Eiko Kawasaki flüchtete aus Nordkorea
Eiko Kawasaki flüchtete aus Nordkorea. Heute lebt sie in Tokio | Alle Fotos: Tanja Houwerzijl

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Politik

"Mein Volk wird einer Gehirnwäsche unterzogen": Frauen über ihre Flucht aus Nordkorea

Schuldgefühle und Paranoia, Angst, dass die eigene Familie hingerichtet wird – für ihre Freiheit zahlen die Frauen einen hohen Preis. Wir haben zwei von ihnen getroffen.

In Japan sind nordkoreanische Fischerboote inzwischen als Geisterschiffe bekannt. 2017 wurden insgesamt 104 dieser Boote an Japans Westküste gespült. Vor zwei Jahren wurden laut der japanischen Küstenwache 66 Boote gefunden. Oft finden sich in oder neben den Booten auch die Leichen von Nordkoreanern. Experten sehen den Anstieg der Boote als direkte Folge der Lebensmittelknappheit in Nordkorea. Diese wiederum hängt mit den schärferen Sanktionen zusammen, die in den letzten Jahren gegen Nordkorea verhängt wurden.

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Diese Geisterschiffe und die zahlreichen Raketengeschosse, die über japanischem Gebiet von Nordkorea abgefeuert werden, passen so gar nicht zu der diplomatischen Choreografie, die während der Olympischen Winterspiele von Nord- und Südkorea zur Schau gestellt wurde. Bei der Eröffnungszeremonie in Pyeongchang saß Kim Jong-uns Schwester Kim Yo-jong nur wenige Meter vom südkoreanischen Präsidenten Moon Jae-in entfernt.

Doch Menschen, die aus Nordkorea geflüchtet sind, glauben dieser "Diplomatie des Lächelns" keine Sekunde lang. Stattdessen erwecken die Medienberichte über Geisterschiffe in ihnen schmerzhafte Erinnerungen an Hunger und Elend.


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Ich treffe Eiko Kawasaki in einem Einkaufszentrum in einem Vorort von Tokio. Bevor sie vor über zehn Jahren nach Japan flüchtete, wusste die 75-Jährige nicht einmal, dass Orte wie dieses Einkaufszentrum existieren.

Kawasakis Geschichte klingt wie ein Thriller von Orwell. 1942 wurde sie als Tochter nordkoreanischer Eltern geboren. Ihre Eltern waren nach Japan gekommen, als das vereinte Korea noch japanische Kolonie war. "Kurz nach dem Krieg ging es der japanischen Wirtschaft schlecht. Wir zainichi [Koreaner, die in Japan leben] hatten den schlechtesten Stand in der Gesellschaft", sagt sie.

Nachdem Korea nach dem Korea-Krieg geteilt wurde, startete der Norden eine Repatriierungsbewegung, um Koreaner aus anderen asiatischen Ländern wieder in ihre Heimat zu locken. "Ich kannte Kommunismus nur aus Schulbüchern", sagt Kawasaki. "Japan war damals arm, daher wirkte es wie eine Chance, den Kommunismus aus erster Hand kennen zu lernen." Zusätzlich versprach die nordkoreanische Regierung den Rückkehrern, dass Bildung, Unterkunft, Gesundheitsversorgung und sogar Kleidung kostenlos sein würden. "Ich ging allein nach Nordkorea. Meine Familie kam später nach."

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Kawasaki fuhr mit dem Schiff nach Nordkorea – so wie insgesamt 93.000 andere zainichi – und erinnert sich noch lebhaft an ihre Ankunft im Hafen. "Menschen riefen uns zu, dass die Versprechen von kostenlosem Essen und Gesundheitsversorgung gelogen seien. 'Kehrt um', riefen sie. Aber das konnten wir nicht."

Eiko Kawasaki zeigt auf die Region in Nordkorea, in der sie mit ihrer Familie gelebt hat

Am schlimmsten für Kawasaki war die Tatsache, dass sie nicht nach Japan zurückkehren konnte – die nordkoreanische Regierung erlaubte es nicht. Sie war nun eine Gefangene.

Kawasaki tat ihr bestes, um ein normales Leben in der Diktatur zu führen. Sie strengte sich in der Schule an und erlangte einen Abschluss in Maschinenbau. Sie bekam einen guten Job, heiratete einen Nordkoreaner und brachte fünf Kinder zur Welt.

Doch hier fing das wahre Leid für sie an. "Ich konnte meiner Familie nicht erzählen, dass das Leben außerhalb von Nordkorea so viel besser war. Sie hätten mich der Regierung melden können. Ich hätte dafür im Gefängnis landen können. Und ich wusste nicht, was meine Kinder dachten. Ich wusste nur, dass sie in der Schule einer Gehirnwäsche unterzogen wurden."

Ihre Kinder misstrauten jedem, außer der Partei und ihrem geliebten Anführer Kim Jong-il. "Ich traute mich nicht, mit ihnen über mein Leben in Japan zu reden oder über meinen Wunsch, Nordkorea zu verlassen. Eines Tages wurde mir klar, dass ich fliehen musste. Mein Mann war bereits tot und ich wäre lieber in Nordkorea gestorben, als dort länger zu leben."

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Nordkoreanische Schüler beäugen die fremden Besucher misstrauisch. Sie sind gerade auf dem Weg, ihrem geliebten Anführer Respekt zu zollen

Von ihrer geplanten Flucht sagte sie ihren Kindern nichts. "Das hätte bedeutet, dass ich entweder einen Verrat riskiert hätte, oder sie zu Komplizen für mein Verbrechen gemacht hätte. Das hatte nicht mit mangelndem Vertrauen zu tun, aber ich musste mit dem Schlimmsten rechnen."

Nur eines ihrer fünf Kinder entschied sich später ebenfalls, aus Nordkorea zu fliehen. "Wir sind Nachbarn in Tokio", sagt sie mit einem Lächeln. "Ich sorge mich jedoch um meine anderen vier Kinder. Bis November 2017 hatte ich über ein Jahr lang nichts von ihnen gehört. Daher freute ich mich sehr, als ich im November einen Brief von ihnen erhielt. Nun weiß ich, dass es ihnen gut geht."

In einem ruhigen Viertel Tokios treffe ich die Nordkoreanerin Mitsuko. Sie wird von dem japanischen NGO-Mitarbeiter Hiroshi Kato begleitet, der weibliche Überläufer im Namen der Organisation Life Funds for North Korean Refugees unterstützt.

Wir haben Mitsukos Namen geändert, um ihre Identität zu schützen. Die 47-Jährige floh 2001 nach Japan. Anders als Kawasaki wurde ihr schnell klar, dass ihre Flucht Konsequenzen für ihre Angehörigen in Nordkorea hatte. "Als ich floh, wurde mein Schwager festgenommen, gefoltert und im Gefängnis ermordet. Ein anderer Schwager verlor seinen Posten als Leiter eines großen Krankenhauses."

Mitsuko (Name geändert) möchte sich nicht vor der Kamera zeigen, da sie sich vor der Rache der nordkoreanischen Führung fürchtet

Neben Mitsuko nickt Kato. "Man muss wissen, dass das nordkoreanische Regime besessen davon ist, die eigenen Leute zu kontrollieren. So funktioniert das System, in dem sie leben. Das erklärt auch, warum Mitsuko auch heute in Japan noch Angst hat."

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Während unseres Interviews schaut sich Mitsuko ängstlich im Fastfood-Restaurant um. Die Paranoia, mit der sie in Nordkorea aufwuchs, hat sie nie richtig abgelegt. In Nordkorea gibt es eine sogenannte Drei-Generationen-Regel, erklärt sie. Das heißt, dass eine gesamte Familie dafür bestraft werden kann, wenn ein Angehöriger ein Verbrechen begeht. Aus dem Land fliehen ist eines der schlimmsten Verbrechen.

Als Kind träumte Mitsuko von einem Leben außerhalb von Nordkorea: "Ich wusste, dass ich kein normales Leben führte. Ich kann mich nicht erinnern, dort jemals glücklich gewesen zu sein." Ihre Kindheitsfreunde trauten sich nicht, schlecht über Nordkorea zu reden und sie merkte schnell, dass es riskant war, über Politik zu sprechen. Der einzige Ort, an dem sie offen ihre Meinung äußern konnte, war ihr Elternhaus. Im Privaten sahen ihre Eltern das Regime kritisch. Mitsuko vermutete, dass die anderen Kinder ähnlich aufwuchsen und die Führungsriege nur lobten, um keinen Ärger zu bekommen.

Eine nordkoreanische Farm zwischen Pjöngjang und Kaesŏng. Trotz der harten Arbeit der Bauern, ist Nordkorea auf internationale Lebensmittelspenden angewiesen

Doch als Kim Jong-il 2011 starb, wurde sie von der Reaktion ihrer Landsleute überrascht. "Menschen liefen weinend durch die Straßen. Einige konnten aus Trauer nichts mehr essen und verhungerten. Da merkte ich, dass ich etwas tun musste. Mein Volk wird einer Gehirnwäsche unterzogen."

Mitsukos Mann fing an, Menschen in Südkorea bei der Kontaktaufnahme zu Verwandten in Nordkorea zu helfen. Für diesen Landesverrat hätten ihm und Mitsuko die öffentliche Hinrichtung gedroht. Als sie hörten, dass der nordkoreanische Nachrichtendienst von ihren Aktivitäten wusste, entschlossen sie sich zur Flucht.

Heute lebt Mitsuko gemeinsam mit ihrem Mann und Kind in Tokio. Es vergeht kein Tag, an dem sie keine Schuld gegenüber den Familienmitgliedern empfindet, die sie zurückgelassen hat. Die Jahre in Nordkorea haben eine tiefe emotionale Narbe hinterlassen, sagt Mitsuko.

Zum Abschluss frage ich Mitsuko, was sie von der nordkoreanischen Charme-Offensive bei den Olympischen Spielen hält. "Die nordkoreanische Regierung wird nie aufhören, an einer Atomrakete zu arbeiten, damit sie die USA angreifen können. Hier in Japan gibt es US-amerikanische Militärstützpunkte. Ich habe keinen Zweifel daran, dass sie irgendwann diese Ziele anvisieren werden. Wir müssen diese grausame Diktatur stoppen."

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