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Psychologie

Ja, es gibt auch eine Sommerdepression

Während andere ins Freibad gehen, weigerst du dich, dein Bett zu verlassen? Du hast jedes Recht dazu, sagen Experten.

Fast jeder hat schon einmal von der Winterdepression gehört. Dem elendigen Gefühl, das einen befällt, wenn man sich im Stockdunklen ins Büro oder die Uni schleppt, im Stockdunklen nach Hause geht und nicht versteht, warum man überhaupt noch vor die Tür gehen sollte. Tatsächlich können saisonal abhängige Depressionen (SAD) aber auch dann zuschlagen, wenn Sonnenschein und Ferienzeit die allgemeine Stimmung hebt. Rund zehn Prozent der Menschen, die an einer saisonalen Depression leiden, bekommen sie am stärksten im Sommer zu spüren. Ich bin eine von ihnen.

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Der Sommer 2013 war außergewöhnlich warm. Nach einem gnadenlos kalten Winter, der fast bis in den Mai angehalten hatte, sind die Temperaturen in London, meiner Heimatstadt, wochenlang selten unter 25 Grad gesunken. In den Boulevardzeitungen sah man Fotos von knapp bekleideten Teenager-Mädchnen, die sich in der Sonne aalten. Reggae-Musik und der Geruch frisch gegrillten Fleischs hingen in der Luft. Die Leute wirkten glücklich, und zwar auf eine Art, die nur die Briten empfinden können, die ja bekanntermaßen fast dauerhaft zu wenig Sonne abbekommen.

Ich hingegen hatte einen unsicheren Job, eine unsichere Beziehung und verlor schließlich praktisch über Nacht beide. Ich hatte den Großteil meines Lebens immer wieder an Depressionen gelitten und ich hatte auch den Schmerz kennengelernt, der einen nach einer Trennung einholt. Mir war klar, dass eines oft zum anderen führt. Aber dieses Mal war es anders.

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Während der Sommer einfach nicht enden wollte, ging es mir nicht besser, sondern immer schlechter. Die Luftfeuchtigkeit war regelrecht erdrückend und mir kam es vor, als könnte ich kaum atmen – was das beklemmende Gefühl in meiner Brust, das die Angst auslöste, nur noch verschlimmerte. Abends blieb es sehr lange hell, wodurch mir die Tage, die ich sowieso schon kaum ertragen konnte, endlos lang vorkamen.

Weil es keine Option war, mein Bett nicht mehr zu verlassen, saß ich völlig abwesend bei Grillabenden und Picknicks. Meine Bekannten haben sich sicherlich gefragt, was mir über die Leber gelaufen war. Bei gutem Wetter hat man schließlich keine Entschuldigung dafür, nicht gut gelaunt zu sein. Oder? Im August ging es mir schließlich so schlecht, dass ich morgens um 7 Uhr in einer komplett überfüllten U-Bahn eine Panikattacke hatte.

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Als die Tage immer kühler wurden und es wieder früher dunkel wurde, besserte sich auch mein Zustand. Ich bin nicht die Einzige, die Angst vor dem Sommer hat. Laut der National Alliance of Mental Illness nennen 10 Prozent der Betroffenen die wärmeren Monate als Auslöser ihrer saisonal bedingten Depression.


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Jayne Hardy ist die Geschäftsführerin der Blurt Foundation, einem Online-Hilfsnetzwerk für Leute mit Depressionen, kennt das aus eigener Erfahrung. "Mitglieder unserer Community berichten, dass sie sich auch in den Sommermonaten oft schlecht fühlen", erzählt sie. "Die Hitze ist ein großes Problem, weil die Leute wegen ihr schlecht schlafen und häufig keinen Hunger verspüren, und weil sie weniger anziehen müssen, kommen bei ihnen Unsicherheiten wegen ihrem Körper dazu."

Katerina Georgiou berät Patienten und Patientinnen in London und erklärt, dass es nicht ungewöhnlich ist, vor allem im Sommer besonders unglücklich zu sein. Grund dafür sei der Druck, in dieser Zeit gut drauf zu sein und Spaß haben zu müssen. "In den Wintermonaten geht man davon aus, dass es vielen Leuten schlechter geht, weil es lange dunkel ist. Sobald der Sommer vor der Tür steht, sind dann alle munter und ständig draußen. Der Sonnenschein erinnert allerdings viele daran, dass sie sich selbst innerlich gar nicht so sonnig und gut fühlen."

Das klingt nachvollziehbar, ist allerdings keine wissenschaftliche Erklärung. Während die Winterdepression mit den direkten Auswirkungen des Mangels an natürlichem Licht erklärt wird, glauben einige Experten, dass man von genau diesem Licht auch zuviel haben kann. Norman Rosenthal ist Professor für Psychologie an der Georgetown University und hat als Erster die SAD entdeckt. Er glaubt, dass zu viel Sonnenlicht eine erhöhte Melatoninproduktion auslösen und dadurch den natürlichen Biorhythmus stören kann. Das wäre also eine logische Erklärung dafür, warum sich einige Leute bei besonders gutem Wetter besonders schlecht fühlen.

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Foto: Pixabay | Pexels | CC0

Laut Studien unterscheiden sich auch die Symptome der Winter- und Sommerdepression voneinander. Diejenigen, denen es in den wärmeren Monaten nicht gut geht, berichten von Schlaflosigkeit und geringem Appetit, während auf den Rest der Betroffenen das Gegenteil zutrifft.

Das deckt sich in jedem Fall mit Katies Erfahrung. Als sie für einen Job in den Nordosten Schottlands zog, steckte die 32-Jährige in einer psychischen Krise. "Ich glaube, dass viele Leute anfangs gedacht haben, es würde an der Umstellung liegen. Ich bin schließlich umgezogen und habe ein ganz neues Leben angefangen", erzählt sie. "Vielleicht hat das meine Depression auch überhaupt erst ausgelöst, aber ich hatte wirklich das Gefühl, als würden die hellen Nächte etwas in mir durcheinanderbringen. Es war, als würde etwas mit meinem Körper nicht stimmen, und ich fühlte mich die ganze Zeit unwohl und unruhig."

Weil die Winterdepression weitaus verbreiteter ist, gibt es zu ihr bereits mehrere Studien. Bei der saisonal bedingten Depression, die nur im Sommer zuschlägt, ist das nicht so. Viele, mit denen ich darüber gesprochen habe, waren sichtlich erleichtert zu hören, dass es so etwas gibt. Wer die Sommermonate schnell hinter sich lassen möchte, ist also nicht einfach nur ein Miesepeter, der grundlos schlechte Laune verbreitet.

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Doch was tun, wenn man betroffen ist? Experten raten, sich möglichst kühl zu halten, beispielsweise viel zu trinken und kalt zu duschen.

Die Blurt Foundation empfiehlt noch dazu, auch die Zwänge zu meiden, die sich uns aufdrängen. Wer nicht in den Park oder ins Schwimmbad möchte, sollte sich auch nicht dazu gezwungen fühlen, nur weil die Sonne scheint. "Wir verschwenden weder den Tag noch das gute Wetter. Wir achten nur auf unsere Gesundheit."

Während sich der Großteil meiner Bekannten über den wettertechnisch eher enttäuschenden Sommer beschwert, freue ich mich einfach schon auf den nahenden Herbst – und ich bin mir sicher, dass ich damit nicht alleine bin.

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