Carolyn Genzkow: Party, Exzess und der Druck, dazuzugehören
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Film

Carolyn Genzkow: Party, Exzess und der Druck, dazuzugehören

Im Film „Der Nachtmahr“ spielt die 23-Jährige ein junges Mädchen, dessen größte Ängste die Form eines mysteriösen Wesens annehmen. Wir haben sie in Berlin getroffen.

Mal laut und grell, dann wieder düster und im Kampf der Hauptfigur mit sich selbst beinahe klaustrophobisch—Der Nachtmahr von Akuz Ikon ist ein Film, der sich nur schwer einordnen lässt. Carolyn Genzkow spielt Tina, die 18-jährige Protagonistin, die nach einer durchlebten Partynacht plötzlich von einer seltsamen Kreatur verfolgt wird und sich dadurch ihren größten Ängsten ausgesetzt sieht: die Isolation von ihrem (oberflächlichen) Freundeskreis und die Konfrontation mit ihrem innersten Selbst, das sie zuvor vor der Außenwelt verborgen hat. Ängste, die insbesondere junge Frauen zuhauf teilen dürften—auch, wenn man wie Carolyn Genzkow eine ganz andere Jugend durchlebt hat. Wir haben die 23-jährige Schauspielerin in Berlin getroffen und mit ihr über existenzielle Krisen, vermeintliche „Luxusprobleme" und die furchtbare Oberflächlichkeit der Filmbranche gesprochen.

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Broadly: Ich finde es immer sehr schwierig über Filme zu reden, in die man sehr viel reininterpretieren kann und zu denen man demzufolge großen Redebedarf hat. Man möchte ja auch niemanden spoilern.
Carolyn Genzkow: Wir waren am Anfang ganz radikal und haben gesagt, dass wir eigentlich gar nicht über den Nachtmahr sprechen wollen. Also, natürlich schon über den Film, aber zumindest nicht über Interpretationen! [lacht] Man hat als Regisseur oder Schauspieler immer das Gefühl, dass die eigene Interpretation dann plötzlich als die „richtige" gilt. Ich finde es eigentlich ganz toll und interessant mit Menschen zu sprechen, die alle unterschiedliche Dinge im Nachtmahr sehen. Der Film hat ja viele unterschiedliche Ebenen.

Das mit der Wahrheit ist ja eh immer so eine Sache. Gibt es die wirklich? Oder liegt sie im Auge des Betrachters?

Ich habe sehr oft an dem gezweifelt, was ich gesehen habe. Für mich war selbst am Schluss nicht klar, was jetzt wirklich da war und was im Kopf von der Hauptdarstellerin passiert.
Ich als Tina habe den Film sehr konkretistisch erlebt, so als würde es den Nachtmahr geben. Als Leute dann später kamen und gefragt haben „Ist das jetzt eigentlich eine drogenindizierte Psychose?", habe ich ihnen geantwortet, dass das für mich gar nicht interessant ist. Als Tina habe ich dieses Wesen als etwas erlebt, mit dem ich am Anfang kaum etwas zu tun hatte, was dann aber immer mehr wie ein Organ, ein Teil von mir geworden ist—und mit dem ich irgendwie ins Reine kommen muss. Beim Spielen habe ich gar nicht in so Metaebenen gedacht, weil das zu kopflastig gewesen wäre. Ich war relativ nah an dem dran, was im Film tatsächlich passiert und das mit der Wahrheit ist ja eh immer so eine Sache. Gibt es die wirklich? Oder liegt sie im Auge des Betrachters? Vielleicht ist es am Ende gar nicht wichtig ist, was das Reale ist, weil es das Reale so gar nicht gibt.

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Wie klar war die Richtung, die dir im Skript vorgegeben wurde?
Ich muss wirklich sagen, dass das Drehbuch Gold gewesen ist. Es gibt viele Drehbücher, in denen man sich Sätze erst mundgerecht machen muss. Einmal, weil einem etwas vielleicht persönlich nicht so wahnsinnig liegt, und dann aber auch, weil man häufig das Gefühl hat, dass Drehbuchautoren gar nicht wissen, wie man spricht. Das ist alles zu gestelzt und fühlt sich total unorganisch an. Ich weiß noch, dass ich das Buch gelesen habe und ganz tief bewegt war, weil ich das Gefühl hatte, dass das in mir so Kerngefühle, Kernängste, Kernsehnsüchte angesprochen hat, die ich aber noch gar nicht so verbalisieren konnte. Ich habe generell das Gefühl, dass es für mich kompliziert ist, Interviews zu geben, obwohl ich eigentlich ein sehr verbaler Mensch bin. Weil viel in diesem Film passiert ist, was kognitiv jetzt erst mal nicht so zugänglich war. Andererseits arbeite ich eigentlich immer damit, was jetzt der emotionale Kernmotor der Figur ist. Was treibt die um? Was sind die zentralen Aspekte, die tiefste Angst, der größte Wunsch? Das ist glaube ich auch immer so ein Grundkonflikt zwischen dem Sender, der glaubt, dass das dem Zuschauer erklärt werden muss, und dem Schauspieler, der sagt „Das kriege ich auch gespielt. Unterschätz mal den Zuschauer nicht!" Ich glaube, es ist viel stärker, wenn das ganz pur kommt. Ohne Erklärbärsprache.

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Wenn wir jetzt von grundlegenden Ängsten und Gefühlen hinter einer Figur reden: Bei Tina hatte ich das Gefühl, dass sie vor allem sehr alleine ist.
Ich hatte jetzt gar nicht das Gefühl, dass sie physisch so alleine ist—außer dass sie sich zunehmend isoliert, weil sie das Gefühl hat, in ihrem Zustand nicht mehr unter Menschen gehen zu können. Was sie aber vor allem ist, ist einsam. Ich glaube, das liegt daran, dass Tina zu Anfang des Films ganz viele Dinge, die vielleicht nicht so gesellschaftskonform sind und die nicht in dieses coole City-Girl-Selbstbild passen, abgespalten und dadurch den Zugang zu sich selbst verloren hat. Diesen Zugang findet sie durch den Nachtmahr wieder, sie muss sich aber erstmal wieder damit auseinandersetzen und das tut halt weh. Ich erinnere mich noch daran, dass Tina im ersten Buch viel mehr als die Anführerin der Clique erzählt worden ist, die die anderen beiden auch ziemlich anzickt und wo die Hierarchie einfach eine andere ist. Ich weiß gar nicht, wodurch genau sich das entwickelt hat, aber es war am Anfang schon oberflächlicher. Tina, die Highschool-Queen, die alles hat—so ist es ja nicht mehr.

Foto: Grey Hutton

Ich glaube, bei solchen Geschichten, gerade wenn es um junge Mädchen geht, die jetzt nicht aus offensichtlich schlechten Verhältnissen kommen, sieht man sich schnell dem Vorwurf konfrontiert, dass das ja nur Luxusprobleme sind.
Es ist ja auch immer die Frage, was furchtbar ist. Ich war ein Jahr in Tansania, habe da in einem Waisenhaus gearbeitet und bin da natürlich mit objektiv betrachtet existenzielleren Problemen in Berührung gekommen. Ich war mit Leuten konfrontiert, die Probleme damit haben, ganz basale Grundbedürfnisse in den Griff zu bekommen und das ist jetzt eine Pauschalisierung, aber ich hatte trotzdem das Gefühl, dass sie teilweise glücklicher waren als die, die ich in Deutschland so kenne. Deswegen glaube ich, dass Probleme subjektiv sind—auch wenn man sich immer wieder dafür sensibilisieren muss, wenn man sich über irgendwas aufregt, dass es größere Probleme gibt. Ich würde da deswegen gar nicht so eine Hierarchisierung aufmachen, von wegen „Das ist doch nur ein Luxusproblem", weil das direkt so was abwertendes hat. Wenn man aus einem Umfeld kommt wie Tina, ist glaube ich gerade das Aufwachsen mit einer gewissen Künstlichkeit ein großes Problem. Mit Eltern, die einen Chef einladen und wollen, dass ihre Tochter so und so ist. Die ständig mit Darstellen beschäftigt sind. Vielleicht fördert das auch, dass man den Zugang zu seinen basalen Gefühlen—was man wirklich will und wer man ist—verliert, weil man so viel damit beschäftigt ist, darüber nachzudenken wie man zu sein hat.

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Du bist glaube ich direkt nach dem Abi nach Tansania gegangen. Hattest du trotzdem ansatzweise eine ähnliche Phase in deinem Leben wie die, die Tina im Film gerade durchlebt? Also sehr viel weggehen und einfach mal hedonistisch machen, was man möchte?
Ich gehe schon gerne tanzen, allerdings—und das sage ich nicht nur fürs Interview—bin ich ziemlich Anti-Drogen, auch schon immer gewesen. Dadurch, dass ich schon so früh mit Film angefangen habe, wurde ich da gar nicht so mit der glamourösen, anziehenden Seite konfrontiert, sondern habe gesehen, wie scheiße es den Leuten wirklich geht. Das war für mich nie interessant, gar nicht. Nicht mal zum Ausprobieren oder so. Ich gehe gerne auf so Open-Air-Sachen, aber ich glaube, es gibt exzessivere Feierer als mich. Für den Nachtmahr sind wir zur Recherche, und auch einfach, um diesem Feeling nahe zu kommen, viel weggegangen—auch gerne ins Berghain. Wobei Recherche wahrscheinlich das falsche Wort ist: Wir sind viel auf Partys gegangen. Gar nicht mal um zu gucken, ob es auch so ist, sondern gerade in der Zeit, wo wir versucht haben, diesen Trailer durchzukriegen. Die wirklichen Szenen im Film haben ja auch teilweise in Clubs gespielt.

Es fällt mir schwer, die oberflächlichen Aspekte der Branche mit dem zu vereinen, worum es für mich eigentlich im Schauspiel geht.

Als Schauspieler geht es ja zum Einen natürlich auch immer um die äußere Hülle, gleichzeitig macht man sich aber auch sehr verletzlich. Ich kann mir vorstellen, dass das gerade als junger Mensch erst einmal ein längerer Prozess ist. War das schwierig?
Ich kann mir vorstellen, dass das schwierig war und es ist immer wieder neu eine Herausforderung, aber das ist natürlich auch das, was mich daran reizt. Alles andere würde mich gar nicht interessieren. Wenn ich das Gefühl habe, dass etwas künstlich ist oder ich es mir gerade selbst nicht abnehme, dann ist das ganz schrecklich, dann nehme ich mir das total übel. Ich bin auch schnell genervt, wenn ich das Gefühl habe, dass es in einem Projekt nicht mehr um Echtheit oder Kunst, wenn man den Begriff so verwenden möchte, geht. Es fällt mir schwer, die oberflächlichen Aspekte der Branche, die mit Optik und sich gut verkaufen können zu tun haben, mit dem zu vereinen, worum es für mich eigentlich im Schauspiel geht. Es ist schwierig, da nicht zu stark damit anzufangen, Kompromisse einzugehen.

Das heißt, du bist keine Person, die gerne auf fünf Galas pro Abend ist?
Nein, gar nicht. Ich drehe gerne, ich beschäftige mich wahnsinnig gerne mit Figuren, ich liebe das arbeiten in einem Team, in dem jeder seinen Teil zu der Geschichte beiträgt und da bin ich absolut leidenschaftlich dabei. So ein Interview wie das jetzt mit dir bringt mir auch Spaß, weil ich das Gefühl habe, das interessiert mich. Aber so bestimmte Veranstaltungen, auf die man dann geht, wo alle das Gefühl haben, was darstellen zu müssen, oder wo man sich irgendwie unterhält, aber irgendwie auch nicht richtig und alles auf so einer Smalltalk-Ebene bleibt … Das nehme ich nicht der Einzelperson übel und wahrscheinlich geht es anderen Personen mit mir dann genau so, weil ich mich auch nicht anders verhalte, auch wenn man immer mal wieder versucht auszubrechen, aber das finde ich extrem anstrengend. Ich glaube aber: Die meisten Kollegen, oder zumindest die, mit denen ich befreundet bin, geht es genau so.

Abschließend: Glaubst du, dass jeder von uns so einen kleinen Nachtmahr in sich trägt?
Wenn man sich den Nachtmahr vorstellt als etwas, was Teil von einem ist und mit dem man bisher nicht so richtig Frieden geschlossen hat, dann könnte ich mir vorstellen, dass das jeder hat. Die Frage ist dann, welchen Zugang man zu dem hat und ob man den überhaupt noch sieht.