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Menschen

Wie man eine Beziehung mit jemandem führt, der missbraucht wurde

Für Opfer von sexueller Gewalt können selbst die zärtlichsten Berührungen negative Erinnerungen wachrufen. Wir haben eine Expertin gefragt, was man tun kann, um seinen Partner nach einer solchen Erfahrung zu unterstützen.
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Foto: IMAGO / Westend61

Jeder von uns hat sein Päckchen zu tragen. Doch das Bündel derer, die infolge sexueller Gewalt an einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden, lässt sich nur schwer mit den normalen Scherbenhaufen vergleichen, vor denen jeder von uns schon mal gestanden hat. Was mir geholfen hat, war medizinisches Marihuana und ein Partner, der bereit ist, mich zu lecken, während ich mir Planet Erde ansehe, Baldriantee schlürfe und im Hintergrund der beruhigenden Stimme von Claus Wilcke lausche. Laut einer Umfrage der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte hat jede dritte Frau in Europa seit ihrem 15. Lebensjahr körperliche und/oder sexuelle Gewalt erfahren. Allein in Deutschland ist laut Schätzungen von Terre des Femmes jede siebte Frau von sexueller Gewalt betroffen. Es handelt sich dabei also keinesfalls um irgendein marginales Problem—im Gegenteil!

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„Nachdem die statistischen Zahlen so hoch sind, ist die Wahrscheinlichkeit, dass man selbst mit jemandem zusammen ist, der bereits Opfer sexueller Gewalt wurde, sehr groß", sagt die Psychologin Dr. Barbara Greenberg. „Wenn man mit jemandem zusammen ist oder mit jemandem schläft, begibt man sich mit demjenigen auf dieselbe Ebene, auf der der Missbrauch stattgefunden hat. Das macht die Situation äußerst schwierig." Zwar ist jede Beziehung, jeder Mensch und jeder Heilungsprozess anders, aber es gibt gewisse grundlegende Dinge, die man tun kann, wenn man mit jemandem zusammen ist, der bereits sexuelle Gewalt erlebt hat.

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Allem voran musst du ihnen glauben. „Wenn sie dir ihre Geschichte erzählen, glaub ihnen", sagt Dr. Greenberg. „Die Wahrscheinlichkeit, dass sich jemand so eine Geschichte ausdenkt, ist sehr, sehr gering. Hör zu, glaub ihnen und hab nicht das Gefühl, du müsstest oder könntest die Dinge für sie in Ordnung bringen … Lass sie reden." In anderen Worten: Halt einen Augenblick lang den Mund, lass sie ihre Geschichte erzählen und gib ihnen die Zeit, die sie brauchen. „Wenn man jemanden liebt—oder selbst wenn man den anderen nicht liebt und nur versucht, eine positive sexuelle Erfahrung mit ihnen zu haben—, dann solltest du ihnen die Möglichkeit geben, ihre Gedanken zu äußern. In ihrem eigenen Tempo und nur so detailliert, wie sie sich wohlfühlen", sagt Emily Lindin, die für das Programm The Unslut Project tätig ist und an dem Dokumentarfilm UnSlut mitgearbeitet hat, der sich mit dem Thema „sexual shaming" auseinandersetzt. Unter anderem zeigt der Film Interviews mit Familie und Freunden von Rehtaeh Parsons. Die 17-jährige Schülerin aus Kanada wurde gemobbt, nachdem Fotos von ihr aufgetaucht waren, die sie als Opfer einer mutmaßlichen Gruppenvergewaltigung zeigten. Sie erhängte sich.

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Wenn es angebracht ist, sich selbst zu Wort zu melden, ist es wichtig, die richtigen Fragen zu stellen. „Die richtigen Fragen sind nicht: ‚Was ist passiert? Wo wurdest du angefasst? Wo waren deine Eltern? Warst du betrunken?' Keine anklagenden oder wertenden Fragen. Frag nicht nach Details, frag nach Triggern", sagt Dr. Greenberg. Es ist wichtig, über Trigger zu sprechen, um zu verhindern, dass die geschädigte Person das Erlebte noch einmal durchmachen muss. Ein Trigger ist etwas, das einen an den Missbrauch erinnert und ein Flashback auslöst. Das kann alles sein: Man sieht jemanden in der U-Bahn, der ein ähnliches Tattoo hat wie der Täter; Man hört einzelne Wörter oder Sätze, die während dem Übergriff gefallen sind; oder man wird ungewollt auf die gleiche Art und Weise angefasst. Es ist für alle beschissen, wenn man während dem Sex mit aller Kraft versucht, nicht in einer Panikspirale zu versinken, weil dein Freund aus Versehen etwas getan hat, dass ein Flashback heraufbeschworen hat.

Hör zu, glaub ihnen und hab nicht das Gefühl, du müsstest oder könntest die Dinge für sie in Ordnung bringen.

Wenn man mit jemandem zusammen ist, der Opfer sexueller Gewalt geworden ist, muss man manchmal einfach nur geduldig sein. „Das ist ziemlich schwer, aber man muss wirklich daran arbeiten, gewisse Dinge nicht persönlich zu nehmen. Schließlich liegt es am Trauma und nicht an dir", sagt Dr. Greenberg. „Du musst Geduld haben. Du wirst mit der Zeit lernen, wie du dich in den anderen hinein fühlen kannst, Trigger vermeidest und Sex zu einer sicheren und liebevollen Erfahrung für beide machst. Und sei nachsichtig … Je mehr Vertrauen, der andere in dich hat, desto einfacher wird es."

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Einige Frauen (natürlich werden auch Männer und Transgender Opfer sexueller Gewalt) haben das Gefühl, dass sie mit bleibenden, alten Wunden zu kämpfen haben, die einfach nicht vergehen. Andere—so wie Kara*, die vergangenen Monat Opfer einer Vergewaltigung wurde—müssen gemeinsam mit ihrem Partner Trigger umschiffen, die komplett unverhofft aus der frischen, klaffenden Wunde vor einem auftauchen. „Es ist deprimierend, dass sie sich selbst die Schuld dafür gibt und denkt, dass sie vielleicht nicht genug getan hätte, um es zu verhindern", erzählt mir ihr Freund Jon*. „Ich muss ihr immer wieder Mut machen und ihr sagen, dass das nicht stimmt." Was Kara hilft, ist, dass Jon immer respektvoll bleibt, wenn sie über die Vergewaltigung sprechen und er sie immer wieder an die oberste Regel erinnert: Es war nicht deine Schuld. Punkt. „Er ist eine echte Stütze. Er bringt mich jedes Mal wieder zur Vernunft, wenn ich hier sitze, traurig werde und anfange, mir selbst die Schuld zu geben", sagt Kara.

„Als wir [Kara] in die Notaufnahme gebracht haben, war sie übersät mir blauen Flecken—handgroße blaue Flecken", sagt Jon. „Sie sagte: ‚Ich weiß nicht, vielleicht hab ich nicht genug getan … Ich kriege schnell blaue Flecken.' Ich meinte aber nur zu ihr: ‚Wir albern ständig im Bett rum.' Ich setze mich auf ihr Gesicht, um so zu tun, als würde ich sie anfurzen. Also meinte ich nur: ‚Du versuchst sonst immer alles, damit ich dich nicht anfurze, oder nicht?' Sie antwortete: ‚Ja, schon. Ich gebe mein Bestes.' Woraufhin ich meinte: ‚Genau, jedes Mal wenn wir ringen, wehrst du dich mit aller Kraft, aber du hast danach noch nie einen einzigen blauen Fleck am Körper gehabt. Du hast also ganz offensichtlich auch in diesem Kampf mit aller Kraft versucht zu verhindern, all diese blauen Flecken zu kriegen.'"

Obwohl Jon den Titel „Freund des Jahres" verdient hätte, ist ihm auch klar, dass Kara professionelle Hilfe braucht, um die Sache durchzustehen. „Er hat versucht, mich dazu zu bewegen, mir Hilfe zu suchen, was ich auch tun werden. ", sagt Kara. Um ihr Mut zu machen, sagt Jon, hat er sie „mit einem Kätzchen bestochen." „Das hat er. Er meinte, dass ich ein Kätzchen haben kann, aber auch ein Kätzchen kann keinen Therapeuten ersetzen und ich muss auch wirklich hingehen. Es ist noch ein ganz kleines Kätzchen. Ich denke aber, es wird mir helfen, wenn ich etwas habe, um das ich mich kümmern kann und in das ich Liebe und Energie stecken kann", sagt Kara.

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„Man sollte so bald wie möglich eine Therapie beginnen und einen Krisenberater konsultieren. Je eher man mit einem Krisenberater spricht, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass man an einer posttraumatischen Belastungsstörung erkrankt. Bei Traumaopfern wurde festgestellt, dass der Ausgang umso positiver ist, je schneller sie Hilfe bekommen", erklärt Dr. Greenberg. Damit leben zu lernen, dass man sexuell missbraucht wurde, ist dennoch ein lebenslanger Prozess—auch mit viel Geduld, Respekt und Zeit. Wer sexuelle Gewalt erlebt hat, schleppt diese Erfahrung ein Leben lang mit sich herum. Trotzdem bist du aber immer noch du selbst. Du willst noch immer Kräutertee trinken, während dich dein Freund leckt und du wirst auch noch immer die stinkenden Fürze deines Freunds riechen müssen. Das Leben geht weiter.

„Man sollte akzeptieren, dass es ein wichtiger Teil ihrer Geschichte ist und sollte sie wissen lassen, dass man bereit ist zuzuhören, sobald sie bereit sind zu sprechen. Außerdem sollte man immer wieder deutlich machen, dass man sie respektiert", sagt Lindin. „Ich denke, es ist wichtig, sich immer wieder vor Augen zu halten, dass sie nicht aufhören, erwachsene Menschen zu sein, nur weil sie Opfer eines sexuellen Übergriffs wurden."