Warum die Stimme für Transfrauen eine so große Bedeutung hat
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LGBTQ

Warum die Stimme für Transfrauen eine so große Bedeutung hat

Über die äußerlichen Veränderungen einer Transition wird viel gesprochen. Für viele Transfrauen ist es allerdings ein anderer Teil ihrer selbst, der sie davon abhält, ihr altes Leben hinter sich zu lassen.

Elisabeth zieht an ihrer Zigarette. Die Beine in den naturfarbenen Strumpfhosen hat sie überschlagen, die großen Ohrringe funkeln, die Fingernägel glänzen kirschrot. Vor etwa sieben Jahren lernte sie durch ein Faschingskostüm plötzlich ihr zweites und wahres Ich kennen. Es hatte nie zuvor Anzeichen gegeben. Zuerst dachte sie an einen Fetisch, zweifelte an ihrem Verstand. Irgendwann ließ sie es schließlich zu, lange Zeit noch versteckt in den eigenen vier Wänden. Seit Januar 2014 lebt Elisabeth öffentlich als Frau. Im Oktober 2016 wurden ihre Dokumente von männlich auf weiblich geändert. Ihr Vorname lautet seither auch offiziell Elisabeth. So hätte sie ihre Mutter genannt, hätte sie ein Mädchen bekommen.

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Auf die Frage, wie alt sie sei, sagt Elisabeth "50 plus" und lacht. Ihre Stimme klingt tief und rau. "Alle sagen mir, dass sich da nicht mehr viel verändern wird", sagt sie. "Dafür bin ich schon zu alt." Versuchen möchte sie es dennoch. Gerade wurden ihr 15 Therapieeinheiten bei einer transerfahrenen Wiener Logopädin genehmigt, die ihr dabei helfen soll, ihre Stimme "weiblicher" klingen zu lassen. Die Stimme wird oft als sekundäres Geschlechtsmerkmal bezeichnet und ist damit für viele ein wichtiger Bestandteil der Transition.

Als männlich wird sie ab einer Frequenz von 140 Hertz abwärts empfunden, als weiblich ab 170 Hertz aufwärts. Es gibt natürlich tiefe Frauenstimmen und hohe Männerstimmen, die sich in der Tonhöhe auch gelegentlich überlappen können. Essentiell für den geschlechtsspezifischen Klang ist deshalb die Resonanz, auch Timbre genannt.

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"Frauen und Männer haben unterschiedlich geformte Klangräume im oberen Teil des Kehlkopfes, im Rachen, in der Mund- und Nasenhöhle sowie in der Luftröhre", erklärt Katrin Neumann, Leiterin der Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie am Uniklinikum Bochum. Zu ihren Patientinnen gehören auch Transfrauen. "Diese Räume kann man mittels Therapie tatsächlich so verändern, dass das Klangbild, die Klangfarbe insgesamt weiblicher wird. Die Sprechtonhöhe ist die eine Sache, aber eine weibliche Sprechmelodie, ein weibliches Ausdrucksverhalten, Mimik und Gestik sind schon die halbe Miete." Transmänner haben es in dieser Hinsicht deutlich einfacher. Während der Hormontherapie mit Testosteron verändert sich die Stimme automatisch. Sie wird tiefer und es kommt zum irreversiblen Stimmbruch. Bei Transfrauen hingegen kann die Stimme während der Gabe von Östrogen sogar brüchig und heiser werden.

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Am Telefon wird Elisabeth ständig für einen Mann gehalten. Korrigiert sie die Anrufer, wissen diese oft nicht, wie sie damit umgehen sollen und das Gespräch stockt. Lena, die vor drei Jahren ihre Transition begann, kann von ähnlichen Erfahrungen berichten. "Richtig bösartige Sachen habe ich diesbezüglich nicht erlebt, es ist eher ein Unverständnis", sagt sie. "Vor allem schaffen es die Leute nicht, dann das ganze Telefonat hindurch richtig zu gendern." Es nervt sie. Ihre Stimme klingt androgyn, sie bezweifelt aber, dass ihr die zehn bereits absolvierten Einheiten bei einer Logopädin tatsächlich etwas gebracht haben. "Man muss nebenbei selbstständig üben, ich war da leider zu wenig dahinter", gibt sie zu. Auch deshalb, weil sie aufgrund ihres Auftretens meist ohnehin als Frau gelesen wird. "Wenn ich aber dann am Telefon falsch angesprochen werde, will ich oft wieder an der Stimme arbeiten", sagt sie. Tipps und Übungsvideos gibt es auch kostenlos im Internet.

Wenn man in Kindheit und Jugend vor allem weibliche Sprechvorbilder hatte, wird sich das auf das weitere Leben auswirken.

"Viele kommen mit diesen Trainingsprogrammen schon weit", sagt Robert Bauer, einer der wenigen transerfahrenen Logopäden in Wien. "Oft liegt aber eine zusätzliche Störung vor, da viele Transfrauen ihre Stimme lange verstellen, um sie höher zu machen. Das zehrt an der Stimme und macht sie auf Dauer kaputt." Bauer behandelt in seiner Praxis pro Woche ein bis zwei transidente Patientinnen. Die meisten von ihnen sind zwischen 30 und 40 Jahren alt, haben den Großteil der Transition schon hinter sich und kommen auf Überweisung zu ihm. In der Regel tragen die meisten Krankenkassen in Österreich 40 bis 50 Prozent der Kosten, die im Durchschnitt bei etwa 100 Euro pro Einheit liegen. In Deutschland wird laut Neumann sogar ein Großteil der Kosten übernommen. "Da macht kaum eine Krankenkasse Probleme", sagt sie.

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Auf die erzielbaren Erfolge angesprochen, sagt Bauer, dass die Patientinnen individuell viel erreichen können. Zu Beginn führt er eine elektronische Messung durch, um die Stimme zu lokalisieren. "Das Wichtigste ist, die Stimme in einen Normalbereich zu bringen, um dann ihr Potenzial und ihre Flexibilität auszuloten", sagt er. Auch er betont die Relevanz des Timbres sowie eine geschlechterspezifische Betonung und Wortwahl.


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In der Literatur spricht man von typisch männlichen und typisch weiblichen Sprechmustern. Während Frauen tendenziell mehr mit ihrer Stimme machen, beispielsweise am Ende eines Satzes im Ton nach oben gehen und stärker gestikulieren, sprechen Männer eher monoton und ohne große Gestik. Für Lena sind die Muster vielmehr Empfehlungen. "Es ist immer auch eine Frage der Sozialisation und wie diese angenommen wird", sagt sie. "Wenn man in Kindheit und Jugend vor allem weibliche Sprechvorbilder hatte, wird sich das auf das weitere Leben auswirken. Positiv wie negativ."

Am Ende eines Therapieblocks wird bei Bauer erneut eine Messung vorgenommen, die den Patientinnen ihre Fortschritte auch grafisch aufzeigen soll. "Das wesentlichste Instrument zur Messung des Erfolgs ist aber die persönliche Einschätzung. Und natürlich die Reaktionen der Umwelt", sagt er.

Die logopädische Therapie ist für transidente Frauen ein weiterer Mehrkostenfaktor, den die umfangreiche Mann-zu-Frau-Transition mit sich bringt. Dabei kann gerade diese für ein gutes Passing essentiell sein. Als Passing wird die Fähigkeit einer Person bezeichnet, als Mitglied desjenigen Geschlechts eingeschätzt zu werden, als das sie sich identifiziert.

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Wie sinnvoll die Angebote der Stimmtherapie sind, ist nicht unumstritten. Die Alternative, sich an den Stimmbändern operieren zu lassen, ist in den Augen Neumanns allerdings nicht empfehlenswert. "Bei dem Eingriff werden die Stimmlippen entweder verkürzt oder gespannt", erklärt die Expertin. "Die Stimme kann dadurch aber oft heiser, leise und weniger modulierbar werden." Die langfristige Zufriedenheit bei Patient_innen läge bei lediglich 50 Prozent.

Ob sich eine Transfrau überhaupt dazu entscheidet, an ihrer Stimme zu arbeiten, "hängt auch von Faktoren wie dem Alter zum Zeitpunkt der Transition, der sozialen Schicht oder dem beruflichen Umfeld ab", sagt Ísabel Pirsic vom Verein TransX. Deswegen seien diejenigen nicht weniger im Identitätsgeschlecht angekommen. Dass dem Thema aber insgesamt zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird, darüber scheint Einigkeit zu bestehen.

Lena weist diesbezüglich auch auf Konflikte innerhalb der Trans-Community hin. "Manche sagen, du musst die geschlechtsangleichende Operation machen, um wirklich trans zu sein. Sonst kannst du es ja nicht ernst meinen. Genauso ist es mit der Stimmtherapie. Das ist falsch und verstärkt Stereotype." Sie fühlt sich dadurch an die Zeit zurückerinnert, als sich Transgender-Personen noch zwischen die Beine schauen lassen mussten, um ihre Personenstands- und Vornamensänderung behördlich geltend zu machen. Bis 2010 war das so. Das ist noch nicht lange her.

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Die Stimme ist ein ganz stark identitätsbildendes Merkmal.

"Die Stimme ist ein ganz stark identitätsbildendes Merkmal", betont Neumann. "Studien besagen grob, dass höchstens 40 Prozent dessen, was beim Sprechen kommuniziert wird, aus Inhalten besteht. Die entscheidenden Kommunikationsmittel, mit denen man sich in der Community, in den gesellschaftlichen Zusammenhängen zurechtfindet, sind die Signale, die mit der Stimme ausgesendet werden."

Zum besseren Zurechtfinden in der Gesellschaft will auch die Weltgesundheitsorganisation WHO endlich einen Beitrag leisten. Neumann arbeitete dort bis vor kurzem an der Beta-Version des neuen International Classification of Diseases-Kodex ICD-11 mit, der im Mai 2018 erscheinen soll. Ärzte auf der ganzen Welt sind verpflichtet, ihre Diagnosen nach diesem zu klassifizieren. Transsexualismus, ein veralteter Begriff, der innerhalb der Trans-Community aufgrund der Pathologisierung nicht mehr üblich ist, ist in der aktuellen Version des ICD-10 noch unter Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen verankert. Um dieses Stigma loszuwerden, wird in der neuen Version von "Conditions related to sexual health" die Rede sein, klassifiziert unter "Gender incongruence of adolescence and adulthood".

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Warum aber keine Streichung? "Dann müsste man für die Transition keine medizinischen Maßnahmen mehr bereitstellen", so Neumann. "Der ICD-11 wird sich sehr stark auf die neue Sichtweise der WHO beziehen. Weg von Organen, hin zu gesellschaftlicher Partizipation, Selbstständigkeit und Integrität." Neumann erhofft sich dadurch auch eine Änderung der politischen Sichtweisen und der öffentlichen Darstellung.

Schließlich wäre es nicht das erste Mal, dass die WHO mit einer Anpassung des ICD Veränderung hervorruft. Als 1974 Homosexualität aus dem Katalog gestrichen wurde, verschwand damit auch ein gerne hochgehaltener Vorwand, Homosexuelle an den Rand zu drängen. Mehr als 40 Jahre später könnte auch Transgender-Personen vieles erleichtert werden. Vom Zugang zu Behandlungs- und Therapiemöglichkeiten bis hin zur gesellschaftlichen Inklusion – unabhängig ihres Passings.

"Es wäre schön, wenn Menschen einfach akzeptieren würden, dass es auch ganz unterschiedliche Stimmen gibt", sagt Lena. "Und dass, wenn eine Stimme von einer Frau verwendet wird, es auch eine weibliche Stimme ist. Egal, wie sie klingt."


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