Während der Corona-Ausgangssperre in Spanien war Prostitution verboten, viele Frauen konnten trotzdem nicht aufhören zu arbeiten, das Risiko für sie ist hoch
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So funktioniert Sexarbeit trotz Corona

"Soll ich ihnen Blowjobs mit Kondomen geben? Die würden nie wieder herkommen."

In Spanien arbeiten schätzungsweise 100.000 Frauen als Sexarbeiterinnen. Über vier Milliarden Euro Umsatz generiert der Sektor im Jahr. Wie viele andere Länder toleriert Spanien Sexarbeit, aber hat sie nicht legalisiert. Das bringt Sexarbeitende in eine rechtliche Zwickmühle: Sie können Steuern zahlen, haben aber nicht die Rechte von Angestellten.

Als diesen März eine strenge Ausgangssperre über Spanien verhängt wurde, wurde auch Sexarbeit verboten. Man kann sich kaum vorzustellen, dass ein derartig großes Berufsfeld einfach stillgelegt wird, ohne irgendeine Unterstützung vom Staat zu bekommen. Nachdem Sexarbeitende am Anfang der Pandemie total hängengelassen worden waren, gab die spanische Regierung am 21. April Notfallhilfen für Frauen bekannt, die zur Sexarbeit gezwungen werden. "Heute haben wir unseren Schutz von Opfern geschlechtsbasierter Gewalt auf Frauen ausgeweitet, die Opfer von Menschenhandel, sexueller Ausbeutung und Prostitution sind", schrieb Gleichstellungsministerin Irene Montero auf Twitter.

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Um als Empfängerin infrage zu kommen, müssen die Frauen vor Sozialeinrichtungen beweisen, dass sie Opfer von Ausbeutung sind oder als solche von der Polizei identifiziert werden. Viele dürfte die Hilfe aber gar nicht erst erreichen. Sie haben nicht die Möglichkeiten oder bekommen das Angebot gar nicht erst mit.

Als Spanien Ende Mai begann, die Ausgangssperre zu lockern, habe ich drei Sexarbeiterinnen in Madrid gefragt, wie sie über die Runden kommen. Keine von ihnen hatte die Coronahilfe beantragt.


VICE-Video: Spanien, der Sex-Supermarkt


Christina, 27, arbeitet trotz Lockdown jeden Tag

Cristina ist 27 und stammt ursprünglich aus Uruguay. Sie lebt seit vier Jahren in Spanien, seit zwei arbeitet sie als Escort. "Eine Verwandte von mir hat mir einen Job als Kellnerin besorgt, also bin ich von Montevideo nach Spanien gezogen", sagt sie am Telefon. "Als ich keinen Job mehr hatte und auch kein Studium oder Ausbildung vorzuweisen hatte, habe ich keinen anderen Ausweg gefunden."

Cristina hat jeden einzelnen Tag seit Beginn der Ausgangssperre im März gearbeitet. Durch die Lockerungen hat sich also nicht viel für sie geändert. Sie arbeitet in einer "Sexkooperative", wie sie es nennt, im Nobelviertel Salamanca. "Ich nehme 80 Euro die Stunde", sagt sie. Die Hälfte davon ginge an das Haus. "Als der Lockdown begann, kamen einige Kunden nicht mehr, aber das hielt nicht lange an", sagt Cristina.

Da ihre meisten Kunden wohlhabend sind und in der Gegend wohnen, vermutet sie, dass die sie die Strafen nicht großartig störten, auch wenn sie zwischen 600 und 10.400 Euro betragen konnten. Seit die Lockerungen in Kraft getreten sind, hat Cristina sogar mehr Freier als vor Corona. "Ich schätze, junge Typen treffen sich jetzt wieder mit ihren Kumpels auf ein paar Bier und landen am Ende bei Sexarbeiterinnen. Das ist in Spanien sehr beliebt." Die Durchsetzung von Hygieneregeln sei im Bordell allerdings nicht leicht. "Du kannst nicht am Eingang die Temperatur der Leute messen. Die kommen dann doch nie wieder."

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Normalerweise macht Cristina aus Sicherheitsgründen keine Hausbesuche, aber während des Lockdowns machte sie bei einem wohlhabenden und wichtigen Kunden eine Ausnahme. "Der war so wichtig, dass meine Chefs mir sagten, dass ich den Job annehmen soll. Sie würden auch die Strafe zahlen", sagt sie.

"Weil sie so zugekokst sind, kriegen sie ihn auch nicht mehr wirklich hoch."

Charo* stammt wie Cristina aus Südamerika. Die 32-jährige Kolumbianerin lebt seit zehn Jahren in Spanien. Wie lange sie als Sexarbeiterin arbeitet, möchte sie nicht sagen. Im Gegensatz zu Cristina arbeitet Charo nicht als Luxus-Escort und hatte im Lockdown auch deutlich weniger zu tun. Sie nimmt 40 Euro die Stunde und arbeitet in einem weniger hochpreisigen Bordell zwischen den In-Vierteln Chamberi und Malasaña inmitten von zahllosen Tapas-Bars. "Der Lockdown hat mich ruiniert", sagt Charo. "Wo ich arbeite, kommen eigentlich morgens betrunkene Typen auf dem Heimweg von Bars und Partys vorbei, aber natürlich gibt es das momentan nicht."

"Normalerweise gehen meine Jungs", wie sie ihre Kunden liebevoll nennt, "mit der Intention aus, jemanden abzuschleppen, sind aber erfolglos. Die armen Dinger haben dann Unmengen Alkohol und Koks intus und kommen dann hier mit ihren Kreditkarten an. Weil sie so zugekokst sind, kriegen sie ihn auch nicht mehr wirklich hoch. Viele von ihnen können noch nicht mal mehr vögeln."

Charo sagt, dass sie die Ausgangssperre im Bordell verbracht habe und noch immer inständig auf Kunden warte. "Ich habe nicht mehr gearbeitet, seit die Leute nicht mehr auf Partys können. Als du mich eben angerufen hast, hatte ich mich sogar kurz gefreut, weil ich dachte, dass es ein Kunde sein könnte", sagt sie.

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Charo macht sich allerdings auch Sorgen um ihre Sicherheit, sollten die Freier wieder zu ihr zurückkommen. "Aber was soll ich machen?", sagt sie. "Soll ich sie darum beten, Handschuhe zu tragen, wenn sie meine Titten oder meinen Arsch anfassen? Soll ich ihnen Blowjobs mit Kondomen geben? Die würden nie wieder herkommen. Und mein Boss würde mir auch sagen, dass ich wegbleiben kann."

Mit ihrer Arbeit bezahle sie die Leukämiebehandlung ihrer Mutter in Kolumbien, sagt Charo. Deswegen habe sie keine große Wahl. "Meine Mutter hat jetzt seit einigen Monaten kein Geld erhalten und musste ihre Behandlung aussetzen. Wenn ich nicht will, dass sie stirbt, muss ich mir von meinen Freiern Scheiße gefallen lassen."

Im Kreis der Luxus-Escorts befindet sich Eva ziemlich weit am oberen Ende und führt im Gegensatz zu anderen Sexarbeitenden ein recht privilegiertes Dasein. Die 35-jährige Spanierin aus Cordoba nimmt 700 Euro pro Stunde. "Die restliche Zeit male ich oder mache Skulpturen", sagt sie.

Ein Kunde bot Eva an, mit ihr auf eine Berghütte zu ziehen

Eva bezeichnet sich selbst als Hypochonderin. Dementsprechend hörte sie auf zu arbeiten, noch bevor die Regierung den Notstand ausgerufen hatte. "Zum Glück habe ich viel Geld gespart und kann es mir leisten, ein paar Monate ohne Arbeit auszukommen", sagt sie.

Sie ist als Selbstständige gemeldet, ihre Rechnungen schreibt sie als unabhängige Beraterin. Sie zahle den höchsten Einkommensteuersatz, sagt Eva. "Ich gebe jeden einzelnen verdienten Euro an. Solange du zahlst, ist es dem Finanzamt egal, wie genau du die Leute berätst." Eva lacht. Ihre Arbeitspause sollte allerdings nicht lange dauern. Im April bekam Eva ein Angebot, das sie nicht ablehnen konnte. "Einer meiner Stammkunden rief mich an, ein wichtiger Geschäftsmann aus Madrid. Er wollte, dass ich mit ihm in seine Berghütte ziehe – für 10.000 Euro im Monat, auf die Hand. Er würde mir das Geld jeden Monat im Voraus geben, in einem Koffer."

Er verlange dafür nicht mehr, als ihm Gesellschaft zu leisten und Sex, wenn sie selbst Lust habe. Sie dürfe auch ihre Kunstutensilien mitbringen und den Tag über tun, was sie wolle. Nach anfänglichem Zögern nahm Eva das Angebot an. Seit Anfang April ist sie in der Berghütte. Wie sich herausstellte, telefoniert sie mit mir von seiner Terrasse. "Zehntausend Euro im Monat, um in einem Chalet zu leben", sagt sie. "Was hättest du denn gemacht?"

*Name geändert.

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