Kinder Drag
Foto: Getty | Chelsea Guglielmino

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LGBTQ

Wie "Kinder Drag" das queere Nachtleben spaltet

Shows wie 'RuPaul's Drag Race' bringen junge Menschen wie den elfjährigen Leo mit der bunten Welt des Drag in Berührung. Das sieht nicht jeder gern.

Die erste Drag-Show besuchte Katastrophe mit zehn Jahren. Katastrophes Mutter nahm ihr Kind mit zu einem Brunch mit Drag-Performance in New York – und Katastrophe war sofort gefesselt: "Ich bin schon mit Jazzhands aus dem Mutterleib geflutscht!" Besonders die Perücken der selbstbewussten Drag Queens hatten es Katastrophe angetan. "Ich habe eine Angststörung namens Trichotillomanie. Ich reiße mir die Haare aus, wenn ich unter Stress stehe, darum trage ich Perücken", erklärt Katastrophe. "Also habe ich mich sofort mit der Drag-Szene verbunden gefühlt." Inzwischen ist Katastrophe 16 Jahre alt und bezeichnet sich selbst als "Baby Drag Queen".

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Katastrophe ist Teil einer neuen Bewegung, die als "Kinder Drag" bekannt ist: Während die Szene sonst von Erwachsenen dominiert ist, nutzen hier junge Menschen Drag-Kunst als Form der kreativen Selbstdarstellung. Auch die beliebte US-amerikanischen Reality-Serie RuPaul's Drag Race trägt dazu bei, dass junge Drag Queens wie Lactatia und Desmond is Amazing ihre Leidenschaft für Drag entdecken.

"Drag ist die äußere Darstellung deines inneren Ichs", sagt der zehnjährige Desmond. "Ich sehe gerne schön aus. Aber es geht nicht nur darum, schön zu sein: Ich fühle mich künstlerisch, kreativ, einfach toll."

Leo ist eher durch Zufall auf RuPaul's Drag Race gestoßen. Er schaltete ein, weil er dachte, dass es um Autos geht. Dieser Irrtum klärte sich schnell auf, trotzdem war der Elfjährige sofort gefesselt. Leo lebt in Großbritannien, im Netz nutzt er den Namen Violet Vixen. "Ich fand es toll, dass diese Männer aus dem Raster ausbrechen und zeigen, dass es okay ist, zu sein, was du sein möchtest", sagt er. "Ich kann tragen, tun und sagen, was ich möchte”, stimmt Katastrophe zu. "Ich liebe es zu performen. Ich fühle mich so selbstbewusst."

Foto mit freundlicher Genehmigung von Katastrophe Jest

Die Szene selbst sieht diese Begeisterung aber kritisch. Schließlich ist die Ausdrucksform kein Wohlfühltrend, sondern hat ihre Wurzeln im queeren Nachtleben. "Wer in der Drag-Szene mitmachen darf, ist ein umstrittenes Thema", sagt Brandon Robinson, ein Postdoktorand am Department of Gender and Sexuality an der University of California. Als Beispiel nennt er die Kontroverse, die RuPaul mit seinem Kommentar auslöste, dass er wahrscheinlich keine Trans-Queens an seiner Show teilnehmen lassen würde. Auch wenn Kinder unvoreingenommen gegenüber Gender sein sollten, vertreten einige die Ansicht, dass die Drag-Community nicht der richtige Ort dafür ist. Zu eng sei sie mit der queeren Geschichte verknüpft, die Kinder noch nicht verstehen könnten.

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Robinson erklärt, dass Drag ein wichtiges Mittel war, um heteronormative Gesellschaftsstrukturen zu kritisieren; ein wichtiger Katalysator für die Bewegung, die heute als Gay Rights Movement bekannt ist. "Historisch gesehen haben viele Städte und Staaten in den USA Drags kriminalisiert", sagt Robinson. "Diese Kriminalisierung von Crossdressing war eine Rechtfertigung für die vielen Polizeirazzien in Schwulenbars und Nachtclubs."

Aufgrund ihrer politischen Geschichte sind Drag-Darstellungen oft subversiv und absichtlich schockierend. Dadurch entsteht eine Szene, die einige Menschen für Kinder ungeeignet halten. "Drag war in den letzten 40 Jahren vorrangig queeren Menschen in Räumen für queere Erwachsene vorbehalten", sagt Dracmorda von den Boulet Brothers gegenüber Broadly. "So konnten queere Performer Kunst, politische Ansichten, Gesellschaftskritik und tabuisierte Sexthemen durch unterhaltsame Darbietungen für Gleichgesinnte ausdrücken. Das war oft krass, anstößig, sexuell oder schockierend." Dass die Bewegung zum popkulturellen Trend geworden sei, habe eine neue Form von Drag geschaffen, die wesentlich familienfreundlicher sei, meint Swanthula von den Boulet Brothers.


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Robinson sieht den Hype um RuPaul's Drag Race kritisch. Obwohl er glaubt, dass das Mainstreaming von Drag zu mehr Akzeptanz und Gender-Diversität führen kann. “Wissen die Menschen, die Drag Race schauen, dass die Show viele Anspielungen auf die Black Queer Ball-Szene und Kultur macht?”, fragt er. “Was bedeutet es, wenn man zwar eine kulturelle Verschiebung erlebt, aber gar nicht weiß, welche Geschichte und welcher Kampf dahinter steckt?"

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Die Boulet Brothers hegen ähnliche Bedenken, auch wenn sie betonen, dass sie junge Drag Queens unterstützen. "Es fühlt sich an, als ob ein Teil deiner Kultur zweckentfremdet und an den Mainstream verkauft wird", erklärt Dracmorda.

Die Mutter von Desmond is Amazing, Wendy Napoles, findet diese Argumente zwar wichtig, meint aber, dass sie auch sehr limitierend sein können. "Drag ist eine Kunstform und Kunst ist ständig im Wandel", sagt sie. "Außerdem haben die meisten Drag Queens selbst jung angefangen, indem sie Mamas Klamotten angezogen oder mit Make-up experimentiert haben."

Foto mit freundlicher Genehmigung von Violet Vixen

Obwohl Kinder, die in der Drag-Szene aktiv sind, nicht zwangsläufig queer sind, fürchtet Robinson, dass sie verstärkt mit Intoleranz und Vorurteilen konfrontiert werden könnten. Auch Napoles kann das bestätigen. Immer wieder würde ihr Hass entgegengebracht, weil ihr Sohn eine bekanntes Drag-Persönlichkeit ist und seine Plattform nutzt, um sich für LGBTQ-Rechte einzusetzen. "Menschen werfen mir Kindesmissbrauch vor, nennen mich pädophil,sagen, dass ich ins Gefängnis oder in die Irrenanstalt gehöre, oder sie drohen mir Gewalt an", sagte sie. Entmutigen lässt sie sich davon trotzdem nicht.

Leos Hobby hat sowohl ihm als auch seiner Mutter dabei geholfen, Drag und die queere Community besser zu verstehen. "Jeder sollte sein dürfen und anziehen, was er will, ohne dafür verurteilt zu werden. Wir tun niemandem weh"; sagt Leo. "Ich bin als Violet Vixen sehr glücklich und darum sollte es doch gehen: Ich bin mit mir selbst glücklich und liebe mich."

Die Boulet Brothers glauben, dass diese Selbstakzeptanz nicht nur den Kindern selbst, sondern auch anderen helfen kann. "Ältere Generationen wissen, wie es ist, als queere Person nicht unterstützt oder akzeptiert zu werden”, sagen sie. Sollte die jünger werdende Drag-Community dabei helfen, das Leben für kommende queere Generationen einfacher zu machen, sei das für sie nur positiv.

"Drag macht mich glücklich", sagt Katastrophe abschließend. "Wenn dich das Glück eines anderen wütend macht, dann solltest du darüber nachdenken, was dein wahres Problem ist. Wenn es dir unangenehm ist, dass jemand sich frei ausdrückt, schenke ihnen einfach keine Aufmerksamkeit. Kümmere dich um dein eigenes Leben."

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