FYI.

This story is over 5 years old.

Sex

Wie du dein Gehirn überlistest, um Sex zu haben, ohne Gefühle zu entwickeln

Wissenschaftler haben Hormone und Gehirnstrukturen isoliert, die für die emotionale Bindung nach dem Sex verantwortlich sein könnten. Wir haben einen Experten gefragt, wie wir diese Erkenntnis zu unserem Vorteil nutzen können.
Illustration by Grace Wilson

Vanessa* hatte eigentlich nie Probleme mit unverfänglichen Affären ohne irgendwelche Verpflichtungen. Das änderte sich allerdings nach der Junggesellinnenfeier einer Freundin. Gegen zwei Uhr nachts, während sie „aus einem Strohhalm in Form eines Penis" trank, machte sie sich ein Tinder-Date für dieselbe Nacht klar. Der Sex war nach ihrer Aussage nur „OK", nachhaltig beeindruckt hatte sie allerdings, wie sehr sie den Typen nicht ausstehen konnte: „Ich habe ihn und alles, wofür er stand, mit jeder einzelnen Faser meines Körpers gehasst."

Anzeige

Das änderte sich nach dem Treffen allerdings relativ überraschend. „Plötzlich bekam ich das Gefühl, ihn nie wieder gehen lassen zu dürfen.'", sagt sie. „Das war ein richtiger Kopffick für mich."

Eine Situation, die vielen von uns bekannt vorkommen dürfte: Man hat mit jemandem Sex, den man menschlich eigentlich gar nicht leiden kann und den man sich eigentlich niemals als festen Partner vorstellen könnte—und trotzdem fühlt man sich ihm am nächsten Morgen seltsam verbunden.

Mehr lesen: Wie man eine Beziehung mit mehreren Männern führt–und glücklich wird

„Ich habe immer das Bedürfnis, mit den Leuten zusammen zu sein, mit denen ich Sex hatte", sagt die 25-jährige Lucy, „selbst, wenn ich sie hasse."

So unergründlich unsere Gefühlswelt oft auch scheinen mag, in diesem Fall lässt sich das Ganze tatsächlich erklären—zumindest ein bisschen. Man nimmt an, dass es sich dabei um das Ergebnis aus einem komplexen Hormoncocktail, einigen neurobiologischen Prozessen und unserer sozialen Konditionierung handelt. Forscher haben mittlerweile ein paar dieser Hormone und Gehirnstrukturen isoliert, die unter anderem auch für die sehnsuchtsvollen Liebesbekundungen, die man im Vollrausch gerne mal verschickt, verantwortlich sein könnten.

Vieles, was wir über Liebe wissen, wissen wir übrigens von der Präriewühlmaus. Der kleine Nager ist sehr beliebt bei Wissenschaftlern, die versuchen, die Geheimnisse der menschlichen Beziehungen zu lüften. Im Gegensatz zu den anderen 97 Prozent der Säugetiere sind Präriewühlmäuse nämlich monogam und haben eine extrem enge Bindung zu ihrem Partner. Wenn sie die Wahl haben, hängen die Nager—die in den Wäldern Europas und Asien beheimatet sind—am liebsten nur mit ihren Partnern rum, pflegen sich gegenseitig und nisten immer wieder zusammen. In einer Reihe von Studien konnten Forscher die beiden Hormone isolieren, die für diese dauerhafte Bindung verantwortlich sind: Oxytocin und Vasopressin. Genau die werden nämlich ausgeschüttet, wenn Präriewühlmäuse Sex haben.

Anzeige

Untersuchungen haben gezeigt: Wenn die männlichen Tiere eine Dosis Vasopressin—und die Weibchen Oxytocin—injiziert bekommen, dann bauen sie, noch bevor es zur Paarung kommt, eine Beziehung zum nächstbesten potenziellen Partner auf. Die Forscher schlussfolgerten daraus, dass das Vasopressin und Oxytocin bei männlichen und weiblichen Präriewühlmäusen der magische Schlüssel zu einer lebenslangen monogamen Beziehung sein muss und die beiden aneinander bindet, bis dass der Tod sie scheidet.

Ich habe immer das Bedürfnis, mit den Leuten zusammen zu sein, mit denen ich Sex hatte.

„Darauf baut ihre Beziehung auf", erklärt erklärt Larry Young, Forscher der Emory University, dessen Forschungsarbeit sich mit dem Sozialverhalten von Präriewühlmäusen beschäftigt. „Das Ganze findet in dem Teil des Gehirns statt, der auch mit Sucht zu tun hat."

Es ist durchaus möglich, dass diese Präriewühlmaus gerade eine schlimme Trennung durchmacht. Foto: Laurence Arnold | Flickr | CC BY-ND 2.0

Auch das menschliche Gehirn besitzt Oxytocin- und Vasopressinrezeptoren und genau wie die Präriewühlmaus schütten auch wir während dem Sex große Mengen Oxytocin aus. Dr. Young erklärt, dass bereits bekannt ist, dass durch die Stimulation der Brust und des Gebärmutterhalses während dem Sex große Mengen Oxytocin im weiblichen Gehirn ausgeschüttet werden, was durch eine weitere Ladung Oxytocin nach dem Orgasmus verstärkt wird. Die Forschungsergebnisse von Dr. Helen Fischer von der Indiana University haben gezeigt, dass beim Scan der Gehirne verliebter Menschen sichtbar wird, dass die Teilen des Gehirns besonders aktiv sind, in denen Dopamin produziert und ausgeschüttet wird. (Dieselben Regionen werden übrigens auch aktiv, wenn man Kokain nimmt.)

Anzeige

Young sagt, dass romantische Gefühle eine evolutionäres Überbleibsel sind, die uns dazu ermutigen sollen, uns zu binden, um dadurch die Überlebenschancen unserer Nachkommen zu sichern. „Menschliche Nachkommen brauchen geraume Zeit für ihre Entwicklung—die Mutter pflegt das Kind über Jahre. Es war also von Vorteil, wenn Sexualpartner eine Beziehung zueinander aufgebaut haben, damit sie zusammenarbeiten konnten, um gesunde Nachkommen großzuziehen", schlussfolgert er.

Könnte man es aber auch irgendwie umgehen, eine solche Bindung aufzubauen? Wenn Oxytocin und Vasopressin für die nervige postkoitale Zuneigung verantwortlich sind, kann man diese Hormone dann nicht irgendwie so manipulieren, dass man sich die verzweifelten, betrunkenen Anrufe beim letzten One-Night-Stand spart? Das wäre denkbar, meint Dr. Young.

Um die Liebeshormone im Zaum zu halten, sollte man zuallererst Augenkontakt vermeiden, sagt er. Es ist nämlich bekannt, dass längerer Augenkontakt zu einem erhöhten Oxytocinausstoß im Gehirn führt. „Wenn man mit jemandem Sex hat", erklärt Young, „dann stellt man eine enge Verbindung über das Gesicht und insbesondere über die Augen her. Das wird an dein Gehirn gemeldet, das das Ganze wiederum belohnt. Liebe und Beziehungen funktionieren ähnlich wie eine Sucht. Es werden in beiden Fällen sehr viele ähnliche Chemikalien ausgeschüttet. Wenn man diese Information also umlenken kann, indem wir Augenkontakt vermeiden, würde das helfen."

Anzeige

Mehr lesen: Führt Sexentzug dazu, dass dich dein Partner umso mehr will?

Ein anderer Weg, von dem wir an dieser Stelle entschieden abraten wollen, ist Drogenkonsum. „Kokain und Methamphetamin erhöhen die Dopaminausschüttung und es ist bekannt, dass Dopamin insbesondere dafür verantwortlich ist, eine Bindung zwischen zwei Menschen herzustellen. Wenn man den Dopaminausstoß also bereits vor dem intimen Moment durch eine äußere Einwirkung steigert, dann wird man danach nicht denselben Effekt haben", erklärt Young. „Das besondere Gefühl beim Sex sowie das Gefälle, das durch die Dopaminausschüttung verursacht wird, werden danach nicht so groß sein." In anderen Worten: Wenn du high wirst, bevor du mit jemandem ins Bett gehst, ist es unwahrscheinlicher, dass du den zuneigungsbildenden Oxytocinrausch mit deinem Sexpartner in Verbindung setzt.

Alkohol hingegen könnte den gegenteiligen Effekt haben. „Wenn männliche Präriewühlmäuse Alkohol konsumieren, werden sie promiskuitiv, was gleichzeitig aber auch verhindert, dass sie eine Bindung zu ihrem Partner herstellen", sagt Young und bezieht sich auf Experimente, bei denen männlichen Präriewühlmäusen Alkohol gegeben wurde, bevor sie sich mit weiblichen Nagern paaren durften. „Normalerweise wäre es so, dass sich das Männchen mit einem Weibchen paart und wenn man ihn am nächsten Tag in einen Käfig mit drei Kammern setzt, in denen drei weibliche Präriewühlmäuse sitzen, würde es sich immer zu dem Weibchen setzen, mit dem es sich gepaart hat." Wenn die männliche Präriewühlmaus aber während der Paarung betrunken war, dann setzt sie sich lieber zu einem Weibchen, mit dem sie sich noch nicht gepaart hat. „Sie entscheidet sich dann für die neuen Weibchen."

Anzeige

Bei weiblichen Mäusen ist es hingegen genau andersrum: „Wenn die Weibchen Alkohol trinken, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich bereits vorzeitig binden."

Um die enge Bindung zu deinem Sexpartner zu umgehen und um der verstärkten Aktivität im Belohnungszentrum deines Gehirn einen Riegel vorzuschieben, wäre es auch möglich, während dem Sex bewusst an eine andere Person zu denken. „Man zwingt sein Gehirn dazu, das angenehme Gefühl mit jemand anderem in Verbindung zu setzen", erklärt Young. „Das könnte ein Filmstar sein oder jemanden, den man niemals wirklich treffen wird. Damit lenkt man die Aufmerksamkeit des Gehirns auf jemanden, der nicht da ist." Das hindert das Gehirn daran, Zuneigung zu der Person, mit der man in Wirklichkeit Sex hat, zu entwickeln, weil man keine visuellen Signale aufnimmt, die entscheidend sind für den Oxytocinausstoß."

Wenn die Weibchen Alkohol trinken, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich bereits vorzeitig binden.

Young meint auch, dass man nicht mit den Nippeln spielen sollte. Zugegeben, er hat es nicht genau so gesagt—ich kürze es nur etwas ab. Seine eigentliche Aussage war: „Menschen sind die einzige Spezies, bei der die Männer die Strategie entwickelt haben, die Brüste während dem Sex zu stimulieren, um den Oxytocinausstoß anzuregen. Beim Menschen wurde die Brust Teil der sexuellen Anziehung und des Vorspiels. Auf diese Weise kann das Oxytocinsystem im weiblichen Gehirn aktiviert werden, was dazu führt, dass die Frau sich zu ihrem Sexualpartner hingezogen fühlt." (Frauen sind darauf konditioniert Oxytocin auszuschütten, wenn ihre Nippel stimuliert werden—so stillen wir unsere Babys.)

Wenn du all diese Ratschläge befolgt hast, dich aber unerklärlicherweise noch immer zu dem mysteriösen menschlichen Wesen neben dir hingezogen fühlst, ärger dich nicht. Die Sexualtherapeutin Nan Wise meint, wir sollten uns immer daran erinnern, dass wir eben auch nur Tiere sind.

„Dass man diese Gefühle gegenüber einer andere Person hat, ist eine ganz natürliche Reaktion, die damit zusammenhängt, dass wir Säugetiere sind. Dieses Gefühl von Verliebtheit ist wie eine Droge, aber man kann lernen, damit umzugehen", sagt Wise. „Man sollte dem Ganzen nicht zu viel Bedeutung zumessen. Das Gefühl kommt nicht von der Person [mit der du geschlafen hast], sondern ist vielmehr eine Reaktion auf die Stimulation."

Anders als die Präriewühlmaus sind sich (die meisten) Menschen ihrer selbst bewusst und besitzen die intellektuelle Fähigkeit zu verstehen, dass das, was sie fühlen, nicht unbedingt der Realität entspricht. Das Wissen, dass dein Gehirn von einem mächtigen chemischen High kontrolliert wird, das sich irgendwann wieder verflüchtigen wird, kann dir dabei helfen, mit deinen postkoitalen Emotionen umzugehen. Andererseits: Wer weiß, wie viele lange und glückliche Beziehungen schon durch ungewollte Hormoncocktails entstanden sind.