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Sexualität

Wie es ist, sich vor Familie und Freunden als asexuell zu outen

"Wenn sie diese Seite an dir erst einmal kennenlernen, gibt es kein Zurück mehr" – drei asexuelle Frauen erzählen, wie ihr Coming-out ihr Leben verändert hat.
Photo by Lumina via Stocksy

Neges Familie und ihre Freunde haben schon immer geahnt, dass sie "anders" sei. "Ich hatte noch nie eine normale Beziehung und habe auch noch nie einen Partner mit nach Hause gebracht, um ihn meinen Eltern vorzustellen", sagt die 33-jährige Kanadierin.

Vor einigen Jahren begann sie, genauer über ihre Vorlieben nachzudenken. Oder besser gesagt: darüber, dass sie absolut keine hatte. Warum hatte sie kein Interesse an Sex oder Beziehungen? Sie erklärte es sich damit, dass sie ein geringes Selbstbewusstsein und ein negatives Körperbild hatte, sich schämte und "unerfüllbare" Anforderungen an ihren potenziellen Partner stellte. Gleichzeitig sei ihr aber immer wieder gesagt worden, dass sie eine attraktive Frau sei und sich keine ihrer Entschuldigungen rechtfertigen ließe.

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Nege hegte die Vermutung, dass es noch einen anderen Grund geben musste. Sie dachte ein ganzes Jahr lang darüber nach und stieß schließlich im Netz auf eine Informationsseite über Asexualität. Kurz darauf begann sie sich, als asexuell zu identifizieren. Sie weihte auch ihre Freunde ein und hat es zu keinem Zeitpunkt bereut. "Einige von ihnen reagierten vielleicht etwas irritiert, aber sie waren weder schockiert noch verletzt. Sie hatten mich längst als die Person akzeptiert, die ich einfach bin."

Nach ihrem Coming-out kam Neges Sexualität nie wieder zur Sprache. "Das ist der Vorteil, wenn man asexuell orientiert ist: Das Thema kommt nicht so oft auf, weil ich keinen Partner habe, an dem man meine Orientierung ablesen kann. Ich bin ein überzeugter Single, weil ich gleichzeitig auch aromantisch bin [eine Person, der wenig bis keine romantische Anziehung zu anderen Menschen verspürt]."

"Meine Unabhängigkeit und Ehelosigkeit sind ein Teil von mir und meine Familie sowie meine Freunde lieben und akzeptieren mich, so wie ich bin."

Allerdings verläuft das Coming-out längst nicht bei allen asexuellen Menschen oder Assen, wie sie sich selbst nennen, so glatt. Vor allem Teenagern und jungen Erwachsenen wird gesagt, dass ihre sexuelle Identität "nur eine Phase" sei oder dass sie "nur den richtigen Menschen finden müssten". Nege sieht das anders. "Asexualität ist eine Orientierung wie jede andere und verändert sich bei vielen Menschen auch nicht. Trotzdem führen sie ein langes und glückliches Leben", erklärt die 33-Jährige.

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"Das ist wie mit Schokoladenkuchen", sagt Chelsea, eine Studentin aus Neuseeland. "Ich mag keinen Schokoladenkuchen. Ich kann davor sitzen und denke mir vielleicht sogar, dass er gut aussieht. Trotzdem weiß ich, dass er mir nicht schmecken würde."

Chelsea ist 24 Jahre alt und ebenfalls asexuell. Sie hat festgestellt, dass sie Menschen zwar ästhetisch anziehend finden und sich auch zu ihrer Persönlichkeit hingezogen fühlen kann, aber sie hatte nie das Bedürfnis, Sex mit ihnen zu haben. Zu Beginn hatte sie selbst ziemliche Vorurteile gegen Asexualität. Nach allem, was sie darüber gelesen hatte oder in den Medien gesehen hatte, musste sie immer an Figuren wie Sheldon Cooper aus The Big Bang Theory denken. "Da heißt es immer: 'Keimphobie! Fass mich nicht an!'", sagt sie. "So bin ich überhaupt nicht."

Als mir klar wurde, dass es ein Wort dafür gibt, wusste ich sofort: Das bin ich.

Trotz allem hat Chelsea 2012 angefangen, mit dem Begriff zu experimentieren und ihn zum Spaß auch im Gespräch mit ihrer Familie fallen lassen. "Sie haben kaum eine Reaktion gezeigt, weil sie überhaupt nicht wussten, was [Asexualität] bedeuten sollte", erinnert sie sich. Im Nachhinein glaubt sie, dass sie einfach nur hofften, dass es eine Phase wäre, die wieder vergehen würde.

Foto: Unsplash | Pexels | CC0

"Ich drehte mich jahrelang im Kreis: Ich lernte jemanden kennen, ging mit ihm aus und hoffte, dass ich ihn irgendwann anziehend finden würde. Dazu ist es aber natürlich nie gekommen", erzählt sie. "Ich kann mich noch an einen Abend erinnern, an dem ich eigentlich verabredet war, aber ich konnte mich einfach nicht darauf freuen. Damals hatte ich mit Angstzuständen und Depressionen zu kämpfen. Ich lag heulend in den Armen meiner Mutter und sagte: 'Ich will nicht zu dieser Verabredung gehen. Ich finde ihn einfach nicht attraktiv.'"

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"Sie antwortete: 'Vielleicht solltest du dir dann jemand anderen suchen?'"

"Ich sagte: 'Nein, ich finde Männer generell nicht anziehend.'"

"Sie entgegnete: 'Oh, heißt das, du findest Frauen attraktiv?'"

"Woraufhin ich sagte: 'Nein, das wäre mir schon vor langer Zeit klar gewesen!'"

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Vergangenes Jahr saß sie mit ihrer Mutter und ihrer Schwester beim Essen, als ihre Mutter plötzlich fragte: "Du denkst also wirklich, dass du asexuell bist?" Die Schleusen öffneten sich. "Wir hatten ein ziemlich intensives Gespräch", sagt Chelsea. "Sie waren neugierig und verständnisvoll. Das war sehr schön. Sie verstehen es vielleicht noch immer nicht ganz, aber das liegt vermutlich daran, dass sie andere Erfahrungen im Leben gemacht haben. Dahinter steckt keine Ablehnung."

"Die meisten Menschen haben eine sehr einseitige Vorstellung von Asexualität. Doch asexuell zu sein, schließt eine Vielzahl von Identitäten mit ein. Man kann homosexuell und asexuell sein. Man kann heterosexuell und asexuell sein. Mann kann aber auch bisexuell oder pansexuell sein. Nicht jede Form der Anziehung ist sexueller Natur. Darüber sollte viel mehr gesprochen werden – vor allem, wenn es um die Repräsentation von Asexualität geht."

"Viele Menschen haben [von meiner Orientierung] erfahren, als ich meine Show Asexual Healing gemacht habe", sagt Nikki, 40. "Die Meisten haben aber beim Lesen des Titels gedacht, dass das einfach nur ein Wortspiel ist. Sie haben nicht verstanden, dass es um meine eigene Sexualität ging."

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Nikki ist Schauspielerin, Autorin und Kritikerin. Sie hat den Begriff "asexuell" zum ersten Mal in einem Interview mit der Komikerin und Aktivistin Janeane Garofalo gehört. Eine kurze Google-Suche zeigt eine Unmenge von Webseiten und Blogs zu dem Thema. Mit Mitte 30 hatte Nikki noch keine Ahnung, dass es einen festen Begriff dafür gab, wie sie sich fühlte. "Als mir klar wurde, dass es ein Wort dafür gibt", sagt sie, "wusste ich sofort: Das bin ich."

Wenn sie diese Seite an dir erst einmal kennenlernen, gibt es kein Zurück mehr.

Zuvor war sie lange Zeit über in einer festen Beziehung. Nach der Trennung von ihrer Partnerin hatte Nikki keine Lust mehr, sich weiter zu verabreden. Sie fühlte sich deswegen andauernd schuldig. "Ich hatte ständig das Gefühl, etwas tun zu müssen, obwohl ich gar nicht wollte", erinnert sich Nikki. "Als hätte ich noch etwas zu erledigen, wie eine unbezahlte Rechnung oder ein Essay, das ich noch schreiben muss – genau so hat es sich angefühlt."

Jahrelang hatte Nikki keinen Sex mehr und fragte sich immer wieder, ob sie sich deswegen Sorgen machen sollte. "Als ich auf von dem Wort 'asexuell' hörte, fiel mir ein Stein vom Herzen. Ich konnte einfach zufrieden sein, so wie ich war."

Die ersten Menschen, mit denen sie über ihre neue sexuelle Identität gesprochen hat, waren andere asexuelle Menschen auf Tumblr. Erst dann hat sie ihren Mitbewohnern davon erzählt. "Es war ein ziemlich großer Schritt, sich vor den Menschen, die einem am nächsten stehen, zu outen", sagt sie. "Wenn sie diese Seite an dir erst einmal kennenlernen, gibt es kein Zurück mehr. Für meine Ex-Freundin war es eine ziemliche Offenbarung, größer als mein Coming-out als Transfrau. Sie sah unsere Beziehung plötzlich mit ganz anderen Augen."

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Als ihnen klar wurde, dass Nikki kein Bedürfnis nach Sex und Zuneigung hatte, fügten sich die Teile ihrer fragmentierten Beziehung immer weiter zusammen. Mittlerweile sind sie besser befreundet denn je.

Mehr lesen: Zwei sind einer zu viel – Was es heißt, solosexuell zu sein

Den Versuch, Sex zu haben und eine Beziehung zu führen, bereut Nikki trotzdem nicht. Sie vergleicht es mit einem Buch, "das man gelesen hat, aber kein zweites Mal mehr in die Hand nehmen würde. Zumindest weiß ich jetzt, was drin steht." Ihr Online- und Offline-Engagement in der Ass-Comunity ist ihr wahnsinnig wichtig. Gemeinsam mit anderen Assen nahm sie auch an der diesjährigen Midsumma Pride Parade in Melbourne teil. "Es tut mir gut, so etwas zu machen", sagt Nikki. Auf diese Weise lerne sie, sich selbst voll und ganz zu akzeptieren.

"Ich hatte drei Coming-outs: als bisexuell, als transsexuell und als asexuell. Dennoch waren alle drei Erfahrungen ganz unterschiedlich", erklärt sie. Sie hätte schon als Kind gewusst, was Transsexualität ist, hätte es aber nur niemandem gesagt. "Was Asexualität ist, wusste ich hingegen nicht. As ich davon erfahren habe, traf es mich wie ein Blitz. Bang!"


Foto: Will Milne | Pexels | CC0