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Psychologie

Das Othello-Syndrom: ein Leben mit tödlicher Eifersucht

Machen dich selbst Fernsehsendungen über Untreue rasend eifersüchtig? Dann könnte es sein, dass du an einer wenig bekannten psychischen Krankheit leidest.
Illustration by Julia Kuo

Es gibt diese Nächte, wenn man allein zuhause sitzt, nur mit einer Flasche Wein und seinem Laptop, und die Gedanken rasen. Im einen Moment sieht man sich zufrieden ein paar alte Bilder von Patti Smith auf Google an, im nächsten Moment durchforstet man den Verlauf des Facebookprofils seines Freundes und quält sich selbst mit Bildern von ihm, wie er lächelnd neben seinen Exfreundinnen steht.

Während ein gewisses Maß an Eifersucht in einer Beziehung normal ist, endet es für manche Menschen in einer lebenszerstörenden psychologischen Störung. Dieses seltene Leiden ist bekannt als Othello-Syndrom, ein Begriff, der 1951 von dem englischen Psychiater John Todd geprägt wurde, der das Syndrom als „gefährliche Form der Psychose" beschrieb. Wie der Name bereits andeutet, wurde es durch Shakespeares Figur des Othello inspiriert, der seine Frau ermordete, weil er davon überzeugt war, dass sie ihn betrogen habe.

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Für die 21-jährige Charlotte aus Großbritannien begann das Othello-Syndrom während ihrer ersten ernsthaften Beziehung. „Die Symptome schienen wie aus dem Nichts zu kommen. Ich bin nicht auf andere Frauen eifersüchtig und ich bin ziemlich stolz auf mich und mein Aussehen. Deswegen erscheint mir meine Angst davor, betrogen und verlassen zu werden, umso irrationaler. Die Symptome begannen als kleine paranoide Gedanken, entwickelten sich dann aber zu voll ausgewachsenen Zusammenbrüchen, weil ich glaubte, dass mich meine große Liebe verletzen würde."

Die eifersuchtsgetriebenen Wahnvorstellungen der Studentin wurden so schlimm, dass sie oft versucht hat, ihre Beziehung zu beenden. „Der Schmerz und die Depression, die ich davon bekam, gaben mir das Gefühl, dass es das vielleicht alles nicht wert war. Manchmal habe ich mir gedacht, dass es das Beste wäre, wenn mich mein Partner tatsächlich betrügen würde. Dann müsste ich nicht darauf warten, bis es schließlich passiert."

Nachdem sie monatelang an lähmenden Ängsten litt, recherchierte Charlotte ihre Symptome und stieß auf das Othello-Syndrom. „Ich war irgendwie erleichtert", sagt sie. „Ich wusste, dass das, was ich hatte, an eine psychische Störung gekoppelt war, weil es auf keinen Fall normal war und ich war froh, dass ich es benennen konnte."

Rachel, 31, ist eine private Pflegefachkraft aus den USA und leidet ebenfalls an dem Syndrom. Bereits in ihrer Kindheit war sie mit dem Gefühl von tödlicher Eifersucht vertraut. „Meine Mutter hatte es ganz sicher auch. Ich kann mich daran erinnern, wie sie ein paar Playboy-Hefte in dem neuen Haus, in das wir gerade eingezogen waren, gefunden hat und dachte, sie wären von meinem Vater. Sie tackerte vor meinen Augen sämtliche Seiten an die Wände und sagte zu ihm: ‚Schau dir deine Huren jetzt nochmal an.' Sie beschuldigte meinen Vater, dass er mit jeder, die auch nur im Geringsten attraktiv war—egal ob in der Realität oder im Fernsehen—schlafen wollen würde."

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Rachels persönlicher Trigger sind „Frauen im Fernsehen, in Magazinen, einfach jeder, der hübsch aussieht oder dem Geschmack ihres Partners entspricht." Für Charlotte sind es die Darstellungen von Untreue in der Popkultur. Songs, Bücher, Fernsehshows, Filme und sogar Zeitungsartikel zu diesem Thema können für sie der Auslöser sein: „Meistens bekomme ich eine Panikattacke und bin tagelang deprimiert, wenn ich mitbekomme, dass jemand untreu ist."

Laut Windy Drydon, emeritierter Professor für psychotherapeutische Studien an der Goldsmiths University in London, reagieren diejenigen, die an Eifersuchtswahn leiden, überempfindlich auf Unsicherheiten und haben deshalb das andauernde Bedürfnis nach Bestätigung. „Genährt wird dieses Gefühl durch jede Form der Wahrnehmung, die eine Gefahr für die Beziehung darstellen könnte. Gleichzeitig ist die Beziehung umgeben von einer ständigen Ambiguität, insbesondere in einer Zeit, in der man nicht einmal sicher sein kann, wie lange eine Beziehung halten wird."

„Das können zum Beispiel Momente sein, in denen sich dein Partner höflich gegenüber dem anderen Geschlecht verhält. Eifersucht beinhaltet die verzweifelte Suche nach Beweisen, die dich sowieso nicht überzeugen werden."

Unbehandelt besteht die Chance, dass Betroffene wegen solcher Gedankengänge in eine Spirale aus wachsender Gewalt und unvorhersehbaren Wutausbrüchen geraten. In den extremsten Fällen hat das Othello-Syndrom dazu geführt, dass Menschen ihre Partner umgebracht haben, bevor sie Selbstmord begingen.

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Das Internet ist nicht gerade hilfreich für Leute, die von den Zweifeln an ihren Partnern besessen sind. Eine Untersuchung der Wohltätigkeitsorganisation Scope aus dem letzten Jahr hat ergeben, dass die sozialen Medien ihren Nutzern das Gefühl geben „hässlich, unzulänglich und eifersüchtig" zu sein.

Manchmal habe ich mir gedacht, dass es das Beste wäre, wenn mich mein Partner tatsächlich betrügen würde. Dann müsste ich nicht darauf warten, bis es schließlich passiert.

In einer Zeit, in der es einfach zu leicht geworden ist, seinem Partner im Auge zu behalten, seinen Facebookstatus, seine Tweets und seine Bilder auf Instagram zu überwachen, bieten soziale Medien einen schnellen Weg, um sich von jeglicher Form der Paranoia zu befreien.

Das Problem ist, dass die Erkrankung durch ein solches Verhalten nur verfestigt wird. Dasselbe gilt für diejenigen, die sich der Krankheit ihres Partners beugen und Lügendetektortest machen oder die Sorgen ihres Partners mit einstudierten Antworten beschwichtigen. In einem der bekanntesten Fälle des Othello-Syndroms hat eine Frau ihrem Partner verboten, sich Bilder von Frauen in Magazinen anzusehen und ihn sogar dazu gezwungen jedes Mal, wenn er aus dem Haus ging, einen Lügendetektortest zu machen.

Laut Professor Drydon sollten diejenigen, deren Partner am Othello-Syndrom leiden, lieber antworten: „Ich liebe dich, aber ich werde deine Fragen nicht beantworten." Anhaltende und pausenlose Beteuerungen schaden mehr als sie helfen.

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Er erwähnt auch, dass es, um diese Krankheit zu überwinden, notwendig ist, sie zunächst zu erkennen. Wirklich bekämpfen lässt sie sich nämlich erst, wenn man sich verinnerlicht hat, wie irrational die Angst ist. „Die Betroffenen haben oft das allgemeine Bild, dass man Männern nicht trauen kann— das kann auf Erfahrungen oder auf Beobachtungen beruhen. Sie müssen sich mit der Quelle ihrer Unsicherheit auseinandersetzen, um mit der Eifersucht umgehen zu lernen, und sich mit dem Ursprung jedes einzelnen Angstgedanken beschäftigen."

Das Othello-Syndrom ist immer noch relativ unbekannt. Wenn man es googelt, findet man lediglich medizinische Definitionen und sensationsheischende Schlagzeilen. Das liegt vermutlich daran, dass sich viele Betroffene zu sehr schämen, um darüber zu sprechen. „Ehrlich gesagt, schäme ich mich dafür, dass ich das Othello-Syndrom habe", erzählt mir Charlotte. „Außer mit meinem Partner und anderen Betroffenen habe ich noch nie mit jemandem darüber gesprochen."

Weil es auch dazu führen kann, dass diese Menschen ihre Partner schlecht behandeln, denken viele, dass es nur als Ausrede für ihren Kontrollzwang genutzt wird. „Die Krankheit ist stigmatisiert. Viele behaupten, dass die Partner einfach nur übermäßig eifersüchtig sind und die Mädchen kein Selbstbewusstsein haben. Oder es eine erfundene Krankheit ist, um den Kontrollzwang des Partners zu entschuldigen", sagt Charlotte.

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Die komplizierteste Begleiterscheinung des Othello-Syndroms ist, dass es oft dazu führt, dass die Beziehungen der Betroffenen scheitern, was wiederum die Vorstellung bestärkt, dass sie keine Beziehung aufrechterhalten können. Ein Teufelskreis.

Das bedeutet leider auch, dass ich meinen Lieblingsfilm nicht länger anschauen oder meine Lieblingsmusik nicht mehr anhören kann.

Nachdem sie sich selbst diagnostiziert hat, trat sie einer geschlossenen Gruppe auf Facebook bei—für Leute, die ebenfalls am Othello-Syndrom leiden. „Wir helfen uns gegenseitig. Vor allem dann, wenn wir eine Episode extremer Paranoia haben. Neben mir gibt es noch andere, die an Albträumen leiden oder durch dieselben Dinge getriggert werden. Dadurch habe ich gelernt, das Othello-Syndrom besser zu ignorieren, denn wenn ich meine Erfahrungen bei anderen sehe, merke ich, dass die Paranoia nicht real ist."

Die betroffenen Frauen, mit denen ich gesprochen habe, vermeiden alles, wodurch ihre Symptome ausgelöst werden könnten. Das war für Charlotte nicht ganz einfach: „Das bedeutet leider auch, dass ich meinen Lieblingsfilm nicht länger anschauen oder meine Lieblingsmusik nicht mehr anhören kann." Zudem löst es das Problem nicht auf lange Sicht.

Wie bei jeder anderen Angst muss man sich selbst damit konfrontieren, um sie zu besiegen. Vor Charlotte liegt noch ein langer Weg. „Ich leide nicht mehr unter der täglichen Paranoia. In den ersten Jahren habe ich mich oft mit meinem Partner gestritten und ich habe ihm tagtäglich vorgeworfen, dass er fremdgehen würde. Dank der Unterstützung meines Partners ist mein Vertrauen in ihn aber jetzt sehr groß. Im Moment versuche ich die Krankheit zu besiegen, indem ich mich mit meinen Triggern auseinandersetze."