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Buch

Kann Menstruation ästhetisch sein? Zwei deutsche Grafikerinnen sagen "Ja"

Mit ihrem Buch "Ebbe & Blut" wollen Luisa Stömer und Eva Wünsch die weibliche Periode gesellschaftsfähig machen. Wir haben die Nürnbergerinnen getroffen.
Luisa Stömer (links) und Eva Wünsch (rechts). Foto: Katharina Pflug

Die Zeiten, in denen man davon ausging, menstruierende Frauen würden Blumen zum Welken bringen, gehören glücklicherweise schon längst der Vergangenheit an. Dennoch ist das Stigma von damals noch immer spürbar und gibt vielen Frauen das Gefühl, nicht offen über ihre Periode sprechen zu können. Luisa Stömer, 24, und Eva Wünsch, 25, aus Nürnberg wollen das ändern.

Am 29. April erscheint Ebbe & Blut, eine Art Bilderbuch zum Thema Monatsblutung, das informieren und mit Vorurteilen aufräumen will. Eine Art ästhetisierte Überholung des Themas also, der sich die Grafikerinnen bereits in ihrer Abschlussarbeit gewidmet haben. Wir haben die Beiden in Berlin getroffen und uns mit ihnen über die blutigste Nebensache der Welt, Ekel und den beeindruckenden weiblichen Körper unterhalten.

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Wie kamt ihr darauf, ein illustriertes Buch über Menstruation zu machen?
Luisa Stömer: Wir haben uns ständig über solche Geschichten unterhalten, wie zum Beispiel, dass eine Bekannte im vierten Monat schwanger war und nichts davon wusste. Sie hat dann schließlich den Arzt verklagt, weil er ihr gesagt hatte, sie wäre nicht schwanger. Sie hat auch noch monatelang ihre Tage bekommen, obwohl sie schon im vierten Monat schwanger war. Wir haben uns immer wieder solche Geschichten erzählt und uns gefragt, wie so etwas denn eigentlich sein kann. So wurde uns dann letztendlich klar, dass wir eigentlich gar nicht über uns und unseren Körper Bescheid wussten. Wir haben zwar jeden Monat unsere Tage und wussten auch, wie das alles so ungefähr funktioniert, aber eigentlich hatten wir keine Ahnung, was in unserem Körper alles vorsichgeht und warum. In dem Moment ging uns ein Licht auf und wir dachten: "Man müsste all diese Informationen sammeln."

Eva Wünsch: Als wir uns andere Bücher angesehen haben, stellen wir allerdings fest, dass es nur medizinische Literatur mit schrecklichen Fotos oder alten, schon fast etwas makabren Zeichnungen gab – vollkommen unästhetisch eben.

Luisa: Das hat uns letztendlich noch mehr dazu angespornt, uns hinter dieses Thema zu klemmen und ein Buch zu machen, mit dem man wirklich jeden erreichen kann.

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Inwiefern hat eure Arbeit an dem Buch eure Sichtweise auf den weiblichen Reproduktionsapparat verändert? Welcher Fakt hat euch persönlich am meisten überrascht?
Luisa: Mich hat überrascht, dass wir eine bestimmte Anzahl von Eizellen haben, die von der Geburt an festgelegt ist. Das sind im Schnitt 400.000 Stück, die auf die Eierstöcke verteilt sind. Am meisten überrascht hat mich allerdings die Tatsache, dass der Eisprung, überhaupt kein Sprung ist. Die reife Eizelle verlässt den Eierstock und schwimmt erst mal im Bauchraum herum – blind und orientierungslos –, bis sie irgendwann zum Eileiter kommt und von ihm aufgenommen wird. Ich glaube, wir haben beide eine grundlegende Ehrfrucht und einen gewissen Respekt vor uns selbst und unserem Körper entwickelt, was uns letztendlich auch zu der Frage geführt hat, warum dieses Thema nach wie vor so scham- und tabubehaftet ist. Dazu sollte es aber überhaupt keinen Grund geben. Quantenphysik in allen Ehren, aber was unser Körper jeden Monat vollbringt ist einfach genial.

Eva: Da gibt es mehrere. Zum einen hat mich überrascht, dass es eigentlich relativ wenig Blut ist, das man pro Monat verliert – eine halbe Kaffeetasse voll ungefähr. Zum anderen wusste ich noch nicht, dass die Eizelle nur zwölf bis 24 Stunden lang befruchtbar ist. Natürlich können Spermien länger überleben, aber der Moment, in dem man schwanger werden kann, ist eigentlich insgesamt nur sehr klein.

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Bild: Luisa Stömer und Eva Wünsch | Ebbe & Blut | Gräfe und Unzer Verlag [zugeschnitten]

Woran, glaubt ihr, könnte es liegen, dass das Thema nach wie vor so stigmatisiert ist?
Luisa: Mir fällt immer wieder auf, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der der weibliche Körper hoch sexualisiert wird. Es gibt massenhaft Darstellungen des weiblichen Körpers als Hülle, die in ihrer Perfektion und ihrer Schönheit, aber nicht in ihrer Funktion dargestellt wird. Natürlich zieht die Funktion auch immer einen Rattenschwanz an Dingen nach sich, die weniger angenehm oder ansehnlich sind. Darüber möchte aber niemand sprechen und das spiegelt sich auch in der Werbung wider. Tampons und Binden werden immer mit einer blauen Flüssigkeit beworben, obwohl Blut faktisch rot ist. Auch geschichtlich galt die Frau in der Zeit, in der sie blutet, lange Zeit über als unrein. Das steht zwar heute nicht mehr zur Debatte, aber vielleicht hängt uns dieser Mythos noch immer nach.

Eva: Der Grund, weshalb die Funktion [unseres Körpers], häufig totgeschwiegen wird, könnte aber auch daran liegen, dass Frauen ihre Geschlechtsorgane überhaupt nicht sehen können. Wir müssen uns erst damit beschäftigen, was in unserem Körper vor sich geht, weil es von außen eben nicht sichtbar ist.

Mittlerweile wird mehr und offener über Menstruation gesprochen – gerade im feministischen Diskurs. Glaubt ihr, dass junge Frauen heute anders aufwachsen, was ihre erste Monatsblutung und den Umgang damit angeht?
Luisa: Ich hoffe es, aber letztendlich bleibt es natürlich eine ganz individuelle Geschichte. Es spielt sicherlich auch ein wichtige Rolle, wie und in welchem Umfeld Mädchen aufwachsen. Ich glaube allerdings, je offener wir in unserer Gesellschaft darüber sprechen und je natürlicher wir damit in der Öffentlichkeit umgehen, desto einfacher ist es auch für junge Frauen. Wir müssen jungen Frauen vermitteln, dass es in Ordnung ist, offen darüber zu sprechen, dann wird ihnen ihre persönliche Entwicklung auch leichter fallen.

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Eva: Ich glaube aber auch, dass man an dieser Erfahrung wächst – gerade nach der ersten Periode. Man muss sich immer erst daran gewöhnen, dass man seine Tage bekommt. Es kann eine gewisse Zeit dauern, bis man offen dazu stehen und darüber sprechen kann. Es gehört wahrscheinlich einfach dazu, dass man sich anfangs noch ein wenig unwohl fühlt.


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Es gibt unzählige Euphemismen, um zu umschreiben, dass man menstruiert – Tante Rosa, rote Welle … Welche Umschreibung findet ihr am schlimmsten?
Luisa: Ich fand den Ausdruck "Besuch aus Rothenburg" schlimm oder auch die "Erdbeerwoche" und die "Schlachtwoche". Den "Blutsbruder" gibt es auch noch, obwohl ich das nicht so schlimm finde.

Eva: Es gibt ganz viele wirklich furchtbare Umschreibungen. Erdbeerwoche finde ich einfach kindisch. Ein Freund von mir dachte immer, dass die Erdbeerwoche die Zeit wäre, in der seine Freundin Erdbeeren pflücken geht. Tante Rosa finde ich auch komisch: Es ist ja nicht rosa.

Dass man die Stigmatisierung von Menstruation aufhebt und klarstellt, dass es sich damit um nichts "Ekliges" handelt ist wichtig und gut. Aber seine Tage zu haben ist an und für sich trotzdem nicht besonders angenehm oder schön – vor allem für Frauen, die Schmerzen haben oder sich allgemein schrecklich fühlen. Muss man nicht auch aufpassen, dass man in all dem positiven Umgang die negativen Aspekte nicht komplett ausklammert und Frauen das Gefühl gibt, dass sie keine richtigen Feministinnen sein können, weil sie ihre Tage hassen?
Luisa: Ich würde nie auf die Idee kommen, die negativen Aspekte auszuklammern. Das wäre sonst das gleiche Halbwissen wie andersherum. Ich glaube man muss die negativen und die positiven Seiten ganz gleichberechtigt behandeln, genau wie bei Verhütungsmitteln: Wir sind zwar keine Freunde von hormoneller Verhütung, trotzdem hat uns die Pille gute Dienste erwiesen und immerhin kann man auch eine Kupferspirale nicht bedenkenlos einsetzen. Ich glaube, man muss immer abwägen.

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Natürlich gibt es auch Frauen, die schlechte Erfahrungen mit ihrer Menstruation gemacht haben oder unter einer Endometriose leiden, was unwahrscheinlich schmerzhaft ist. Das ist natürlich vollkommen verständlich. Allerdings kann man das auch unabhängig davon betrachten, dass der Uterus wirklich unglaubliches vollbringt. Ich glaube, darüber sollten wir viel mehr sprechen, damit sich Frauen [die Schmerzen haben] nicht ausgeschlossen fühlen. Denn es ist und bleibt eben eine ganz individuelle Sache.

Eva: Es gibt nun mal beide Seiten. Doch man kann die negativen Aspekte vielleicht besser aushalten, wenn man auch die positiven kennt und versteht. Unser Zyklus hat trotz allem auch immer eine positive Seite hat und zwar, dass wir neues Leben erschaffen können. Ich glaube, das ist schon Grund genug, ihn nicht komplett zu hassen.

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Titelfoto: Luisa Stömer (links) und Eva Wünsch (rechts) | Foto: Katharina Pflug