Alkohol in der Schwangerschaft ist nach wie vor ein Tabuthema – zu Unrecht?
Illustration by Amanda Lanzone

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Alkohol in der Schwangerschaft ist nach wie vor ein Tabuthema – zu Unrecht?

Obwohl gelegentlicher Alkoholkonsum Studien zufolge keine Gefahr für ein ungeborenes Kind darstellen muss, gilt selbst ein Glas Wein als ultimatives Schwangerschafts-No-Go. Warum eigentlich?

Ich bin ein Mensch, der grundsätzlich gerne recherchiert, abwägt und die Dinge hinterfragt. Ich denke meist schon darüber nach, was mich erwarten könnte, noch bevor ich irgendetwas getan habe. Als mein Mann und ich beschlossen, dass wir versuchen wollen, ein Baby zu bekommen, haben wir auch dementsprechend lange diskutiert, ob wir bereit waren, unsere ziellosen Sonntagnachmittage in der Stadt aufzugeben. Wir sind alle möglichen Szenarien durchgegangen, wie wir unseren Job, die Kinderbetreuung und unseren bisherigen Lebensstil unter einen Hut bekommen, ohne den Verstand oder uns selbst zu verlieren.

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Wir waren beide überrascht, dass ich schon innerhalb des ersten Monats schwanger wurde. Herausgefunden habe ich es auf der Toilette im Büro, an einem Tag, an dem ich 18 Stunden bei der Arbeit verbracht habe, bevor ich zum Flughafen gefahren bin und den nächsten Flieger zu einer extravaganten Hochzeit in einem bekannten Weingebiet genommen habe. Ich nutzte die erstbeste Gelegenheit, um mich im Hotel auf mein Bett fallen zu lassen, die Decke über den Kopf zu ziehen und zu heulen. Ich hatte schon erwartet, dass ich meinem alten Leben nachtrauern würde und wusste auch, dass es wahrscheinlich das Gesündeste war, aber ich wusste auch, dass ich mit all diesen Veränderungen ganz allein klar kommen musste.

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Unsere Gesellschaft ist der Meinung, dass Frauen total aus dem Häuschen sein sollten, wenn sie schwanger sind, deswegen gibt es nur selten Raum für Zweifel oder Frustration. In der Theorie ist es leicht darüber nachzudenken, was für eine riesige Veränderung es sein wird, wenn man erst einmal ein Kind hat. Die Realität ist aber, wie so vieles im Leben, ungleich komplexer. Man durchläuft verschiedene Stadien, in denen man sich an vieles gewöhnt und auch anfängt, vieles einfach zu akzeptieren, aber was mich persönlich am meisten am Schwangersein gestört hat, war das Gefühl, nicht mehr selbst über meinen Körper bestimmen zu können.

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In dem Moment, als das Plus auf dem Schwangerschaftstest erschien, wurde von mir erwartet, dass ich mich einer Art Sekte anschließt, deren Bibel Ein Baby kommt heißt. Womit ich besonders große Probleme hatte, war die Vorstellung, mein Körper sei nun in erster Linie eine Art Gefäß, das von all den Dingen, die ich einst genossen und teilweise ohne jeden Zweifel auch gebraucht habe, befreit werden musste. Jetzt, da ich schwanger war, musste ich nicht nur auf Rotwein, rohen Fisch und ausgiebige Joggingrunden verzichten, sondern auch auf mein verschreibungspflichtiges Migränemittel. Zu allem Überfluss konnte ich weder meinem Chef, noch meinen Kollegen oder dem Verleger, mit dem zusammenarbeiten wollte, erzählen, warum ich mehrmals am Tag mit Übelkeit und lähmender Müdigkeit zu kämpfen hatte, weil ein Gebot besagt, dass man seine Schwangerschaft bis zur 13. Woche für sich behalten sollte. Diesem Gebot habe ich mich besonders verpflichtet gefühlt, da ich als arbeitende Frau immer professionell und verlässlich wirken möchte. Außerdem war ich schon über 35—für viele Leute eine regelrechte Einladung dazu, mit gedämpfter, aber vorwurfsvoller Stimme über Fehlgeburten und Kinder mit Down-Syndrom zu sprechen.

Was mich persönlich am meisten am Schwangersein gestört hat, war das Gefühl, nicht mehr selbst über meinen Körper bestimmen zu können.

Obwohl die führende Schwangerschaftsdoktrin nahezu jeden Aspekt meines Lebens zu regeln schien, habe ich nichts dazu gefunden, wie man mit den praktischen, beruflichen, sozialen und emotionalen Veränderungen umgehen soll, die mit der Schwangerschaft einhergehen. Alles, was ich gefunden habe, waren Ernährungstipps, wenngleich mir nicht ganz klar wurde, warum genau man sich so zu maßregeln hat. Auch meinen viel beschäftigten Frauenarzt, der 15 weitere Termine nach mir hatte, wollte ich nicht so richtig fragen. Nachdem ich fast zwei Jahrzehnte lang als erwachsener Mensch zugebracht hatte, wurde ich plötzlich wie ein Kind behandelt, dem man Vorschriften macht, ohne sie ihm zu erklären.

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Also beschloss ich, mich selbst auf die Suche nach gängigen Schwangerschaftsernährungsmythen zu machen und direkt mit einem der größten Tabus anzufangen: Alkohol.

Wenn Mütter schreiben, dass sie sich während der Schwangerschaft ab und zu ein Gläschen Wein gegönnt hat, kann man sicher sein, dass die Kommentarspalten voller Predigten und vernichtenden Urteilen sein werden: „Warum betrinkst du dich lieber, als an das Wohlergehen deines Kindes zu denken?", „Wenn du das Bedürfnis hast zu trinken, solltest du mit deinem Arzt vielleicht lieber mal über deine psychische Gesundheit sprechen!" Zugegeben, viele Artikel, deren Überschrift schon mit den Worten „Warum ich trinke" anfangen, wollen bewusst provozieren, aber die meisten Kommentatoren lesen die dazugehörigen Artikel noch nicht einmal oder überfliegen sie nur, bevor sie direkt zu den Kommentaren gehen, um dort ihre Hardliner-Meinung zum Besten zu geben, die die Grauzone zwischen einem Glas Wein und schwerem Alkoholismus einfach ausblendet. Die meisten wollen nicht darüber nachdenken oder diskutieren, sondern reduzieren die ganze Situation auf den vermeintlich einzig wahren Schluss: Du bist eine schlechte Mutter.

Doch schwangere Mütter, die ab und an ein halbes Glas Wein trinken, sind keine Seltenheit. Dass es kaum Geständnisse von Wein nippenden Schwangeren gibt, liegt vielmehr daran, dass werdende Mütter das Gefühl haben, dass sie ihren Alkoholkonsum—egal wie wenig es auch sein mag—geheim halten müssen. Laut einer Untersuchung des Robert-Koch-Instituts trinken etwa 14 Prozent aller schwangeren Frau in Deutschland gelegentlich Alkohol. Nur 1 Prozent von ihnen trinkt regelmäßig. Interessant ist auch, dass Frauen aus hohen sozialen Statusgruppen doppelt so häufig Alkohol in der Schwangerschaft trinken als Frauen mit einem niedrigeren Sozialstatus. Es ist allerdings schwierig, ehrliche Antworten von den befragten Frauen zu bekommen, da man damit rechnen muss, dass die Angaben beschönigt sind. Schließlich ist den meisten klar, dass das, was sie tun, „sozial unerwünscht" ist.

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Ich hatte während der Schwangerschaft persönlich auch keine Lust, meine Grenzen auszutesten—ich wollte nur wissen, wo die Grenzen liegen.

Ich habe alle meine gebärfreudigen Freunde gefragt (gebildete und gesunde Frauen verschiedener Herkunft und aus verschiedenen Ecken des Landes), ob sie während der Schwangerschaft Alkohol getrunken haben. Die meisten von ihnen haben nach eigener Aussage geringe Mengen Alkohol konsumiert—ein Glas Champagner an Silvester oder ‚vielleicht mal ein halbes Glas Wein nach der Arbeit". Ich war überrascht, dass meine Freundinnen das Gefühl hatten, nicht offen und ehrlich über dieses Thema sprechen zu können. Gleichzeitig habe ich mich auch nicht komplett wohl dabei gefühlt, offen darüber zu sprechen, dass ich während der Schwangerschaft getrunken habe. Doch gerade dadurch, dass keiner darüber spricht, bekommt man das Gefühl, dass man sich dafür schämen müsste. Ich habe mich beispielweise wohler damit gefühlt, ein Glas Rotwein in einem Restaurant zu bestellen, in dem mich niemand kennt—auch weil die Leute in der Großstadt in der Regel zu beschäftigt sind, um sich um die Probleme anderer zu kümmern und die toleranten Kellner nichts dagegen haben, dass man die Rechnung in die Höhe treibt. Mir unter Freunden bei einer Feier zu Hause ein Bier zu genehmigen, fand ich dagegen viel unangenehmer, weil es zu Fragen führen könnte und ich nicht klingen wollte, als wollte ich mich rechtfertigen—oder schlimmer noch: Vielleicht würde keiner eine Frage stellen, sodass ich gar nicht die Chance hatte, mich zu rechtfertigen.

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Ich möchte nicht bestreiten, dass übermäßiger Alkoholkonsum zu Geburtsfehlern führt (das ist einfach eine Tatsache) und ich möchte mich auch nicht dafür aussprechen, während der Schwangerschaft Alkohol zu trinken (wenn du dich vor der Schwangerschaft nicht mit bei einem Glas Wein entspannt hast, dann solltest du jetzt auch nicht mehr damit anfangen). Ich möchte nur sagen, dass es wichtig ist, alle Daten und Fakten zu kennen, kritisch darüber nachzudenken und die grundlegenden Zusammenhänge zu verstehen, bevor man andere verurteilt, die während der Schwangerschaft ab und zu geringe Mengen Alkohol zu sich nehmen.

Ich hatte während der Schwangerschaft persönlich auch keine Lust, meine Grenzen auszutesten—ich wollte nur wissen, wo die Grenzen liegen. Außerdem habe ich festgestellt, dass sich die Liste der Dinge, die man während der Schwangerschaft besser tun und lassen sollte, auch alle paar Jahre ändert, weil es neue medizinische Erkenntnisse oder gesellschaftliche Wertevorstellungen gibt. Viele Frauen in der Generation meiner Mutter haben während der Schwangerschaft eine nach der anderen gequalmt. Dafür wurde ihnen gesagt, dass Sport schlecht für das ungeborene Kind sei. Diese beiden Ansichten haben sich mit der Zeit komplett umgekehrt. Ein paar Jahrzehnte später wurde gesagt, dass Koffein schlecht wäre. Mittlerweile sagen Ärzte aber auch schon wieder, dass 200 Milligramm Koffein am Tag vollkommen in Ordnung wären. Das entspricht ungefähr der Menge an Koffein in einem mittleren Latte Macchiato von Starbucks und einer Dose Cola.

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Entgegen allem, was uns seit Äonen von Jahren gesagt wird, haben auch fast alle jüngeren wissenschaftlichen Untersuchungen festgestellt, dass geringe Mengen Alkohol während der Schwangerschaft (z.B. ein Gas Wein zum Abendessen) dem Fötus nicht schaden und keine negativen Auswirkungen auf die psychische Gesundheit und das spätere Verhalten des Kindes haben. Eine englische Studie aus dem Jahr 2010 sagt, dass Kinder, deren Mütter sich während der Schwangerschaft ein oder zwei Gläser die Woche genehmigt haben, im Alter von fünf Jahren kein erhöhtes Risiko für Verhaltensauffälligkeiten oder kognitive Probleme aufwiesen. Eine dänische Studie aus dem Jahr 2012 ist bei der Betrachtung des IQs und der Auffassungsvermögen der Kinder im Wesentlichen zu demselben Schluss gekommen. Australische Forscher sind noch einen Schritt weiter gegangen und haben die Kinder bis zum Alter von 14 Jahren beobachtet. Sie stellten dabei fest, dass Kinder von leichten bis moderaten Trinkerinnen (zwei bis sechs Gläser die Woche) sogar noch weniger Verhaltensauffälligkeiten zeigten als Kinder von Müttern, die überhaupt nichts getrunken haben. Auch das Risiko für Frühgeburten ist es bei Schwangeren, die ein oder zwei Gläser die Woche trinken, nicht höher als bei anderen.

Fast alle jüngeren wissenschaftlichen Untersuchungen haben festgestellt, dass geringe Mengen Alkohol während der Schwangerschaft dem Fötus nicht schaden.

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Warum wird uns dann von vornherein eingetrichtert, dass wir keinen einzigen Tropfen Alkohol zu uns nehmen sollten, wenn wir ein Kind erwarten? Vieles hängt mit unserer gesellschaftlichen Erwartungshaltung gegenüber Müttern zusammen. Diese beginnt bereits mit der Schwangerschaft und fordert von vermeintlich aufopferungsvollen Müttern entsprechend auch die pauschale Abstinenz von allem, was potenziell gefährlich für das Kind sein könnte. Hinzu kommt, dass gesellschaftliche Aufklärung oft zu einer allgemeingültigen Schwarzweißmalerei verkehrt wird. Meist werden Studien über Alkoholkonsum in der Schwangerschaft in einem Atemzug mit alkoholbedingten Schädigungen (FASD), dem Fetalen Alkoholsyndrom oder alkoholkranken Müttern genannt, was jedoch an der Realität der Frauen vorbeigeht und nur zu einer noch stärkeren Stigmatisierung werdender Mütter führt, die gelegentlich geringe Mengen Alkohol trinken. In den USA, wo das Verhältnis zu Alkohol grundsätzlich schwieriger ist als in Europa—von der puritanischen Vergangenheit des Landes bis hin zur Prohibition—, ist es daher beispielsweise besonders schwierig, verlässliche Zahlen zum Alkoholkonsum schwangerer Frauen zu bekommen.

Die meisten der oben erwähnten Studien stammen als Europa und Australien, wo man bekanntermaßen offener mit dem Thema Alkohol umgeht. Da es unethisch wäre schwangeren Frauen unterschiedliche Mengen Alkohol zu verabreichen und zuzusehen, was es mit ihren Föten macht, ist es aber umso wichtiger, dass Frauen freiwillig an solchen Studien teilnehmen und die Fragen auch ehrlich beantworten. Dabei kann man beobachten, dass es in den Ländern, wo Trinken in der Schwangerschaft nicht so stark stigmatisiert wird, in der Regel auch mehr Frauen gibt, die an solchen Umfragen teilnehmen. Eine Studie aus Italien hat beispielweise gezeigt, dass es dort sehr viel weniger Fälle von fetalem Alkoholsyndrom gibt, obwohl der Alkoholkonsum dort nicht stigmatisiert wird. Die Zahlen unterscheiden sich sowieso meist nur geringfügig—sie werden nur anders interpretiert und präsentiert. Beispielweise erschien in den USA im Jahr 2011 ein Artikel, der den Zusammenhang zwischen mäßigem bis gesteigertem Alkoholkonsum (drei bis vierzehn Gläser die Woche) während der Schwangerschaft und dem Risiko von Fehl-, Früh- und Totgeburten beleuchtete und dabei nur ganz am Rande erwähnte, dass bei derselben Untersuchung ein oder zwei Drinks die Woche dieses Risiko nahezu überhaupt nicht erhöhten.

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Auch die dänische Studie wurde von ABC News in einem ganz anderen Licht präsentiert: Während die Studie feststellte, dass leichter Alkoholkonsum dem Kind keinerlei Schaden zufügt, zitierte der amerikanische Sender Ärzte und Abstinenzbefürworter zu diesem Thema, die Alkohol generell ablehnten („Wir wissen, dass sich FASD zu hundert Prozent vermeiden lassen, wenn auf den Konsum von Alkohol während der Schwangerschaft verzichtet wird. Warum also ein Risiko eingehen?", sagte der leitende Direktor der nationalen Organisation für FASD in Amerika). Doch auch in Deutschland wird aus Studien zum Alkoholkonsum von Schwangeren oft lediglich geschlussfolgert, dass generell jede Frau, die Alkohol trinkt, riskiert, „ein Kind mit bleibenden Schäden zur Welt zu bringen." Meist werden solche Aussagen durch Forderungen nach Warnhinweisen auf alkoholischen Getränken oder Statements von Interessensverbänden gestützt. Doch selbst Frauenärzte geben einem in der vertraulichen Atmosphäre des Behandlungsraums oft andere Ratschläge. Oft hört man solche Sachen wie: „Ein Glas Wein in der Woche ist schon OK." Doch für die breite Öffentlichkeit scheint pauschale Abstinenz während der Schwangerschaft nach wie vor das einzig Wahre zu sein. Das hängt, laut der Wirtschaftswissenschaftlerin Emily Oster, auch mit dem mangelnden Vertrauen der Ärzte in ihre Patienten zusammen: Ärzte glauben, dass du nach einem Glas Wein nicht Schluss machen wirst, sondern ihre leichtfertig ausgesprochene Empfehlung als Freibrief für sieben Shots Whiskey nehmen könnest, sobald du ihre Praxis verlässt.

Oster fasst meine Gefühle in ihrem Buch Expecting Better in der folgenden Überlegung zusammen: „Gelinde gesagt, finde ich es nicht gerade toll, dass man davon ausgeht, dass schwangere Frauen nicht in der Lage sind, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Man geht davon aus, dass man unsere Ansichten so manipulieren muss, dass wir das Richtige tun. Das vermittelt wiederum den Eindruck, dass schwangeren Frauen nicht mehr Vertrauen bei wichtigen Entscheidungen entgegengebracht werden kann als Kindern." Osters Buch ist unter Müttern ziemlich umstritten, weil sie aus der Wirtschaft kommt und keine Ärztin ist. Viele kritisieren, dass sie nicht dazu qualifiziert ist, medizinische Ratschläge zu geben. In meinen Augen—und ich möchte an dieser Stelle noch einmal betonen, dass ich jemand bin, der lieber recherchiert und abwägt, als einfach nur eine Liste von No-Gos zu befolgen—macht ihr beruflicher Hintergrund aber durchaus Sinn, weil es darum geht, Daten zu sammeln und Fakten abzuwägen. Das macht ihre Schlüsse sowie die Argumentation hinter ihren persönlichen Entscheidungen meiner Meinung nach genauso interessant wie die Meinung meines Arztes, der mich alle paar Wochen fünf Minuten lang sieht, mir Anweisungen in einem totalitären Ton entgegen bellt und seine Beratung dann mit einer Selbstbeteiligung von 50 Euro berechnet, bevor er mich wieder nach Hause schickt. Wie bei allen Dingen im Leben fühle ich mich wohler, wenn ich mich selbst darüber informiere, bevor ich mich entscheide, was ich meinen Körper machen möchte.

Doch es reicht nicht, einfach nur Statistiken über Alkohol und die fetale Entwicklung auszuwerten. Daten können niemals alle Frauen mit ihren unterschiedlichen Stoffwechseln abbilden. Man muss auch ein medizinisches Verständnis davon haben, wie ein Fötus in Kontakt mit Alkohol kommen kann, bevor wir zu dem Schluss kommen, dass sich Alkohol in der Schwangerschaft negativ auf das Kind auswirkt. Das funktioniert so: Alkohol bahnt sich seinen Weg von deinem Mund in deinen Magen, weiter in deinen Dünndarm und runter bis zu deiner Leber, wo der Alkohol dann in einem ersten Durchlauf verstoffwechselt wird. (Für eine Frau mit 68 Kilogramm Körpergewicht gilt, dass die Leber ungefähr sieben Gramm Alkohol die Stunde abbauen kann, was ungefähr einem halben Drink entspricht; rechne noch das Essen dazu und du verlangsamst die Menge an Alkohol, die die Leber in der vorgegebenen Zeit erreicht.) Alkohol, der nicht von der Leber abgebaut werden konnte, gelangt in deinen Blutkreislauf und damit auch in das Blut, das über die Plazenta dein Baby erreicht. Alles, was dein Baby nicht verarbeiten kann—was nicht besonders viel ist—, gelangt zurück zu deiner Leber und wird erneut verstoffwechselt. Wenn beim ersten Durchlauf durch die Leber zu viel Alkohol übrig bleibt—was passiert, wenn man mehrere Drinks hatte und die Leber nicht mehr mithalten kann—, kann sich dieser natürlich auch in das Gewebe des Fötus einlagern und zu schweren Schäden führen. Doch wenn man zum Essen ganz wenig und langsam trinkt, dann dürfte der Alkohol auch keinen Einfluss auf dein Kind haben.

Ärzte glauben, dass du nach einem Glas Wein nicht Schluss machen wirst, sondern ihre leichtfertig ausgesprochene Empfehlung als Freibrief für sieben Shots Whiskey nehmen könnest.

Selbstverständlich ist die Schwangerschaft selbst, der beste Schutz vor übermäßigem Alkoholgenuss. In den ersten 15 Wochen war mir ständig übel. Außerdem hatte ich immer Verstopfung und ich war total erschöpft. (Ganz zu schweigen davon, dass ich mir die ganze Zeit über Sorgen gemacht habe, was für eine Mutter ich sein werde.) All das hat meine Lust auf Alkohol, stinkenden Fisch und den Säuregehalt von Kaffee mächtig gedämpft. Eigentlich habe ich einfach nur versucht, das Ganze zu überleben. Als ich mich dann irgendwann wieder besser gefühlt habe—also in meinem zweiten Trimester—, war es mit alten Gewohnheiten wie dem Feierabendbier vor dem Wochenende sowieso schon längst vorbei und hatte auch kein Interesse mehr an Dingen, die ich früher niemals hätte missen wollen wie Margaritas, Schinkensandwiches und haufenweise Räucherlachs. Ich hatte nun neue Leidenschaften wie Nudeln mit viel Käse, Steak und Kakao. Unsere Biologie und unser gesamtes erlerntes Verhalten ist letztlich allein darauf ausgerichtet, den Fötus zu schützen.

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Mit all meinen exzessiven Nachforschungen im Hinterkopf, habe ich am Ende selbst entschieden, wie ich meine Ernährung umstellen möchte. Dabei habe ich mich natürlich auch oft genug von der Vorsicht leiten lassen und habe darauf geachtet, was mein Körper mir sagt. So wie ich mir keinen riesigen Cupcake geholt habe, wenn ich keine Lust darauf hatte, habe ich mir auch kein Glas Weißwein gegönnt, wenn ich keines haben wollte. Und wenn ich im Urlaub oder bei einem schönen Abendessen mal ein Glas Wein trinken wollte? Dann habe ich es mir einfach gegönnt und habe mich deswegen auch nichts schlecht gefühlt. Ich habe mich auch nicht schlecht gefühlt, wenn ich ein weiches Frühstücksei gegessen habe (viele Lebensmittel können Salmonellen enthalten, auch wenn sie nicht auf der Liste der verbotenen Lebensmittel deines Gynäkologen stehen, aber Eier werden zu Unrecht verurteilt). Ich habe auch nicht auf meine morgendliche Tasse Kaffee verzichtet, nachdem ich sie wieder riechen konnte (eine Tasse, die noch nicht einmal die 200-Milligramm-Grenze erreicht hat). Ich habe mir sogar Sushi aus seriösen Läden genehmigt (mir ist der Quecksilberspiegel ausgegangen, aber ich habe darauf geachtet, dass der Fisch immer frisch und der Laden sauber war—so wie ich es auch getan hätte, wenn ich nicht schwanger gewesen wäre). Mein Körper, meine informierte Entscheidung.

Ich möchte aber noch einmal betonen, dass es meine persönliche Entscheidung war. Du kennst dich selbst am Besten: Nicht dein Arzt, der dich zum ersten Mal getroffen hat, als du schon schwanger warst oder die Frau, die ein kontroverses Buch schreibt und auch nicht ich—eine Frau, die versucht in einem einzigen Essay so viele Punkte auf einmal anzusprechen. Wenn du dir nicht ein Glas Wein gönnen kannst, ohne auch noch ein zweites zu trinken, dann solltest du es in der Schwangerschaft vielleicht doch besser ganz sein lassen. Wenn du denkst, dass auch geringe Mengen Alkohol das Risiko nicht Wert sind, dann ist das auch in Ordnung. Ich verstehe, warum Leute ihren Arzt gerne beim Wort nehmen und lieber ganz abstinent bleiben. Ich verstehe, dass sich nicht jeder in den tiefen Abgrund des Internets werfen möchte, in dem es vor Daten und Angst schürenden Posts nur so wimmelt. Schwanger zu sein kann ziemlich überwältigend sein und es ist leichter, den Weg des geringsten Widerstands zu nehmen. Doch das heißt nicht, dass der eine Weg auch der einzig Richtige ist.