Rogni (26) und Odin (25) im Hot Tub gegen Mitternacht in Mykines
Rogni (26) und Odin (25) im Hot Tub gegen Mitternacht in Mykines | Fotos: Andrea Gjestvang
Menschen

Fotos vom Leben auf den Färöer Inseln, wo es mehr Männer als Frauen gibt

Das neue Buch der Fotografin Andrea Gjestvang heißt 'Atlantic Cowboy' und führt uns in ein isoliertes Land, das mit einem besonderen Problem zu kämpfen hat.

"Färinger Männer sind traditionsbewusst, aber die Frauen sind moderner", sagt Òlavur, der in Skálafjørður auf den Färöer Inseln lebt. "Sie stricken nicht mal." Der 22-Jährige ist einer der vielen Männer, die Andrea Gjestvang während der Arbeit an ihrem neuen Buch Atlantic Cowboy kennengelernt hat. Es zeigt das Leben in ländlichen Gemeinden der Färöer, wo Frauen in der Minderheit sind. Einerseits, weil dort traditionelle Geschlechterrollen noch weit verbreitet sind, aber auch wegen der männlich dominierten Industrie.

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Blick auf die kleine STadt  Vidareidi

Blick auf den Ort Viðareiði

Als die norwegische Fotografin 2014 mit der Arbeit an dem Projekt begann, gab es fast 2.000 Männer mehr als Frauen auf den Färöern. Damals wohnten dort weniger als 50.000 Menschen, heute liegt die Einwohnerzahl etwas darüber. Gerade junge Frauen verlassen die Inseln, um in Kopenhagen und anderen europäischen Städten zu studieren, in der Altersgruppe der jungen Erwachsenen liegt der Unterschied in der Geschlechterverteilung bei etwa zehn Prozent. "Hier kann man Unterrichten oder Pflege lernen, aber wenn man etwas akademisches oder kreativeres machen will, geht man ins Ausland", sagt Gjestvang. Weil es auf den Färöern kaum Jobs in diesen Bereichen gibt, kehren viele nicht zurück.

Drei Freunde machen eine Pause, nachdem sie auf Pateurs Farm in Kaldbaksbotnur Schafe geschlachtet haben

Drei Freunde machen eine Pause, nachdem sie auf Pateurs Farm in Kaldbaksbotnur Schafe geschlachtet haben

Die Inseln sind eine autonome, überwiegend christliche Nation innerhalb des Königreichs Dänemark und die nordische Region, die als letztes die gleichgeschlechtliche Ehe eingeführt hat. Die Auswanderung hat dazu geführt, dass Männer in den durch Fischerei und Landwirtschaft geprägten Gemeinden oft mit einem Bruder oder einem Elternteil zusammenwohnen.

Gjestvangs Fotografien zeigen die zwei unterschiedlichen Bereiche Arbeit und Zuhause. Mal in blutbefleckten Stillleben, mal in intimen Portraits,  untermalt von Bildern der gewaltigen, manchmal überwältigenden Landschaft. Wir haben mit ihr über die heutigen Herausforderungen für die Männer dort gesprochen und über den Einfluss der unausgewogenen Geschlechterverteilung auf Beziehungen und Dating.

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Hjalmar mit blutverschmiertem T-Shirt nach dem Schafeschlachten

Hjalmar mit blutverschmiertem T-Shirt nach dem Schafeschlachten

VICE: Wann hast du das erste Mal vom Ungleichgewicht in der Geschlechterverteilung auf den Färöer Inseln erfahren?
Andrea Gjestvang:
Ich traf zufällig eine Autorin in einer Berliner Bar, die von diesem Problem, dass die Frauen weggehen, erzählt hat. Das überraschte mich und machte mich neugierig – die Inseln sind ein Teil der nordischen Region, wo wir überwiegend liberal und stolz darauf sind, in Sachen Gleichberechtigung "vorne" zu sein. Also reiste ich 2014 hin und bin einfach rumgefahren. Schon bald entdeckte ich diese informellen Treffpunkte, wo junge Männer rumhingen, Bier tranken und sich unterhielten, vor allem in den Häfen.

Fróði ruht sich auf einem geschlachteten Wal aus

Fróði ruht sich auf einem geschlachteten Wal aus

Über welche Sorgen und Ängste haben die Leute am meisten gesprochen? 
Die älteren Männer – Bauern, Fischer oder im Ruhestand – waren ziemlich glücklich mit ihrer Situation. Sie hatten ein langes Leben hinter sich, auf Fischerbooten und mit der Freiheit, die das Alleinsein mit sich bringt. Viele hatten alternative Familienbeziehungen gefunden und lebten mit Müttern, Brüdern oder Schwestern zusammen, in ihren eigenen kleinen Gruppen. Aber sie machten sich Sorgen um die jüngere Generation und darum, wie das Leben in den Dörfern weitergehen kann, wenn es zu wenige Frauen gibt. Die jüngeren Männer beschwerten sich: "Alle Mädchen, mit denen ich zur Schule gegangen bin, sind fort." Es stimmt nicht ganz, natürlich gibt es viele Frauen auf den Färöer Inseln. Aber vielleicht hatten sie mit dem Fischen angefangen und wollten in ihrem Ort bleiben, wussten jedoch nicht, wie sie eine Familie gründen könnten oder ob eine Frau dort hinziehen würde.

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Nach Stunden in einem Hot Tub feiert eine Freundesgruppe im kleinen Dorf Mykines bis zum Morgengrauen. Von rechts: Oluf (18) mit seiner Freundin Ronja (18), Rogni (26), Anna Maria (25) und Odin (25).

Nach Stunden in einem Hot Tub feiert eine Freundesgruppe im kleinen Dorf Mykines bis zum Morgengrauen. Von rechts: Oluf (18) mit seiner Freundin Ronja (18), Rogni (26), Anna Maria (25) und Odin (25).

Das ist möglicherweise ein heikles Thema. Wie hast du das Vertrauen der Männer geweckt?
Ich bin auf einem großen Bauernhof aufgewachsen, also kann ich gut über Schafe und Bodenqualität reden. Ich bin auch mit dieser Mentalität groß geworden, dass man über das Wetter spricht, über die Nachbarn… Also haben wir viel Zeit damit verbracht, über das Wetter zu plauschen, die Nachbarn, die Schafe, dann irgendwann über ihre Erwartungen im Leben, in Sachen Liebe und über Einsamkeit. Manche waren ziemlich philosophisch, andere eher in Richtung "so ist es eben", was auch ziemlich viel aussagt, finde ich.

Menschen versammeln sich für ein Freiluftkonzert am Rande des Wassers: Das G! Festival findet jeden Sommer im Ort Syðrugøta auf den Färöer Inseln statt.

Menschen versammeln sich für ein Freiluftkonzert am Rande des Wassers: Das G! Festival findet jeden Sommer im Ort Syðrugøta auf den Färöer Inseln statt.

Wie tief verwurzelt ist diese Einstellung und generell die Kultur, dass Frauen auswandern?
Es herrscht eine gewisse Traurigkeit. Da war dieser eine Mann, der mit seinem Bruder und seinem Vater zusammengewohnt hat. Die Mutter und die Schwester waren nach Dänemark gegangen. Aber es beginnt auch früh. Wenn sie 15 oder 16 Jahre alt sind, gehen viele Kinder ein Jahr lang in Dänemark zur Schule, aber Mädchen öfter als Jungen. Viele Jungen hören in dem Alter mit der Schule auf und gehen mit ihrem Vater, Onkel oder Opa fischen. Die Gesellschaft hat sich verändert und mehr Männer studieren, aber diese Fischerjahre bleiben. Ich habe mich mit einigen Akademikern unterhalten, und anscheinend ist es gängiger, dass Männer das Leben ihrer Vorfahren weiterführen, zum Beispiel auf einer Farm in irgendeinem abgelegenen Ort. Für sie gebe es keinen Grund, woanders hinzuziehen, wohingegen Frauen nicht dieselbe Verantwortung spüren.

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Eine Bootswerkstatt in Torshavn auf den Färöer Inseln

Eine Bootswerkstatt in Torshavn auf den Färöer Inseln

Du warst über eine Zeitspanne von sechs Jahren dort. Welche Veränderungen hast du bemerkt?
Es ist schwierig festzustellen, wie sich eine Gesellschaft in sechs Jahren verändert, das ist nicht viel Zeit. Ich weiß, dass sie sich nach COVID verändert hat: Mehr Menschen sind zurückgekommen, junge Familien und mehr Frauen, das ist gut. Die Veränderung, die ich viel stärker gespürt habe, ist das Gefühl, dort zu Hause zu sein.

Und hattest du den Eindruck, dass die Dinge auf irgendeine Weise langfristig gelöst werden?
Es kommt darauf an, ob man mit den Männern oder den Menschen in der Politik redet. Letztere haben ihre eigenen Vorschläge. Es werden auf jeden Fall mehr Möglichkeiten geschaffen, auf den Färöer Inseln zu studieren, aber die Angebote sind immer noch sehr auf traditionelle Arbeitsbereiche ausgelegt. Einer der Männer, mit denen ich viel darüber diskutiert habe, hat bei seiner Mutter weit im Norden gewohnt. Er meinte: "Schauen wir mal, was passiert." Diese Mentalität ist ziemlich verbreitet. Die Leute sind es gewohnt, nicht alles unter Kontrolle zu haben, sie leben in einer Umwelt, in der sie vom Wetter abhängig sind.

Menschen versammeln sich auf einem Jahrmarkt im Hafen von Vágur

Menschen versammeln sich auf einem Jahrmarkt im Hafen von Vágur

Nach meiner Recherche habe ich gehört, dass dieser Mann eine Frau aus einem anderen Ort kennengelernt hat, die bei ihm eingezogen ist. Die anderen jungen Männer wünschen sich das, aber sie sind andererseits nicht bereit, ihren Lebensstil aufzugeben – drei Monate lang Fischen zu gehen. Als wir uns darüber unterhalten haben, was mit diesen Gemeinden passieren wird, waren sie besorgt. Aber was ihr eigenes Leben betrifft, haben sie sich keine Sorgen gemacht. Es gibt dort schließlich auch Frauen.

Junge Männer bei einem abendlichen Bad im kalten Wasser während des G! Festivals in Syðrugøta. Das G! Festival ist ein Open Air Musikfestival, das am Strand des Ortes stattfindet, aus dem auch mehrere Färöer Musik Acts kommen.

Junge Männer bei einem abendlichen Bad im kalten Wasser während des G! Festivals in Syðrugøta. Das G! Festival ist ein Open Air Musikfestival, das am Strand des Ortes stattfindet, aus dem auch mehrere Färöer Musik Acts kommen.

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