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Wenn jeder Bissen der letzte sein könnte

Als bei meinem Mann ein Gehirntumor diagnostiziert wurde, wollte er seine restliche Lebenszeit in vollen Zügen genießen: Alles, was er aß, sollte seine Sinne beleben, gut aussehen, gut riechen, gut schmecken und so exquisit wie nur möglich sein.
Alle Fotos von Felicia Friesema

Als mein Mann letztes Jahr kurz nach Thanksgiving mit Gehirntumoren im fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert wurde, habe ich eines erkannt: Kochen ist, egal wie gesund man ist oder wie lange man lebt, etwas Befreiendes.

Die Ärzte meinten damals, er hätte noch ein halbes Jahr zu leben. Eine niederschmetternde Diagnose. Der Tumor befand sich mitten im Gehirn und selbst mit Behandlung waren die Aussichten ziemlich düster. Erst ein Jahr zuvor hatten wir geheiratet.

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Es gibt Millionen von Möglichkeiten, mit einer solchen Diagnose umzugehen.Ich habe mich ins Kochen gestürzt: Ich wollte, dass jedes Gericht für ihn so lecker wie nur möglich ist. Das und eine gute Portion Galgenhumor haben mir dabei geholfen. Wenn ich emotional und körperlich nicht fit genug bin, würde nicht ich leiden, sondern er.Wenn nicht ich die ganze Zeit mein Bestes für ihn geben würde, wer sonst?

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Alles, was ich ihm ab diesem Zeitpunkt kochte, sollte seine Sinne förmlich beleben, es sollte gut aussehen, gut riechen und so exquisit sein wie nur möglich. Wir wussten, dass er sterben würde, da werden Wunder in der Küche möglich.

Bei jedem Krebspatienten ist die Ernährung anders, das hängt meist von ihrer Behandlung ab. Die Ärzte haben meinem Mann die aggressivste Form empfohlen: Bestrahlung und Chemotherapie gleichzeitig. Solche Behandlungen können die Funktion der Geschmacksknospen beeinflussen. Wie schrecklich muss sich ein Krebspatient fühlen, wenn er oder sie gerade sein Lieblingsessen isst, um sich vielleicht auch besser zu fühlen, und es auf einmal bitter schmeckt? Das war ein Grund, aber nicht der einzige, warum wir uns gegen eine Therapie entschieden haben.

Die Behandlung hätte seine Lebensqualität so drastisch verändert, das war es nicht wert, dass man dann nicht mal mehr gut essen kann. Seine Freunde brachten ihm selbst gemachtes Brot, Lasagne und Suppe—er wollte die Sorgfalt und Liebe, die in diesen Gerichten steckten, auch weiter schmecken können. Er wollte genug Energie haben, um einen Nachmittag mit den Hunden oder mit Freunden genießen zu können. All das wäre bei einer aggressiven Behandlungsform nicht möglich gewesen.

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Kurz: Mein Mann wollte in den restlichen Monaten seines Lebens so viel Spaß haben wie es ihm nur irgendwie möglich war. Für ihn hieß das, essen zu können—und verdammt, er hat viel gegessen.

Er ist Jahrgang 58, also habe ich ihm sowas wie Hacksteak gemacht. Dieses Gericht ist so nostalgisch, das ist gut für sein Gehirn.

An einem durchschnittlichen Tag beginnt er mit knusprig gebratenen Tacos zum Frühstück gefüllt mit Eiern und Chorizo, dann zum Mittag ein Sandwich mit fingerdick Butter und hauchdünnem spanischem Schinken im Wert von 20 Dollar. Zum Abend gibt es Lammkarree mit Gremolata, einer Rotweinreduktion und Broccoli (ja, etwas Gesundes zur Abwechslung) und als Dessert dann selbst gemachte Mini-Eclairs. Außerdem muss immer Eis im Haus sein. Und Flan, er liebt Flan.

Wenn ich für meinen Mann koche, will ich ihm mit dem Essen einfach eine Freude bereiten.

Er ist Jahrgang 58, also habe ich ihm sowas wie Hacksteak gemacht. Dieses Gericht ist so nostalgisch, das ist gut für sein Gehirn. Der Krebs hat sowohl sein Langzeit- als auch sein Kurzzeitgedächtnis beeinträchtigt. Mein Essen weckt bei ihm Erinnerungen. Er liebt die französische Küche, auch weil hier mit so viel Butter gekocht wird. Ich habe also das meiste Geld für Cognac und Butter auf den Kopf gehauen.

Einmal habe ich ihm einen Salat gemacht, das kam nicht so gut an. Er hat mich angeschaut, als sei ich verrückt.

Einige haben mich gefragt: „Warum kochst du ihm nicht einfach immer dasselbe? Er erinnert sich doch wahrscheinlich eh nicht daran." Ich pflege ihn, ich kann ihm nicht einfach immer dasselbe geben. Das wäre schrecklich für mich. Also habe ich Kochbücher durchforstet und mich von den Rezepten inspirieren lassen.

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Er ist mittlerweile zu schwach um Fleisch zu schneiden, aber ich mache ihm trotzdem noch ein englisch gebratenes Rib-Eye-Steak, das ist eines seiner Lieblingsgerichte. Dazu Rotweinbutter und Ofenkartoffeln in Salzkruste. Ich führe eine Art Essenstagebuch für ihn, das hat auch mir geholfen, denn dadurch weiß ich auch, wie es ihm geht.

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Einmal habe ich ihm einen Salat gemacht, das kam nicht so gut an. Er hat mich angeschaut, als sei ich verrückt. „Ich weiß nicht, wie viel Zeit ich noch auf diesem Planeten habe, die werde ich definitiv nicht auf einen Salat verschwenden", witzelte er rum.

Wir sterben alle früher oder später, das ist das einzig Sichere im Leben. Der Haken ist nur, dass wir nicht genau wissen wann. Mein Mann weiß es jetzt ungefähr. Das hat auch irgendwie etwas Schönes an sich, denn er kann sein Leben jetzt richtig in vollen Zügen genießen. Wir essen ziemlich luxuriös, das ist vielleicht nicht ganz vernünftig, aber da wir wissen, dass er bald sterben wird, ist das vollkommen OK.

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Solange er noch eine Gabel halten kann, bestimmt er auch, was er damit isst. Irgendwann wird ihm die Gabel aus der Hand fallen und er wird sie nicht wieder aufheben können. Wenn er nicht mehr schlucken kann, bleiben ihm noch sieben bis zwölf Tage zu leben. So weit ist es noch nicht, aber das ist die unausweichliche Zukunft.

Meine Tante ist an einem ähnlichen Gehirntumor gestorben und ich erinnere mich noch, wie kurz nach der Diagnose bei meinem Mann mein Cousin mir sagte: „Das hört sich vielleicht verrückt an, aber genießt diese Zeit." Zuerst dachte ich nur: „Was zur Hölle? Die Liebe meines Lebens wird sterben. Wir haben gerade Obstbäume im Garten angepflanzt und er wird sie nicht wachsen sehen. Ich fühle nur Schmerz und Trauer. Wie zum Henker soll ich diese Zeit genießen?"

Mittlerweile bin ich jedoch derselben Meinung.

Ich kann die Diagnose nicht ändern. Sobald ich den ersten Schmerz verarbeitet hatte, stellte ich fest, dass das nicht die einzige Emotion sein muss.Ich muss nicht immer traurig und depressiv sein, sondern kann ihn unterstützen und das mit ihm zusammen durchstehen, weil ich ihn liebe.

Das letzte Thanksgiving-Festessen war das beste, das ich je gekocht habe.

Aufgezeichnet von Javier Cabral.