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Musik

Philosophiestunde mit Messer

Messer aus Münster schaffen den Übergang von Punk über Optimismus über frische Socken bis hin zu einem Hund und epileptischen Träumen.

Messer waren vor kurzem in Berlin, um ihr Debütalbum Im Schwindel aufzunehmen. Warum im Schwindel? „Weil man sich manchmal etwas vormacht. Und wenn man das merkt, bekommt man ein Schwindelgefühl—das hat eine Doppeldeutigkeit.“ Sehr tiefsinnig und eloquent sind die Texte von Messer, ganz ehrlich! Hendrik Otremba ist Sänger und Schreiber bei der Münsteraner Band und beeindruckt dementsprechend auch ganz schön mit seiner Tiefsinnigkeit und Eloquenz. Deswegen wohl kommen wir im Gespräch von Punk über Optimismus über frische Socken hin zu einem Hund und epileptischen Träumen. Und die Zusammenhänge sind viel einleuchtender, als es gerade scheint. VICE: Küchenmesser oder Buschmachete?
Hendrik: Ein Allzweckmesser, das sowohl in der Küche als auch im Busch einsetzbar ist. Eines zum Zusammenklappen, das gut in die Hosentasche passt. Messer werden oft bei QVC vertrieben.
Dann würden sie uns anpreisen mit: viel musikalische Erfahrung! Viele Einflüsse kommen zusammen und jeder bringt eine eigene musikalische Sozialisation mit. Man kann sie in keinen Referenzkatalog einordnen. Sie sind offen für Publikum: Jeder sollte zuhören und kann mitmachen. Lasst ihr das Publikum an eure Instrumente?
Haha, nein. Ich meine, dass unsere Musik keine Ohren ausschließt. Wir haben keine Konventionen. Der kleinste gemeinsame Nenner von Messer ist Punk—nicht an Musik geknüpft, eher an die Herangehensweise. Punk ist eine Lebenseinstellung und die Energie davon steckt in Messer. Wir wollen jedoch nicht konkret politisch und tagesaktuell schreiben—es sind eher existenzialistische Fragen, manchmal ist es sehr kryptisch. Wir wissen teilweise selbst nicht genau, worum es geht. Mit den Texten habe ich ein Transportmedium gefunden, verfremdet Sachen von mir preiszugeben. Ich gehe sehr darin auf und kann Dinge ausleben, die im Alltag untergehen würden. Willst du dich unsterblich machen?
Es besteht schon der Wunsch, zeitlos zu sein. Ich habe das Gefühl, dass die Sprache eine Eigendynamik entwickelt hat, um sich vor Vergessenheit zu schützen und glaube, dass sie bleiben möchte. Du zeichnest ziemlich morbides Zeug.
Ich hatte mal eine Ausstellung, dort waren ältere Leute—die fanden das total gut. Aber viele haben gefragt, wer sich so was Trauriges aufhängt. Morbide sagst du? Ja, auch deine Texte sind bedrückend.
Dabei bin ich ein sehr glücklicher Mensch. Aber bloß weil man selbst gut zurecht kommt, hat man trotzdem einen Blick dafür, was die Menschen mit sich und der Welt machen. Texte sind für mich ein Medium. Auch wenn ich sonst sehr positiv bin, habe ich wohl einen Hang für Abgründe. Die Menschheit ist eher schlecht. Und trotzdem bezeichnest du dich als Optimist?
Schwierige Frage. Mir geht es gut, aber trotzdem erkenne ich, dass das nicht der Status Quo der Welt ist. Mit Texten oder Bildern kannst du einen Austausch zwischen Gut und Böse in dir schaffen. Bei Messer kann ich das in eine Kunstsprache, aber trotzdem in eigenen Worten, reduziert und bildhaft verpacken. Aber bei uns gibt es auch positive, energetische Momente! Ihr singt: „Die Wut, die mich zerfrisst, weil das Leben eine Lüge ist.“
Genau das ist es! Es geht weiter: „Das Glück, das mich zerfrisst, weil das Leben meine Liebe ist.“  Die anderen sind tolle Musiker und es ist für mich, als würde man sich auf die Motorhaube eines schnellen Autos setzen—von dort aus kannst du noch weiter nach vorne. Es ist krass: Ich habe vorher noch nie mit einem Mikro auf der Bühne gestanden. Beim ersten Messer-Konzert wusste ich überhaupt nicht, was ich tun sollte. Ich habe dann einfach angefangen und erkannte mich nicht wieder. Irgendetwas passierte mit mir und ich dachte, ich steh daneben und kucke mir zu. Hinterher war ich ganz leer gefegt. Ein wahnsinniges Erlebnis, nach dem ich inzwischen süchtig bin. Ein außerkörperliches Erlebnis auf der Bühne?
Das klingt jetzt natürlich sehr krass. Aber währenddessen dachte schon: „Woah, was passiert hier gerade?“ „Ich möchte auf eine Reise bis ans Ende dieser Welt mit nur einer kleinen Tasche.“ Was packst du da rein?
Ein Messer. Haha. Das kann man immer gebrauchen. Vielleicht noch einen Zettel und einen Stift. Du könntest doch mit dem Messer was in Holz oder so ritzen.
Stimmt. Dann vielleicht frische Socken, einen Kompass, Salbe—wenn die Füße vom Laufen wund sind. Eine Sonnenbrille. Du scheinst genau zu wissen, wohin du abhauen willst.
Nee, es geht in dem Song nur darum, dass man einfach weg will. Aber man steckt schließlich in einem Leben fest. Dennoch bleibt die Möglichkeit zu träumen—ohne gleich ein Traumtänzer zu sein. Es ist nur ein Entwurf, ein bisschen Eskapismus. Was hast du letzte Nacht geträumt?
Boah, abgefahrene Sachen. Eine Platte aufzunehmen, ist sehr spannend. Die anderen drei sind Experten im Scheiße labern und ganz urkomische Vögel—da geht viel durcheinander. Im Schlaf kommt alles hoch. Es war sehr wirr, irgendwas mit einem Hund. Ich habe nie so strukturierte Träume, es ist eher wie eine irre Kirmes. Es war ein sehr epileptischer Traum. Messers Album Im Schwindel erscheint im Mai/ Juni auf This Charming Man Records. Die Single Augen erscheint im März/ April auf Rockstar Records.