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Made in China: Kaum eine Deutschland-Flagge ist deutsch

Für "deutsche Wertarbeit" wollen Schland-Fans nicht bezahlen.

Foto: Grey Hutton

Nach mehreren Terrorwarnungen, zwei Jahren des verbal und gewalttätig eskalierenden Rechtspopulismus und den Hooligan-Eskalationen zu Beginn der Fußball-EM scheint Deutschland in diesem Fußball-Sommer anders zu ticken: Ist das Schland-Gefühl weg? Klaffende Lücken auf den Fanmeilen Berlins und Leute, die lieber im heimischen Wohnzimmer Deutschlandspiele schauen—wobei die Flaggen bestenfalls vom Balkon herunterhängen?

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Vielleicht sieht das für Leute so aus, die zur deutschen Erfolgs-WM 2014 bei jedem Public Viewing dabei waren, eine eigene Schublade für schwarz-rot-goldene Accessoires in ihrer Kommode freigeräumt hatten und mit deutschnationalen Vuvuzelas durch die Straßen marodierten. Ich habe mich damals vor den Spielen gedrückt und fühle mich jetzt fast erschlagen vor Deutschland-Fahnen, -Autofahnen, -Wimpeln, -Schweißbändern und -Dildos. Immer noch ein ziemlich großer Haufen Schland.

Foto: Grey Hutton

Jetzt steht für "Die Mannschaft" schon wieder das Halbfinale an und ich habe das Gefühl, dass ganz Deutschland seit einem Monat eine Fahne hat. Das Schland-Gefühl fehlt vielleicht auf der Fanmeile, aber sicher nicht im Alltag. Nicht nur in Leipzig tun sich Antifaschisten und andere Gegner der kollektiven Freude am Deutschsein zusammen, um für etwas weniger schwarz-rot-goldenes Textil im Straßenbild zu sorgen.

Auch die Grüne Jugend musste für ihre Äußerung, Nationalfahnen zum Sportgroßereignis förderten Nationalismus, ordentlich Kritik einstecken. Schließlich ruderte Sprecherin Jamila Schäfer zurück und machte den Vorschlag, die DFB- statt der Nationalfahne zu verwenden und sich damit auf die Mannschaft, nicht die Nation zu beziehen. Das übrigens, nachdem die Mitglieder der Jugendorganisation einen ganzen Haufen Morddrohungen erhalten hatten.

Abgesehen von Klugscheißereien, ob jetzt "Fahne" oder "Flagge" das richtige Wort ist, beschäftigt mich aber die ganze Zeit eine Frage: Wo kommen die Deutschland-Flaggen eigentlich her? Juckt die deutschen Fans nur die Qualität des Nationalmannschafts-Fußballs oder auch das Prädikat "Made in Germany"?

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Foto: Karl Kemp

Der Anbieter Relaxdays, der phänomenal günstige Ein-Euro-Flaggen fürs Auto anbietet, wollte zumindest auf Anfrage kein Statement abgeben. Flaggenshop24 und Aricona allerdings schon: Die von ihnen angebotenen Deutschland-Flaggen werden zum absolut überwiegenden Teil in China hergestellt. Das ist laut Aricona die Folge des Preiskampfes, durch den eine deutsche Produktion zum jetzigen Marktpreis schlicht unwirtschaftlich ist.

So lassen deutsche Unternehmen ihre Flaggen zum Beispiel in Shanghai, Zhejian oder Guangzhou produzieren. Dort sitzen einige der größten "Flaggenfabriken" Chinas. Aricona tut dies laut Aussage eines Sprechers zwar in Guangzhou unter eigenem Namen, allerdings in Zusammenarbeit mit einem Subunternehmen.

Zu Arbeitsbedingungen und Bezahlung halten sich die Betriebe bedeckt oder verweisen eben auf die chinesischen Subunternehmen. Ein Sprecher der FAB-Fahnenfabrik, die sowohl in Deutschland produziert, als auch Importe anbietet, hat aber klare Worte zur Qualität der Flaggen: "Von diesem Schrott aus China will ich eigentlich gar nichts wissen." "Dieser Schrott" verdränge fast die komplette Produktion aus Deutschland, Aufträge für große Sonderanfertigung gebe es kaum noch.

Foto: Karl Kemp

Trotz der Abneigung gegen die chinesischen Produkte will die Fahnenfabrik weiter am Markt bleiben und bietet deshalb sowohl günstige Importflaggen für zehn Euro bei 150 mal 90 Zentimetern an als auch "Premiumquälität" aus deutscher Produktion. In der gleichen Größenordnung kosten diese Flaggen fast dreimal so viel.

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Über große Premiumflaggen hält sich auch die Berliner Stoffdruckerei am Leben, wobei das fast hundert Jahre alte Unternehmen auch Nutzfahnen für Firmen und Zubehör wie Halterungen herstellt. Die Flaggen hier seien weniger für Fans als für Kleingärtner mit höheren Ansprüchen oder aber Hotels gedacht, so ein Sprecher, denn nur in Riesenformaten hätten sie noch eine Marktnische.

Während Flaggenhändler mit importierten Flaggen wie Aricona in den Monaten vor Fußball-Großevents ihren Umsatz verdreifachen und die Zahl der Anfragen seit der WM 2006 in Deutschland konstant steigt, stagniert der Umsatz bei der Berliner Stoffdruckerei. In allen Formaten habe die Fahnenmanufaktur laut eines Sprechers in dieser Saison zur EM "vielleicht 50 Stück" verkauft.

Foto: Karl Kemp

Das liegt nicht nur an den niedrigen Preisen: zu Bierkästen, Chipspackungen und anderen Produkten gibt es Gratis-Fähnchen dazu und auch sonst werden sie in jedem Discounter, Baumarkt oder an der Tanke angeboten. "Für die Zwecke der Fußballfans sind auch wortwörtlich verschenkte Flaggen völlig ausreichend", sagt dazu die Stoffdruckerei. Zur nächsten Meisterschaft kann man sich schließlich einfach eine neue besorgen, hat also gar keinen Anreiz, 30 Euro in eine Riesenflagge zu stecken.

Aber es gibt noch Hoffnung für das deutsche Flaggendruckhandwerk: Die Thüringer Fahnenfabrik mit fast 160 Jahren Tradition steckt voller unbeugsamer Germanen, die sich die deutsche Qualitätsarbeit nicht kaputtmachen lassen. In ihrem Bekenntnis zum "Deutschen Inlandsgebot" [sic], also der Selbstverpflichtung zur kompletten Produktion in Deutschland, wollen sie den deutschen Handwerker allerdings so dringend "in Lohn und Brot" bringen, dass es mit den Fakten hapert. Immerhin ein guter Anreiz, sich einmal mit der Geschichte deutscher Billigprodukte auseinanderzusetzen.