Auf Facebook über seine Fehlgeburt zu sprechen, ist immer noch schwierig
Illustration by Eleanor Doughty

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Auf Facebook über seine Fehlgeburt zu sprechen, ist immer noch schwierig

Wer schwanger ist, lässt es sich nur selten nehmen, die frohe Nachricht in den sozialen Medien zu verkünden. Doch wie kommuniziert man, wenn das Glück ein unerwartetes Ende gefunden hat?

Dass man älter wird, merkt man unter anderem auch daran, dass man in seiner Facebook-Timeline immer häufiger auf kreative Schwangerschaftsankündigungen stößt. Während viele nur ein Ultraschallfoto und ihre Aufregung teilen, gibt es auf Pinterest tausende weiterer Vorschläge, wie man eine Schwangerschaft öffentlich machen kann. Das reicht von mehrdeutigen Fotos, die zu der verwunderten Frage führen, ob du denn nun schwanger bist und geht bis hin zu Stars, die sich selbst als lebendes Kunstwerk in Szene setzen oder aufwendige Unterwasseraufnahmen machen, um zu verkünden, dass sie in froher Hoffnung sind. In jedem Fall investieren werdende Eltern immer mehr Zeit und Energie darauf, die guten Nachrichten auch entsprechend in den sozialen Medien zu inszenieren.

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Während man früher nur die Familie und engsten Freunde eingeweiht hat, kann man über Facebook und Co. mittlerweile mit einem einzigen Klick sein gesamtes näheres Umfeld informieren. Wie in so vielen Dingen haben die sozialen Medien Schwangerschaftsankündigungen allerdings nicht nur um vieles einfacher und schneller gemacht, sondern haben auch den Druck auf die werdenden Eltern nicht unwesentlich erhöht. Denn obwohl man davon ausgeht, dass man schon ein paar Monate später, süße Babyfotos zu sehen bekommen wird, kommt es doch oft ganz anders.

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Tanisha Shanee, 31, aus New York bekam Ende 2015 eine unerwartete, lebensverändernde Nachricht: Sie war schwanger. Shanee war begeistert. Sie hatte vier Jahre zuvor eine Fehlgeburt erlitten und dachte, dass es vielleicht dieses Mal klappen würde.

Als sie im zweiten Monat war, verkündete Shanee ihre Schwangerschaft auf Facebook. Zunächst reagierten viele ihrer Freunde überrascht – sie wussten von ihrer vorhergehenden Fehlgeburt –, aber Shanee sagt, sie wusste, dass sie es alle nur gut meinten. Sie war vollkommen überwältigt von all den guten Wünschen. "Sie haben sich sehr für mich gefreut und haben mich sehr unterstützt", sagt sie.

Es vergingen drei Tage, bevor Shanee im Krankenhaus notoperiert werden musste. Sie hatte eine ektopische Schwangerschaft – das heißt, dass sich die befruchtete Eizelle in den Eileitern, den Eierstöcken, dem Gebärmutterhals oder in der Bauchhöhle einnistet und niemals die Gebärmutter erreicht. Wie bei allen ektopischen Schwangerschaften, verlor auch sie ihr Baby.

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Es gab auch schon Schwangerschaften, bevor es die sozialen Medien gab – man ist also nicht dazu verpflichtet, etwas zu posten.

Sie wartete drei Tage bis nach der Operation, dann postete sie ein Video, in dem sie ihren Freunden erzählte, was passiert war. Sie war emotional hin- und hergerissen, was ihren Post betraf: Einerseits wollte sie es einfach hinter sich haben, andererseits sah sie darin einen notwendigen Bestandteil ihres Trauerprozesses. "Es fiel mir schwer, den anderen davon zu erzählen, aber ich war auch glücklich, dass alles gut gegangen war", sagt Shanee. "Zu diesem Zeitpunkt war ich froh, dass ich es überhaupt geschafft habe. Es gibt Menschen, die wegen einer ektopischen Schwangerschaft sterben. Mir ging es gut. Ich dachte nur immer wieder: 'Vielleicht soll ich einfach keine Kinder haben.'"

Shanee sagt, dass ihre Freunde in den sozialen Medien sehr mitfühlend reagiert haben. Wie sie erfahren hat, hatte auch eine ihrer Freundinnen schon mal eine ektopische Schwangerschaft. Es tat ihr gut, jemanden zu haben, mit dem sie darüber sprechen konnte. Sie fand es aber noch immer schwierig, online offen über ein so sensibles Thema zu sprechen.

Gerade weil Frauen nicht offen über Fehlgeburten sprechen, fällt es vielen noch schwerer, einer großen Gruppe von Bekannten davon zu erzählen. Jennifer Chen, 36, hatte in der zehnten Schwangerschaftswoche eine Fehlgeburt und hat ihren Verlust auf Facebook bekannt gegeben. "Nachdem ich mich mit einigen meiner Bekannten unterhalten hatte, wurde mir klar, dass es viele Frauen gibt, die schon mal eine Fehlgeburt erlitten haben – es spricht nur niemand darüber", sagt Chen. "Ich wollte offen damit umgehen, auch wenn ich unbeschreibliche Angst hatte. Ich wusste, dass ich nicht allein war und dass es mir helfen würde, mich nicht mehr so allein zu fühlen und meine Scham zu bekämpfen, wenn ich mit jemandem darüber sprechen würde."

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Nach fünf Monaten erlitt sie eine weitere Fehlgeburt in der sechsten Schwangerschaftswoche und machte es wieder öffentlich. "Das war kurz vor meinem Geburtstag. Es hat mich unglaublich traurig gemacht, ein Jahr älter und noch immer nicht schwanger zu sein." In den sozialen Medien darüber zu sprechen, hat sie getröstet, sagt Chen. Viele ihrer Freunde haben sich danach bei ihr gemeldet und haben ihr damit das Gefühl gegeben, nicht allein zu sein.

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Obwohl die Erfahrung, eine Schwangerschaft zu verlieren, für viele Frauen sehr isolierend sein kann, kommt es doch sehr häufig vor. Laut Angaben des Universitätsklinikums in Bonn enden etwa 15 Prozent der Schwangerschaften als Fehlgeburt. Der Begriff Fehlgeburt bezeichnet eine Schwangerschaft, die vor Ende der 22. bis 24. Schwangerschaftswoche vorzeitig abbricht. Der Verlust eines Kindes nach der 24. Schwangerschaftswoche wird hingegen als Totgeburt bezeichnet. Laut Angaben der Ärztezeitung kommen in Deutschland auf 1.000 Geburten etwa 2,4 Totgeburten. Ektopische Schwangerschaften betreffen derweil 1,3 bis 2,4 Prozent aller Schwangerschaften.

Angesichts des Erfolgs der sozialen Medien – Ende 2016 hatte Facebook 1,86 Milliarden aktive Nutzer im Monat und Instagram 600 Millionen –, gibt es womöglich sehr viele Frauen im gebärfähigen Alter, die sich schon einmal die Frage stellen mussten, wie sie mit dem Verlust einer Schwangerschaft in der virtuellen Öffentlichkeit umgehen sollen.

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Dr. Gail Saltz ist Psychiaterin und Autorin des Buches The Power of Different. Sie würde Frauen raten, überhaupt nichts darüber in den sozialen Medien zu schreiben. "Ich halte das für keine besonders kluge Idee. Es ist nur sehr schwer einzuschätzen, wie die Leute auf eine solche Nachricht reagieren und man ist in einem solchen Moment sowieso schon verwundbar genug. Es gab auch schon Schwangerschaften, bevor es die sozialen Medien gab – man ist also nicht dazu verpflichtet, etwas zu posten. Es könnte auch passieren, dass jemand so einfühlsam wie möglich sein möchte, es sich aber trotzdem verletzend anhört."

Ich wollte offen damit umgehen, auch wenn ich unbeschreibliche Angst hatte.

"Jeder neigt in solchen Momenten dazu, den Schmerz des anderen lindern zu wollen und den anderen in gewisser Weise auch vergessen lassen zu wollen, was ihm zugestoßen ist", sagt Saltz weiter. "Doch selbst wenn es von Herzen kommt – wenn Menschen solche Sätze sagen wie 'Das nächste Mal klappt es bestimmt' oder 'Du hast ja schon ein Kind', dann kann es sein, dass man sich in diesem speziellen Moment vollkommen unverstanden und komplett entmutigt fühlt."

Statt es in den sozialen Medien bekannt zu geben, rät Salz, sich mit den Menschen persönlich zu treffen, um über das Erlebte zu sprechen. Auf diese Weise können sie ihr Mitgefühl nicht nur über Worte, sondern auch über ihre Körpersprache zeigen. "Wenn man sich persönlich gegenübersitzt, kann man den anderen berühren und sein Gesicht sehen. Das ist meist sehr viel förderlicher", sagt sie. Saltz würde auch empfehlen, einen guten Freund zu bitten, die Nachricht zu verbreiten oder es seinen Bekannten einzeln und in kleinen Gruppen per Mail mitzuteilen. So behält man die Kontrolle über die Antworten, die man bekommt.

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Shanee gibt zu, dass sie die Nachricht über ihre Fehlgeburt heute anders bekannt geben würde. Sie sagt auch, dass sie bis nach dem ersten Trimester warten würde, bevor sie in den sozialen Netzwerken über ihre Schwangerschaft spricht. Sie würde allerdings nicht komplett darauf verzichten, es öffentlich zu machen.

Letztendlich haben sowohl ihre als auch Chens Geschichte ein Happy End. Chen hat am 15. Februar 2016 Zwillinge zur Welt gebracht und Shanee eine Reihe von Online-Seminaren entwickelt, die Menschen die Möglichkeit geben sollen, über die Geschichten ihres eigenen Verlusts zu sprechen. Sie hofft, anderen mit ihrer Plattform helfen zu können. "Ich habe komplett zugemacht und wurde depressiv", sagt sie über ihre ektopische Schwangerschaft. "Ich weiß, dass es viele Menschen gibt, denen das Gleiche passiert ist wie mir und ich möchte ihnen zeigen, dass es mehr im Leben gibt. Ich möchte ein positives Licht auf ein tragisches Erlebnis werfen."