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Die schlimmsten Party-Hymnen zur EM 2016

Fußball ist cool, aber wenn Melanie Müller dazu singt, wünschten wir uns, dass der Ball eine Pistolenkugel wäre.

Es ist soweit. Schon bald darf man in dubiosen Beisln wieder frisch entwendete Fähnchen gegen billiges Bier eintauschen. Hurra! Die Vorfreude ist riesig, nicht nur bei den Patriotismus anprangernden Punks und Antifas. Die Gegenseite ist ebenfalls schon ganz aufgeregt. Typen, die ihre Wohnung mit Devotionalien von Bierfirmen dekorieren und Panini-Bildchen sammeln (no hate!) freuen sich bereits ein zweites Loch ins Flüchtlingsboot. Ebenso die temporär vom Rasensport begeisterten Fußball-Mädchen auf den unzähligen Fanmeilen des Landes. Duckface, Peace-Zeichen und Landesfahnen-Schminke—Zack!—fertig ist das neue Tinder-Profilbild (Realtalk!). Und natürlich all die unverfänglichen Party-Patrioten, die komischerweise mit der Landesfahne statt mit mit einer Verbandsflagge durch die Gegend fahren, obwohl es ja "nur um die Mannschaft geht". Da lobe ich mir die Holländer und ihr Oranje. Wie auch immer, bald schon bricht die fünfte Jahreszeit für all die Menschen an, die sich brüllend durch die Straßen bewegen und den "Bierkönig" für einen offiziellen Monarchen halten.

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Und wenn es schon Campingstühle, Zahnbürsten, Autospiegelüberzüge, Chips, Bettwäsche, Salami, Grills, Cornflakes, Kondome und Klobürsten im Patrioten-Look gibt, dann lassen sich andere Branchen natürlich auch nicht lumpen. Für die Musikindustrie ist jede WM oder EM ein Hauptgewinn. Endlich haben all die Produzenten, die sich sonst ganzjährlich darauf konzentrieren, Songs zu entwickeln, zu denen man auf Mallorca im Takt kotzen kann eine Chance beachtet zu werden. Also außerhalb des Oberbayerns und des ein oder anderen Bier-Bikes. Aber besser so als Grönemeyer und Co. Wir alle erinnern uns mit Grausen an die WM 2010, als KayOne und Bushido mit "Fackeln im Wind" den offiziellen WM-Song herausbrachten. Satan, weiche! Aber es kam sogar noch schlimmer, als Kay 2012 plötzlich "Finale wir kommen" mit dem damals noch nicht ganz so obercoolen Shindy in die Welt posaunte. Dazwischen lag angeblich ein gemeinsamer Urlaub mit Sami Khedira, aber das ist Hörensagen (hust hust, es stimmt, hust!).

Und weil während Fußballturnieren allgemein Narrenfreiheit gilt, denken sich die Arbeitslosen Barden dieser Welt alle zwei Jahre, es wäre eine gute Idee, einen supi-dupi Mitgröl-Hit zu veröffentlichen. Willkommen im diesjährigen Kabinett des Grauens, wo sich Silikon-Brüste, Koks-Nasen und Bierbäuche die Klinke in die Hand geben. Hier sind einige der großartigsten Errungenschaften seit Modern Talking und dem Rommel-Feldzug:

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Stefan Stürmer & Melanie Müller: "Ab nach Frankreich"

Den Anfang macht diese Metzgerstochter namens Melanie Müller, die mal im Dschungelcamp war und sich dabei filmen ließ, wie sie einen Abdruck ihrer Vagina für eine in ihrem Online-Shop zu erwerbende "Trucker-Möse" anfertigen ließ. Ganz klar, die Frau ist prädestiniert für den Job als Sängerin. Zusammen mit einem Abziehbild des durchschnittlichen Schrebergarten-Papas namens Stefan Stürmer, grölt sie sich durch das Video, das besonders durch die Anwesenheit von Micaela Schäfer an Glanz gewinnt. Der Hintergrund der Szenerie, ein mäßig begeistertes Publikum, wurde offenbar mit falschen Versprechungen (eventuell ging es um Heizdecken oder Freibier) ans Set gelockt. Anders ist die schlechte Laune nicht zu erklären. Der ein oder andere strahlt gar eine akute Ratlosigkeit aus. Wie auch immer: Müller & Stürmer, das ist die beste Namenskombination seit den drei Anwälten von Beate Zschäpe: Heer, Sturm & Stahl. Und jetzt alle: "Wir wollen ein T wie Tor für Thomas Müller!" Hit-Faktor: 6 von 10 Pickelhauben.

Willi Herren "Das ist unser Tag"

Weiter geht es mit einem offenbar sehr einsamen Mann. Willi Herren, ehemaliger Lindenstrassen-Star und unvergessen durch seine Drogenentzugs-Doku auf RTL, ist natürlich eigentlich ein grundsympathischer Kerl. Selten hat jemand so herzerweichend und nachvollziehbar gejammert wenn das Kokain alle war. Wir müssen es wissen, wir leben in Berlin und gehen auf Szene-Partys. Leider gab es kein richtiges Video für seinen Gassenhauer "Das ist unser Tag". Stattdessen steht er mutterseelenallein auf der Bühne der Fanmeile vor dem Brandenburger Tor und trällert etwas von "Eine Hoffnung, ein Land, Ohooohoooohooo!" Geil. Genau die Musik, zu der ich dem Dönermann am Hauptbahnhof mal ordentlich Bescheid stoße, dass er gefälligst noch ein Bier aus dem Kühlschrank reichen soll. Dass der Text nicht wirklich zu den Bewegungen seiner Lippen passt, ist eher zweitrangig. Hier geht es um Paaaartyyyyy. Und wenn dein Land nicht gewinnt, dann wird der Italiener um die Ecke schon sehen. Prost! Hit-Faktor: 5 von 10 Koksnasen.

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Udo Alexander "Eventuell, vielleicht, bestimmt"

Leider wird es nicht besser, wenn man versucht das Genre "Turnier-Songs" ironisch zu behandeln. Udo Alexander aka Arnd Zeigler, Stadionsprecher von Werder Bremen und Moderator der immer wieder sehr amüsanten WDR-Show "Zeiglers wunderbare Welt des Fußballs" probiert hier etwas, was bis auf wenige Ausnahmen noch nie funktioniert hat: Comedy. Und dann auch noch musikalisch unterlegt. Vordergründig mit dem Plan, sich ein bisschen über Klassiker wie "Buenos días, Argentina" (1978, mit Udo Jürgens), "Olé España" (1982, mit Michael Schanze) oder "Mexiko, mi amor" (1986, mit Peter Alexander) lustig zu machen, scheitert auch Zeigler dramatisch. Eventuell, vielleicht, bestimmt ist der Song sogar schlimmer als Willi Herren und Melanie Müller zusammen. Denn Ironie funktioniert nicht, wenn das eigentliche Ziel sich selber nicht ernst nimmt. Denkt mal darüber nach, ihr Langzeit-Studenten in Zeiglers Redaktion. Und löscht endlich "54, 74, 90, 2010" von den Sportfreunden aus eurer persönlichen Playlist. Hit-Faktor: 2 von 10 Udo Lattek-Gedächtnistassen.

Reservebank "Wie wollen wir jubeln?"

Was ist das für 1 Frage? Aber egal. Das alte bretonische Lied "Son ar christr" hat schon eine Menge erdulden müssen. Ob "Was wollen wir trinken", "How much is the fish" oder Mickie Krauses (zugegebenermaßen extrem geiles) Cover "Jan Pillemann Otze", kaum jemand, der sich nicht an der Melodie vergriffen hat. Ganz klar, da hat nur noch eins gefehlt: Die rockige BWL-Version einer Band, die 2016 noch Wollmützen und Pulswärmer trägt. Der Leadsänger hat offensichtlich mal ein Mädchen verloren, welches Revolverheld ganz toll fand und versucht sie nun zurückzugewinnen. (Kleiner Tip: Sie mag Revolverheld. Sie ist es nicht wert!) Anders ist diese bodenlose Frechheit nicht zu erklären. Mit dem Charme eines Sparkassen-Filialleiters und der Fetzigkeit von drei Werderaner Baumblütenköniginnen röhrt er sein "Was wollen wir jubeln?!" über die Gitarrenriffs, während sich seine Kollegen bemühen, starke Posen hinzulegen. Wenn Markus Lanz und Florian Silbereisen mal ein Rock-Duo gründen, dann werden sie sich bei "Reservebank" den ein oder anderen Rat holen müssen. Das hier ist der Song für den deutschtümelnden Studenten, der sich nach dem 14. Semester Sozialwissenschaften etwas zu klug und kultig für den Ballermann findet. Hit-Faktor: 4 von 10 Pulswärmern.

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