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Cocktails

Insekten kann man jetzt auch trinken

Mit „Critter Bitters“ haben Lucy Knops und Julia Plevin eine Möglichkeit entwickelt, Cocktails mit Insektengeschmack zu verfeinern und wollen damit auch auf größere soziale Probleme aufmerksam machen.
Foto mit freundlicher Genehmigung von Lucy Knops

Entomophagie. Dieses schöne Wort beschreibt schlichtweg den Verzehr von Insekten. Wenn es nach Lucy Knops und Julia Plevin geht, ist bei Essen aber nicht Schluss. Krabbeltiere sollten wir auch in flüssiger Form genießen können, am besten natürlich in Cocktails.

Im letzten November haben die beiden eine Kickstarter-Kampagne gestartet, um eine Reihe von Cocktail-Bitters auf den Markt bringen zu können, die aus gerösteten Käfern destilliert werden und der Erfolg war überwältigend. Ihre kleine Fläschchen sind quasi die Einsteigerdroge für den ultimativen Insektenrausch. Damit trauen sich selbst die größten Angsthasen an die schmackhaften Krabbeltiere heran. Insekten sind einfach DIE Zukunft, das hat die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) schon 2013 in einem Bericht zu essbaren Insekten vorausgesagt, denn damit könnte die Ernährungsversorgung weltweit gesichert werden.

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Wir haben uns mit Lucy getroffen, die über zehn Jahre lang in den Bars von New York Cocktails serviert hat, und mit ihr über ihr krabbeliges Cocktailprojekt gesprochen. Wir wollten wissen, welche Rolle soziale Gerechtigkeit spielt und wie man einen echten Insekten-Cocktail zubereitet.

MUNCHIES: Hi Lucy! Gab es eine Art Aha-Erlebnis, das dich dazu gebracht hat, einen Cocktail-Bitter aus Insekten zu machen? Lucy Knops: Da gab es glaub ich keinen bestimmten Moment. Die Idee kam mir, als ich noch Produktdesign studiert habe und die FAO gerade ihren Bericht zu essbaren Insekten veröffentlicht hat. Ich musste etwas zum Thema Nachhaltigkeit entwickeln. Also habe ich mir überlegt, wie man die Leute dazu bringen könnte, Insekten zu essen. Was passt da besser als Alkohol?

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Dann dauerte es eine Weile: Ich habe mich genau mit der Geschichte von Alkohol beschäftigt und herausgefunden, das Cocktail-Bitters mit fast allen erdenklichen Zutaten hergestellt werden. Warum also nicht auch Grillen oder Heuschrecken? Damals hatte bereits ich zehn Jahre Erfahrung hinter der Bar und auch schon mit Insekten in verschiedenen Cocktail-Rezepten experimentiert, unter anderem Cocktails mit Grillen oder Grillen eingelegt in Schnaps. Für mich als Barkeerperin können Cocktail-Bitters einfach am besten den einzigartigen Geschmack von Insekten transportieren.

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Und wie genau schmeckt das? Geröstete Grillen ohne alles schmecken nach Nüssen und nach Erde. Als Tinktur und in Cocktail-Bitters bleibt dieser nussige Geschmack erhalten. Durch den Alkohol kommt aber noch eine süßliche Note hinzu, weil der Zucker aus den Tieren freigesetzt wird. Insgesamt schmeckt das dann sehr erdig und süß, fast wie dunkler Honig. Die Bitters machen wir mit Enzian, Klettenwurzeln, Zimt, Hagebutten und anderen Kräutern und Gewürzen. Dadurch kommt der Insektengeschmack perfekt zur Geltung und sie fügen sich perfekt in jedes Cocktail-Rezept ein.

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Man kann auch eine leichte Moschusnote herausschmecken, die ist aber nicht so dominant und unangenehm. Manchmal sagt man ja auch von Weinen, dass sie rustikal oder nach Heu schmecken oder wie eine „Scheune im Morgengrauen"—das sind alles nur schön klingende Wörter, die Köche, Sommeliers, Barkeeper und auch die Kunden einfach nur gerne hören wollen.

Wie wird der Cocktail-Bitter aus Insekten hergestellt? Das ist eigentlich ziemlich einfach. Wir nehmen hochprozentigen Wodka. Unsere Grillen kommen von einer texanischen Firma, die Insekten speziell für den Verzehr züchten, die also nicht als Eidechsenfutter im nächsten Terrarium enden, sondern für Menschen bestimmt sind. Die sind schon geröstet. Dann mischen wir alles mit unseren Kräuterextrakten—so entsteht ein unverkennbarer Geschmack. Unsere Cocktail-Bitters erhalten circa 95 Prozent Alkohol.

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Weißt du, wie viele Grillen in einer Flasche sind? In einer 120-ml-Flasche sind gut 15 Gramm Grillen. Witzigerweisesind in einer Tafel Schokolade oder in deiner Erdnussbutter wahrscheinlich viel mehr Insekten enthalten.

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**Für welche Cocktails eignen sich eure **„Critter Bitters"? Mezcal passt wunderbar dazu. Unsere Bitters haben im Gegensatz zu anderen, die eher zu hellem oder klaren Alkohol wie Gin passen, einen sehr starken Geschmack. Sie harmonieren daher super mit Bourbon, Rum, einfach zu etwas kräftigerem Alkohol. Ich würde sie definitiv für einen Manhattan verwenden. Oder im Punsch.

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Habt ihr schon eigene Insekten-Cocktails kreiert? Beim „Jitterbug" habe ich mich vom klassischen kanadischen Punsch inspirieren lassen: Rye-Whisky, dunkler Rum, Ananas, Zitrone und Demerara-Zuckermit ein bisschen Bitter vermischen und einen Tag lang ziehen lassen. Wir arbeiten auch gerade an einem kleinen Rezeptbuch. Außerdem experimentieren wir mit nicht-alkoholischen Getränken, wie Kaffee oder Grapefruitsaft. Bitter sind nämlich echt gesund, ursprünglich hat man sie als Heilmittel verwendet.

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Wie waren die Reaktionen bisher? Als wir mit dem Projekt angefangen haben, habe ich auch aufgehört, als Barkeeperin zu arbeiten, also konnte ich meinen Kunden bisher keine Insekten-Cocktails servieren. Ich weiß aber, dass unsere Bitters bei Barkeepern und Köchen sehr beliebt sind. Sie experimentieren gern damit.

Insekten-Bitter interessieren dich aber nur wegen ihrer Verwendung in Cocktails, oder?Für mich und Julia ist es viel wichtiger, mit unserem Projekt auch auf Themen wie Lebensmittelknappheit oder die Ernährungssituation überhaupt aufmerksam zu machen. Design und Produkte waren für uns schon immer relevante Themen, das wollen wir nutzen, damit ein offener Dialog über Insekten entsteht. Das ist mindestens genauso wichtig wie der Klimawandel oder andere Themen.

Das Problem ist, dass Krisen immer auch ein komplexes Thema sind und die Leute schnell damit überfordert sind. Manchmal ist es schwer, überhaupt den richtigen Einstieg zu finden. Unsere Critter Bitters sind zwar klein, aber genau das Richtige, um den Stein ins Rollen zu bringen. Wenn du das in einer Bar trinkst, sprichst du vielleicht irgendwann über genau dieses Thema. Das ist unser großes Ziel, weshalb wir das Produkt auf den Markt gebracht haben.

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Habt ihr schon Insektenhasser konvertieren können? Bei Insekten in flüssiger Form sagen die meisten Leute: „Ja klar probier ich das. Das ist doch überhaupt nicht abwegig." Man probiert Neues schneller, wenn es in einem Cocktail ist. Es ist etwas anderes, ein Insekt anzusehen und es dann zu essen. Wenn der Käfer aber in Alkohol aufgelöst ist, kann man die Leute viel einfacher überzeugen. Seitdem wir unsere Bitters entwickelt haben, haben wir auch oft Events veranstaltet, bei denen es Insekten zu essen gab. Da gab es immer ein paar, die anfangs skeptisch waren. Aber am Ende haben sie die Insekten gegessen und getrunken, als wären es Kartoffelchips oder eben ein ganz normaler Cocktail.

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Esst ihr jetzt regelmäßig Insekten? Seit dem Projekt habe ich definitiv mehr Käfer gegessen, aber ich esse jetzt auch nicht täglich kleine Käfer, obwohl ich auch da langsam offener werde.

Plant ihr noch weitere Cocktail-Bitters mit anderen Tieren? Spinnen? Oder vielleicht mit Würmern? Ich weiß nicht, ob wir das Insektenspektrum unbedingt erweitern wollen. Aber vielleicht wird es noch andere Produkte außer Cocktail-Bitters geben, damit die Menschen endlich über die großen Probleme unserer Welt sprechen.

Danke dir für das Gespräch!