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Gaming

Wie man mit Videospielen Homophobie bekämpft

"A Normal Lost Phone" ist simpel, beklemmend, herzzereissend – und wurde von dem Frauen-Studio Accidental Queens entwickelt. Wir haben mit einer der Entwicklerinnen über Diversität und Sexismus in der Gamesbranche gesprochen.
Screenshot aus "A Normal Lost Phone"

Wer etwas über einen Menschen erfahren möchte, muss sich nur sein Handy angucken. Von Fotos, über die Apps, die wir nutzen, bis hin zu den Nachrichten, die wir mit anderen austauschen – kein anderes Objekt versammelt so viel von uns selbst in sich wie das Telefon. Das Ende Januar veröffentlichte Videospiel A Normal Lost Phone greift genau diesen Fakt auf und lässt den Spieler das Handy des 18-jährigen Sam untersuchen, um herauszufinden, warum der an seinem Geburtstag spurlos verschwunden ist. Was als ungewöhnliche Schnitzeljagd beginnt, wandelt sich allerdings schnell zu einer bedrückenden Auseinandersetzung mit Homophobie und dem Kampf mit der eigenen Identität.

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Auch das französische Indie-Entwicklerstudio hinter dem Spiel ist ungewöhnlich – Accidental Queens wurde nämlich von drei Frauen gegründet: Elizabeth Maler, Diane Landais und Estelle Charrié. Das ist umso beachtlicher und wichtiger, als dass die Videospielebranche als solche männerdominiert ist und immer wieder mit Sexismusvorwürfen konfrontiert wird. Wir haben mit Diane Landais über Diversität und Frauen in der Games-Branche gesprochen und uns erklären lassen, wie sich mit Videospielen Homophobie bekämpfen lässt.

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Wie und warum habt ihr Accidental Queens gegründet?
Diane Landais: Bevor es Accidental Queens gab, haben wir schon als kleines Team an A Normal Lost Phone gearbeitet. Die erste Version des Spiels haben wir während der Global Game Jam 2016 entwickelt – eine jährliche Veranstaltung, bei der sich Kreative aus der ganzen Welt an verschiedenen Orten treffen, um innerhalb von 48 Stunden Spiele zu entwickeln. Vier von uns, die sich erst bei dem Event kennengelernt haben, haben an einem relativ kurzen und noch ziemlich unfertigen Prototyp gearbeitet.

Danach hat der Prototyp Aufmerksamkeit in der Presse, positive Kritiken, mehrere Nominierungen und kleinere Auszeichnungen bekommen. Wir haben beschlossen, dass das eine gute Ausgangslage für den Start eines professionellen Projekts ist, mit dem wir einigen von uns langfristig Jobs sichern könnten, anstatt das Ganze wie ein Hobby zu betrachten. Das komplette Team hat also weiter an dem Spiel gearbeitet und ein paar Leute sind im Laufe der Zeit auch noch dazugekommen. Momentan besteht das Studio aus der Hälfte des Originalteams und einer zusätzlichen Person.

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Mit dem, was wir heute entwickeln, beeinflussen wir die Menschen von morgen.

A Normal Phone ist als Spiel zwar ziemlich minimalistisch, je länger man es spielt, umso mehr hat sich für mich aber eine wirklich erdrückende Atmosphäre aufgebaut. Wie wurde das Spiel denn allgemein angenommen? Hast du das Gefühl, dass verstanden wurde, was ihr damit erreichen wollt?
Die allgemeine Reaktion lässt sich noch nicht so richtig einschätzen, weil das Spiel ja gerade erst rausgekommen ist. Die ersten Rückmeldungen sind aber sehr ermutigend: Den Leuten gefällt das Szenario, das Design und der Soundtrack sehr gut. Teile des Spiels sind vom Grunde her experimentell und obwohl wir viele Tests während der Produktion hatten, hatten wir keine Ahnung, wie ein größeres Publikum darauf reagieren würde. Es freut uns also in jedem Fall, dass der Großteil der Reviews – von der Presse und Spielern – zeigen, dass die Leute die Intention des Spiels zumindest nicht komplett verfehlt haben.

Es ist ziemlich schwer, 2017 ein Spiel zu machen, was aus der Masse heraussticht. Es is schwierig, eine starke Message zu vermitteln, ohne dabei einen Teil der Spieler gegen sich aufzubringen. Deswegen haben wir versucht, einen Raum zu schaffen, in dem man sich selbst hinterfragt. Wie sensibel die Leute sind, welche Erfahrungen sie selbst schon gemacht haben und welche Vorurteile sie haben, trägt natürlich dazu bei, was sie aus dem Spiel mitnehmen.

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Für wie wichtig hältst du es, verschiedene Sexualitäten und sexuelle Identitäten in Videospielen zu zeigen? Warum passiert das so wenig?
Es ist extrem wichtig, die Welt zu zeigen, wie sie ist – und nicht nur, wie wir sie sehen. Spiele sind ein großer Teil unserer Kultur und mit dem, was wir heute entwickeln, beeinflussen wir die Menschen von morgen. Wir glauben, dass man sich da nicht einfach ausklinken kann. Inklusiv und gründlich in dem zu sein, wie wir bestimmte Dinge in Videospielen darstellen, ist keine „Herausforderung", es ist eine Verpflichtung. Indem wir die kulturelle Landschaft für die kommenden Generationen schaffen, indem wir uns selbst durch die Videospiele, die wir entwickeln, ausdrücken, haben wir schon die Entscheidung getroffen, uns öffentlich zu positionieren; und das schließt auch eine gewisse Verantwortung mit ein.

Es ist aber auch wichtig, nicht zu vergessen, dass die Darstellung in Videospielen nicht zu einer Checkliste verkommen sollte, die nach und nach abgehakt wird. Quotencharaktere zu zeigen oder wichtige Themen nur kurz und oberflächlich zu streifen, schadet einem Spiel oder seiner Message eher. So lange jeder Aspekt eines Spiels die Folge einer bewussten Entscheidung ist, die nicht nur auf den Erfahrungen, Vorlieben und Vorurteilen des Entwicklers basiert, sollte alles möglich sein. Meistens gibt es nicht viele Antworten auf die Frage "Warum sind alle meine Charaktere weiße, heterosexuelle Cis-Männer?". Aus Gewohnheit übernehmen wir das aus unserem eigenen kulturellen Hintergrund. Lasst uns diese Muster durchbrechen und neue schaffen, die fairer, repräsentativer und offener für unsere aktuelle Gesellschaft sind.

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Glaubst du, dass Videospiele ein gutes Medium sind, um sich mit Themen wie Homophobie auseinanderzusetzen?
Videospiele haben schon oft bewiesen, dass sie ein gutes Medium sind, um gesellschaftliche Probleme aufzugreifen. Wie jedes andere kulturelle Medium, dessen Wurzeln in der Unterhaltung fußen, wurden sie schnell zu einer Art Sprungbrett für gesellschaftlichen Wandel. Wir sind es gewohnt, dass uns Filme oder Bücher Beispiele und Gegenbeispiele zeigen; eine Geschichte erzählen, die sagt "Was könnte passieren, wenn …", oder "Was könnte falsch laufen, falls …". Wir wissen, wie wir Analogien zwischen Fiktion und der realen Welt ziehen können und unterbewusst lernen wir daraus etwas.

Es ist nicht nur die Aufgabe von Frauen, Sexismus in Videospielen zu bekämpfen.

Bei Videospielen kommt allerdings noch ein anderes Element dazu: Sie sind von Natur aus interaktiv. Es gibt nicht nur einen Weg, es zu erfahren – es gibt so viele, wie es Spieler gibt. Manchmal sind die Unterschiede verschwindend klein, manchmal sind sie riesig; aber was zählt, ist, dass es so viel persönlicher und immersiver ist. Bei den meisten gesellschaftlichen Problemen hört man immer wieder: "Wenn sie die Welt nur aus unseen Augen sehen könnten." Und das stimmt: Wäre es nicht schön, ein Werkzeug zu haben, das einem genau das ermöglicht? In A Normal Lost Phone ist der Spieler eher Zeuge als handelnde Person. Er spielt sich selbst, statt in eine Rolle zu schlüpfen oder einen Charakter zu kontrollieren. Die Elemente des Spiels haben schon vor seiner Ankunft existiert. Es ist keine Welt, auf die wir einen Einfluss haben; es ist die Geschichte von Sam, die wir durch Nachrichten, Fotos und Apps sehen. Was wir bewegen und in Frage stellen wollen, ist es, wie sie vom Spieler gesehen wird. Deswegen versuchen wir auch, das Spielerlebnis auf den wirklich wichtigen Teil zu konzentrieren: Wie interpretiert jemand Dinge und reagiert in einer speziellen, fiktiven Welt, wenn er er selbst ist? Fragen wie "Sollte ich das tun?" oder "Ist dieser Charakter wirklich die Person, von der ich glaube, dass er sie ist?", "Wie würde ich an seiner Stelle reagieren?" kommen nur auf, weil der Spieler sehr begrenzten Einfluss auf die Geschichte des Spiels hat.

Wie groß ist der Einfluss, den Videospiele auf unsere Gesellschaft haben können?
Ich glaube nicht, dass sich das in Begriffen wie "groß" oder "klein" messen lässt, zumindest nicht kurzfristig gesehen. Abgesehen von großen, weltweit erfolgreichen Titeln, hat ein einzelnes Spiel eher begrenzten Einfluss. Was Videospiele als Medium jedoch schaffen können, ist das, was wirklich zählt. Wir sollten aufhören, über Videospiele als "gesellschaftlich beeinflussend" oder nicht nachzudenken: Sie haben alle einen Einfluss, weil sie als Teil einer gemeinsamen Kultur existieren. Deswegen glaube ich auch nicht, dass der Einfluss, den sie haben können, begrenzt ist. Sie sind mehr als geeignet dazu, Ideen, starke Meinungen, Messages zu vermitteln. Sie liefern einem ein Erlebnis, das einzigartig ist, das Bücher oder Filme nicht liefern können. Es ist ein Werkzeug in unserer kollektiven Werkzeugkiste: Manchmal ist es genau richtig eingesetzt, manchmal nicht. Es ist spannend zu sehen, dass immer mehr Spiele versuchen auszuloten, was man mit diesem Werkzeug alles machen kann – und was nicht.

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Die Gaming-Branche gilt aus sehr männerdominiert und stellenweise sexistisch. Wie siehst du die Rolle von Frauen in der Szene?
Unsere Gesellschaft hat insgesamt ein Problem mit Sexismus – also ja, die Videospiele-Industrie hat auch eins. Spiele als Medium sind nur eine Reflektion davon, wie die Leute dahinter die Welt sehen. So ist es ja auch in der Literatur oder im Kino. Sexismus in der Gaming-Branche zu beseitigen, würde sicherlich helfen, weil sie als kulturelles Medium und durch die vermittelten Ideen Einfluss auf die Leute haben. Das einzig realistische Ziel ist es aber, Sexismus in unserer gesamten Gesellschaft zu bekämpfen. So wie es nicht Rassimus beseitigt, wenn man rassistische Schimpfworte verbietet, würde es nicht unbedingt helfen, Videospielen irgendwelche Regeln aufzuzwingen, die sie weniger sexistisch oder diverser machen sollen. Die bessere Idee ist es, positiven Fortschritt zu belohnen. Wenn sich unsere Spielebibliotheken mit Titeln füllen, die einen offeneren, diverseren und somit auch akkurateren Blick auf die Welt werfen, wird das irgendwann auch den Letzten daran erinnern, dass die Welt, in der wir leben, nicht die Welt ist, die wir in den Spielen zwischen den frühen 2000ern und 2010 sehen.

Was ist die Rolle von Frauen in all dem? Das Beste ist es vielleicht, niemals aufzugeben, sich gegenseitig zu helfen und – am allerwichtigsten –: weiterhin das zu tun, was man liebt. Es ist nicht nur die Aufgabe von Frauen, Sexismus in Videospielen (oder der Welt) zu bekämpfen.