Anushka Manchanda erklärt, warum in jeder Frau eine zerstörerische Göttin steckt
Alle Fotos: Karl Kemp

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Film

Anushka Manchanda erklärt, warum in jeder Frau eine zerstörerische Göttin steckt

Wenn nackte Frauenhaut nur in Pornos OK ist: Die „7 Göttinnen“-Schauspielerin über Unterdrückung, Sexismus und die Doppelmoral ihrer Heimat Indien.

Mit 7 Göttinnen erschien in diesem Jahr ein Film, der für ordentlich Wirbel sorgte—und das nicht nur in seinem Produktionsland. Sieben indische Frauen, die freizügig gekleidet und ohne jede Berührungsängste über Sex, Beziehungen und die politischen und gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten ihres Heimatlandes sprechen? Das kannte man so in Indien noch nicht. Der Schluss, der einen Bogen zur Debatte um sexuelle Übergriffe auf Frauen—und ihren fehlenden Schutz durch die Regierung—thematisierte, schockte dann auch das internationale Publikum.

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Grund genug, sich mit Mit-Hauptdarstellerin Anushka Manchanda in einem Berliner Hinterhof zu treffen und über den kontroversen Film, das Leben von Frauen in Indien, die ideologischen Abgründe von Bollywood und die Zukunft einer Gesellschaft zu sprechen, die zwar über ihre Handys Pornos konsumiert, ansonsten aber ein ziemlich großes Problem mit nackter Frauenhaut hat. Außerdem hat uns die 32-Jährige, die in Indien auch als Popstar sehr erfolgreich ist, erklärt, warum man sich besser nicht mit Frauen anlegen sollte.

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Broadly: Glaubst du, die Leute waren überrascht, wie der Film geendet hat?
Anushka Manchanda: Ja, absolut. Ich finde den deutschen Titel auch etwas irreführend. Im Original heißt er Angry Indian Goddesses, was viel weniger nach so einer typischen Frauenkomödie klingt. Allerdings waren wir Schauspielerinnen über die plötzliche Wende im Film auch sehr überrascht. Wir hatten kein Skript, der Film wurde also größtenteils improvisiert. Weil wir das Ganze chronologisch gedreht haben, hatten wir keine Ahnung, was am nächsten Tag passieren würde und als wir an diesen Wendepunkt kamen, waren wir alle erst mal empört. „Warum passiert das? Warum musst du das so machen?" Mittlerweile verstehe ich es aber. Diese Wendung trifft einen emotional aber so hart, dass es dich zwingt, etwas zu fühlen. Mittlerweile denke ich mir bei Kunst: Wenn es dich nicht dazu bringt, etwas zu fühlen—wo liegt der Sinn darin? Nur weil dich diese Szene berührt, kann sie überhaupt eine Diskussion anstoßen. Und darum geht es ja.

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Dass diese Wendung so plötzlich kommt, ist für mich auch eine gute Allegorie zu Vergewaltigungen. Auch das kommt plötzlich. Du siehst das nicht wirklich voraus oder kannst dich darauf vorbereiten. Deswegen finde ich auch die Situation, in der die Frauen im Film sind, so nachvollziehbar. Das ist passiert, wir sind überfordert, niemand hilft uns. Was bleibt uns übrig?
Wir hatten dieses eine Screening in einem wirklich wunderschönen Theater, bei dem ein Mann war, der sich sehr über den Schluss des Films aufgeregt hat. Er ist aufgestanden und meinte „Was propagiert ihr hier?" Aber es geht nicht um Selbstjustiz. Dass die Frauen selbst handeln, ist die Referenz zur Göttin Kali, die wir im Film haben. Wir haben die Kapazität, uns sehr viel Scheiße reinzuziehen, auch, weil wir es müssen und man sich irgendwann daran gewöhnt. Aber die Leute müssen verstehen, dass man eine Frau nur bis zu einem bestimmten Punkt bringen kann, bevor sie richtig wütend wird. Jede Frau hat Kali in sich und wenn du sie an einen bestimmten Punkt bringst, wird sie dich zerstören.

Jede Frau hat Kali in sich und wenn du sie an einen bestimmten Punkt bringst, wird sie dich zerstören.

Wie waren die Reaktionen in Indien auf den Film?
Ich erinnere mich, dass wir—zwei, drei der Schauspielerinnen und ich—zu einer Vorführung ins Kino gegangen sind, um die Reaktion der Leute zu sehen und uns zwei Mädchen entdeckt haben. Sie haben nichts gesagt, sie sind einfach zu uns gekommen und haben uns umarmt. Und dann sind es immer mehr junge Frauen geworden. Wir haben uns alle umarmt und hatten Tränen in den Augen. Das hat mich wirklich sehr berührt. Sie mussten gar nichts sagen, es war einfach klar, dass wir alle im selben Boot sitzen. Nach all der Scheiße, die in Indien passiert ist, hat mir dieser Moment wirklich ein gutes Gefühl gegeben. Von Freunden habe ich gehört, dass Leute bei anderen Vorstellungen nach dem Film aufgestanden sind oder geklatscht haben. Das passiert sonst einfach nicht! Das war schon ein kleiner Triumph.

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Die Leute fangen jetzt erst an, langsam zu begreifen, dass auch eine Frau viele Zuschauer ziehen kann und in den letzten zwei Jahren gab es tatsächlich ein paar Filme, wo die Hauptfigur weiblich war. Abgesehen davon passiert das einfach nicht. Die Leute in der Industrie glauben, dass man einen Mann braucht, um einen Film zu verkaufen—und natürlich möglichst bekannte Bollywood-Stars. Dann wird Geld investiert und dein Film in vielen Kinos gezeigt. Bei unserem Film gab es Probleme, weil wir in Indien eine Zensurbehörde haben. Ihre Aufgabe ist es eigentlich, einen Film entweder als „U" [Freigabe für alle Altersgruppen] oder „A" [Freigabe für Erwachsene] zu zertifizieren, dazwischen gibt es bei uns nichts. Eigentlich vergeben sie nur die Freigabe und wenn es ein Film für Erwachsene ist, läuft er eben ungeschnitten. Sie zensieren allerdings auch Filme. Wenn sie der Meinung sind, dass in deinem Film etwas vorkommt, was sie für die indische Gesellschaft als unpassend empfinden, fordern sie dich dazu auf, es rauszuschneiden.

Alle Fotos: Karl Kemp

Zu 7 Göttinnen meinten sie am Anfang, dass wir diesen Film nicht rausbringen können, weil das kein Film wäre, den die indische Zuschauerschaft sehen sollte. Sie wollten ihn verbieten. Schlussendlich haben sie uns dann gesagt, dass wir an 80 Stellen Dinge rausschneiden und alle Schimpfwörter ausblenden müssen. Am selben Tag ist übrigens ein Film rausgekommen, in dem der männliche Hauptdarsteller dreimal pro Satz „Fuck" sagt.

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Musste nicht auch eine Stelle rausgeschnitten werden, wo ihr zu einem halbnackten Mann „Oh, Lunch!" sagt?
Ja! Und er war noch nicht mal halbnackt. In der Szene überlegen wir Frauen, wo wir Essen gehen wollen, dann kommt der süße Nachbar vorbei und es fällt ein Satz in Richtung „Oh, guckt mal, da kommt unser Lunch". Sie haben uns gesagt, dass wir das Wort „Lunch" stumm schalten müssen, weil damit der Mann zum Objekt gemacht werden würde. Dann gab es noch ein paar andere Stellen, wo es total unverständlich war, dass sie zensiert wurden. Ihr wollt nicht, dass wir „Fuck" sagen? OK! Aber ist das jetzt hier euer Ernst? Überall kann man die unzensierte Version sehen—nur nicht in dem Land, in dem es am wichtigsten wäre. Wir wurden sogar gefragt, ob wir nicht noch eine männliche Hauptfigur mit reinnehmen können, mit dem es dann eine Tanzszene gibt. Und wir alle waren so: Bitte? Habt ihr den Film überhaupt gesehen?!

Ich möchte nichts mehr machen, was nichts bedeutet.

In einem Interview für Broadly hat die Regisseurin Rubaiyat Hossain mal erklärt, wie viel Einfluss Bollywood eigentlich auf die Rape Culture in Indien hat. Dass es spezielle „Item Dances" gibt, in denen Frauen beispielsweise singen, dass sie wie ein Hühnchen sind und von Männern verspeist werden wollen.
Du musst dir das wie eine Formel vorstellen, ein PR-Werkzeug. Musik spielt in der indischen Filmindustrie eine sehr große Rolle und kann darüber entscheiden, ob ein Film ein Erfolg wird oder nicht. In vielen Filmen—egal, ob es zur Handlung passt oder nicht—gibt es die sogenannte „Item"-Nummer. In der tanzt eine Top-Bollywood-Schauspielerin zu einem dieser Lieder und damit wird dann Werbung für den Film gemacht. Oft ist das sehr sexualisierend in Bezug auf die Frau und ich finde das ziemlich scheiße.

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In Indien gibt es zwei Dinge, die die Leute wirklich lieben: Bollywood und Kricket. Alles andere steht hintenan. Du kannst in das kleinste Dorf fahren und die Leute dort werden jeden einzelnen Bollywood-Schauspieler kennen—es ist also etwas, was einen wirklich großen Einfluss auf die Gesellschaft hat. Viele Leute nehmen das dann sehr wörtlich. Die denken, dass es in Ordnung ist, einem Mädchen hinterherzusteigen, weil sie dann nett kichert und es ja eigentlich auch will. Das hat mit der Realität nichts zu tun, wird dadurch, das damit Werbung für Filme gemacht wird, aber normalisiert. Das ändert sich und es gibt immer mehr Filme, die eine ganz andere Geschichte erzählen, aber diese Veränderung passiert eben langsam. Und niemand unterstützt diese Filme finanziell, damit jede einzelne Person in Indien sie auch sehen kann. Es ist halt ein Geschäft. Du pumpst Geld in einen Film, von dem du sicher weißt, dass er es dir auch wieder einbringen wird.

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Ich glaube, so ist es ja überall.
Ja … Weißt du, ich finde es verrückt, wie viel Einfluss Werbung auf unsere Gesellschaft hat. Mir kommt es fast so vor, als wollten sie einen darauf abrichten, bestimmte Dinge zu fühlen und zu denken. Wir werden mit Dingen bombardiert, die wir angeblich brauchen, um glücklich zu sein und selbst wenn du empathisch bist, hast du keine Zeit, dich um irgendjemand anderen als dich selbst zu kümmern. Du hast keine Zeit, an andere Menschen und ihre Rechte und Tiere und den Planeten und die Umwelt zu denken. Du bist zu beschäftigt damit, zu überleben und das ist echt beschissen. Das Einzige, was diesen ganzen Scheiß durchdringt und dich etwas anderes fühlen lässt, ist Kunst. Wenn du keine Kunst hast, wenn du nichts hast, was dir den Rücken stärkt, ist es verdammt noch mal hart.

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Ich bin so stolz auf diesen Film. Für mich hat er etwas verändert. Ich möchte nichts mehr machen, was nichts bedeutet. Ich arbeite zum Beispiel als Bollywood-Playback-Sängerin—es gibt eine richtige Industrie aus Leuten, die für die Schauspieler singen—und erinnere mich da noch an eine ganz bestimmte Situation. Ich bin ins Studio gegangen, um ein Lied für einen Film aufzunehmen und als ich den Text gelesen habe, dachte ich mir nur: Wollt ihr mich verarschen? Das werde ich auf gar keinen Fall singen.

Was hättest du singen sollen?
Das ist schon echt lange her. Halt so ein typisches, stereotypes, billiges Lied darüber, wie toll mein Körper ist. Mittlerweile bin ich selbstbewusst genug, um sagen zu können, wenn ich mit etwas nicht einverstanden bin, aber damals wusste ich wirklich nicht, was ich tun soll. Mein Gehirn war wie eingefroren und ich habe einfach das Studio verlassen. Dann haben sie mich angerufen und wollten wissen, wo ich bin und ich meinte: „Öhm, also, mein Bruder wurde festgenommen und ich muss jetzt sofort auf die Wache!" [Gelächter] Sie wusste natürlich, dass ich lüge und diese Entscheidung hat meiner Karriere auf jeden Fall nicht gut getan. Der Sohn des Mannes, der den Song geschrieben hat, macht jetzt richtig fantastische Musik, aber wir arbeiten nicht zusammen, weil er weiß, dass es diesen Vorfall gab. Das ist aber auch OK.

Ich bin mittlerweile an einem Punkt, wo ich nur noch mit Menschen arbeiten möchte, die die richtige Einstellung haben—nur so kannst du Dinge schaffen, die die Leute wirklich etwas fühlen lassen. Aber bis sich in Indien wirklich etwas ändert, wird es noch etwas dauern. Die meisten haben mittlerweile Zugang zum Internet und fangen an, ein bisschen offener zu werden, manche Leute haben aber nach wie vor keine Ahnung, was im Rest der Welt passiert—oder interessieren sich einfach nicht dafür, weil sie mit anderen Dingen beschäftigt sind. In Indien schauen übrigens sehr viele Leute Pornos auf ihrem Telefon, weil fast jeder ein Smartphone hat.

Sie sagen, dass eine Frau Lakshmi ist, die Reichtum ins Haus bringt. Sie soll eine Göttin sein und gleichzeitig gibt es diese ganzen Übergriffe.

Sie gucken sich also nackte Frauen auf ihren Telefonen an, kriegen dann aber die Krise, wenn sie eine in Shorts auf der Straße sehen?
Wir haben eine heuchlerische Gesellschaft. Ich glaube, wir nehmen uns als Gesellschaft zu ernst. Du kommst nach Indien, wo das Kamasutra herkommt und siehst die Tempel mit diesen sehr expliziten Abbildungen von Männern und Frauen in allen möglichen Positionen. Wir haben all diese wirklich schönen Sachen und tun immer noch so, als wären wir konservativ. Wusstest du, dass es mal in einem Teil Indiens ein Rindfleischverbot gab? Mir ist es egal, ich esse sowieso kein Fleisch, aber es ist so heuchlerisch, weil sie einerseits Kühe verehren, weil sie angeblich heilig sind, gleichzeitig exportieren wir aber sehr viel Rindfleisch und Kuhhäute.

Eigentlich ist es mit Frauen genau dasselbe. Sie sagen, dass eine Frau Lakshmi ist, die Reichtum ins Haus bringt. Sie soll eine Göttin sein und gleichzeitig gibt es diese ganzen Übergriffe, Männer schlagen ihre Frauen und sie werden allgemein schlecht behandelt. Ich weiß, dass wir es besser haben als viele unserer Nachbarländer. Ich kann theoretisch sagen und anziehen was ich möchte, während Frauen in anderen Ländern nicht erlaubt ist, Auto zu fahren. Aber trotzdem: Für mich fühlt es sich so an, als befände sich Indien in einem ständigen Zustand der Verwirrung. Auf der einen Seite sind wir modern und fortschrittlich, auf der anderen Seite haben wir eine sehr konservative Kultur—und das Land ist hin und hergerissen zwischen diesen beiden Seiten.