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Geschlechterbilder

Wie man Teenagern beibringt, Frauen zu respektieren

"Viele Jungs denken, dass es nicht ihre Schuld sei, wenn sie Grenzen überschreiten. Wie hätten sie es auch wissen sollen?”
Foto: JESHOOTS | Pexels | CC0

Vergangenen Juli startete die Niederländische Stiftung SIRE eineKampagne, in der die Gesellschaft dazu aufgefordert wurde, "Jungs wieder Jungs sein zu lassen". Die Stiftung ist zwar dafür bekannt, mit ihren Aktionen gerne mal anzuecken, dieses Mal kam es allerdings zu einem landesweiten Aufschrei: Was genau bedeutete das eigentlich, ein "echter Junge" zu sein? Die Geschlechterklischees, nach denen Jungen nicht weinen oder Emotionen zeigen dürfen und immer nur auf Sex aus sein müssen, helfen niemandem und bringen insbesondere junge Mädchen oft in Gefahr – warum sollte man sie also reproduzieren wollen?

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Das Projekt IMAGINE (Inspiring Male Action on Gender Equality in Europe) setzt sich mit diesen schwierigen Fragen auseinander, indem sie mit Teenagern zwischen 12 und 18 Jahren reden. Das Ziel: Die sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Frauen beenden. So veranstalten die Betreuer Workshops, bei denen Jungs (und auch Mädchen) lernen sollen, die sexuellen Grenzen anderer Menschen zu erkennen und zu respektieren, gleichzeitig aber auch eigene Grenzen abzustecken. Der 24-jährige Gijs Hablous ist seit Januar als IMAGINE-Betreuer tätig und hat uns erklärt, warum nicht nur niederländische Teenager davon profitieren können, wenn man mit ihnen über Sexismus und sexualisierte Gewalt spricht.

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BROADLY: Wie hat der Sexualkundeunterricht bei dir in der Schule ausgesehen?
Gijs Hablous: Ich erinnere mich noch an zwei Biologiestunden, in denen unser Lehrer – also niemand, der sich auf Sexualität spezialisiert hat – über das Verhindern von Schwangerschaften und Geschlechtskrankheiten redete. Und uns wurde beigebracht, wie man ein Kondom überzieht. Dabei wurde das Ganze jedoch nie so richtig ernst genommen. Themen wie Sexualität oder Gender kamen gar nicht zur Sprache.

Und da dachtest du dir, dass das auch besser geht?
Nein, das kam erst später, als mir klar wurde, dass ich ein weißer, gebildeter Cis-Mann bin. In anderen Worten: sehr privilegiert. Ich wollte bei den Themen Gender und Sexualität weiterhelfen, war mir aber nicht sicher, ob ich bei feministischen Themen und Debatten mitdiskutieren sollte. Ich wollte ja niemandem auf die Füße treten. Dann erfuhr ich von IMAGINE und fand es super, dass man dort nach jungen Erwachsenen suchte, die als Vorbild für jüngere Teenager agieren und sie über die Gefahren von sexualisierter Gewalt und Einschüchterung aufklären sollen.

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"Einer machte auch mal auf hart und meinte, dass Mädchen mit ihm machen könnten, was sie wollen."

Das klingt nach ziemlich viel Input für 12- bis 18-jährige Jungs. Wie geht man an eine solche Unterhaltung ran?
Unser Fokus liegt auf körperlichen Übungen. Anschließend reden wir darüber. Wir haben zum Beispiel ein "Grenzenspiel", bei dem sich zwei Gruppen Jungs gegenüber aufstellen. Die eine Gruppe geht langsam los, die andere sagt "Stop", wenn sie sich bedrängt fühlt. Die erste Gruppe macht aber trotzdem noch einen weiteren Schritt und überschreitet damit die gerade gezogene Grenze. So zeigen wir den Teenagern, dass man über Grenzen reden muss.

Wie reagieren die Jungs auf solche Übungen?
Manchmal lachen sie. Einer machte auch mal auf hart und meinte, dass Mädchen mit ihm machen könnten, was sie wollen. Darüber reden wir dann ebenfalls: Ist es wirklich möglich, gar keine Grenzen zu haben? Mir ist aufgefallen, dass das Respektieren von Grenzen ein schwieriges Thema ist: Woher weiß man, wie weit man gehen darf? Viele Jungs denken, dass es nicht ihre Schuld sei, wenn sie Grenzen überschreiten und das Mädchen nicht klar "Nein!" gesagt hat. Wie hätten sie es auch wissen sollen?


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Wie bringt man ihnen bei, angemessen mit Mädchen zu interagieren?
Diese Frage beantworten wir mithilfe von Geschichten, die die Jungs selbst erzählen. Einer sagte zum Beispiel mal, dass er ein Mädchen mochte und ihr immer nachpfiff oder etwas hinterherrief, wenn sie an ihm vorbeiging. Weil sie jedoch nie reagierte, fragte er irgendwann, warum. Da sagte sie, dass ihr sein Verhalten richtig auf die Nerven ginge. Der Junge hatte jedoch keine Ahnung, wie er sonst mit ihr reden sollte. Ihm wurde erst klar, wie sie sich fühlte, als die beiden darüber sprachen.

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In solchen Teenagergruppen gibt es bestimmt auch "Macho"-Gehabe, das der Sache nicht gerade dienlich ist, oder?
Wenn so etwas vorkommt, zeigen wir ihnen Situationen auf, in denen sie selbst betroffen sind. Einmal war ein Teenager beispielsweise der Meinung, dass Mädchen in Miniröcken selbst schuld sind, wenn man ihnen hinterherpfeift. Daraufhin fragte die Lehrerin: "Was würdest du sagen, wenn man mir hinterherpfeift, nur weil ich in kurzen Shorts jogge? Oder wenn jemand deine Schwester so behandelt?" Da verstand er, dass seine Argumentation keinen Sinn ergab.

"Sie glauben, dass man das von ihnen erwartet. Dumme Sprüche und Pfiffe in Richtung Mädchen gelten in gewissen männlichen Gruppen als normal und cool."

Warum richten sich eure Workshops vornehmlich an Jungen?
Sexualisierte Gewalt wird in den meisten Fällen von Männern an Frauen verübt. Es bringt viel, mit Männern über ihr Verhalten zu sprechen. Ein guter Indikator ist die Menge an sexistischen Witzen, die innerhalb einer Gruppe von Männern gerissen wird. Es wäre schön, wenn einer der Männer bei einem solchen Witz mal Contra geben würde.

Hast du diese Erfahrung bei Freunden gemacht?
Ja, vor allem in der Vergangenheit. Ich habe mich oft unwohl gefühlt, wenn irgendjemand einen frauenfeindlichen Witz auf Basis diverses Klischees gemacht hat. Ich wusste aber nicht genau, warum das so war. Heutzutage sage ich etwas, wenn ich einen sexistischen Witz höre und ich bin der Meinung, dass andere Männer das ebenfalls tun sollten. Wenn man Bescheid weiß, aber nichts dagegen macht, dann ist man Teil des Problems.

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Glaubst du, dass die Jungen in deinen Workshops das Gefühl haben, irgendeinem stereotypischen Bild von Männlichkeit entsprechen zu müssen?
Ja. Während der Kurse erkennen immer einige Teenager gewisse Verhaltensweisen an sich wieder, zum Beispiel ständig Sex zu wollen oder sich "hart" zu geben. Sie glauben, dass man das von ihnen erwartet. Dumme Sprüche und Pfiffe in Richtung Mädchen gelten in gewissen männlichen Gruppen als normal und cool. Wörter wie "schwul" werden häufig in einem negativen Kontext gebraucht. Wenn man etwa keine Lust auf Sex hat, ist man "schwul". Erst wenn man mit ihnen darüber redet, fällt ihnen auf, dass sie solche Klischees gar nicht gut finden.

Verstehen sie den Sinn der Workshops?
Natürlich fände ich es super, wenn sie sich nach einem Workshop alle für Feminismus interessieren und ihre bisherigen Verhaltensweisen ablegen würden, aber in der Realität ist das nach ein paar Stunden schon wieder vorbei. Es ist jedoch trotzdem eine schöne und besondere Gelegenheit für die Jungs, sich über Sexualität, Geschlechtsverkehr, Flirten und Beziehungen auszutauschen. Normalerweise sind sie diesbezüglich ja nicht so offen. Er wäre toll, wenn solche Workshops zum normalen Lehrplan dazugehören würden – und zwar von einem jungen Alter an.

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