anderen Schauspieljob.

Myrick: Wir haben sie sicher ab und zu überrascht, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass einer von ihnen zu irgendeinem Zeitpunkt ernsthaft Angst hatte. Zum Beispiel bei der Schlussszene in dem Haus, da sieht es aus, als wäre es alles in einem Take gedreht worden. Heather schreit im Haus, und es sieht so aus, als würde sie ihren Verstand verlieren, doch tatsächlich haben wir diese Szene in mehreren Takes über einen Zeitraum von zwei Tagen aufgenommen—das war einer der wenigen Abschnitte im Film, der auf traditionellere Weise gefilmt wurde. Wir mussten wirklich alles gut vorbereiten und uns vorsichtig durchs Haus bewegen, damit niemand sich verletzen würde. Es war alles gestellt. Niemand hatte Angst. Sie waren einfach müde! Die Angst in ihren Gesichtern ist ihrer unglaublich guten schauspielerischen Leistung zuzuschreiben.

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Leonard: Man hat ja immer im Hinterkopf „Wir haben nur die acht Tage für den gesamten Dreh", man hat also eigentlich die ganze Zeit über geschauspielert. Wir waren ja nicht wirklich so lange da draußen im Wald. Ich denke, dass die Methoden, die Ed und Dan und Greg und all die anderen angewendet haben, um unter uns für Unruhe zu sorgen, [echt waren]. Es war wirklich kalt, wir hatten wirklich Hunger und wir waren alle echt müde—ich denke, dass hat auf jeden Fall zu dem Gesamtergebnis beigetragen.

Myrick: Mit der Zeit haben wir ihnen etwas weniger Essen dagelassen. Wir haben sie auf keinen Fall hungern lassen, aber wir wollten, dass sie zum Schluss etwas mürrisch werden.

Donahue: Wir hatten [mit dem Team] das Codewort „Bulldozer" vereinbart, für Situationen, in denen wir kurz aufhören wollten oder mussten. Unser Codewort untereinander war „Taco". An einem Tag waren wir schon sehr lange gewandert, und sie hatten unsere Zelte aufgestellt, aber als wir bei den Zelten ankamen, stand darin das Wasser fast drei Zentimeter hoch. Da hat es uns dann gereicht. Wir haben dem Filmteam über Funk das Codewort mitgeteilt, die haben aber gerade in einem Restaurant zu Abend gegessen und uns nicht gehört. Wir sind also aus dem Wald raus gegangen und sind zum ersten Haus gelaufen, das wir sahen. Die Jungs meinten nur „Du musst an der Tür klopfen. Wenn ein Typ mitten in der Nacht an der Tür klopft, wird uns doch niemand reinlassen!" Also habe ich angeklopft und gesagt „Es tut mir leid, wir sollten uns eigentlich im Wald verirrt haben, aber das haben wir nicht, und wir müssen dringend unser Team anrufen!" Komischerweise waren die Leute sehr nett. Sie haben uns reingelassen un uns heißen Kakao gemacht. Diese Nacht haben wir dann in einem Hotel verbracht.

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Ungeplantes

Einige der unheimlichsten und besten Momente im Film kamen für das Team total überraschend. Andere geplante Reaktionen wurden hingegen nicht richtig aufgenommen, wodurch sich der gesamte Verlauf des Films und die Blair Witch-Mythologie veränderten. Dazu zählt beispielsweise der berühmte Monolog von Donahue, in dem sie in die Kamera weint. Die Nahaufnahme von ihrem Gesicht wurde später zum Motiv für das ikonische Filmposter.

Myrick: Wir hatten diesen Plan und wollten die Silhouette einer weißen Figur zeigen—dieser unheimliche Moment, in dem man, wenn man genau hinschaut, die hellen Konturen eines Menschen irgendwo im Hintergrund erkennt. Ein Freund von uns hatte sich lange weiße Unterhosen angezogen und wartete irgendwo im Wald zwischen den Bäumen auf uns. Wir hatten gehofft, dass man ihn später im Film für einen kurzen Augenblick sehen würde. Das war es auch, worauf Heather reagierte [als sie durch den Wald rannte] und fragte „Was zum Teufel war das?", aber der Typ war in den Aufnahmen nicht zu sehen. Er tat mir leid, an dem Abend war es nämlich ziemlich kalt und außerdem ist er auch noch ins Wasser gefallen. So viel Aufwand für nichts weiter als ein „Was zum Teufel war das?"

Sanchez: Wir wussten nicht, dass [Donahues Monolog] zu einem so unglaublich ikonischen Moment in unserem Film werden würde. Wir hatten [Heather und Williams] dieselben Anweisungen gegeben. Wir sagten zu Heather: „Du willst Mike keine Angst machen, nimm also deine Kamera und such dir einen Platz in der Nähe vom Zelt, an dem du dich von allen, die dir wichtig sind, verabschieden kannst. Du wirst sterben." Wir machten ihnen Vorschläge, wie sie reagieren könnten. Zu diesem Zeitpunkt wusste Heather schon, dass sie sterben würde und lieferte plötzlich diese unglaubliche, großartige Vorstellung ab. Das war einer dieser besonderen Momente. Wir als Filmemacher hatten das nicht kommen sehen, wir hatten sie ja komplett sich selbst überlassen. Aber als wir das später sahen, ahnten wir, dass es etwas Großes sein könnte.

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Screenshot aus ‚Blair Witch Project'

Donahue: Ich wusste, dass mein Charakter jetzt sterben würde und dass Josh höchstwahrscheinlich tot war. Ich wusste, dass auch Mike sterben würde und es war alles meine Schuld—das war die Ausgangssituation. Außerdem war mir absolut bewusst, dass meine Nase lief. Im Rückblick hätte ich ein paar Dinge anders gemacht. Ich hätte zum Beispiel niemals meinen echten Nachnamen benutzt und ich hätte wahrscheinlich aus einem etwas höheren Winkel gefilmt.

Leonard: Wir haben uns für einen Found-Footage-Film entschieden, weil unser Budget diese Ästhetik rechtfertigte. „Das wird total scheisse aussehen und sich stellenweise auch ziemlich schlecht anhören, aber das ist OK, es ist mit Absicht so und wir zeigen hier etwas, das den Leuten wirklich passiert sein soll"—das war so die Idee. Wir hatten eine 300-Dollar-Kamera und noch eine andere, die wir umsonst bekommen hatten. Für mich ist es also lustig, wenn ein großes Filmstudio versucht, ihre Aufnahmen schlecht aussehen zu lassen.

Myrick: Es gab viele Sachen, die wir geplant hatten, die nicht passiert sind und andere Sachen, die ganz wunderbar geklappt haben. Das ist das Tolle an dem ganzen Prozess: Es läuft am Ende nie ganz so, wie man es geplant hat.

Meine Mutter erhielt Beileidskarten und die Leute sprachen mich auf der Straße an und sagten, sie wünschten, ich wäre tot.

Wenn alle glauben, du seist tot

Nachdem die Aufnahmen beendet waren, verbrachten Myrick und Sanchez Monate damit, das Material zu bearbeiten und in einen 81-minütigen Film zu komprimieren. Der Film wurde beim Sundance Film Festival gezeigt und das jetzt nicht mehr existierende Artisan Entertainment sicherte sich die Vertriebsrechte. Sanchez erstellte eine Website für den Film, auf der Hintergrundinformationen zum Mythos um den Film zu finden waren—und das Ganze als echte Geschichte verkaufte. Außerdem versteckte Artisan während der Premiere zunächst die drei Hauptdarsteller und veränderte ihre Einträge auf der IMDB-Seite. Alles sah danach aus, als seien sie tatsächlich gestorben. Dieser Schwindel kam so überzeugend rüber, dass Donahues Mutter Beileidskarten zugeschickt bekam.

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Donahue: Es hatte eindeutig einen negativen Einfluss auf meine Karriere, totgeglaubt zu sein.

Leonard: Es war total seltsam. Die Leute waren verunsichert und riefen meine Mutter an, um zu fragen, ob bei mir auch alles in Ordnung sei. Was meine Karriere angeht: Ich hatte vor dem Film eigentlich keine. Es war also nicht so, als wäre ich vorher ein extrem gefragter Schauspieler gewesen und plötzlich als tot erklärt worden.

Sanchez: Nachdem wir die Filmrechte verkauft hatten, hatten wir keinerlei Einfluss mehr auf den Prozess. Artisan wollte den Film unbedingt als echt vermarkten und ließ die Schauspieler für ein paar Wochen untertauchen. Wir sagten damals nur, dass es klappen könnte. Wir selbst wären wahrscheinlich anders vorgegangen, aber es funktionierte trotzdem und brachte Artisan eine Menge Geld ein.

Leonard: Derjenige, der die Website erstellt hatte, hätte etwas sauer sein können, Artisan heimste nämlich alle Lorbeeren dafür ein. Es ist beeindruckend, dass selbst nach 20 Jahren Leute—selbst Leute, die nichts mit der Filmbranche zu tun haben—, oft sagen „Das Filmstudio hat sich eine wirklich raffinierte Marketing-Kampagne einfallen lassen." Artisan hat sich einer bereits bestehenden Vorlage bedient und sie wirklich hervorragend zu Geld gemacht und es geschafft, das Geheimnisvolle am Film noch weiter auszubauen. Doch dieses geheimnisvolle Element war von Anfang an da, seit dem ersten Gespräch, das ich mit den Regisseuren geführt habe.

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Der Rückschlag

Der Film spielte weltweit umgerechnet rund 276 Millionen Euro ein und auch die Kritik viel—zumindest anfangs—überaus positiv aus. Myrick und Sanchez gewannen sogar einen Independent Spirit John Cassavetes Award. Die große Beliebtheit brachte auch einen ebenso großen Rückschlag mit sich, der sowohl das Filmteam als auch die Schauspieler hart treffen sollte.

Sanchez: Nur kurze Zeit nach der Veröffentlichung gab es diese enorme Gegenreaktion. Die Leute hatten etwas andere erwartet. Als sie merkten, dass Blair Witch kein gewöhnlicher Horrorfilm war, taten sie so, als hätten wir versucht, sie für dumm zu verkaufen. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Film schon reichlich Geld eingebracht und war sehr erfolgreich—man hätte es also als unwichtig abtun können, aber uns als Regisseure hat das natürlich schon getroffen.

Myrick: Ich glaube, [so eine Gegenreaktion] ist ganz normal. Die besten Kritiken für unseren Film haben wir ganz zu Anfang bekommen, als die Leute noch offen für etwas Neues waren und keine Erwartungen an ihn hatten. Es gibt aber mit der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit diesen Kreislauf, in dem man irgendwann zu viel darüber gehört hat und es cool ist, so etwas dann bewusst nicht cool zu finden.

Leonard: Mir haben Leute oft gesagt, dass sie den Film schrecklich fanden und ihr Geld zurückwollen. Ich habe darauf immer nur geantwortet: „Ich weiß nicht, was du jetzt von mir erwartest." Der Film war nie für die Massen gedacht.

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Donahue: Es fällt mir echt schwer, über die Gegenreaktionen zu sprechen, weil sie für mich so persönlich waren. Meine Mutter erhielt Beileidskarten und die Leute sprachen mich auf der Straße an und sagten, sie wünschten, ich wäre tot und dass sie ihr Geld zurück wollen. Einmal erlitt ich sogar einen Nervenzusammenbruch in meinem Auto, während ironischerweise das riesige Werbeplakat für den Film mit meinem Gesicht drauf über mir hing. Es war eine extrem surreale Erfahrung.

Sanchez: Für die Leute, die verstanden haben, was wir mit dem Film erreichen wollten, war es eine sehr eindringliche und einzigartige Erfahrung. Für die anderen war es nichts weiter als eine Aneinanderreihung unprofessioneller, wackeliger Filmaufnahmen.

Donahue: Wie man im Film unschwer erkennen kann, hatte ich keinerlei Erfahrung mit einer Kamera. Anscheinend mussten sich viele Leute wegen meiner unsicheren Kameraführung übergeben. Das tat mir echt leid.

Anscheinend mussten sich viele Leute wegen meiner unsicheren Kameraführung übergeben. Das tat mir echt leid.

Die fortlaufende Legende

Obwohl der Film vor über 15 Jahren gedreht wurde, lebt die Legende der Hexe von Blair weiter. Viele Fans glauben immer noch an die Legende, wenn auch nicht an die Existenz einer Hexe von Blair selbst.

Sanchez: Aus einer Umfrage von Artisan ging mal hervor, dass unglaubliche 50 Prozent der Leute glaubten, die Legende über die Hexe von Blair sei wahr.

Screenshot aus ‚Blair Witch Project'

Donahue: Im Internet tauchen immer wieder Theorien auf, laut derer wir als Doppelgänger angeheuert wurden, weil die drei Studenten tatsächlich gestorben seien und wir verhindern sollen, dass sich die Geschichte aufklärt und Leute verhaftet werden.

Myrick: Ich glaube es liegt in der Natur des Menschen, glauben zu wollen, dass es da draußen irgendeine höhere Macht gibt—seien es UFOs oder Geister oder sonstwas. Es ist Teil unserer DNA. Blair Witch trifft genau diesen Nerv, es wird also immer Leute geben, die glauben, dass etwas Wahres an der Geschichte zum Film dran ist.

Sanchez: Wir sind schon ziemlich gute Lügner. Es fällt uns leicht, uns einen Haufen Quatsch auszudenken.

Es war eine sehr wilde Filmproduktion, die nicht möglich gewesen wäre, wenn um einen herum so wie heutzutage überall die Sicherheitsvorschriften exakt eingehalten werden.

Alte Fehler und neue Ziele

Nach dem Erfolg des Films schlugen das Team und die Schauspieler unterschiedliche Wege in Hollywood ein: Sanchez und Myrick haben zusammen weitere Horrorfilme gedreht. Leonard hat regelmäßig in Filmen mitgespielt. Donahue hat in ein paar Filmen mitgespielt und sich dann vom Showbusiness verabschiedet, um medizinisches Marihuana anzupflanzen. Sie sagt, ihr größter Fehler sei gewesen, im Film ihren echten Nachnamen genannt zu haben, womit sie zum festen Bestandteil des Franchises geworden ist. Im neuen Film spielt der Bruder ihres Charakters die Hauptrolle und trägt als James Donahue ebenfalls ihren Nachnamen.

Donahue: Ich muss mit [dem Erfolg von The Blair Witch] leben. Er wird immer ein Teil von mir sein. Es hatte sich schon alles ein wenig beruhigt, aber durch den neuen Film geht es wieder los. Es ist für meine Familie und mich eine Herausforderung. Meine Mutter wird wieder nach mir gefragt und auch meine Schwester muss auf ihrer Arbeit Fragen wie „Spielt deine Schwester in dem neuen Teil auch mit?", „Hast du wirklich einen Bruder namens James?" beantworten. Nein, wir haben keinen Bruder namens James, aber unser Vater heißt so, das kann jeder auf meiner Wikipedia-Seite nachlesen.

Myrick: Als Künstler ist es normal, bei den Zuschauern einen Eindruck zu hinterlassen und sie zu bewegen und Blair Witch hat das eindeutig geschafft. Ich bin sehr dankbar, Teil dieses Films gewesen zu sein, Teil von etwas Außergewöhnlichem, für das sich die Leute an meinen Namen erinnern werden. Das können nicht viele Regisseure von sich behaupten.

Donahue: Alle Found-Footage-Filme entstehen heutzutage in großen Kooperationen. Es sind große Filme mit einem echten Budget, sie können also nicht das gleiche Gefühl eines Indie-Films wie Blair Witch vermitteln. Blair Witch hätte auch nicht mit Schauspielern aus der SAG-Gewerkschaft gedreht werden können—wir hatten nämlich keine geregelten Arbeitszeiten und auch keine festen Pausen. Wir haben nonstop gedreht und niemand hat uns wirklich Anweisungen gegeben. Es war eine sehr wilde Filmproduktion, die nicht möglich gewesen wäre, wenn um einen herum so wie heutzutage überall die Sicherheitsvorschriften exakt eingehalten werden und jeder Schauspieler einen eigenen Betreuer hat, der sich um sein Wohlergehen kümmert. Das ist bei vielen aktuellen Found-Footage-Filmen die große Herausforderung. Man ist heute einfach nicht mehr imstande, diese Wildheit darzustellen oder zu vermitteln, was das Internet damals bedeutet hat.