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LGBTQ

Das Schicksal lesbischer Frauen im Iran, wo Homosexualität illegal ist

Homosexualität unter Männern wird im Iran nach wie vor mit dem Tod bestraft. Doch auch Frauen werden mit Schlägen und Peitschenhieben bestraft.

Azadeh* wurde drei Tage lang verhört, doch für sie fühlte es sich an wie Monate. Sie brachten sie in ein abgelegenes Haus vor der iranischen Grenze. Dort saß sie und musste zuhören, wie Geistliche aus dem Koran zitierten, während sich die Verbrennungen auf ihrem Arm langsam entzündeten. Sie fühlten sich an wie Messerstiche.

Als Kind wurde die heute 25-Jährige häufig für ihr burschikoses Aussehen gehänselt. Ein paar Jahre später wurde Azadeh von einem Mädchen, das einen persönlichen Groll gegen sie hegte, an die Behörden verraten. Die Beamten fanden einen kurzen Text bei ihr, in dem sich zwei männliche Soldaten während des Kriegs ineinander verliebten. Daraufhin wurde sie von der iranischen Revolutionsgarde verhaftet und gefoltert.

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"Das Wort 'Homosexualität' kam in meinen Texten nie direkt vor", sagt Azadeh, "aber sie wollten ein Geständnis von mir. Ich sollte zugeben, dass ich lesbisch bin. Doch ich habe alles abgestritten."

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Dennoch wurde Azadeh gezwungen, sich einem dreitägigen "Reorienterungsprogramm" zu unterziehen, was – wie sie schnell feststellte – nur ein beschönigter Ausdruck für Verhör war. Das Ganze bestand, wie sie sagt, aus religiösen Belehrungen und den wiederholten Versuchen der Beamten, ein Geständnis von ihr zu erzwingen.

"Sie folterten mich, indem sie mir kochendes Wasser über die Haut schütteten und mich schlugen, vor allem auf den Kopf. [Doch] der verbale Missbrauch war fast noch schlimmer als der körperliche", sagt sie. "Sie nannten mich unentwegt 'Muschileckerin.'"

Im Iran ist Homosexualität gesetzlich verboten: Das Land hat eine der striktesten Gesetzgebungen, welche die Todesstrafe für Männer in gleichgeschlechtlichen Beziehungen vorsieht. Frauen werden mit Schlägen und Peitschenhieben bestraft.

Der Tod mag zunächst wie das schlimmere der beiden Schicksale wirken, aber homosexuelle Frauen sind im Alltag meist doppelter Diskriminierung ausgesetzt: aufgrund ihres Geschlechts und aufgrund ihrer Sexualität. Väter, Brüder und Ehemänner können die unanfechtbare Kontrolle über ihre Töchter, Schwestern und Ehefrauen übernehmen. In rechtlichen Fragen, wie in Erbstreitigkeiten, wird der Aussage einer Frau oftmals nur halb so viel Wert beigemessen wie der eines Mannes.

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Das war allerdings nicht immer so. Unter der Regierung des Schahs in den 1960er-Jahren haben sich die iranischen Frauen das Wahlrecht erkämpft. Doch seit der Islamischen Revolution im Jahr 1979 und der Einführung der Scharia – einem Rechtssystem, das auf dem Koran und der Sunna (Aussagen, die dem Propheten Mohammad zugesprochen werden) beruht – wurden ihnen viele dieser Rechte wieder aberkannt.

Das neue Recht verlangte von Frauen, ein Kopftuch zu tragen und sprach ihnen das Recht ab, die Scheidung einzureichen, wenn es nicht explizit in ihrem Ehevertrag vermerkt war. Das Heiratsalter von Mädchen wurde auf neun Jahre herabgesetzt und schließlich wurden im Jahr 1981 wieder Auspeitschungen, Steinigungen und die Zahlung von Blutgeld vom Parlament eingeführt.

Auch als praktizierende Muslimin und Tochter eines dekorierten Militärfunktionärs war Azadeh nicht vor der jahrelangen Diskriminierung und den Ungerechtigkeiten, die sie erlebt hat, gefeit. Es reichte zum Teil schon aus, dass sie sich "zu maskulin" kleidete.

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"Ich konnte nicht einfach zur Polizei gehen, wenn ich belästigt wurde. Es kam auch oft genug vor, dass man von der Polizei selbst belästigt und verhaftet wurde", erklärt sie. "Ich wurde auch schon aufgrund meiner äußeren Erscheinung festgenommen. Einmal brachten sie ich gemeinsam mit einer Gruppe von Männern auf die Wache, wo mich die Polizei einer Leibesvisitation unterziehen wollte, obwohl sie keinen Durchsuchungsbefehl hatte. Ich wehrte mich und begann mit ihnen zu streiten, was letztendlich in einer Prügelei ausartete."

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Die iranische Regierung hat die Existenz homosexueller Mitbürger derweil explizit geleugnet. In einer berüchtigten Rede vor der Columbia University im Jahr 2007 sagte der ehemalige iranische Präsident Mahmoud Ahmadinejad: "Im Iran haben wir keine Homosexuellen so wie in eurem Land. Im Iran gibt es dieses Phänomen nicht."

Kevin Schumacher, ein Nahost-Experte von OutRight Action International, widerspricht dieser Aussage. Laut ihm gibt es tausende Menschen im Iran, die sich selbst als LGBTIQ identifizieren. Allerdings kennen sie diesen Begriff nicht unbedingt und haben unter Umständen noch nicht einmal einen Namen dafür, wie sie sich fühlen. (Im Iran leben 77 Millionen Menschen. Dennoch, sagt er, gibt es keine Form der LGBTQ-Aufklärung.)

Schumacher hat in den vergangenen fünf Jahren an einem Bericht gearbeitet, der die Schwierigkeiten homosexueller Frauen im Iran betrachten soll. Hierzu haben er und sein Team insgesamt 41 homosexuelle, iranische Frauen befragt. Die Gespräche fanden sowohl online als auch persönlich statt, wozu sich die Forscher mit den Frauen im Iran sowie in anderen Ländern trafen. Der so entstandene Bericht mit dem Titel Being Lesbian in Iran ist die erste Studie, die sich mit diesem Thema auseinandersetzt.

"Man sieht einfach nicht viele lesbische Frauen", erklärt Schumacher. "Man muss sich zwangsläufig die Frage stellen, wie man sich als Frau [im Iran] fühlen muss, wenn man mit einer anderen Frau zusammen sein möchte. Die Mädchen werden schon von klein auf in der Schule schikaniert und von Klassenkameraden und Lehrern belästigt. Über den gesellschaftlichen Druck und die häusliche Gewalt, denen diese Frauen ausgesetzt sind, wird einfach geschwiegen."

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Nach iranischem Recht werden Mosaheqeh, sexuelle Handlungen zwischen Frauen, mit 100 Peitschenhieben bestraft. Frauen können aber auch allein dafür ausgepeitscht werden, einen Menschen desselben Geschlechts zu küssen. "Das Gesetz ist sehr schwammig und ermöglichst es im Grunde, jede Frau zu verfolgen, die homosexuell zu sein scheint. Es reicht schon, wenn ihr Kleidungsstil suggeriert, dass sie lesbisch sein könnte, um sie zu bestrafen", sagt Schumacher. "Ihre bloße Existenz wird kriminalisiert."

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Azadeh sieht keinen Widerspruch zwischen ihren religiösen Ansichten und ihrer sexuellen Orientierung. Auch ihre eigene (rechtlich inoffizielle) Hochzeit mit einer Frau erfolgte ganz nach muslimischem Brauch. Sie betrachtet ihre Partnerin als ihre Ehefrau entsprechend den Vorschriften ihrer Religion. "Ich hatte lange Zeit Schwierigkeiten damit, den Koran so auszulegen, dass er mit meinem Leben als lesbische Frau vereinbar ist", sagt sie. "Ich glaube, wir brauchen eine neue Fatwa zu diesem Thema."

Der OutRight-Bericht gibt mehrere grundlegende Empfehlungen, die sich direkt an die iranische Regierung wenden. Unter anderem fordert er die Abschaffung aller Gesetz, die Homosexualität kriminalisieren und die Aufhebung aller rechtlichen Schranken, die der Gleichberechtigung von Frauen im Weg stehen.

Angesichts der aktuellen Haltung der Regierung gegenüber Homosexualität mögen diese Forderungen zunächst unerreichbar wirken. Laut Schumacher ist der Bericht allerdings nicht nur ein "pädagogisches Werkzeug", sondern auch ein Appell an die Regierung, um eine echte Veränderung herbeizuführen. "Letzten Endes ist es wichtig zu wissen, was passiert, um die Gesellschaft und alle Verbündeten der iranischen Zivilbevölkerung aufzuklären."


*Name wurde zum Schutz der Identität der Interviewten geändert.