"Wir haben nur geschlafen!": Die Lüge, sich 'platonisch' das Bett zu teilen
Illustration by Grace Wilson

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"Wir haben nur geschlafen!": Die Lüge, sich 'platonisch' das Bett zu teilen

Insbesondere wenn man in einer Beziehung ist, gesteht man sich selbst nur ungern ein, sich sexuell von jemand anderem angezogen zu fühlen. Der Ausweg: rein freundschaftlich bei jemandem übernachten, weil es "so spät" geworden ist.

Bevor man abends mit jemandem was trinken geht, macht man in der Regel vorher noch eine kurze Bestandsaufnahme von der Situation: Was sind deine Absichten? Was sind seine Absichten? Was ist der Grund für die vermeintlich spontane Einladung so mitten in der Woche? Und wie viele Gin & Tonic kannst du trinken, bevor du dich mit deiner Würde auf den Heimweg machen solltest? In gewisser Weise hast du dich im Geiste aber auch schon dagegen gewehrt: Ihr habt eine Weile lang geflirtet—bei der Arbeit, im Kaffee oder als ihr euch geschrieben habt—und während die Situation langsam aus dem Ruder gelaufen ist, hast du insgeheim gehofft, du würdest eine Entschuldigung finden können, um die Grenze zu überschreiten oder um zumindest darüber nachzudenken.

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Der Abend begann trotzdem ganz unschuldig: ihr habt gelacht, über die Arbeit im Büro gelästert und habt euch die Rechnung geteilt. Doch während du laut die Reste deines letzten noch akzeptablen Drinks geschlürft hast, verabschiedete sich langsam aber sicher deine Lust darauf, später alleine nach Hause zu gehen. Du warst schon fast erleichtert, als er vorschlug, noch eine Runde zu bestellen, damit du nicht fragen musstest. Zwar hast du dich auch ein klitzekleinesbisschen schuldig gefühlt, aber soo spät war es ja nun auch noch nicht—und Frauen und Männer können schließlich auch einfach nur befreundet sein, richtig?

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Vier Stunden und fünf oder sechs Geschichten über eure Kindheit später ist es dagegen nicht mehr so früh. Ihr seid so aufgeregt, dass ihr nicht mal mehr merkt, wie betrunken ihr seid. Ihr berührt euch immer wieder „aus Versehen" und da ihr langsam aber sicher die letzten Personen in der Bar seid, nimmst du seine Einladung schließlich an und gehst noch mit zu ihm. Ihr müsst am nächsten Tag zwar beide arbeiten, aber es ist schließlich gleich um die Ecke. Als du dich nach einer langen Nacht, die du damit verbracht hast, sexuelle Spannung in vermeintlich harmlose Flirtereien zu verpacken, mit einer Kaffeetasse voll Whiskey auf sein Ikea-Sofa fallen lässt, merkst du plötzlich wie müde du bist. Abgesehen davon ist es auch ziemlich gefährlich, so spät in der Nacht noch allein unterwegs zu sein. Nach ein paar Momenten intensivem Blickkontakt—oder der Vermeidung jeglichen Blickkontakts—bietet er dir an, bei ihm zu übernachten.

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Das kann in Sex enden, muss es aber nicht. Schließlich gibt es immer noch die Option des „platonischen" Übernachtens. Das funktioniert so: Anstatt sich der sich schon den ganzen Abend über aufbauenden sexuellen Spannung hinzugeben, schließt ihr einen Kompromiss und schlaft einfach nur nebeneinander. Manchmal wird so etwas ganz offen geklärt—„Ich will nur hier schlafen, OK?"—, oftmals beruht die ganze Abmachung aber auch darauf, dass beide Parteien zögern, den ersten Schritt zu machen und tatsächlich miteinander zu schlafen. Irgendetwas passiert, obwohl nichts passiert. Vielleicht wird einfach nur gekuschelt oder man schläft in Löffelchenstellung. Es könnte aber auch sein, dass sich das Ganze in eine schier endlose Nacht verwandelt, in der beide Parteien darauf warten, dass der andere endlich mit dem Kuscheln (oder dem löffeln) anfängt.

Das argumentative Schlupfloch insbesondere für all jene unter uns, die in einer Beziehung sind: So richtig ist ja trotzdem nichts passiert. Deswegen ist es auch nicht richtig schlimmes Lügen, wenn man dem Freund/der Freundin sagt, dass man wirklich nur auf der Couch übernachtet hat. Das ist natürlich Quatsch. Natürlich kann man sich mit einem anderen Menschen rein platonisch eine Schlafgelegenheit teilen, oftmals finden diese sich schon lang vorher anbahnenden Übernachtungssituationen aber mit jemandem statt, mit dem du gerne Sex hättest, aber nicht kannst.

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Wir haben die ganze Nacht lang Löffelchen gemacht—das war OK, aber als er meine Schulter geküsst hat, ging das zu weit.

Die Grenze zwischen einer Übernachtung bei einem platonischen Freund und Fremdgehen kann letztlich ziemlich willkürlich gezogen werden, weil das Ganze sowieso nur eine billige Scharade ist, aber die meisten ziehen sie beim Küssen. „Er hat versucht, meine Schulter zu küssen, aber ich habe Nein gesagt", erzählt mir eine Frau namens Bella* über ihre letzte Erfahrung mit einem platonischen Übernachtungspartner. Damals war sie noch in einer festen, monogamen Beziehung mit ihrem Freund, aber nach einer langer Nacht voller intensiver Gespräche und Alkohol mit Tyler, in den sie schon seit Wochen verknallt war, ist sie mit zu ihm nach Hause. Seine Wohnung lag immerhin ganz in der Nähe ihres Büros! „Wir haben die ganze Nacht lang Löffelchen gemacht—das war OK, aber als er meine Schulter geküsst hat, ging das zu weit", sagt sie. Als ich sie frage, ob „Löffelchen" beutet, dass ihr Hintern für einen längeren Zeitraum gegen seinen Penis gedrückt war und dieses Gefühl vollkommen in Ordnung für sie war, antwortet sie: „Ja, hundertprozentig."

„Als wir am Morgen aufgewacht sind, hat er mich aus Versehen mit seiner Morgenlatte angestoßen und meinte, dass es ihm total leid tut", sagt sie weiter.

Klingt verrückt? Eindeutig. „Ich glaube, dass alle Jungs, mit denen ich mir rein platonisch ein Bett geteilt habe, am Ende versucht haben, mich zu küssen", sagt mit eine andere Frau namens Gloria. Ihre Freundin Cassie erzählt dasselbe. „Ich habe den Eindruck, dass das Teil dieser ganzen platonischen Übernachtungssache ist. Du kannst schon davon ausgehen, dass sie irgendwann versuchen werden dich zu küssen, aber du kannst immer noch überrascht tun und sagen: ‚Was? Nein.'—obwohl du es eigentlich auch willst."

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Trotz der psychologischen Akrobatik, die man hinlegen muss, um eine platonische Übernachtung zu rechtfertigen, kann es ziemlich enttäuschend sein, wenn nicht mehr daraus wird. Wenn man sich schon potentiellen Ärger mit seinem Lebensabschnittspartner einhandelt, dann sollte man doch zumindest ein bisschen was von dieser ganzen sexuellen Spannung gehabt haben, oder? „Ich bin mit Freunden ausgegangen. Am Ende des Abends haben wir noch eine kleine Afterparty veranstaltet. Ich habe bis 11 Uhr morgens gewartet, bis alle geschlafen haben und meinte dann: ‚Hey, sollen wir nach oben gehen und in deinem Bett schlafen?'" erzählt mir Mel von einer Übernachtung, die anders gelaufen ist als geplant. „Der Typ hat aber nichts versucht. Er hat noch nicht einmal versucht, mich zu küssen, was irgendwie deprimierend war. Statt rumzumachen, haben wir uns Der weiße Hai angesehen."

Auch Ex-Freunde kommen oft in Geschichten über platonische Übernachtungen vor. Letztlich besteht der ganze Reiz ja auch nur darin, dass du drauf und dran bist, mit jemandem zu schlafen, mit dem du eigentlich nicht schlafen solltest.

Damit es nicht zum Äußersten kommt, überlegen sich manche Personen ziemlich kreative Vermeidungsstrategien. Cassie erzählt mir, dass sie in solchen Fällen mit dem Kopf an den Füßen des Gegenüber schläft. Cassie hat diese Nicht-Sexstellung (die sie „96" nennt) zum ersten Mal ausprobiert, als sie sich ein Einzelbett mit ihrem Ex-Freund teilen musste und er versucht hat, im Schlaf Sex mit ihr zu haben. „Wir wurden beide wach und sind total erschrocken."

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Das Ende ihrer platonischen Schlafgeschichten war das trotzdem nicht. „Danach habe ich nur noch mit einem Kumpel im Bett geschlafen", sagt sie weiter. „Ich wollte wirklich nicht, dass zwischen uns was läuft, also schliefen wir mit den Füßen am Kopf des anderen." Als ich sie frage, ob sie diese Maßnahme ergriffen hat, weil es keine Couch gab, sagte sie: „Ähm, es kann sein, dass es eine Couch gab." Auf meine Frage, warum sie überhaupt im selben Haus wie ihr Freund geschlafen hat, antwortete sie: „Na weil eben." Wir lernen also: Manchmal verdrängt man womöglich auch ganz bewusst, warum man eigentlich mit der anderen Person in einem Bett liegen möchte.

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Frauen sind aber nicht immer nur die passiven Opfer solcher komplizierter Übernachtungssituationen—manchmal resultiert die platonische Übernachtungssituation auch daraus, dass man sexuelle Spannungen zu seinem persönlichem Vorteil genutzt hat. „Ich habe mal angedeutet, dass ich Sex mit jemandem haben würde, obwohl ich eigentlich nur irgendwo in der Nähe einen Platz zum Übernachten gesucht habe", erzählte mir meine Freundin Leigh. „Als wir zu Hause ankamen, meinte ich nur: ‚Ich bin müde, gute Nacht!'"

Auch wenn es so wirkt, als wäre eine platonische Übernachtungsveranstaltung ein guter Weg, um Spannungen zu zerstreuen oder ein bisschen Dampf abzulassen, ohne „zu weit zu gehen", ist es oft auch nur der Übergang zu Sex. „Ich glaube, manchmal ist das auch so eine Situation, in der man sich einfach nicht vom Anderen verabschieden möchte", sagt Bella. Dieses Gefühl kann tatsächlich auch ziemlich platonisch sein. „Ich habe das auch schon mit Freundinnen erlebt, die dann am Ende bei mir übernachtet haben. Nur der Grund, warum man sich nicht verabschieden wollte, ist ein Anderer." Als sie ihre Übernachtung bei Tyler rational begründen wollte, meinte sie zu ihm: „Ich übernachte ständig bei Freundinnen!" Er antwortete ihr darauf, wie Bella sagt: „Ja, aber ihr, naja, reibt euch wahrscheinlich nicht aneinander."

Ihre Geschichte hatte ein Happy End oder eben keins, je nachdem wie man das Ganze nun sehen möchte. „Es gab einen Moment—das ist zwei Mal passiert—, als er halb am Schlafen war und nicht gemerkt hat, was er tat", sagt Bella. „Er hat meinen Hals sinnlich von hinten gegriffen und fing an, mich in seine Richtung zu ziehen. Ich fühlte mich, als würde ich in einen Abgrund unendlich tiefen Verlangens gerissen." Die beiden hatten zwei Wochen später dann doch Sex.


*Alle Namen wurden geändert.