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Selbstversuch

Zu Besuch beim BDSM-Yoga in Berlin

Ich habe mich in ein Latex-Outfit gequetscht und meinen inneren Frieden gefunden.
Alle Fotos von Albina Maks

"Du bist mutig", sagt eine junge Frau und mustert mich von Kopf bis Fuß. Ich wundere mich kurz und blicke mich um. Die anderen Teilnehmerinnen des Fetisch-Yogakurses haben sich alle für Looks entschieden, die wahlweise an Background-Tänzerinnen von Britney Spears oder die Fitnessstudio-Version von Daenerys Targaryen erinnern. Es gibt Kreuzträger-BHs und Dekolletee-Gucklöcher. Doch ich zeige am meisten Haut.

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Zumindest vorerst. Später wird sich ein männlicher Teilnehmer noch bis auf die Hotpants ausziehen und mir sagen, er mache zwar seit "vielen, vielen Jahren" Yoga, doch dieser Kurs sei eine größere Herausforderung als erwartet. Mein eigenes Outfit hat mir eine Freundin geliehen: Latex-Bustier und Hotpants. Das silberne Hundehalsband mit Leine habe ich im letzten Moment abgelehnt – ich bin in diesem Aufzug so schon verunsichert genug.

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Ich weiß nicht, was genau mich geritten hat, an einem Freitagmorgen in Berlin zu einem "Kink-Yoga"-Kurs zu gehen. Einer Veranstaltung, bei der Teilnehmer explizit dazu angehalten werden, "Latex und Fetischkleidung zu tragen", um ihre "Intuition zu stärken". Vielleicht habe ich einfach Lust, mal wieder etwas Aufregendes zu erleben. Schließlich feiere ich mit 29 mittlerweile öfter Baby-Geburtstage als wilde Parties. Das hier ist zumindest das Gegenteil von langweilig.

Außerdem scheinen auch die anderen Leute hier keine Fetisch-Profis zu sein. Wer sich Vollzeit mit Kink befasst, geht vermutlich einfach in einen der vielen Sexclubs in Berlin. Stattdessen ist der Kurs perfekt für gestresste Freiberuflerinnen wie mich geeignet: nüchtern 90 Minuten lang auf Entdeckungsreise gehen und am Schluss gibt es für alle noch einen Tee (Preis in der Kursgebühr enthalten).


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Yoga-Lehrerin Madeleine White kommt aus Australien und hat das Konzept entwickelt. Die 25-Jährige steht in einem schwarzen Catsuit mitten im Raum und strahlt Ruhe aus, während sie erklärt, dass uns die enge BDSM-Kleidung dabei helfe, uns auf uns selbst zu konzentrieren. Ich bin skeptisch, doch als wir mit den Atemübungen anfangen, konzentriert sich mein Gehirn tatsächlich darauf, wie mein Bauch sich unter der Latex-Schicht bewegt. Wenn ich meine Meditations-App zu Hause verwende, klappt das nicht so gut.

Nach ein paar Runden durch den Raum, bei der wir uns auf unsere Bewegungen konzentrieren sollen, weist White uns an, uns auf unsere "Eierstöcke oder Hoden" zu fokussieren. Etwas, was ich bisher in keinem Yoga-Kurs gehört habe. Dazu lassen wir unsere Hüften eifrig kreisen, als wollten wir mit ihnen eine Acht beschreiben. Dann sollen wir den Rücken der Person neben uns ungefähr auf Höhe der Fortpflanzungsorgane berühren.

"Spürt die Energie dieser Person – wenn ihr fühlen könnt, dass sie das nicht angenehm findet, dann fasst sie nicht an", warnt White. Verlegen positionieren wir unsere Hände vorsichtig am unteren Rücken. Wir sind mutig, wir sind kinky, aber wir sind hier nicht in einem Sexclub, also lassen wir die Fingern von fremden Hintern. Stattdessen wiegen uns alle im selben Takt und kreisen brav Achten mit unseren Eierstöcken und Hoden. Irgendwann halten wir alle Händchen.

Es ist nett. Kuschlig, irgendwie. Gar nicht so, wie ich mir einen BDSM-Yoga-Kurs vorgestellt hatte. Größtenteils hat die Yogastunde eher etwas Traumartiges. Vielleicht liegt das daran, dass White auch Einflüsse aus dem Butoh, dem avantgardistisch-expressionistischen Tanz aus Japan, integriert. So macht White beispielsweise ein delfinartiges Trillergeräusch und fordert uns auf, es beim Ausatmen auch mal zu versuchen. Dann sollen wir eine Bewegung machen, als würden wir mit einem Schlag unser Gesicht abreißen. Wir tun so, als seien unsere Nippel unsere Augen und der Nabel die Nase und das Becken der Mund, und dann versuchen wir, durch das Becken zu atmen.

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Wir sollen uns vorstellen, wir seien Fische an Land, um dann mit aller Kraft auf dem harten Holzboden herumzuzappeln. Später erklärt mir White, das sei eine yogafreundlichere Version einer Butoh-Übung, bei der man so tut "als sei man ein gestrandeter Fisch mit einer offenen, blutenden Wunde, der dann vergewaltigt wird".

Für Yoga-Junkies bietet die Stunde in jedem Fall genug Anspruch. White fordert uns auf, 108 Yoga-Kniebeugen zu versuchen. Dazu gehört nicht nur das Aufrichten aus der Hocke, sondern auch ausgeklügelte Fersenarbeit, die theoretisch einfach klingt, aber sich in der Praxis als olympisch anspruchsvoll herausstellt. Ich schaffe zehn, fühle mich erschöpft, trinke einen Schluck Wasser und versuche dann halbherzig ein paar mehr.

Das Wasser habe ich nötig, denn der Schweiß läuft in Strömen. Diese Übungen in einem Latex-Outfit zu machen, klingt lustiger als es ist. Nicht nur ist es doppelt so heiß wie ohne hautenge Kunststoffschicht, beim Auf- und Abspringen muss ich außerdem aufpassen, dass mir meine Oberweite nicht aus dem Ausschnitt fällt. Als wir uns anschließend für eine Übung auf den Bauch legen, spieße ich mich mit dem übergroßen Reißverschluss meines Tops auf. Ich hatte zwar mit masochistischen Elementen gerechnet, aber sicher nicht so.

Madeleine White (Mitte), die Kink-Yogalehrerin

Whites Inspiration kommt nur zum Teil aus klassischen Darkrooms. Die Idee für ihr besonderes Yoga habe sie erst entwickelt, als sie vor etwa drei Monaten im Berliner KitKatClub mit der japanischen Bondage-Form Shibari anfing, erzählt sie. Bei dieser Praktik könne ein Mensch seine Grenzen erweitern – wenn man sie falsch anwendet, kann sie allerdings auch ziemlich gefährlich werden. Wie etwa bei der jungen Frau aus Rom, die 2011 gefesselt starb.

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Wenn Shibari schiefgehe, so White, könne es Minuten dauern, bis man die Person durch Aufknoten oder Schneiden aus den Seilen befreit hat. Deshalb sei es unabdingbar, sich auf seine Atmung zu konzentrieren und "sich einfach zu entspannen, sonst kann man ersticken oder Panik bekommen".

Kink-Yoga hat laut seiner Erfinderin viel damit zu tun, seine Angst unter Kontrolle zu haben. "Deswegen mag ich Yoga so sehr. Es beruhigt und erdet mich. Manchmal kann sich das Leben anfühlen, als würde es einem die Luft zum Atmen nehmen – genau wie Latex."

Schlussendlich war der Kurs ganz anders, als ich es erwartet habe. Er war seltsamer, gleichzeitig aber auch intimer als in meiner Vorstellung. Als ich mich quietschend auf den Weg nach Hause mache, mit Jeans und Pulli über meinem Latex-Outfit, fühle ich mich wie Superwoman. Und unfassbar ruhig. Innerer Frieden an einem Wochentag? Vielleicht ist das der beste Fetisch überhaupt.

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