Menschen

Wie es ist, Sex im Gefängnis zu haben

"Ich glaube, man muss sich sehr lieben, damit das funktioniert."
Illustration mit zwei sich umarmenden Menschen, eine Beziehung aufrechtzuhalten, während ein Partner im Gefängnis sitzt, ist eine große Herausforderung
Illustration: Emel Aydin

Wie führt man eine Beziehung weiter, wenn ein Partner ins Gefängnis muss? Mit Briefen, Anrufen und Treffen in Besuchsräumen unter den Augen des Wachpersonals. Aber was ist mit körperlicher Nähe und Intimität?

Viele EU-Länder erlauben Häftlingen, ihre Langzeitpartnerinnen oder -partner ohne Aufsicht zu treffen. Dafür gibt es in Gefängnissen in Deutschland, Österreich und der Schweiz sogenannte Langzeitbesuchszimmer. Sie sind häufig eingerichtet wie ein Wohnzimmer mit Sofa, manchmal gibt es sogar eine Kochnische. Das soll nicht nur den Insassen gegen Ende ihrer Haft bei der Resozialisierung helfen, sondern ihnen auch ermöglichen, ihr Familienleben aufrechtzuerhalten. Außerdem dient es als Anreiz für gutes Benehmen. So ein Langzeitbesuch ist nämlich streng reglementiert und muss jedes Mal neu bewilligt werden.

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Auch in belgischen Gefängnissen sind solche Partnerbesuche erlaubt. Hier sitzt Florence seit über sieben Jahren in Haft. Zuerst in Mons, jetzt in Berkendael. Ihre neue Vollzugsanstalt erlaubt zwei Ehebesuche im Monat für jeweils bis zu vier Stunden. Sie und ihr Freund Daniel tun ihr Bestes, um die Beziehung aufrecht zu halten, die jetzt vom Gefängnissystem bestimmt wird. 

Florence und Daniel, die beide in Wahrheit anders heißen, berichten uns hier von ihrem ersten unbeaufsichtigten Besuch und der großen Herausforderung, über die lange Haftdauer hinweg ihre Liebe aufrechtzuhalten und sich weiter verbunden zu fühlen.


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Florence: Vor seinem Besuch habe ich mich richtig rausgeputzt – ich machte meine Haare und schminkte mich. Ich erinnere mich noch, wie ich mit jeder Sekunde mehr Schmetterlinge im Bauch spürte. Dann öffneten sie meine Zellentür und fragten mich, ob ich bereit sei. Ich war es nicht, aber ich sagte Ja. Der Wachmann führte mich durch lauter Flure und Gänge, die ich noch nicht kannte. Auf dem Weg bekam ich dauernd neugierige Blicke. "Willst du ficken?" und andere widerliche Sachen bekam ich zugerufen. Die Aufseher ließen es geschehen.

Ich versuchte den ganzen Weg lang, nur an meinen Freund zu denken – an die Person, die mein Herz und mein Körper so sehr wollen. Aber zu dieser besonderen Zärtlichkeit, diesem Gefühl, das ich mit dem Liebemachen verbinde, fand ich keinen Zugang. Jemand warf mir ein paar Laken und ein großes Handtuch zu. Dann ging es in einen neuen Flügel und durch einen weiteren Gang mit lauter Türen. Die Rufe kamen sofort: "Lutsch meinen Schwanz!", "Verpiss dich, du Hure!" Ich wollte am liebsten wegrennen. 

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Ich hatte Angst und der Wachmann fing an, mich auszulachen. Er öffnete eine Tür, ich trat ein. Mein Freund sei unterwegs, sagte er. 

In dem Zimmer standen eine eklige Schlafcouch und eine tragbare Toilette. Es gab eine kaputte Dusche und der Boden war klamm. Am schlimmsten aber war – die anderen Mädchen hatten mich vorgewarnt – der ungeheure Gestank nach Sex und Schweiß. Es war einfach nur widerwärtig. Dann ging die Tür auf und mein Freund trat ein. "Schönen Fick!", rief jemand hinter ihm, während er die Tür schloss.

Daniel: Es war ein Albtraum, die Hölle. Sie gaben uns ein Bettlaken, aber keine Bettdecke. Nur ein weiteres Laken zum Zudecken. Alles war aus Plastik. Es gab ein Radio, um das Geschrei der Frauen, also der anderen Häftlinge nebenan zu übertönen – und wahrscheinlich auch unsere eigenen Geräusche. Kondome gab es auch. Sobald der Wachmann die Tür geschlossen hatte, waren wir allein. Wir taten unser Bestes zu vergessen, wo wir sind. Gelingt dir das nicht, wirst du keine gute Zeit haben. Wir hielten uns einfach gegenseitig in den Armen und kuschelten.

Florence: Wir standen da und hielten uns fest. Ich weinte und zitterte am ganzen Körper. Wir umklammerten uns. Es fühlte sich an, als wären Tage vergangen, aber als wir auf die Uhr schauten, waren es nur 45 Minuten. Die Schreie draußen wurden etwas leiser, ganz hörten sie aber nie auf. Wir zogen die Couch aus, bezogen sie mit dem Laken, zogen uns aus und legten uns nebeneinander nackt hin. Jetzt spürte ich diese besondere Zärtlichkeit, die ich vorhin noch meinte.

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So blieben wir eine ganze Weile, ohne uns zu bewegen. Wir dachten dasselbe, aber sprachen es nicht aus: Das hier würde also von nun an unser Sexleben sein? 

Daniel: Uns geht es dabei vor allem um die Intimität, nicht zwangsläufig den Sex. Es geht darum, einander im Arm zu halten und zu küssen, ohne beobachtet zu werden, ohne sich fragen zu müssen: "Machen wir das jetzt schon zu lange? Schieben sie uns gleich wieder auseinander?" Ohne Kameras oder Wachleute kann man sich natürlicher verhalten. 

Für Fantasien ist leider keine Zeit, noch nicht mal für schöne Unterwäsche. Es macht keinen Spaß, wenn du daran denkst, dass das die nächsten Jahre so laufen wird. Aber du kannst nichts dagegen tun, du kannst dich nicht beschweren. Es gibt keine Alternativen.

Florence: Bei unserem vierten Besuch schliefen wir miteinander. Menschen sind schon erstaunlich anpassungsfähig. Man kann sich an alles gewöhnen. Man kann miteinander Liebe machen und dabei das eklige Zimmer und die Sprüche vom Flur ignorieren.

Es gab keine Heizung und weil die Schlafcouch so klapprig war, konnte man auf ihr nur genau in der Mitte liegen. Wir sind ein paar Mal runtergefallen und haben darüber gelacht, es war so absurd. Wir schlafen nicht bei jedem Besuch miteinander, obwohl wir so wenige Gelegenheiten haben. Ich komme einfach nicht so richtig aus meinem Kopf raus. Sexuell frustriert bin ich definitiv.

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Daniel: Ich glaube, man muss sich sehr lieben, damit das funktioniert. Das ist das einzige, was einen zum Weitermachen motiviert. Es ist nicht super erfüllend, aber man tut, was man kann. Es wird niemals ersetzen können, wie es ist, mit ihr in meinen Armen einzuschlafen, oder in einer Umarmung aufzuwachen.

Unser Sexleben ist komplett eingeschränkt. Wir dürfen nur an diesem oder jenen Tag miteinander schlafen, von 14:30 bis 18:30 Uhr. So funktioniert Liebe nicht, aber das Gefängnissystem. Nach siebeneinhalb Jahren vergisst man das ein bisschen. Unser Sexleben ist so gut, wie es unter den Umständen sein kann.

Gegen das Haftsystem kann man nicht gewinnen. Wenn du eine Szene machst, rumschreist oder dich mit den Wachmännern anlegst, kommst du nirgendwohin. Du musst genügsam sein und es genießen, wo du nur kannst. In gewisser Weise habe ich dieselbe Strafe wie Florence bekommen. Sie sagt das auch. Als freier Partner kannst du frei über deinen Alltag entscheiden, aber psychisch kriegst du dieselbe Strafe wie deine Freundin.

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