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Militär

Kaum jemand glaubt dir, wenn du beim Militär vergewaltigt wirst

Viele Veteraninnen wurden während ihrer Dienstzeit Opfer von Sexismus oder sexueller Gewalt. Zu allem Überfluss wird ihr Kampf um Gerechtigkeit und persönlichen Frieden meist zusätzlich durch die mangelnde Hilfe und die fehlende Unterstützung von...
Film still courtesy of Brittany Huckabee

Einige Studien gehen davon aus, dass jede fünfte Frau in der US-amerikanischen Armee ein Posttraumatisches Belastungssyndrom (PTBS) entwickelt. Das ist an sich nichts Ungewöhnliches und betrifft auch ihre männlichen Kollegen. Bei Frauen gibt es aber noch einen weiteren Faktor, der das Trauma verstärken kann: sexuelle Gewalt. Eine von vier Frauen, die medizinische Betreuung durch das Kriegsveteranenministerium der Vereinigten Staaten erhält, berichtet, dass sie während ihrer Zeit beim Militär Opfer eines sexuellen Übergriffs wurde. Ein Problem, das auch hierzulande greift.

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Berichten zufolge kam eine Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts 2008 zu dem Schluss, dass sexuelle Belästigung „auch in den deutschen Streitkräften keineswegs eine zu vernachlässigende Erscheinung" ist. Die Bundeswehr hat in der Vergangenheit eigenen Angaben zufolge pro Jahr rund 80 Vorfälle mit sexuellem Hintergrund erfasst. Wie die meisten Opfer von sexuellem Missbrauch, stehen die Frauen infolge der Übergriffe nicht nur persönlichen, sondern auch systembezogene Problemen gegenüber. In After Fire, einer Dokumentation über Frauen in Texas, die unter dem sogenannten Military Sexual Trauma (MST) leiden, zeigt die Emmy-nominierte Filmemacherin Brittany Huckabee eine Gruppe von Frauen, die versucht, Jahre nach den Übergriffen Frieden und Gerechtigkeit zu finden.

„Die Statistiken zeigen noch nicht einmal ansatzweise, wie viele Frauen tatsächlich Opfer von sexuellem Missbrauch werden", sagt Huckabee in einem Interview mit Broadly. Sie beschreibt die Militärkultur als missionsorientiert—ein Ort, an dem es weder begrüßt noch bestärkt wird, wenn jemand Beschwerde einreichen möchte. „Das macht die Situation besonders schwer, wenn sich Frauen zu Wort melden. Sie haben nicht das Gefühl zugeben zu können, dass so etwas auch ihnen passieren kann."

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Es ist aber unglaublich wichtig, Missbrauchsfälle zu melden, meint Huckabee—vor allem, weil Opfer von sexuellen Übergriffen Hilfe benötigen, um das Erlebte zu bewältigen. „Sie benötigen Beratung und im Zweifelsfall auch Unterstützungsleistungen", merkt sie an und sagt weiter, dass die Situation der Frauen oft nicht ernstgenommen wird. Frauen mit MST haben einen Anspruch auf Gesundheitsleistungen des amerikanischen Kriegsveteranenministeriums. Wenn das Trauma einer Frau so stark ist, dass es ihre Leistungsfähigkeit beeinträchtigt, hat sie unter anderem auch Anspruch auf eine monatliche Invaliditätsentschädigung. Zuerst muss allerdings bewiesen werden, dass man tatsächlich ein Problem hat. „Man muss beweisen, dass die Erkrankung durch ein Erlebnis beim Militär hervorgerufen wurde. Es darf sich nicht um eine bestehende Erkrankung handeln und man muss zeigen, dass man durch die Erkrankung so sehr eingeschränkt ist, dass man kein normales Leben führen kann."

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Welche Auswirkungen MST auf die Leistungsfähigkeit einer Frau hat, lässt sich allerdings nur schwer messen. Eine der Frauen in Huckabees Film wurde in den 90er-Jahren während ihrer Zeit beim Militär Opfer eines sexuellen Übergriffs. Allerdings, sagt Huckabee, hat sie versucht, das Erlebte durch Leistung zu kompensieren „Sie wirken vielleicht, als bräuchten sie keine Hilfe, aber in Wahrheit kostet es sie sehr viel mehr Anstrengung, auch weiterhin zu funktionieren", erklärt sie.

Darüber hinaus ist es äußerst schwer, die Gesundheitsversorgung und die Invaliditätsentschädigung zu erhalten, auf die Frauen normalerweise Anspruch haben, wenn sie während ihrem Dienst beim Militär missbraucht wurden. Einer der Gründe ist, dass es sich nur schwer beweisen lässt—„ganz besonders dann, wenn es bereits Jahre zurückliegt und es weder Beweise noch eine Anzeige gab." Entsprechend erhalten Frauen mit MST die Behandlung nur dann, wenn die Folgen des Missbrauchs deutlich werden und sie unter Symptomen wie „Veränderungen im Verhalten, Depressionen, Angstzustände oder PTBS" leiden.

„Ich bin seit 35 Jahren im Versorgungssystem für Funktionsstörungen des Kriegsveteranenministeriums", sagt Valerie in einem Interview in Huckabees Dokumentation. „Ohne die Texas Veteran's Commission, die Abteilung für Veteraninnen, wäre mein Anspruch beim Kriegsveteranenministerium einfach untergegangen. Veteraninnen haben keinen Anspruch auf Gerechtigkeit."

Huckabee zufolge verfügt der Großteil der Veteranendienste über keine Abteilung speziell für Frauen. „Meist bekommen sie eine Frau als Koordinatorin zugeteilt, die allerdings meist noch tausend andere Pflichten hat. Das ist eher eine symbolische Stelle", sagt Huckabee. Das ist ein Problem, sagt sie weiter, weil das männerzentrierte Militärsystem nicht darauf ausgelegt ist, die Bedürfnisse von Frauen zu verstehen und ihnen nachzukommen. Aus diesem Grund werden viele Frauen, die durch sexuelle Übergriffe während des Militärdienstes traumatisiert wurden, im weiteren Verlauf Opfer der Bürokratie. Das kann zur Folge haben, dass sie dem ganzen System irgendwann nicht mehr trauen. Deswegen ist es wichtig, spezielle Abteilungen für Veteraninnen zu schaffen.

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Huckabee sagt, dass Frauen im Militär jeden Tag mit Sexismus zu kämpfen haben—das reicht von ernstzunehmenden gewalttätigen Übergriffen bis hin zu sexistischen Kommentaren. „Sie werden ziemlich gut darin, es einfach weg zu lachen. Doch wenn sie dann irgendwann entlassen werden, trifft es sie doppelt so hart." Die gesamte Militärkultur ist von und für Männer gemacht, sagt Huckabee, aber das ändert sich ganz allmählich, weil immer mehr Frauen zum Militär gehen und sie inzwischen auch Einsatzpositionen einnehmen können, die sonst immer männlichen Soldaten vorbehalten waren.

„Irgendwer hat im Verlauf meiner Arbeit erzählt, dass das Militär einige der konventionellsten Männer und einige der unkonventionellsten Frauen anzieht", sagt Huckabee. Das beschreibt die Situation sehr gut, meint sie, allerdings „gibt es auch sehr viele wirklich großartige Männer, die die Frauen im Militär sehr unterstützen und denen es kalt den Rücken runterlaufen würde, wenn man sie konventionell nennen würde."