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Psychologie

Menschen finden es moralisch verwerflich, bewusst kinderlos zu bleiben

Wir haben mit der Autorin einer aktuellen Studie gesprochen, um herauszufinden, woran es liegt, dass noch immer so viele Leute empört darauf reagieren, dass manche Menschen keine Nachkommen zeugen wollen.
Photo by David Smart via Stocksy

Laut einer aktuellen Studie, die im März 2017 in Sex Roles veröffentlicht wurde, reagieren viele Menschen nach wie vor entsetzt, wenn Fremde bewusst entscheiden, keine Kinder zu bekommen.

Laut einer Untersuchung des Statistischen Bundesamtes nahm der Anteil der kinderlosen Frauen spätestens ab den 50er-Jahren in allen Altersstufen immer weiter zu. Fakt ist, dass sich immer mehr Paare lieber einen kleinen Hund als einen kleinen Menschen zulegen. Wie vergangene Studien gezeigt haben, werden Männer und Frauen, die bewusst kinderlos bleiben, allerdings häufig negativ von ihrer Umgebung wahrgenommen. Leslie Ashburn-Nardo, Professorin für Psychologie an der Indiana University-Purdue University Indianapolis, hat nun untersucht, weswegen sich diese Auffassung nach wie vor hält, obwohl die Geburtenrate immer weiter sinkt.

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Insgesamt haben an der Studie 197 Psychologiestudenten teilgenommen, die Ashburn-Nardo und ihr Team angeworben haben. Den Teilnehmern wurde zu Beginn gesagt, dass es in dem Experiment um menschliche Intuition ginge und darum, zu untersuchen, wie genau die Teilnehmer die Zukunft vorhersagen könnten. Anschließend wurde ihnen jeweils eine kurze Geschichte in vier verschiedenen Versionen gegeben. In allen vier Geschichten ging es um den Kinderwunsch eines verheirateten Paares, allerdings unterschieden sich die einzelnen Versionen darin, welches Geschlechts die Kinder hatten und ob das Paar keine oder zwei Kinder bekam. Anschließend wurden die Teilnehmer gebeten zu bewerten, wie erfüllt das Leben der Versuchspersonen in psychologischer Hinsicht sein könnte. Darüber hinaus fragten die Forscher auch, ob beziehungsweise in welchem Maße die Teilnehmer den Versuchspersonen gegenüber Missbilligung, Wut, Empörung, Ärger oder Abscheu empfanden.

Das Ergebnis: Die Teilnehmer betrachteten die willentlich kinderlosen Männer und Frauen "auf psychologischer Ebene nicht nur als deutlich weniger erfüllt als die Versuchspersonen mit zwei Kindern", Ashburn-Nardo merkt auch an, dass sie von einer "deutlich höheren moralischen Entrüstung" gegenüber den kinderlosen Versuchspersonen berichteten. Diese Ergebnisse legen folglich nahe, dass das Elternsein als moralisches Gebot betrachtet wird. "Keine Kinder zu haben wird nicht nur als ungewöhnlich, sondern auch als falsch betrachtet."

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Der Wunsch, Kinder zu bekommen, "ist sowohl ein präskriptives als auch ein deskriptives Stereotyp, das Männer und Frauen gleichermaßen betrifft", schreiben die Forscher. "Wenn Menschen gegen feste Normen und Erwartungen wie das Elternsein und den Wunsch, Kinder zu bekommen, verstoßen […], erwarten sie potenziell ernsthafte Konsequenzen […] Eine solche Gegenreaktion wird durch die Denkweise der Beobachter gerechtfertigt: Die Zielpersonen haben die Reaktion in ihren Augen vermeintlich selbst zu verantworten, weil sie die Erwartungen an ihre Geschlechterrolle nicht erfüllen wollen."

Ashburn-Nardo weist auch darauf hin, dass sowohl Männer als auch Frauen stigmatisiert werden, wenn sie sich entscheiden, keine Kinder zu bekommen – ungeachtet der Tatsache, dass die Debatte über reproduktive Rechte und die Entscheidungsfreiheit von Frauen so polarisierend ist. "Mich hat das in gewisser Weise auch ziemlich überrascht", sagt sie im Gespräch mit Broadly, "aber das lag vermutlich an meinen eigenen persönlichen Erfahrungen als Frau. Als ich mir bisherige Veröffentlichungen zu diesem Thema angesehen habe, habe ich schnell festgestellt, dass die wenigen Studien, die den Teilnehmern die Chance gaben, auch kinderlose Männer zu bewerten, zu ganz ähnlichen Ergebnissen kamen."

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"Da Elternsein als moralisches Gebot betrachtet wird – also etwas, das von uns erwartet wird", sagt sie weiter, "kann uns diese Erkenntnis auch dabei helfen zu verstehen, warum die Meinungen über Schwangerschaftsabbrüche so festgefahren sind."

Leider ist es unwahrscheinlich, dass diese Stigmatisierung verschwinden wird, sagt Ashburn-Nardo. "Wir sollten an einer Veränderung arbeiten, aber wahrscheinlich wird es nicht leicht", sagt sie. "Imperative schränken die Entscheidungsfreiheit grundsätzlich ein, weil Menschen immer vorgegaukelt wird, dass 'etwas so zu sein hat.' So funktionieren viele soziale Vorurteile und ihre vorschreibende Natur macht es schwierig, etwas zu verändern. Meine Ergebnisse unterscheiden sich nicht groß von Studien, die in den 70er-, 80er- und 90er-Jahren durchgeführt wurden. Neu ist an der aktuellen Studie allerdings, dass die moralische Empörung der Menschen eine Erklärung bieten könnte. Denn trotz aller Veränderungen, die über die letzten 40 Jahre in so vielen Bereichen stattgefunden haben, existieren die Vorurteile gegen Menschen, die freiwillig kinderlos sind, noch immer."