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Was Dildos mit Frauenrechten zu tun haben

Die Geschichte des Sexspielzeugs ist voller Missverständnisse – und ängstlicher Männer.
Foto: Grey Hutton

Bei Sexspielzeug zuckt heutzutage kaum noch einer mit der Wimper. Es hat seine eigenen Messen, seine eigenen Artikel in renommierten Tageszeitungen und es gibt es auch in Halal. Aber so offen ist unsere Gesellschaft nicht immer mit Vibratoren und Dildos umgegangen. In ihrem Buch Buzz: A Stimulating History of the Sex Toy beleuchtet die Historikerin Hallie Lieberman die komplexe kulturelle Vergangenheit von Sexspielzeugen.

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Insgesamt ist Liebermann für ihr Buch etwa 20.000 Kilometer gereist, hat 20 Interviews geführt und hunderte Quellen gewälzt. Wenn man noch die Jahre hinzuzählt, die sie mit dem Verkauf von Sexspielzeug bei Tupperware-Party ähnlichen Treffen verbracht hat, dann stecken in ihrem Buch über zehn Jahre Arbeit. Als Feministin hat sie es sich zur Aufgabe gemacht, zu zeigen wie Geräte, die vielen Frauen Lust verschaffen, im Lauf der Geschichte durch Gesetzgebung, Stigmatisierung und Verschwiegenheit unter Verschluss gehalten wurden.

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Mit Broadly spricht sie darüber, wie sexpositive Feministinnen Sexspielzeug für sich reklamiert und dadurch zukünftigen Frauengenerationen Unabhängigkeit und eine positive Einstellung zu Sex und Lust mit auf den Weg gaben. Der Weg dorthin war alles andere als einfach und von Widerstand geprägt – auch aus den eigenen Reihen. Ihrer Meinung nach haben wir die Männer und Frauen, denen wir die kleinen Helferlein in unseren Nachttischschubladen zu verdanken haben, lange genug für selbstverständlich genommen.

Broadly: Warum galt Sexspielzeug wie Dildos so lange als obszön, wenn es nicht gerade als technische Neuerung oder medizinisches Gerät für die Penetrationshilfe beim heterosexuellen Geschlechtsverkehr vermarktet wurde?
Lieberman: Diese Einstellung spiegelte die Geschlechterrollen jener Zeit wieder. Die Industrie richtete sich nach der heterosexuellen Norm, also Männer, die Frauen penetrieren. Das blieb auch so, nachdem wissenschaftliche Untersuchungen ergeben hatten, dass Frauen mehr Lust durch klitorale Stimulation empfinden und nur etwa jede Dritte durch klassischen Verkehr zum Orgasmus kommt.

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Sexspielzeuge, die für Paare vermarktet wurden, konnten sich immer schon auf eine größere gesellschaftliche Akzeptanz verlassen, weil sie den Status Quo nicht gefährdeten. Die Vorstellung, dass eine Frau unabhängig masturbiert und dafür keinen Mann braucht, galt als bedrohlich. Auf diese Weise hatte die Frau nichts von dem Gerät, wenn der Mann das Spielzeug nicht kontrollierte. Zumindest war es das, was sie in der Werbung versprachen.

Werbung für den White Cross Electric Vibrator, 1913 | Foto: New-York tribune | Wikimedia | Public Domain

Waren deswegen einige der ersten Dildos, die in die Massenproduktion gingen, Strap-ons? Du schreibst, dass sie als "Ehe-Helfer" für Männer verkauft wurden, damit sie damit ihre Frauen penetrieren konnten, wenn sie selbst nicht dazu in der Lage waren.
Ja, wir tendieren heute dazu, Umschnalldildos als Pegging-Geräte für Heteropärchen oder lesbische und bisexuelle Frauen wahrzunehmen. Niemand denkt mehr in diese Weise darüber, aber dein Vater hat vielleicht mal einen Strap-on getragen!

Was hattest du als Frau für Möglichkeiten, um an Sexspielzeug zu kommen, bevor die feministischen Sexshops in den 1970ern aufgemacht haben?
Du musstest zu einem dieser schmierigen Läden am Stadtrand fahren. Im Zentrum waren sie in der Regel verboten. Die meisten hatten Wichskabinen im hinteren Teil des Ladens, in denen Pornofilmchen liefen. Männer masturbierten dort und du warst die einzige Frau. Es war unheimlich!

Eine andere Methode, an Sexspielzeug zu kommen, war durch die Post. Aber das konnte illegal sein, wenn die Ware als obszön galt. Das war also auch nicht so einfach. Wenn man einen Vibrator wollte, konnte man ins Kaufhaus gehen und dort einen kaufen, der für andere Anwendungen vermarktet wurde. Dell Williams – die Inhaberin des ersten frauengeführten Sexshops, Eve's Garden – inspirierte einer dieser Kaufhausbesuche dazu, selbst Vibratoren zu verkaufen. Die Angestellten hatten sie sehr ablehnend behandelt, als müsste sie sich dafür schämen.

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Was haben die feministischen Geschäfte anders gemacht?
Frauen fühlten sich dort sicher und angenommen. In der Pleasure Chest [laut Lieberman der erste feministische Sexshop überhaupt, geführt von zwei schwulen Männern] verwiesen Kataloge auf die Wichtigkeit der Klitoris. Das war für diese Zeit geradezu revolutionäres Sextoy-Marketing. Es war außerdem eine Boutique, die als Matratzenladen angefangen hatte. Die Fenster waren nicht abgedunkelt.

Dell Williams erlaubte am Anfang ausschließlich Frauen den Zutritt zu Eve's Garden. Das war der Gegenentwurf zu den auf Männer ausgerichteten Sexshops damals. Und sie verkaufte anfangs auch keine Dildos. Sie hatte lediglich drei Produkte zur Auswahl und die drehten sich alle um die Klitoris. Obwohl solche Läden nicht weit verbreitet waren, war ihr kultureller Einfluss enorm.

Du schreibst auch darüber, wie gespalten die allgemeine Frauenbewegung wegen dieser sexpositiven Einstellung war.
Genau, es herrschte keine einheitliche Meinung darüber, ob Sexspielzeuge jetzt gut oder schlecht sind. Es wurde diskutiert, ob ein Produkt überhaupt befreiend sein kann, ob Lesben Dildos benutzen sollten, ob Heteros Dildos benutzen sollten, ob man überhaupt etwas benutzen sollte, das mit der Natürlichkeit des Sex interferiert.

Vibratoren heute | Foto: Lisa Ludwig

Während der zweiten Welle der Frauenbewegung gab es eine Spaltung. Auf der einen Seite waren die, die fanden, dass der Wandel auf einer individuellen Ebene im Schlafzimmer passieren müsse. Die anderen waren überzeugt, dass der Wandel in der Öffentlichkeit stattfinden sollte. Es herrschte auch diese Vorstellung, dass Masturbation egoistisch und antisozial sei – nach dem Motto: "Warum zur Hölle investierst du so viel Energie in Solo-Sexaktivitäten, wenn wir hier versuchen eine Gemeinschaft aufzubauen?" Die meisten Feministinnen sehen Sexspielzeug heutzutage als Symbol für die Rückeroberung oder die Befreiung der eigenen Sexualität. Um an diesen Punkt zu kommen, mussten allerdings große Kämpfe geführt werden.

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Wie hältst du von unserem heutigen Verhältnis zu Sex und Sexspielzeug?
Ich finde, dass Lust im Feminismus immer noch keine so große Rolle spielt, wie sie es eigentlich sollte. In den USA sprechen wir vor allem im negativen Kontext über Sex, über sexualisierte Gewalt, Menschenhandel oder sexuelle Übergriffe zum Beispiel. Und natürlich gibt es vieles, das verbessert werden muss, und darüber müssen wir auch reden. Andererseits sollten wir aber auch über Lust sprechen.

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Die Orgasmus-Lücke braucht definitiv mehr Aufmerksamkeit. Und das ist so, weil es mehr Gegenwind gibt, wenn du über Lust sprichst – besonders im akademischen Bereich. Wenn du sexuelle Übergriffe oder Geschlechtskrankheiten untersuchen willst, kommst du relativ problemlos an Fördergelder, aber wenn es um die angenehmen Seiten der Sexualität geht, ist das immer noch sehr, sehr schwierig.

Es ist eine Schande, dass Lust nicht ernst genommen wird. Orgasmen sollten als ein Recht verstanden werden. Genauso wie eine Krankenversicherung ein Menschenrecht ist, ist auch der Orgasmus ein Menschenrecht. Mehr Frauen müssen Orgasmen haben, schließlich haben fast alle Männer regelmäßig welche.

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