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Feminisme

Das Schwierigste am Strippen war nicht, mich auszuziehen

Am Anfang dachte Holly, dass Kunden wegen der nackten Haut in Stripclubs kämen. Erst später lernte sie, was ihre wichtigste Aufgabe als Stripperin war.
Sirin Kale
aufgeschrieben von Sirin Kale

Bevor ich mit dem Strippen anfing, war ich richtig pleite. Ständig musste ich meine letzten Cents zusammenkratzen, um gerade so noch über die Runden zu kommen. Bis ich eines Tages einen grandiosen Einfall hatte: Ich werde einfach Stripperin.

Weil ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nie in einen Stripclub von innen gesehen hatte, beschloss ich, bei dem Laden in der Nähe meiner Wohnung vorbeizuschauen. Als ich eintrat, befand ich mich plötzlich zwischen unzähligen Männern in Anzügen wieder. Ich weiß noch, wie sehr mich die Schönheit der Frau auf der Bühne beeindruckt hat; wie sinnlich und erotisch ihr Auftritt war. Um mir nicht total komisch vorzukommen, kaufte ich mir ein kleines Bier und quatschte mit ein paar Mädchen. Trotzdem fühlte ich mich etwas fehl am Platz und ging bald wieder.

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Damals hatte ich gegenüber Stripperinnen und Strippern noch viele Vorurteile. Stripclubs hatten für mich etwas anrüchiges und gefährliches. Ich blickte abschätzig auf Menschen, die mit ihren sexuellen Reizen Geld verdienten. Tänzerinnen waren in meinen Augen vor allem Opfer, die keine andere Chance auf ein Einkommen hatten. Als ich dann aber selbst anfing, in der Sexindustrie zu arbeiten, wurden alle meine Vorstellungen widerlegt.

Für mein "Vorstellungsgespräch" zog ich mir die einzige schicke Reizwäsche an, die ich besaß. Damit betrat ich die Bühne. Die Besitzer des Clubs machten einen Song an und ich tanzte etwa eine Minute dazu. Eigentlich hatte ich es mir schlimmer vorgestellt:. Ich hatte gedacht, dass ich mich wesentlich entblößter oder ausgelieferter fühlen würde. Doch alles lief gut und sie stellten mich ein. Ich sollte nur ein paar Formulare unterschreiben, und eine Woche später hatte ich auch schon meine erste Schicht.

Mein erster Tag im Stripclub war ein bisschen wie der erste Tag an einer neuen Schule. Die Mädchen in der Umkleide kannten sich schon, also blieb erst mal ein bisschen für mich. Ich hatte erwartet, dass es dort rau oder gehässig zugehen würde. Und auch, wenn das manchmal vorkommt: Stripclubs sind gleichzeitig die Orte, an denen ich bisher den größten Zusammenhalt und die meiste Unterstützung erfahren habe. Die Tänzerinnen sind starke Amazonen, Geschäftsfrauen und Mütter. Ansonsten verlief mein erster Abend relativ ruhig: Ich verdiente zwischen 250 und 350 Euro.

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Wenn du in diesem Job kein Geld machst, fühlst du dich wertlos.

Insgesamt war die Arbeit sehr anders, als ich erwartet hatte. Alles, über das ich mir davor den Kopf zerbrochen hatte, lief reibungslos und das Ausziehen fiel mir leicht. Mein Problem war eher, dass ich mich unbewusst auf eine Stelle als Verkäuferin eingelassen hatte. Beim Strippen dreht sich alles darum, dass du auf Menschen zugehst und dich und deine persönliche Marke verkaufst. Das musste ich erst noch lernen. Also habe ich den anderen Mädchen bei der Arbeit zugeschaut und mir ein paar Dinge abgeguckt.

Obwohl ich meistens gut verdiente, liefen manche Abende deutlich schlechter. Zu sehen, wie andere erfolgreich sind, während es bei dir gerade nicht läuft, ist nicht leicht zu verkraften. Wenn du in diesem Job kein Geld machst, fühlst du dich wertlos. Zusätzlichen Stress verursacht die Tatsache, dass wir als Tänzerinnen eine Hausgebühr zahlen müssen, bevor wir unsere Schicht überhaupt antreten. Das können zwischen 10 und 175 Euro am Abend sein. Du hast also schon Schulden, bevor du überhaupt zu arbeiten angefangen hast. Außerdem buchen manche Clubbesitzer zu viele Mädchen, was zu großen Konkurrenzkämpfen führen kann.

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Trotzdem zog ich es weiter durch. Mir meine eigene finanzielle Stabilität schaffen zu können, war für mich die größte Motivation. Außerdem fiel mir das Tanzen leicht. Auf einen anderen Aspekt meines neuen Jobs hatte mich allerdings niemand vorbereitet: Ich war im Grunde eine halbnackte Seelsorgerin.

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Etwa sechs Monate, nachdem ich angefangen hatte, wechselte ich zu einem anderen Club, in dem man sich auch mal mit Kunden hinsetzt und unterhält – bezahlt natürlich. Dein Job besteht quasi darin, das Ego deines Kunden anzusprechen. Du allein bist dafür verantwortlich, die positive Atmosphäre zwischen euch erzeugen. Was bedeutet: Du bist Cheerleaderin, Therapeutin und Freundin in einem. Du musst empathisch sein, zuhören, Komplimente machen und dich generell darum kümmern, dass es deinem Kunden gut geht. Für mich war das unglaublich anstrengend und kräftezehrend.

In vielerlei Hinsicht ist die Arbeit in einem Stripclub wie jeder andere Job.

Manchmal hast du als Sexarbeiterin das Gefühl, dass du nicht über die ganzen Dinge sprechen kannst, die dir an der Branche nicht gefallen. Viel zu schnell bekommst du zu hören: "Warum suchst du dir dann nicht einfach einen anderen Job?" Aber ich will in einer Welt leben, in der alle Sexarbeiterinnen das Gefühl haben, ein Mitspracherecht und ein sicheres Arbeitsumfeld zu haben. Wenn wir ganz generell den Wunsch infrage stellen, in so einem Bereich arbeiten zu können, verpassen wir Menschen einen Maulkorb.

Anfangs habe ich niemandem von meinem neuen Job erzählt. Zu lange konnte ich so ein großes Geheimnis aber nicht für mich bewahren. Irgendwann habe ich es meiner besten Freundin gesagt. Statt sich mit mir zu freuen und mich zu unterstützen, wirkte sie vor allem konsterniert. Ich war enttäuscht, dass sie die Aufregung über mein kleines Abenteuer nicht teilte. Andererseits hatte ich selbst viele Vorurteile und ein schwieriges Bild vom Strippen, bevor ich selbst damit angefangen hatte.

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Immer wieder wird uns ein falsches Bild davon vermittelt, warum Strippen, Sexarbeit und die Erotikbranche im Allgemeinen wahnsinnig problematisch sei. Uns wird gesagt, dass unsere Arbeit abstoßend sei und es viel besser wäre, wenn es gar keine Stripperinnen geben würde; dass alle Frauen, die es tun, kaputt seien und ein schweres Leben hätten; dass die Männer, die unsere Services in Anspruch nehmen, Perverslinge seien. Diese überzeichnete Darstellung hilft allerdings niemandem.

In vielerlei Hinsicht ist die Arbeit in einem Stripclub wie jeder andere Job. Es gibt Tage, an denen du keinen Bock hast; es gibt Kolleginnen, die du nicht magst; und es gibt Vorgesetzte, deren Entscheidungen du nicht teilst. Nur die Bezahlung ist besser als in so manch anderem Beruf.

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