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Film

Dieser Film ist eine bitterböse Satire auf die moderne Hexenjagd

Rungano Nyonis Debütfilm 'I Am Not A Witch' sorgte bereits in Cannes für Aufsehen. Die Regisseurin erklärt, wie sie sich mit bissigem Humor einem ernsten Thema näherte.
Foto: mit freundlicher Genehmigung von Curzon Artificial Eye

Zur Vorbereitung auf ihr Regiedebüt verbrachte die walisisch-sambische Filmemacherin Rungano Nyoni einen Monat in einem 200 Jahre alten Hexendorf in Ghana. Dort leben Frauen, denen Hexerei vorgeworfen und die deshalb von ihren Gemeinschaften ausgeschlossen wurden. Von dem, was Nyoni dort vorfand, war sie überrascht – mit übernatürlichen Kräften hatte das aber wenig zu tun.

"Es war großartig, wie sich diese ganzen Frauen gegenseitig geholfen haben. Dort herrschte große Solidarität – egal, ob sie muslimisch, christlich oder von einem anderen Stamm waren", erinnert sie sich.

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Aber nicht alles war rosig. In dem Dorf gab es Aufseher, die verschiedene Strategien anwendeten, um den Gehorsam der Frauen zu gewährleisten. "Manchmal sperren sie die Frauen ein und malen mit Kreide eine Grenze um sie. Dann sagen sie: 'Wenn du diesen Punkt überschreitest, stirbst du'", berichtet Nyoni. "Andere Male geben sie ihnen ein Gebräu mit einer Warnung zu trinken: Wenn ihr bestimmten Regeln nicht gehorcht – in der Regel geht es um Sklavenarbeit –, sterbt ihr."

Die Hexendörfer im Norden Ghanas – teils Gefängnis, teils Touristenattraktion, teils Gemeinschaft für gefährdete Frauen – waren das geistige Fundament für I Am Not A Witch, Nynois satirische Darstellung eines solchen fiktionalen Dorfs in Sambia.

Der Film erzählt die Geschichte von Shula (gespielt von Maggie Mulubwa in ihrem Leinwanddebüt). Sie ist eine 12-jährige Waise, die von ihrem abgelegenen Dorf in Sambia verbannt wird, nachdem die Nachbarn sie der Hexerei beschuldigt haben. Sie wird in ein Hexencamp geschickt, wo sie in einer Gemeinschaft von Ausgestoßenen lebt. Unter ihren Mit-Hexen findet sie schließlich eine unorthodoxe Ersatzfamilie.


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Shula ist, wie die anderen Hexen auch, physisch durch ein langes, weißes Band an ihren "Fänger" gebunden – den Camp-Aufseher Mr. Banda (Henry BJ Phiri). Auf seinen Befehl hin kann das an ihrem Kleid befestigte Band eng um ihren Körper gewickelt werden, um ihre Bewegungsfreiheit einzuschränken. Zerschneidet sie das Band, wird sich Shula angeblich in eine Ziege verwandeln.

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"Die weißen Bänder repräsentieren die Einschränkungen, die die Hexen im echten Leben ertragen müssen", erklärt Nyoni. "Ich wollte etwas, das diese Idee verkörpert."

Der Film folgt Shula, die in klapprigen Minivans und schicken Geländewagen von Mr. Banda – einer Mischung aus Mentor und spirituellem Zuhälter – durch Sambia gefahren wird. Sie soll in einer Gruppe Verdächtigen den Dieb erkennen, langersehnten Regen bringen und tritt sogar im Fernsehen auf, wo sie Werbung für Bandas von Hexen gesegnete Eier macht.

Shula bleibt fast den ganzen Film über stumm. Von den Nachbarn wird sie gemieden, aus der Schule gewaltsam gezerrt und von Banda ausgebeutet. In einer Schlüsselszene des Films fragt sich Shula, ob es nicht besser gewesen wäre, das Band zu zerschneiden und eine Ziege zu werden.

Aber trotz allem schafft sie es, sich in einer zunehmend verzweifelten Lage ihre Autonomie zu erkämpfen. Immer wieder gibt es von ihr kleine aber wirkungsvolle Akte der Rebellion. Ich frage Nyoni, warum gerade solche Augenblicke für den Film wichtig waren. "Ich habe vielen Leuten mein Skript gezeigt und alle sagten mir, dass Shula aufmüpfiger sein muss", erklärt sie. "Ich fragte mich, 'Was soll das heißen? Warum aufmüpfiger?'"

Nyoni erklärt weiter, dass Shula ein Waisenmädchen in einem abgelegenen Dorf ist. "Sie wird keine Stimme haben", sagt sie. "Sie ist nicht zu dem Bewusstsein erzogen worden, dass sie selbst handlungsfähig ist und 'Nein' zu Dingen sagen kann. Ich wollte sie zu einer realistischen Heldin machen. Sie ist allein und versucht herauszufinden, wie die Welt funktioniert. Ihre kleinen Handlungen sind sehr mutig und stark."

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Auch wenn I Am Not A Witch ein Film über Ausbeutung und Missbrauch ist, ist er auch eine Satire. Einen nicht unerheblichen Teil des Humors hat der Film dem Schauspieler Phiri zu verdanken, einem sambischen Komiker, der Mr. Banda spielt. Gleichermaßen unterwürfig, armselig und bedauernswert bringt Phiri eine körperliche Komik in seine Rolle, die dem Film eine wichtige Leichtigkeit verleiht – gerade angesichts der düsteren Geschichte.

"Eine meiner größten Inspirationen war Dr. Seltsam von Stanley Kubrick", sagt Nyoni, als ich sie frage, warum sie I Am Not A Witch als Satire geschrieben hat. "Es ist ein sehr wütender Film. Da ist es besser, man reißt das Publikum mit, anstatt es ständig mit dem Kopf drauf zu stoßen, wie sauer es doch sein soll."

Shula soll an der Seite von Mr. Banda einen Kriminellen aus der Menge ziehen | Foto: mit freundlicher Genehmigung von Curzon Artificial Eye

Auch das Phänomen westlicher Touristen, die grinsend neben barfüßigen Kindern aus Entwicklungsländern für Selfies posieren, wird in dem Film aufgegriffen. "Die Frauen in diesen Hexendörfern werden für alle zu Objekten", sagt Nyoni. Sie wollte zeigen, wie wir selbst Komplizen solcher Regeln werden können, die Menschen unterdrücken: indem wir die Regeln ungestört bestehen lassen. Das, was Shula durchmacht – Vorenthalt von Bildung, Ausschluss aus der Gemeinschaft und Zwangsarbeit – ist allgegenwärtig. Es gibt viele Shulas auf der Welt und nicht alle sind Hexen. "Es ist ein Film über Ausbeutung und Unterdrückung", sagt Nyoni.

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Aber I Am Not A Witch ist auch nicht perfekt. Manchmal fühlt sich der Film übertrieben stilisiert an: Einige Einstellungen ziehen sich zu lang und anderen mangelt es an einer narrativen Erklärung. Das macht es vor allem gegen Ende schwer, dem Film zu folgen. Aber für ein Regiedebüt hat Nyoni hier Bemerkenswertes geschaffen – auch wenn es ihr selbst schwer fällt, sich auf dem Erfolg auszuruhen.

"Ich schätze mich sehr, sehr glücklich", sagt sie. "Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass ich eine Schwarze Frau bin, aber ich bin pausenlos paranoid, dass das meine letzte Gelegenheit war, einen Film zu machen. Wenn du in Cannes bist, sagen dir alle, dass du es einfach genießen sollst, aber ich denke mir nur ständig: 'Was mache ich als Nächstes? Ich muss mich auf mein nächstes Projekt konzentrieren.'"

Sie lacht. "Gerade bleibt mir aber wohl nichts anderes übrig, als es zu genießen."

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