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Instagram

Das ungefilterte Instagram-Universum der Schönheitsoperationen

Unter Hashtags wie #rhinoplastydiary und #rhinoplastyjournal teilen Frauen auf Instagram tausende ungefilterte Fotos von ihren Schönheits-OPs. Allerdings befürchten Experten, dass solche Accounts unrealistische Erwartungen schüren könnten—vor allem...
Photo by Javier Diez via Stocksy

Vor einigen Jahren schienen Schönheitsoperationen noch unerschwinglich zu sein und abgesehen von Spartensendungen wie Extrem schön! und den Titelseiten von Magazinen waren kosmetische Eingriffe etwas überwiegend Privates.

Mittlerweile ist plastische Chirurgie in der Mitte der Gesellschaft angekommen und wurde durch Fernsehstars, die im Nachmittagsprogramm und in den sozialen Medien mit den Ergebnissen ihrer OP prahlen, absolut mainstreamfähig. Auch Schönheitschirurgen haben angefangen, aus diesem Trend Profit zu schlagen und teilen Bilder von den Eingriffen ihrer Patienten in all ihrer Blutrünstigkeit in den sozialen Medien—so wie Dr. Michael Salzhauer (alias Dr. Miami), der fast eine Million Follower auf Snapchat und Instagram hat.

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Doch der Aufstieg sozialer Medien hat auch zu einem weniger bekannten Phänomen geführt: Die digitale Revolution hat jungen Frauen über die sozialen Kanäle einen direkten Zugang zur Schönheitschirurgie gegeben und viele Patientinnen haben angefangen, ihre eigene „kosmetische Reise" auf verschiedenen Plattformen festzuhalten. Eine besonders wichtige Rolle spielt hierbei Instagram.

Brust-OPs lassen sich wegen dem berühmten Nippel-Verbot von Instagram nur schwer dokumentieren, aber viele andere Accounts sind mittlerweile extrem beliebt geworden. Wenn man beispielsweise nach dem Begriff „Nasen-OP" sucht, findet man hunderte von Seiten von jungen Frauen, die ihre Eingriffe von Anfang bis Ende festhalten. Besonders schnell findet man die Accounts, wenn man die richtigen Hashtags kennt: Unter #rhinoplastyjournal, #rhinoplastyjourney und #rhinoplastydiary findet man hunderte, wenn nicht sogar tausende von Fotos.

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Die meisten Accounts sind privat und ziemlich streng, wenn es darum geht, wer ihnen folgt. Ella (@rhinoplasty.diary) ist 23 Jahre alt und kommt aus Toronto, Kanada. Sie hat eine Woche vor ihrem Eingriff im September 2015 eine private Instagram-Seite erstellt, um ihre eigene Veränderung und den Heilungsprozess zu dokumentieren.

„Viele Leute versuchen, ihre OP zu verheimlichen. Es kann für andere auch ziemlich erschreckend sein, wenn sie dich in der ‚schlimmsten Verfassung' sehen—also wenn alles blau, blutig und geschwollen ist. Den Leuten steht es frei, das zu kritisieren", sagt sie.

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Seit Ella 13 war, hat sie immer wieder darüber nachgedacht, eine Nasenkorrektur vornehmen zu lassen. Eigentlich wollte sie den Account hauptsächlich dazu nutzen, ihre eigenen Bedenken zu zerstreuen. Doch schon nach kurzer Zeit machte sie ihn öffentlich, um Menschen zu unterstützen, die darüber nachdenken, denselben Weg zu gehen wie sie. Mittlerweile hat sie über 500 Follower.

„Wenn man sich verändert, dann kann einem das schon ziemlich Angst machen—ganz besonders, wenn es um dein Gesicht geht. Ich habe [den Account] in erster Linie erstellt, um mich selbst zu beruhigen, aber mit der Zeit habe ich ihn immer mehr dazu genutzt, anderen zu helfen—überwiegend Frauen und jungen Mädchen, die entweder selbst nach einem guten Chirurgen suchen oder Schwierigkeiten bei der Heilung hatten und jemanden brauchen, der dasselbe durchgemacht hat, um sie zu beruhigen."

Wie die meisten dieser Accounts zeigt auch Ella den gesamten Eingriff vollkommen unbeschönigt: Von der Autofahrt in die Klinik bis hin zu den Verbänden nach der OP—nahezu jeden Tag gibt sie ihren Followern ein Update mit extrem intimen Einblicken. Ihre Posts sind allerdings nicht immer einfache Lektüre. In einem Eintrag heißt es: „Tag 3 … Ich muss sagen, dass ich nicht erwartet hätte, dass ich so schlimm aussehen würde. Ich habe eine wirklich grausame Nacht hinter mit. Ich bete, dass die Schwellung bald ein wenig zurückgeht. Ich habe das Gefühl, dass ich mehr Schmerzen habe, als die meisten anderen Menschen, die davon erzählen. Irgendwelche Ratschläge? Ich bin so so so müde. Ich will einfach nur schlafen und nie wieder aufstehen."

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Der Heilungsprozess scheint auf den meisten Instagram-Accounts das vorherrschende Thema zu sein. Viele Frauen sind auf der Suche nach Rat und die Kommentare der Nutzer sind überwiegend positiv und bestärkend. Auf den bereits erwähnten Post von Ella haben sich innerhalb kürzester Zeit zig Follower gemeldet und meinten, dass sie „durchhalten" solle. Außerdem gaben sie ihr den Rat, etwas Homöopatisches zu nehmen, damit die Schwellung zurückgeht.

Ella sagt, dass es „hundertprozentig eine Community" gibt und dass sie über ihren Instagram-Account sogar enge Freundschaften zu einigen der Frauen, die auf der Plattform aktiv sind, geknüpft hat.

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Sie meint: „Es ist schwer, in Worte zu fassen, wie viel Unterstützung man von den Leuten bekommt. Sie verurteilen dich nicht für deine Entscheidung, dich verändern zu wollen und machen oft dieselbe Veränderung durch wie man selbst oder wünschen sich eine solche Veränderung."

„Wenn man mal einen Tag hat, an dem die Schmerzen besonders schlimm sind oder die Schwellung heftiger ist als sonst, kann es durchaus vorkommen, dass man seine Entscheidung bereut. Man hat schreckliche Angst und ist wie besessen von seiner Nase. In solchen Momenten ist es wirklich schön, andere Leute zu sehen, die dasselbe durchgemacht haben und sich selbst zu sagen: ‚Sie hatten auch Tage, an denen die Schwellung besonders schlimm war und ihre Nase sieht mittlerweile toll aus.'"

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Bunny (@bunnydolldiary), 25, aus New York ist eine der wenigen Frauen, die von Anfang an einen öffentlichen Account eingerichtet haben. Sie hatte ihre Nasen-OP im Oktober 2015. Damals hat sie auch angefangen zu posten. Mittlerweile hat sie mehr als 1.500 Follower. Bunnys großes Ziel war es, anderen die Informationen geben zu können, die sie sich damals selbst gewünscht hätte. Ihr Feed besteht aus unzähligen Vorher-Nachher-Vergleichen und einigen blutunterlaufenen Fotos von den Tagen kurz nach der OP. Nach ihrer Nasenkorrektur hat sie sich auch noch ein Kinnimplantat einsetzen und die Lippen auffüllen lassen. Bunny hat die Erfahrung, ihre OPs auf Instagram zu dokumentieren, ähnlich positiv erlebt wie Ella.

„Ich bin jeden Tag aufs Neue positiv überrascht, wenn ich zu netten Nachrichten, Kommentaren, Tags und ‚Likes' aufwache. Die privaten Nachrichten pushen regelmäßig mein Selbstbewusstsein", sagt sie.

Patientenaccounts sind für Schönheitschirurgen zweifellos das beste und modernste Marketing-Tool. Dr. Reza Nassab, Facharzt für plastische Chirurgie und Mitglied der British Association of Aesthetic Plastic Surgeons (BAAPS), stimmt dem zu und ist der Meinung, dass das digitale Zeitalter „eine wichtige Zeit" für die Schönheitschirurgie eingeläutet hat und Frauen einen offeneren Umgang damit ermöglicht hat.

„Soziale Medien und insbesondere auch solche Instagram-Accounts spielen eine wichtige Rolle bei der Patientenaufklärung. Nasenkorrekturen führen zu ganz speziellen blauen Flecken und Schwellungen. Wenn sie sich diese Bilder ansehen, wissen sie, was sie zu erwarten haben. Allerdings sollte jeder, der für einen solchen Account verantwortlich ist, ethisch vertretbare und informative Inhalte posten", sagt er.

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Die Psychologin Dr. Susan Marchant-Haycox sieht das Ganze etwas zynischer. Sie findet zwar auch, dass solche Accounts durchaus eine Form der Unterstützung darstellen können, allerdings betrachtet sie die fehlende Fachkenntnis der Frauen mit Sorge.

„Ein Chirurg kann dir die Vor- und Nachteile jeder Operation erklären. Dazu sind diese Frauen nicht qualifiziert und das ist gefährlich. Wer an sich selbst etwas verändern möchte, muss sich zunächst einmal fragen, warum er das möchte und sollte vielleicht lieber erst zu einem Psychologen gehen. Auch eine Operation wird das zugrundeliegende Problem nicht unbedingt lösen können", sagt sie.

Kosmetische Eingriffe werden immer trivialer, weil man überall davon hört und liest.

Das Ganze hat auch kulturelle Konsequenzen, so Dr. Nassab. Instagram wird überwiegend von jüngeren Leuten genutzt: 36 Prozent der deutschen Nutzer sind zwischen 16 und 29 Jahre alt. Ähnlich ist es auch in den USA. Dort sind 22,9 Prozent der Nutzer zwischen 18 bis 24 Jahren. Dr. Nassab befürchtet, das solche Accounts dazu führen könnten, dass Schönheitsoperationen zur Normalität werden.

„Kosmetische Eingriffe werden immer trivialer, weil man überall davon hört und liest", sagt er. „Vor allem jüngeren Menschen ist dabei nicht immer klar, dass solche Eingriffe potenziell lebensverändernd sind. Sie müssen sich die Zeit nehmen, um alle Optionen zu durchdenken und sich über den Eingriff und die möglichen Folgen zu informieren, bevor sie etwas an sich verändern lassen."

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Dr. Nassab glaubt auch, dass die wachsende Beliebtheit dieser Accounts bei jungen Frauen zu unrealistischen Erwartungen führen könnte.

„Jeder Patient ist individuell und wird sich auch immer von der Person unterscheiden, die er auf Instagram gesehen hat. Diese Tatsache muss man immer im Hinterkopf behalten, wenn man sich solche Bilder ansieht. Außerdem muss man immer den richtigen Chirurgen finden, der einem ganz realistisch sagt, was man mit einer Operation erreichen kann", erklärt er.

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Diejenigen, die von ihre Schönheitsoperationen berichten, riskieren dagegen oft, beschimpft und beleidigt zu werden. Bunny erzählt, dass sie manchmal Kommentare von Menschen bekommt, die ganz eindeutig gegen Schönheitsoperationen sind. Viele fragen sie, wieso sie „sich selbst so etwas antut", aber sie versucht es locker zu sehen.

„Wenn man einen Account hat, der überwiegend aus Nahaufnahmen besteht, kann das natürlich auch dazu führen, dass dich Menschen, die dich nicht kennen, nicht mehr als Mensch mit Gedanken und Gefühlen wahrnehmen. Oft bekommt man während dem Heilungsprozess Kommentare zu hören wie: ‚Wow, dein Gesicht ist total geschwollen' oder ‚deine Nasenflügel sind ungleich.' Das finde ich aber meistens selbst einfach nur noch lachhaft, um ehrlich zu sein", sagt sie.

Trotz der Kritik sind Ella und Bunny nach wie vor fest davon überzeugt, dass die positiven Seiten ihres Instagram-Accounts die negativen überwiegen. Sie glauben, dass sie einen sicheren Ort schaffen, an dem sie über ihre Ängste und Gefühle sprechen können, ohne verurteilt zu werden. Sie werden auch weiterhin Bilder posten—mit und ohne Amaro-Filter.

Bunny meint zum Abschluss noch: „Die Leute haben einen großartigen Gemeinschaftssinn und sind alle total positiv. Ich habe schon mit jungen Frauen aus der ganzen Welt gesprochen, von denen eine netter war als die andere. Ich bin stolz und glücklich und möchte anderen einfach nur meine Geschichte erzählen."


Titelfoto: Adrianna Calvo | Pexels | CC0