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doxxing gegen rechts

Neonazis haben schreckliche Angst, geoutet zu werden

Es ist schwer, Job und Freunde zu behalten, wenn alle wissen, dass du die ethnische Säuberung befürwortest.
Foto: imago | ZUMA Press

Als einer der Polohemd und Tiki-Fackeln tragenden Rechtsextremen aus Charlottesville seinen Job in einem Hot-Dog-Restaurant verlor, konnte man linke Gruppen auf Twitter fast schon kollektiv aufatmen hören. Vielleicht war das soziale Gefüge der Vereinigten Staaten doch nicht vollkommen außer Kontrolle geraten. Vielleicht hatte es auch in Trumps Amerika noch Folgen, sich offen als Neonazi zu erkennen zu geben. Auch wenn der Präsident selbst die Schuld an der Gewalt in Charlottesville auf "vielen Seiten" sieht.

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Doxxing nennt man das Publikmachen von persönlichen und sensiblen Informationen einer Person im Netz durch Dritte – meist gegen deren Willen. Dass diese Social-Media-Selbstjustiz auch nach hinten losgehen kann, musste Kyle Quinn am eigenen Leib erfahren. Der Ingenieur wurde fälschlicherweise als einer der rechtsradikalen Demonstranten identifiziert und bekam im Anschluss Tausende hasserfüllte Nachrichten von Fremden.

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Andere wiederum wurden korrekt identifiziert und zum Teil öffentlich von Freunden und Angehörigen verstoßen. Selbst Jon Ronson, der ein Buch über die negativen Folgen öffentlicher Bloßstellung geschrieben hat, findet "naming and shaming" in diesem Fall gerechtfertigt. "[Die Rechtsextremen von Charlottesville] waren unvermummt Teil einer riesigen, kontroversen Kundgebung, die von Medien geradezu umgeben war", schrieb Ronson auf Twitter. Für ihn sei es wichtig, einen Unterschied zwischen "White-Power-Aktivisten [oder] Rechtsextremen" und Leuten zu machen, die geschmacklose Witze twittern. Damit bezog er sich auf die PR-Managerin Justine Sacco, die ihren Job verlor, nachdem sie auf Twitter darüber gewitzelt hatte, dass weiße Menschen kein AIDS bekommen könnten.

Online können Neonazis Pseudonyme, VPNs und andere technische Hilfsmittel verwenden, um sich vor Doxxing zu schützen. Doch wie die Organisatoren der Charlottesville-Kundgebung selbst sagten, hatten die Teilnehmer im Vorfeld keinen Grund zur Annahme, dass ihre Gesichter im Anschluss nicht durchs Netz gehen würden. Schon im Vorfeld kam es zu Konflikten zwischen Teilen der Antifa und Vertretern der selbsternannten Alt-Right-Bewegung. Dass die Demonstration für jede Menge Medienrummel sorgen würde, war ebenfalls abzusehen.

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"Sie entfernen alle charakteristischen Merkmale aus Fotos, bevor sie sie posten, und geben nur selten Persönliches preis."

Laut Keegan Hankes, einem Analyst der NGO Southern Poverty Law Center, seien sie davor sogar explizit gewarnt worden. "Der Unterschied zwischen Charlottesville und anderen öffentlichen Veranstaltungen ist, dass die Organisatoren von Charlottesville gesagt haben: 'Wenn ihr zu diesem Event kommt, müsst ihr damit rechnen, gedoxxt zu werden.'"

Rechtsextreme Gruppen wie die League of the South warnten ihre Mitglieder, sie müssten auf gewalttätige Konfrontationen mit Antifaschisten und Black Lives Matter-Demonstranten gefasst sein. In einem inzwischen gelöschten Facebook-Post schrieb die Organisation außerdem, die Kundgebung würde "bestätigen, dass Südstaatler und weiße Menschen das Recht haben, sich ohne Repressalien für die Wahrung ihrer Interessen zu organisieren, genau wie jede andere Gruppe das darf".

Meist seien Rechtsextreme "unglaublich gründlich" wenn es um die Wahrung ihrer Anonymität gehe, sagt Hankes. "Sie entfernen alle charakteristischen Merkmale aus Fotos, bevor sie sie posten, und geben nur selten Persönliches preis." Und das aus gutem Grund: "Wer als Mitglied einer dieser Gruppen bekannt wird, zahlt einen sehr hohen Preis. Für viele Arbeitgeber kommen solche Menschen als Angestellte nicht infrage."


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Seit der Kundgebung von Charlottesville und der Identifikation als Neonazis haben sich viele Rechte – häufig sich selbst bemitleidend – darüber geäußert, welche Gefahr der sie potenziell doxxende Social-Media-Mob für sie darstellt. In einem Foren-Thread auf der Neonazi-Website The Daily Stormer klagt der Nutzer Ignatz: "Die Vorstellung, als Rechtsextremisten geoutet zu werden und vielleicht sogar unsere Jobs zu verlieren, macht mir Angst." Seine weiße Familie ernähren zu können, sei ihm schlussendlich immer wichtiger, als auf entsprechende Kundgebungen zu gehen.

Ihre Klagelieder werden viele Rechte nun woanders teilen müssen, denn The Daily Stormer ist vor Kurzem offline gegangen. Google und GoDaddy hatten sich geweigert, die Domain zu hosten. Wie Motherboard berichtet, hat die Seite sich nun ins Dark Web verlagert.

Das Outen von Neonazis ist nicht nur die Rechten selbst gefährlich – auch die Menschen, die das Doxxing durchführen, müssen mit Beschimpfungen und Drohungen rechnen. Logan Smith führt den antirassistischen Twitter-Account Yes You're Racist und war maßgeblich an der Identifikation rechtsextremer Demo-Teilnehmer von Charlottesville beteiligt. Dabei teilte er allerdings auch Fotos, die von anderen Nutzern falsch identifiziert wurden.

Er selbst habe deswegen schon Morddrohungen erhalten, erzählte er dem News and Observer. Auch seine Familie sei bedroht worden. "Die Reaktionen sind zwar zu 99 Prozent positiv, aber es gibt immer eine extrem kleine und dafür extrem laute und wütende Minderheit, die zurückschlägt."

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"Die Wahrheit ist: Sie haben schreckliche Angst."

Neonazis werden übrigens nicht nur von den ihnen so verhassten Liberalen gedoxxt – manchmal outen sie sich auch gegenseitig. Hankes überrascht das nicht, schließlich handle es sich bei den Vertretern der Alt-Right-Bewegung um eine widersprüchliche, grundlegend bösartige Gruppe, die sich ständig in den Haaren liege. "In Charlottesville gab es wenige interne Streitereien und die Koordination war erfolgreich", erklärt er. "Das war also eine Ausnahme."

Wenn hochrangige Neonazis gedoxxt werden, kann das Folgen für die gesamte Bewegung haben. Insbesondere dann, wenn sich die öffentlich zelebrierte Ideologie der jeweiligen Person nicht mit ihrem Privatleben vereinbaren lässt. Wie bei Mike Pienovich: Er führt die Alt-Right-Website The Right Stuff und den Podcast The Daily Shoah. ("Shoah" ist das hebräische Wort für den Genozid an Juden im Zweiten Weltkrieg.) Als der Antisemit im Januar von Unbekannten auf 8chan gedoxxt wurde, stellte sich heraus, dass er mit einer Jüdin verheiratet war. Inzwischen hat das Paar sich getrennt. Der Vorfall scheint ihn allerdings nicht aus seinem radikalen Umfeld entfernt zu haben: Vor der Kundgebung in Charlottesville rief er seine Zuhörer auf, bewaffnet zu erscheinen.

Doxxing kann ein wichtiges Mittel sein, um den rechten Massen im Netz ihre Anonymität zu nehmen. Es gibt allerdings auch Neonazis, die sich nicht hinter Pseudonymen verstecken.

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Einer von ihnen ist Richard Spencer, einer der wichtigsten Mitgründer der Alt-Right-Bewegung. "Es wird immer solche geben, die unter ihrem Klarnamen veröffentlichen, und unter den Rechten wird ständig gestritten, ob sich nicht alle öffentlich zu der Bewegung bekennen sollten", sagt Hankes. Ein Punkt, gegen den sich viele aus gutem Grund sträuben: "Es erschwert die Jobsuche, es erschwert den Lebensunterhalt und es erschwert das Führen eines normalen Soziallebens, wenn alle deine Freunde und Familie wissen, dass du die ethnische Säuberung befürwortest."

Laut Hankes sind die Medienberichte über den Aufstieg der Alt-Right-Bewegung ein wenig irreführend. Es entstehe der Eindruck, dass ihre Vertreter sich sehr offen und selbstbewusst dazu bekennen, obwohl das Gegenteil der Fall sei. "Wenn sie in Artikeln schreiben: 'Wir können jetzt an die Öffentlichkeit gehen und müssen uns nicht länger verstecken', dann ist das nur Imponiergehabe. Sie versuchen ihre Anhänger zu animieren, mehr Leute in die Bewegung zu bringen, die sich ansonsten fernhalten würden, weil sie sich vor den Konsequenzen fürchten", sagt Hankes.

"Die Wahrheit ist: Sie haben schreckliche Angst."

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