FYI.

This story is over 5 years old.

Bis so guet

Warum wir die WM verlieren müssen

Deine Mordfantasien kriegen ihre Berechtigung—in zwei Wochen beginnt die Fussball-WM.

Foto von Gabriel Cabral | Flickr | CC by 2.0

Ich muss mich entschuldigen. Ich habe dem Schweizer Armee-Chef Blattmann Unrecht getan. Notvorräte solle man für den nahenden Untergang anlegen, sagte er. „Idiot", dachte ich mir. Doch er hatte Recht. Das Ende ist näher als erwartet. In genau 14 Tagen ist es soweit: Der WM-Horror geht los.

Die ersten Vorboten warnen uns bereits seit Wochen. Alle mehr oder weniger talentierten Charts-Ärsche, die an ihrem Stück vom Kuchen noch nicht fett genug geworden sind, schmeissen ihre WM-Songs in die Untiefen des Internets. Dort sollte die Scha-La-La-Scheisse besser auch bleiben und mit dem letzten verbliebenen Fünkchen Würde sterben. Wird sie aber nicht.

Anzeige

Die Gute Laune-Päpste der Public Viewings und TV-Sender nehmen sich die Lehren des letzten Marketingseminars zu Herzen und quälen uns mit Dreckshymnen, die jeder Classic Rock-Sender mit Handkuss auf Heavy Rotation nimmt. Wenn es dabei bleiben würde, wäre das noch erträglich. Die Radio-Scheisse müssen wir sowieso schon Tag für Tag in Migros und Coop ertragen. Aber die Songs entfalten ihr wahres Folterpotenzial, wenn sie von den Public Viewing-Massen mitgegrölt werden.

Foto von Dancker | Flickr | CC by 2.0

Sie grölen sich gemeinsam für die Schweizer Ehre in Brasilien das Gehirn aus dem Kopf. Alle Grenzen und Konflikte des helvetischen Lebens werden vergessen—der Rösti-Graben, das ganze Populismusgeplänkel, die bösen Migranten. Die Schweiz wird zur geeinten Nation. Sogar die Ausländer und Ex-Ausländer gehören für einmal zum Wir. Sie sind es schliesslich, die uns zum Sieg kicken sollen, die Shaqiris und Drmics. Was die Politik seit Jahren versuchen sollte, schaffen elf überbezahlte Frisuren-Heinis, die wie Halbbescheuerte auf ein Stück Adidas-Kunstleder eintreten.

Dank ihnen verdrängt die Schweiz für vier Wochen gekonnt ihren rationalisierten Alltag. Sie presst den Zurückhaltungs-Button auf Pause und rastet komplett aus—es wird umarmt, geweint, geboxt. Das gepflegt genippte Cüpli wird abgelöst von auf Ex gesoffenen Heineken-Dosen. Beim nächtlichen Auto-Korso wird hupend der sonst so tief verankerte Anstand begraben. Damit der Schein dieser Ausnahmesituation gewahrt werden kann, schliessen alle brav die Augen vor einem nicht gerade unwichtigen Aspekt ihres Lebens: Wer vor seinem Alltag flüchten muss, muss grundsätzlich einen ziemlich beschissenen Alltag haben.

Anzeige

Foto von Erlan | Flickr | CC by 2.0

Aber ich will die WM nicht komplett verteufeln. Mindestens einen schönen Moment wird sie schon hervorbringen. Das wird allerdings nicht der, wenn der Gripen-Ueli zu einem Siegesjauchzer ansetzt und sich alle in den Armen liegen, weil „wir" es geschafft haben.

Der einzige schöne Moment wird der, wenn die Freudenscharen den verdienten Faustschlag in ihre aufgesetzte Fratze des kollektiven Nationalbewusstseins kassieren und ihre rot-weiss geschminkten Gesichter unter tausenden Trauertränen zu einem rosaroten Irgendwas verschwimmen.

Dann kann ich wieder ohne mich plagende Mordfantasien durch Zürich ziehen. Dann darf ich den Armee-Chef wieder ohne schlechtes Gewissen als Idioten bezeichnen. Dann ist die Schweiz wieder, was sie immer war: Ein von First-World-Problems gequälter, blitzblanker Haufen Langeweile.

Die Langeweile totmachen können wir selbstverrständlich die ganze Woche über:

Heute stürzen ab. Zuerst gehen wir ans Bildrausch-Festival, machen einen kleinen Umweg durchs Foyer, trinken ein Bier am Launch vom Abstract, einen Gin am Launch vom ASH, kippen eine Flasche Rotwein mit Throes and The Shine in der Turnhalle, exen drei Wodka am Payday im Bonsoir, rauchen ein paar Kippen bei Planningtorok in der Grabenhalle und knallen uns ab im Imaginarium in der Rampe.

Morgen gehts gleich weiter. Wir rennen ans Bad Bonn, flüchten mit Solander ins KIFF und verstecken uns mit [Lea Lu in der Schüür](http:// http://www.schuur.ch).

Anzeige

Am Freitag geben wirs uns härter, schneller, kaputter. Wir starten mit der Diplomausstellung der ZHdK, inklusive Afterparty mit Handsome Magazine Release in der Heilen Welt. Dann ab in die [Tankstell](http:// http://tankstell.ch) zu Klangforschern und Tonzeichnern. Weiter in den Schwarzen Engel. The Strapones, Punk, Punkt. Wir magnetisieren uns im Hive, ziehen uns sieben Stunden Sound durchs Hirn in der Zukki und am Ende machen wir noch einen Schlenker ins Südpol ans Festival für zeitgenössische Musik; Wege der Wahrnehmung.

Diesen Samstag ist uns furzegal was ihr so tut und lasst. Oder wie es Hunter S. Thompson einmal so schön ausgedrückt hat: „Rauch ein Bisschen Gras, drück ein Bisschen H, scheisse, tue, was du tun musst, aber lass mich für 'ne Weile zufrieden."

Sonntags habt ihr die Wahl: Entweder die harte, avantgarde transmusikalische Klangsause mit Ensemble Phoenix Basel im SUD oder supersoft [Young The Giant im Exil](http:// http://www.exil.cl/#/programm/20140601/2).

Dienstags wagen wir einen Blick auf die Rückseite der WM. Blatters Brasilien im Palace. Und sonst spielt der Strassenmusiker Frank Powers im Henrici.

Am Mittwoch weinen wir, weil die Woche noch nicht vorbei ist. Anschliessend trösten wir uns im Salzhaus mit The Fratellis.