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Auf meiner ersten schamanischen Seelenreise sollte ich 5.000 Tote in Nepal darstellen

Weil mir Ayahuasca zu krass war, meldete ich mich zu einer schamanischen Seelenreise an.

Bild: thierry ehrmann | Flickr | CC BY 2.0

Meine erste Erinnerung an Naturheiler und Schamanismus ist ziemlich alt und stammt aus einem Kinderbuch, das meine Oma mir oft vorlas. Darin fraßen ein kleiner Tiger und ein Rehkitz im Wald irgendwelche Kräuter und waren danach tagelang auf einen ziemlich verrückten Trip. Weil mir Ayahuasca (was der Kindergeschichte vermutlich am nächsten käme) erst mal zu heftig war, meldete ich mich zu einer schamanischen Seelenreise an, um mir das Ganze aus der Nähe anzusehen.

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Physischer Ausgangspunkt der Reise ist eine Heilpraxis in Berlin-Mitte. Der Schamane, nennen wir ihn der Einfachheit halber Tobi, öffnet mir die Tür. Er ist sehr freundlich, sehr groß und hat einen langen Zopf. Noch im Flur werden die 15 Euro Aufwandsentschädigung kassiert, erst danach darf ich ins Sitzungszimmer durchgehen, einen hellen Raum mit wenig drin. Es gibt nur ein niedriges Tischchen, darauf eine Karaffe Wasser mit Steinen, an der Wand gegenüber ein Regal, auf der Sachen wie ein Horn (es war, glaube ich, ausgehöhlt, also ein Kelch), Gläschen mit Kräutern und Pulvern und verschieden Holzstäbe liegen. In der Raummitte liegt eine riesige Wurzel, um sie herum brennen Kerzen.

„Nimm dir ein Fell und so viele Kissen, wie du magst", sagt Tobi und ist gleich wieder weg. Während ich meine Sitzutensilien ausrichte, schaue ich unauffällig die anderen Seelenreisenden an. Direkt neben mir eine Frau, Mitte 20, mit Cleopatra-Haarschnitt. Einen Platz weiter eine ältere Frau um die 60, die man sonst wahrscheinlich in einem Secondhand-Laden der nicht so coolen Sorte trifft. Dann zwei junge Männer, die sich irgendwie ähnlich sehen, obwohl sie keine Ähnlichkeit miteinander haben. Außer, dass sie beide schmal und blass sind und zusammengesunken auf ihren Sitzpolster hängen. Die Atmosphäre ist ungewohnt, aber nicht unangenehm. Ich habe nicht das Gefühl, etwas falsch zu machen oder sagen zu müssen, aber kann mich auch nicht richtig entspannen. Meine Augen gehen immer wieder auf.

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Wenig später kommt Tobi mit einer letzten Mitreisenden herein. Während sich alle Wasser mit Steinen eingießen, heißt er uns willkommen und erklärt, dass die Reise zweigeteilt ist: Erst eine Stunde Übungen zum Hineinfinden, dann Pinkelpause und anschließend eine schamanische Aufstellung. Mitten im Satz schließt er plötzlich die Augen, schweigt einige Zeit und verkündet dann, er spüre etwas im Raum. Etwas, das mit den 5.000 Erdbeben-Toten in Nepal zu tun hat. Die Reise würde schon zeigen, was das zu bedeuten hat. Cleopatra neben mir nickt hingebungsvoll.

Foto: Bild: thierry ehrmann | Flickr | CC BY 2.0

Nach dieser Ansage beginnt der Schamane, leise zu trommeln, und wir verbringen die nächsten 60 Minuten damit, uns mit Rauch zu waschen (hat bei mir nicht so gut funktioniert, aber Cleopatra meinte, das käme mit der Zeit), unser Wurzelchakra zu erspüren, uns mit Stäben in der Erde zu verwurzeln und mithilfe von Runen die Energie fließen zu lassen. Das ist ein bisschen wie Yoga, nur weniger anstrengend.

Nachdem ich in der Pause eine Runde barfuß durch den mit geometrischen Mustern bepflanzten Garten gestapft bin, erklärt Tobi, er wolle nun durch eine spirituelle Aufstellung mehr über die Zukunft der Mutter Erde herausfinden—aus aktuellem Anlass. Wir sollen einfach unsere nun aktivierte Energie bewusst in den Raum leiten und uns „durchlässig" verhalten. Dann beginnt er, verschiedene Naturgeister in den Raum einzuladen. Ich versuche angestrengt, durchlässig zu sein, muss aber zugeben, dass ich an diesem Punkt geistig ein bisschen ausklinke. Tobi schreit die Geister an, warum das Erdbeben in Nepal passieren musste, wieso Mutter Erde uns Menschen so abstößt, und fragt, ob diese Ereignisse nun Vorboten für etwas viel Größeres sind. Dann helfen ihm die Geister zu „sehen", wer welche Figur des Standbildes verkörpern soll.

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Ich hatte mir bislang wirklich Mühe gegeben, alles richtig zu machen, aber als der Schamane seinen Stock auf mich richtet und eröffnet, in mir würde er die Opfer des Erdbebens in Nepal spüren, geht gar nichts mehr. Er fragt netterweise noch, ob ich diese Figur verkörpern möchte. Möchte ich nicht, möchte aber auch nicht nein sagen und nicke deshalb. Einer der Männer hat sich schon komplett aus dem Spiel gezogen, der andere ist jetzt das Mitgefühl. Die ältere Frau stellt die Mutter Erde dar, Cleopatra eine Zeitenwende und das andere Mädchen die (Über)Lebenden.

Mithilfe der Geister positioniert Tobi nun jeden Charakter irgendwo im Raum und fragt ihn währenddessen, wie er sich fühlt. „Gib deine normale, sterbliche Identität nun zu ungefähr 80 Prozent auf", flüstert er der Mutter Erde zu. „Lass die Rolle zu." Als er zu mir kommt und fragt, wie es mir gehe, passiert zum ersten Mal etwas: Mir wird vom einen auf den anderen Moment eiskalt. Und das, obwohl ich in Gedanken dabei bin, durchzurechnen, was ich nach der Seelenreise beim Supermarkt wohl für mein letztes Bargeld kaufen kann. Ich hatte mir schon eine gute Antwort für Tobi zurechtgelegt, aber von dieser körperlichen Reaktion erschrocken kann ich gar nichts sagen. Ist aber OK, Tote sprechen für gewöhnlich ja auch nicht so viel. Wir stehen dann ein bisschen rum (oder in meinem Fall: sitzen) und sollen in unsere Rollen und das entstandene Energiefeld spüren. Mutter Erde nimmt das zum Anlass, durch den Raum zu springen und mit ihrem Wollumhang Wind zu erzeugen, was scheinbar ziemlich viel Spaß macht. Von Zeitenwende und den Überlebenden bekomme ich nicht viel mit, dafür umso mehr vom Mitgefühl, das sich offenbar berufen fühlt, den Opfern Gesellschaft zu leisten und sich wie ein Hörnchen um meinen Rücken wickelt. Ich denke währenddessen darüber nach, inwiefern es für mich wirklich OK ist, gerade so zu tun, als sei ich mehrere tausend Erdbebenopfer.

Foto: Nancy | Flickr | CC BY 2.0

Die ganze Situation ist nicht cool, ich fühle mich eingeengt und sehne mich nach einer heißen Dusche. Deshalb bin ich froh, dass Tobi irgendwann bemerkt, dass wir schon 10 Minuten überfällig sind und er dringend seine Kinder ins Bett bringen muss. Der Abschluss meiner ersten Seelenreise ist dementsprechend abrupt: Licht an, „Wie war es für euch?", keiner sagt etwas, „OK, dann bitte kurz mithelfen, die Polster wegzuräumen!", Tschüss und bis zum nächsten Mal. Etwas über zwei Stunden nach Abreise stehe ich wieder in Berlin und versuche einzuordnen, was diese Erfahrung mir gebracht hat. Ob sie etwas gebracht hat. Ich bin ein bisschen enttäuscht, vor allem, weil ich mich wirklich darauf eingelassen habe und sich dafür zu wenig in mir bewegt hat. Es war ein bisschen, als würde mir der richtige Rezeptor fehlen, denn ich hab ja mitbekommen, wie beispielsweise Cleopatra während der Energieübungen in eine Art Trance gefallen ist und total erschöpft, aber lächelnd wieder „wachgeworden" ist. Ich hätte auch gern so etwas erlebt. Mein kurzer Kälteschock während der Aufstellung hat mich allerdings eher rausgebracht. Na ja, was soll man bei der Rolle auch erwarten. Ich glaube, Set, Setting und Thema haben bei meiner ersten Seelenreise nicht ganz gestimmt. Vielleicht gebe ich dem Ganzen irgendwann eine zweite Chance, aber dann ohne Rollenspiel. Oder ich reiße mir die Rolle der Mutter Erde unter den Nagel.