LARY über das große Missverständnis, eine "starke Frau" sein zu müssen
Alle Fotos: Hakki Topcu

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Interview

LARY über das große Missverständnis, eine "starke Frau" sein zu müssen

Die Sängerin macht so schmerzhaft schöne Musik, dass man mit ihr stundenlang über Liebe sprechen möchte. Uns hat sie stattdessen erzählt, was sie richtig wütend macht.

Eigentlich wollten wir das Interview mit LARY auf einem Hausdach führen. Mit der Sonne im Nacken und dem Blick über halb Neukölln. Als wir im obersten Stock des Miethauses angekommen sind, und auf eine schmale Luke in der Decke starren, wird der Plan umgeworfen. Der Fotograf kommt mit hoch, die Redakteurin wartet im Flur. Gesprochen wird später bei einem Italiener um die Ecke.

LARY ist als Künstlerin ein ziemliches Phänomen. Ihre Stimme klingt nach Sehnsucht, Schmerz und langen Nächten in verrauchten Kneipen, die man zu sehr genießt, um sie am nächsten Morgen zu bereuen. Ihre Texte sind sinnlich, verletzlich und komplex, und passen perfekt in eine Zeit, in der Gedichtbände von jungen Lyrikerinnen wie Rupi Kaur zu Bestsellern werden. Der große musikalische Erfolg blieb bisher allerdings aus – bis auf die MoTrip-Kollabo "So wie du bist". Ihr neues Album hart fragil, das am 20. Juli erscheint, soll das ändern. Auf musikalischen Seelen-Striptease setzt LARY jedoch weiterhin. Im Gespräch mit Broadly erklärt die 32-Jährige, warum es nicht per se mutig ist, sich emotional nackt zu machen und was sie an Mainstream-Feminismus stört.

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Broadly: Stört es dich, dass die Leute in Interviews immer über Schmerz und Liebe mit dir reden wollen?
LARY: Ich glaube, das ist normal, weil man sich natürlich fragt, wie die Musik entsteht. Da höre ich schon mal: "LARY, ich kenne dich nur von Instagram und da bist du eigentlich immer ganz gut drauf. Jetzt hast du dieses Album gemacht – was ist denn da los?" Bei meiner Musik ist ja sehr offensichtlich, dass Liebe und Schmerz die Orte sind, aus denen sie kommt. Auch das neue Album ist sehr melancholisch, weil das einfach die Emotion ist, in der ich mich am wohlsten fühle. Aus der entspringt die meiste Kreativität bei mir. Wenn ich gerade voll happy bin, habe ich nicht das Bedürfnis, einen Song zu schreiben. Glücklich sein ist einfach nicht so eine spannende Emotion.

Ich bin total gerne glücklich und gehe feiern. Aber die Phasen, in denen ich schwach bin, in denen es mir schlecht geht oder in denen mein Herz gebrochen wurde, an die erinnere ich mich wesentlich besser als an alle Sommer, die ich hatte. Trotzdem habe ich mir für die nächste kreative Phase vorgenommen, mir zu überlegen, was ich eigentlich für positive Dinge über die Liebe zu sagen habe. Ich war jetzt sehr lange an diesem dunklen Ort. Ich habe Lust, endlich mal woanders zu sein.

Gibt es für dich Abschnitte, die du musikalisch festgehalten hast, mit denen du eigentlich lieber abschließen würdest, als sie auf der Bühne immer wieder zu durchleben?
Nein, ich gehe eigentlich ganz gerne zurück, um mich selbst mit etwas Distanz zu beobachten. Musik hat total viel mit emotionaler Reflektion zu tun. Ich bin ja jetzt die Frau, die ich jetzt bin, deswegen kann mich ein Song gar nicht mehr an den gleichen Punkt zurückwerfen. Nur weil ich am Ende war, als ich einen Song geschrieben habe, bin ich nicht wieder total fertig, wenn ich ihn performe. Manchmal schon, dann aber auch nur für diese drei Minuten. Danach fasse ich mich wieder. Ich kann das Buch aufmachen, ich kann es aber auch wieder zumachen.

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Glaubst du, dass die Leute sich dir näher fühlen, weil du dich in deiner Musik sehr verletzlich zeigst?
Ich habe das Gefühl, dass der Austausch zwischen mir und meinen Fans schon sehr nah und privat ist. Da sind kaum Leute, die einfach mal nur ein Foto machen wollen. Die meisten haben noch etwas zu erzählen oder wollen von mir etwas wissen. Deswegen rege ich mich auch so darüber auf, dass immer mehr Popstars mit "VIP-Erlebnissen" richtig viel Kohle machen. Leute, die dich supporten und pushen, dafür bezahlen zu lassen, dass sie ein scheiß Foto mit dir machen können, ist doch das Letzte. Das hat nichts mit Mucke machen zu tun. Die Fans haben sich eine Nähe zu dir aufgebaut, die du als Künstlerin sowieso nie genau so erwidern kannst, aber das sind ja trotzdem echte Emotionen. Und daraus eine Kultur zu etablieren, dass man sich vermeintliche Nähe kaufen kann, ist für mich eine echt dunkle Art von Kapitalismus. Wenn du so junge Fans hast, hast du so viel Power – nutze die doch lieber für etwas Positives.

"Wenn ich noch auf eine verkackte 'The Future is Female'-Veranstaltung von irgendeiner Marke eingeladen werde, kotze ich."

Du hast mal gesagt, dass David Bowie eines deiner Vorbilder ist, weil er so furchtlos ist. Bist du nicht auch furchtlos, wenn du dich in deiner Musik emotional so nackt machst?
Ich weiß gar nicht, ob das Mut ist. Ich mache das einfach, weil es raus muss, weil ich nicht anders kann. Innerhalb so eines Prozesses denke ich nicht darüber nach, ob ich mich jetzt traue, das zu singen. Und dann habe ich es halt gemacht, und muss irgendwie damit fertigwerden. Ich finde es eher mutig, wenn Menschen über Missstände in der Welt schreiben oder eine krasse politische Message haben. Wenn die sagen: "Das schreibe ich mir jetzt auf die Fahne und dafür gehe ich auf die Straße, dafür kämpfe ich und lebe ich und sterbe ich." Aber über mich selbst zu schreiben und darüber, wie es mir gerade geht? Das erfordert keinen Mut. Am Ende des Tages ist das immer noch meine Erfahrung. Ob das jemand gut oder schlecht findet, muss mich eigentlich nicht jucken. Ich war ja nur ehrlich.

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Auch wenn etwas selbstbezogen und melancholisch ist, kann es aber trotzdem eine Message haben, an der sich Leute stoßen. Lana Del Rey wurde mehrfach vorgeworfen, dass sie missbräuchliche Beziehungen und Abhängigkeit von Männern romantisiert.
Das finde ich immer so bescheuert. Na klar hören das viele Leute und man kann argumentieren, dass sie nicht wirklich was für Frauen tut mit ihrer Musik – aber dann macht sie das halt nicht. Es muss doch auch nicht jede eine Feministin sein. Es gibt Frauen, die haben keinen Bock, arbeiten zu gehen und fühlen sich wohl in ihrer Mutter- und Kindererziehungsrolle. Das kann doch jede machen, wie sie will.

Wobei Feminismus ja bedeutet, dass jede Frau die Freiheit haben sollte, das zu machen, was sie will.
Im Moment wird mir das aber alles zu extrem instrumentalisiert und kommerzialisiert. Wenn ich noch auf eine verkackte "The Future is Female"-Veranstaltung von irgendeiner Marke eingeladen werde, kotze ich. Im Grunde genommen ist es geil, dass so was thematisiert wird und ein Dialog aufgemacht wird – es nervt nur, das alle Kapital daraus schlagen. Das ist überhaupt nicht der Sinn der Sache, das macht das Anliegen total leer.

Wenn man als Marke Empowerment darauf herunterbricht, das alle Frauen immer stark und tough sein müssen, weil das inspirierender ist und sich besser verkauft, schließt man natürlich auch viele aus.
Dieses "badass" und "starke Frau" sein müssen wird immer so falsch verstanden. Feminismus heißt also, dass man Frauen mit männlichen Attributen belegt? Das ist doch totaler Quatsch! Wenn man Feminismus immer nur im Vergleich und im Gegensatz und im Bezug auf den Mann versteht, macht das für mich überhaupt keinen Sinn. Diese Diskussion ist so diffus. Da wird behauptet, man würde jetzt einen auf Feminismus und Diversität machen, und dann holt man fünf Unterwäschemodels ran. Was soll mir das jetzt sagen? Soll ich mich jetzt noch schlechter fühlen? Nur weil Frauen dabei sind, ist es noch lange kein feministisches Event. Denen, die wirklich etwas erreichen wollen, wird es dadurch total schwer gemacht, in diesem ganzen Wust überhaupt wahrgenommen zu werden.

Was ärgert dich daran am meisten?
Als Frau darauf reduziert zu werden, eine Frau zu sein, während Männer in erster Linie Mensch sein dürfen. Das ist ein krasser Unterschied, der super weitreichend ist – in der Erziehung, in dem, wie du dich selbst verstehst und wahrgenommen wirst, in dem, was du lernst, wofür du dich interessierst. Es gibt auch total viele Frauen, die das nicht auf dem Schirm haben. Ich habe kürzlich einen Artikel gelesen, in dem sich eine Autorin ganz oberflächlich darüber echauffiert hat, dass Lena Meyer-Landrut ein tiefausgeschnittenes Kleid getragen hat. Ich dachte, ich lese nicht richtig. Und so was dann noch von einer Frau zur anderen. Stell dich in die Ecke und schäm dich! Wir müssen einfach lernen, uns nicht nur selbst, sondern auch gegenseitig zu akzeptieren. Egal mit wie vielen Leuten du schläfst oder welches Outfit du anhast. Ich glaube, wir stehen uns da hauptsächlich selbst im Weg.

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