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Kosmetik

Woran du erkennst, dass du süchtig nach Lippenbalsam bist

Urbaner Mythos oder ernstzunehmendes Gesundheitsrisiko? Wir sind dem großen Geheimnis unserer Teenager-Jahre auf den Grund gegangen.
Illustration: Ben Thomson

Wer kennt das nicht: das Glücksgefühl, das einen überkommt, wenn man seine trockenen, rissigen Lippen eincremt. Mit Sicherheit hast auch du schon mal total hektisch in deiner Tasche gewühlt, weil du deinen Wachsfreund nicht finden konntest. Nach Lippenpflegestiften süchtig zu sein, ist eine dieser urbanen Mythen, die wir schon seit unserer Kindheit kennen. Aber ist da auch was Wahres dran? Kann man tatsächlich süchtig danach werden, sich Dinge auf die Lippen zu schmieren?

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"Lippenbalsam enthält keine Inhaltsstoffe, die eine psychologische Abhängigkeit verursachen können", sagt Anjali Mahto. Sie ist Dermatologin, Pressesprecherin der British Skin Foundation und kennt sich mit Dingen aus, die wir uns auf den Körper schmieren. Was allerdings süchtig machen kann, sei der Akt des Auftragens. Das heißt, obwohl Lippenpflege kein medizinisch anerkanntes Suchtmittel ist, "können Menschen von der Verwendung solcher Produkte psychisch abhängig werden."

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Um herauszufinden, wie man eine solche Abhängigkeit entwickelt, wende ich mich an die Suchttherapeutin Beth Burgess, Autorin von The Happy Addict. "Aus pathologischer Sicht ist ein Mensch dann süchtig nach einer Substanz, wenn diese zu einem starken Ausstoß von Glückshormonen bei dem Betroffenen führt", erklärt sie. Sobald das Dopamin-Level sinke, greife der Betroffene automatisch wieder zu der Substanz.

Burgess erklärt, dass wissenschaftliche Untersuchungen zeigen konnten, wie bereits die erste Erfahrung mit etwas, das ein unerwartet angenehmes Gefühl in uns auslöst, süchtig machen kann. Das liegt daran, dass unser Gehirn solche Erfahrungen als besonders erstrebenswert abspeichert. Dadurch entwickeln wir ein Verlangen danach und möchte die Erfahrung wiederholen. So gesehen können Menschen also nach allem süchtig werden, was unter diese Kategorie fällt – selbst Lippenbalsam.

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Wenn wir uns nicht nur ab und zu nach dem angenehmen Gefühl eines Lippenpflegestifts sehnen, sondern eine ernstzunehmende Abhängigkeit entwickeln, kann das auch ein Zeichen dafür sein, dass unser Belohnungssystem beeinträchtigt ist. Ein Phänomen, das oft als "Suchtpersönlichkeit" bezeichnet wird. Doch genau wie es Menschen gibt, die sehr viel Alkohol trinken ohne Alkoholiker zu sein, ist es auch möglich, extrem viel Lippenbalsam zu verwenden, ohne süchtig danach zu sein. Leider sind übermäßiger Konsum und Sucht von außen kaum zu unterscheiden.


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"Unter einer Sucht versteht man im klinischen Sinne ein krankhaftes Verhältnis zu einer Substanz oder einem Verhalten, das uns ein gutes Gefühl gibt", sagt Nicky Walton-Flynn, Psychologin, Suchtexpertin und Gründerin der Organisation Addiction Therapy London. "Entscheidend ist die Frage, ob wir aufhören können." Im Fall von Labello und Co. sei es eben nicht die Substanz an sich, die bewusstseinsverändernd wirke, sondern der Vorgang des Auftragens.

Verhaltensweisen haben vor allem deshalb das Potenzial zum Suchtverhalten, weil sie in schwierigen Situationen beruhigend wirken können. Aus demselben Grund stecken sich viele Menschen eine Zigarette an, wenn sie unsicher sind.

"Wenn ein Kind, dessen Eltern sich vor Kurzem getrennt haben, beispielsweise einen schönen Lippenbalsam bekommen würde, der angenehm riecht und sich gut anfühlt, dann könnte es sein, dass es dieses Geschenk so tröstlich findet, dass das Gehirn von da an Lippenbalsam immer mit Trost verbindet. So beginnt überhaupt erst das Verlangen danach, ihn zu verwenden", erklärt Burgess.

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"Dieses Verhalten wirkt ähnlich wie ein Schnuller", ergänzt Walton-Flynn und erklärt, wie dadurch sogar gewisse Entzugserscheinungen gefördert werden können. "Plötzlich empfinde ich die Vorstellung, trockene Lippen zu haben, als unerträglich."

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Was kann man tun, wenn man allen Grund zu der Annahme hat, dass man süchtig nach Lippenbalsam ist? Nicky empfiehlt, das Suchtmittel außer Reichweite zu schaffen: Ähnlich wie ein Alkoholiker, der Kneipen meiden sollte, solltest du es vermeiden, immer einen Pflegestift in der Tasche zu haben. "Außerdem würde ich mir selbst die Frage stellen: Was passiert, wenn ich keinen Lippenbalsam dabei habe? Wie fühle ich mich dann? Wovor habe ich Angst?" Außerdem könne es Sinn machen, sich eine Übersprungshandlung zu suchen, so wie Menschen, die mit dem Rauchen aufhören wollen und zu einem Kaugummi statt zu einer Zigarette greifen.

Eine Sucht nach etwas zu entwickeln, ist grundlegend natürlich nie etwas Gutes. Mahto möchte uns aber auch daran erinnern, dass Lippenbalsam sehr nützlich sein kann – vor allem im Winter oder als Schutz vor UV-Strahlen und Fieberbläschen.

Halten wir es also einfach mit Walton-Flynn, der vollkommen zu Recht feststellt: "Es wird niemand daran sterben, dass er süchtig nach Lippenpflegestiften ist."

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