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Was ein Schönheitschirurg alles an mir ändern möchte

Angespannte Gesichtsmuskeln, asymmetrische Brüste und breite Schultern—anscheinend bin ich ziemlich gut für plastische Korrekturen geeignet.
Foto der Autorin

Ich bin 22 Jahre alt, habe also die Pubertät hinter mir und ein einigermassen stabiles Selbstbewusstsein in Bezug auf mein Aussehen. Die Zeit, in der ich den Spiegel mehr hasste als mich selbst, ist vorbei. Dass ich nicht dem gängigen Schönheitsideal entspreche, ist mir bewusst und scheissegal. Doch wie ist es, wenn man von einem Schönheitschirurgen höchstpersönlich zu hören bekommt, dass man scheisse aussieht? Das wollte ich herausfinden und habe deshalb einen Beratungstermin in einer Zürcher Schönheitsklinik vereinbart. Fazit: Ich bin hässlicher als ich dachte.

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Die Praxis von Dr. med. Christian Köhler befindet sich im Zürcher Seefeld und versteckt sich zwischen Rechtsanwaltskanzleien, Consulting-Firmen und anderen Betrieben, die irgendwas machen, das mit viel Geld zu tun hat. Es ist ein sonniger Montag; der Grossteil der Menschen in dieser Gegend trägt Pelzmäntel und Gucci-Brillen.

Vor dem Termin setze ich mich auf eine Bank mit Blick auf den See und rauche eine Zigarette. Prompt taucht eine Frau auf, um die 80, Pelzmantel, falsche Lippen, falsche Nase, Face-Lift und wahrscheinlich noch etliche andere gemachte Gesichtsteile, -muskeln, -sehnen, die Laien wie mir gar nicht bekannt sind. Sie hat den Wachtturm der Zeugen Jehovas in der Hand und verwickelt mich in ein Gespräch über Freude an der Arbeit. Ich nicke und höre kein Wort von dem, was sie sagt, sondern sehe nur dieses Gesicht.

Foto von Benzin; Wikipedia; CC BY 3.0

Die Praxis ist ähnlich, wie ich sie mir vorgestellt habe. Jede (jede!) Tür öffnet sich automatisch, der Lift könnte zu einem Luxushotel gehören und die Gesprächsstundenhilfen sind jung, hübsch und zu stark geschminkt. Sie helfen mir aus der Jacke, bieten mir einen Kaffee an und führen mich ins Wartezimmer. Als erstes springt mir eine Schweizer Illustrierte in die Augen mit der Ex-Miss Schweiz Kerstin Cook auf dem Cover und der Überschrift: „Ja, ich habe meine Brüste gemacht!" Wow. Ich gehe die Preisliste durch und erfahre, dass man für 12.000 Franken neue Titten bekommt. Damit könnte ich monatelang herumreisen oder 20 Monate lang keine Miete bezahlen.

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Dann ist es soweit: Dr. Köhler höchstpersönlich begrüsst mich mit festem Händedruck und warmem Lächeln. Sein Büro hat Blick auf den Zürichsee und ist auch sonst chic genug, um jeder Patientin den noch verbliebenen Verstand zu rauben. Ich setze mich auf den fetten Ledersessel und werde vom Doktor gefragt: „Wie kann ich Ihnen helfen?"

Foto der Autorin

Ich erkläre ihm mein Anliegen und wie erwartet weicht er mir mit dem Standard-Gebrabbel über subjektive Schönheit, unterschiedliche Geschmäcker aus. „Mein Gesicht zum Beispiel. Fällt Ihnen da spontan etwas auf, das Sie ändern würden?" Herr Köhler lobt meine Hautfarbe und die Wangenknochen, sieht aber einen Muskel an meinem Kinn, der angespannt ist. Den würde er reduzieren. Ich habe keine Ahnung, wovon er redet, auch nicht nach dem Termin, nachdem ich mich für fünf Minuten angestrengt im Spiegel betrachtet habe.

Da ich mit einer relativ kleinen Oberweite gesegnet worden bin—der Goldgrube der Plastikindustrie—bitte ich ihn, darauf einzugehen. Ich will die volle Ladung. Darauf folgt erst ein Vortrag über Proportionen, Brüste nach der Schwangerschaft, Brustmuskeln, Implantate, Kubikzentimeter und Tropfenprofile. Ich bitte ihn um eine Ausmessung meiner Brüste und eine Grössenempfehlung. Dass mir Natürlichkeit wichtig ist und ich den Playboy-Look scheisse finde, erkläre ich ihm im vornherein.

Dann geht's endlich los: Kein Brustkrebs in der Familie, keine Kinder, auch nicht geplant. Ich stelle mich oben ohne vor den deckenhohen Spiegel und strecke die Arme im rechten Winkel vom Körper aus. „Die Schultern sind ein bisschen breiter, oben an der Brust haben Sie genug Volumen, unten fehlt dieses. Ausserdem haben Ihre Brüste eine leichte Asymmetrie. Das haben aber alle Frauen", meint Köhler, „Es kommt darauf an, wie ausgeprägt sie ist." Was er wohl mit „es" meint?

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Dann bekomme ich einen BH, um die perfekte Brust zu simulieren. Ich setze die Silikonimplantate ein und bin froh, dass ich mit meiner bescheidenen Oberweite nicht so schwer zu tragen habe. Ausserdem sieht's scheisse aus. Köhler verneint meine Annahme, dass es sich bei besagtem Material um ein grosszügiges C-Körbchen handelt. „Das ist jetzt ein B-Körbchen." Meine Fresse. „Wie ist es denn vom Gefühl her?" Ich verkneife meine intuitiven Kommentare und komme mit Umschreibungen wie „interessant" und „ungewohnt". Er scheint mein Unbehagen zu bemerken, denn er meint: „Die meisten denken auf den ersten Blick, es sei zu gross und man merke es sofort. Aber wenn sie zum Beispiel mal einen Push-up-BH anziehen, werden Sie feststellen, dass es nicht auffällt. Vor allem nicht unter einem T-Shirt." Alles klar. Es sei ausserdem immer eine Frage der Proportionen.

Was wären denn für meine Körperverhältnisse geeignete Körbchen? Köhler meint: „Sie haben ja eine breite Brustbasis und einen breiten Oberkörper, dementsprechend könnten sie gut ein bisschen mehr nehmen. Optisch, von der Grundform her finde ich die kleineren aber besser." Autsch.

Foto von Paravis; Wikipedia; CC BY 3.0

Und wie sieht's aus mit Vergrösserungen durch Eigenfett? „Die meisten Kundinnen haben dafür zu wenig Fettgewebe. Ausserdem war in früheren Jahren bei vielen, die das gemacht haben, das Volumen nach einem Jahr wieder weg."

„Dann würde das bei mir wohl kaum gehen", denke ich laut und erwarte ein deutliches Nein. Doch ich werde enttäuscht: „Sie könnten das im Prinzip machen. Es kommt bei Ihnen darauf an, wie ihre Narbenqualität ist." OK. Weiter erfahre ich, dass man bei mir an Bauch und am Flankenbereich ein wenig Fettgewebe wegnehmen könnte.

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80 bis 100 Brustoperationen macht die Praxis im Jahr, am häufigsten sind aber Augenlider-OPs: Davon führt Dr. Köhler 300 pro Jahr durch. „Die Schweiz ist zu klein dafür. Mit 80 bis 100 Brustvergrösserungen sind wir noch gut dran. Wenn ich aber zum Kollegen nach Miami gehe, dann macht der 800 bis 1000. Der Umgang bei uns ist ganz anders als in Amerika." Schönheitsoperationen werden aber häufiger bei uns. Man könne natürlich auch ins Ausland gehen, es gebe durchaus schöne Resultate, aber das seien halt auch die „leichteren Fälle". „Wäre ich also ein eher schwieriger Fall?", will ich wissen. „Mittelmässig", meint Köhler und lacht. Dann erklärt er mir etwas über die Neupositionierung meiner Brustfalte und was in meinem Fall sonst noch zu beachten wäre. Ich will von Dr. Köhler wissen, was denn das vorherrschende Schweizer Schönheitsideal ist. „Das Europäische auf der einen Seite—also den Po zum Beispiel nicht zu gross machen, eher die Brust.

In Nord- und Südamerika seien Po-Vergrösserungen wieder sehr populär (haha), danach frage hier kaum jemand. Eine brasilianische Klientin von Köhler wünschte sich ein Pflaster nach der Botox-Behandlung, damit jeder sehen kann, dass sie sich unters Messer gelegt hatte. „Lokale Gegebenheiten, die wir hier nicht haben." Die Schweizer sind diskret und nicht mitteilungsbedürftig in Bezug auf Rumgeschnipsel an ihrem Körper. „Man kann das aber auch provozieren, indem man vor der Operation extra einen grösseren Push-up trägt und schaut, wie die Freunde reagieren. Nach der OP denken sich die dann nur, dass man den wieder trägt und merken nichts." Was für ein wohlgemeinter Ratschlag.

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Foto von Alle; Flickr; CC BY 2.0

Herr Köhler hat selbst erst Botox-Behandlungen hinter sich, plant aber, seine Augenlider zu operieren. „Ich weiss aber noch nicht, bei wem", meint er und lacht. „Es gibt halt so Sachen, Augenlider zum Beispiel, die sind medizinisch und ästhetisch ein Problem. Wenn in der Praxis jemand einen Makel beheben möchte, dann machen wir das natürlich auch."

Ich weiss alles, was ich wissen wollte. Beim Gehen verabschiedet sich Dr. Köhler mit den Worten „Gut, dann machen wir einen OP-Termin." Er lacht und gibt mir die entsprechenden Unterlagen mit.

Entgegen meinen Erwartungen hatte ich danach weder einen Nervenzusammenbruch, noch die Absicht, meine Brüste operieren zu lassen. Es war ein schöner Ausflug nach Plastic Valley, Herr Köhler war ein angenehmer Gesprächspartner und ich habe immer noch Mini-Brüste. Wenigstens nur mit leichter Asymmetrie.

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