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Verbrechen

Wie einer der größten Rockstars Großbritanniens jahrelang mit Kindesmissbrauch davonkam

Die Verbrechen des ehemaligen Lostprophets-Sängers Ian Watkins könnten kaum schrecklicher sein. Warum konnte er nach den ersten Beschuldigungen also noch so lange weitermachen?
Ian Watkins vor und nach seiner Festnahme | linkes Foto: John Phillips | EMPICS Entertainment; rechtes Foto: bereitgestellt von der South Wales Police

Mit diesen Verbrechen sei ein neuer Tiefpunkt der Verdorbenheit erreicht worden. Das sagte der vorsitzende Richter, als das Gericht Ian Watkins im Dezember 2013 wegen seiner pädophilen Übergriffe verurteilte.

Der ehemalige Lostprophets-Sänger gab unter anderem zu, versucht zu haben, ein elf Monate altes Baby zu vergewaltigen. Er erzählte auch, dass er mit einer jungen Mutter vereinbart hatte, sich an ihrer kleinen Tochter zu vergehen. Außerdem schlief er mit einer 16-jährigen Verehrerin seiner Band und urinierte auf sie. Und das war lange nicht alles, was ihm vorgeworfen wird. Der Richter betonte bei der Verhandlung, wie viel Freude Watkins bei seinen schrecklichen Taten mit kleinen Kindern offensichtlich hatte.

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Als die britische Regierungsbehörde GCHQ der Polizei beim Zugriff auf verschlüsselte Dateien auf Watkins' Computer half, kam heraus, dass der Musiker als Passwort unter anderem "Ifuckkids" benutzte.

Auch aus dem Gefängnis heraus baute Watkins Kontakt zu einer jungen Mutter auf

Nun wurde am Anfang Oktober darüber berichtet, dass die zweijährige Tochter einer 21 Jahre alten Frau in die Obhut des Jugendamts gegeben wurde, nachdem die junge Mutter ein Verhältnis mit Watkins angefangen hatte. Der sitzt derzeit eine Haftstrafe von 35 Jahren ab und angesichts seiner Verbrechen ist es kaum zu fassen, dass es dem inzwischen 40-Jährigen möglich ist, vom Gefängnis aus einfach weiterzumachen. Wie The Sun on Sunday angibt, hat die junge Frau Watkins zum ersten Mal im Juli 2016 geschrieben und sich dabei als Fan bezeichnet. In seiner Antwort schrieb der, dass er sie liebte. Sie fing an, den Sänger in der Haftanstalt zu besuchen, und glaubte weiter an dessen Unschuld – selbst dann noch, als er irgendwann verdächtige Fragen stellte wie: "Was würdest du machen, wenn deine kleine Tochter beim Sex ins Zimmer käme?" Die junge Frau hat sich Berichten zufolge im März sogar einen Verlobungsring gekauft.

Ein Sprecher der britischen National Society for the Prevention of Cruelty to Children (NSPCC) sagte gegenüber VICE: "Dass einer der berüchtigsten Pädophilen Großbritanniens vom Gefängnis aus weiter Menschen manipulieren und sexualisierte Nachrichten bezüglich kleiner Kinder verschicken kann, ist absolut schockierend." Dass dies möglich sei, zeige eine Verachtung gegenüber den Kindern, die Watkins missbraucht hat, und werfe Fragen zur Überwachung des gefährlichen Verbrechers auf. Man müsse die Sache nun eingehend untersuchen, um sicherzugehen, dass nicht noch mehr Kinder in Gefahr gebracht werden.

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**Auch bei VICE: **Ein verdeckter Ermittler erzählt von seiner Vergangenheit


Dabei hat der wohl immer noch reuelose Watkins schon einmal vom Gefängnis aus für Schlagzeilen gesorgt. Vergangenes Jahr gab es am 21. November auf seinem seit der Verhaftung brachliegenden Twitter-Profil nämlich drei neue Einträge, die wohl alle mit seinem Soundcloud-Account zusammenhängen. Einmal wurde ein Track von seinem Fan Laim McKenzie alias @MEGALELZ gelikt – "Mega Lolz" war eine Art Slogan von Watkins, der zum einen auf Lostprophets-Merchandise zu finden war und mit dem der Sänger zum anderen seine Taten beschrieb. Die anderen beiden Tweets waren Links zu Watkins' Soloprojekt "L'Amour La Morgue" und die Ankündigung "New! SEQUENCE INITIATED", beides deutete möglicherweise auf neue Musikprojekte hin.

Als man 2012 zum ersten Mal von Watkins' Festnahme lesen konnte, war das Ende einer der erfolgreichsten Rockbands Großbritanniens besiegelt. Obwohl in einigen Foren zur Band schon über Gerüchte diskutiert wurde, der Sänger sei pädophil, trafen die Anschuldigungen den Großteil der Fans völlig überraschend. Die offizielle Website und die Social-Media-Auftritte der Band verschwanden, auch all ihre Alben wurden aus den Verkaufsregalen entfernt. Und in Pontypridd, der Heimatstadt der Lostprophets, wurden Pflastersteine mit Lyrics der Gruppe wieder aus dem Boden gerissen und zerstört.

Die Fans und Bandmitglieder waren geschockt

Kurz nach dem Schuldbekenntnis von Watkins waren viele Anhänger der Band laut eigener Aussage angeekelt, aber auch hin- und hergerissen: "Früher hielt ich alles, was er tat, für unglaublich cool. Es ist schwer, das jetzt nicht mehr zu tun", sagte damals ein 27-jähriger Fan. Eine 15 Jahre alte Anhängerin drückt es so aus: "Ich mag ihn als Menschen nicht mehr – das tut wohl niemand. Aber das ändert nichts an der Musik, die ist immer noch gut."

Viele Fans zeigten auch Mitleid mit den anderen fünf Lostprophets-Mitgliedern, die nach Watkins' Geständnis ein Statement veröffentlichten: "Viele von euch wollen verständlicherweise wissen, ob wir von Ians Taten wussten. Und wir sagen ganz deutlich: Nein, das taten wir nicht. Wir sind wegen der Ermittlungsergebnisse unglaublich traurig, wütend und angeekelt. Unser Mitgefühl gilt Ians Familie, den Fans und Freunden, die er hintergangen hat, und vor allem den Opfern seiner Verbrechen."

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Lostprophets beim Reading Festival im Jahr 2010 | Foto: Yui Mok | PA Archive | PA Images

Die ersten Hinweise auf Watkins' Taten erhielt die Polizei vier Jahre vor seiner Festnahme

Während seine Bandkollegen und Fans nicht wussten, was Watkins trieb, waren bei der South Wales Police schon lange mehrere Hinweise eingetroffen – die ersten ganze vier Jahre vor der Festnahme im Dezember 2012.

Am 29. Dezember 2008 rief Watkins' Ex-Freundin Joanne Mjadzelics beim örtlichen Kinderschutzamt an und berichtete, dass der Sänger laut eigener Aussage einem Kleinkind Kokain gegeben und es sexuell berührt habe. Die Angestellten leiteten die Informationen an die Polizei weiter, es wurden sogar Ermittlungen in die Wege geleitet, aber aufgrund unzureichender Beweise stellte man das Ganze wieder ein.

Im Laufe der darauffolgenden vier Jahre kontaktierten mehrere Frauen – darunter erneut auch Mjadzelics – die South Wales Police, um Watkins aufgrund unterschiedlicher Vergehen anzuzeigen. Sie warfen dem Sänger vor, Drogen genommen, kinderpornografisches Material besessen und sexuelles Interesse an Kindern gezeigt zu haben. Keine der Frauen wurde ernstgenommen.

Eine Zeugin landete selbst vor Gericht

Mjadzelics versuchte auch, Beweise gegen Watkins zu sammeln. 2015 stand sie dafür selbst vor Gericht: Man warf ihr vor, Bilder zu besitzen und zu verbreiten, die Kindesmissbrauch zeigten. Dabei hatte sie ihrem Ex-Freund damit nur eine Falle stellen wollen. Alle Anklagepunkte wurden schließlich fallengelassen.

Bei ihrer eigenen Gerichtsverhandlung beschrieb Mjadzelics, wie die Polizei es versäumt habe, den von ihr gelieferten Informationen nachzugehen. Sie brachte sogar eine der Mütter, die Watkins manipuliert hatte, zu den Beamten und sagte aus, dass die junge Frau wie besessen von dem Sänger sei und ihr Baby von ihm vergewaltigt werden würde. Ein Polizist wies sie jedoch ab, weil er annahm, Mjadzelics sei lediglich sauer auf ihren Ex.

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Watkins erzählte seiner Freundin, eine 12-Jährige vergewaltigt zu haben

Im September 2007 hatte Mjadzelics zum ersten Mal etwas von Watkins sexueller Neigung mitbekommen, erzählte sie vor Gericht. Zu diesem Zeitpunkt waren die beiden schon ein Jahr lang ein Paar. Im Prozess sagte sie aus, dass der Sänger ihr beschrieben habe, wie er in Los Angeles eine Zwölfjährige vergewaltigt hatte. Im darauffolgenden Dezember schickte er ihr dann ein Foto von einem fünf Jahre alten Mädchen, das mit Kokain posierte und laut ihm "total sexy" aussehe.

"Er meinte nur: 'Du weißt doch, wie kleine Mädchen drauf sind'", sagte Mjadzelics vor Gericht. "Da zog sich in mir alles zusammen. Ich war total verwirrt. Einerseits liebte ich diesen Mann, aber andererseits schickte er mir so ein Bild. Wie konnte ich Gefühle für einen Menschen haben, der solche Sachen versendet?"

Foto: Yui Mok | PA Archive | PA Images

Die Independent Police Complaints Commission untersuchte die (nicht erfolgten) Ermittlungen gegen Watkins und kam vergangenen August zu folgendem Ergebnis: Laut Jan Williams, dem IPCC-Beauftragten für Wales, stieß man beim Umgang mit den Hinweisen zu Watkins' abscheulichem Kindesmissbrauch auf haarsträubende Versäumnisse.

Die Untersuchung sollte vor allem eine Frage beantworten: Wie konnte es Watkins schaffen, mit seinen Verbrechen so lange davonzukommen? Während manche Leute vermuteten, dass die Berühmtheit des Sängers eine Art Schutz darstellte, gibt es laut IPCC keine Anzeichen dafür, dass die Untätigkeit der Polizei auf Watkins' Promi-Status beruhte.

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Stattdessen kamen die Beamten zu dem Schluss, dass es sich negativ auf die Ermittlungen auswirkte, dass die Polizei Mjadzelics' Glaubwürdigkeit zunächst infrage gestellt hatte. In dem Bericht steht: "Alle Involvierten fanden sich mit der Skepsis gegenüber Mjadzelics' Aussagen ab, es fehlte ihnen an Aufgeschlossenheit und professioneller Neugierde. Das änderte sich erst, als 'die richtige Beschwerde' vorlag."

Nicht der Promi-Bonus rettete Watkins, sondern dass man den Zeuginnen nicht glaubte

In den IPCC-Ermittlungen wird insbesondere darauf hingewiesen, dass Mjadzelics bei ihrer ersten Anzeige eine Textnachricht von Watkins auf ihrem Handy hatte, in der der Sänger explizit den Wunsch nach Sex mit Kindern äußerte. Die Polizei habe diese Nachricht jedoch nie angeschaut.

Im Gespräch mit VICE sagte ein IPCC-Sprecher: "Die vernichtenden Schlüsse der Untersuchung sollten ein Weckruf für alle Beteiligten sein. Dass es durch ein nicht überprüftes Mobiltelefon wohl zu weiterem Missbrauch durch Watkins kam, ist schrecklich und leider nur ein Teil dieser Reihe an grundlegenden, schweren Fehlern."

Zwar sei Watkins jetzt glücklicherweise hinter Gittern und die South Wales Police habe bereits Verbesserungen in die Wege geleitet. Aber die schwerwiegenden Versäumnisse bei den ersten Anschuldigungen ließen sich trotzdem nicht ignorieren. Die Empfehlungen aus der Untersuchung müssten sofort umgesetzt werden. "Kindesmissbrauch anzuzeigen, ist ein unglaublich schwerer Schritt. Aus diesem Grund müssen sich die Menschen, die ein solches Verbrechen anzeigen, in jedem Fall sicher sein können, dass sie ernst genommen werden und man unverzüglich handelt", so der Sprecher.

Es ist also umso trauriger: Ian Watkins ist wohl nicht jahrelang davongekommen, weil er so berühmt war – sondern weil den Frauen, die gegen ihn aussagten, kein Glauben geschenkt wurde.

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