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Medien

Das "ZEITmagazin MANN" oder: Warum Sexismus allen wehtut

Redakteur Sascha Chaimowicz will mit dem neuen Magazin weg von Geschlechterklischees und hin zu Diversität. Wir haben mit ihm über geschlechterübergreifenden Sexismus und das Recht auf Selfies diskutiert.

„Von alten Männern, für alte Männer", „ein Magazin für den alten weißen Heteromann"—die Kommentare, die sich unter dem Hashtag #pimmelZEIT auf Twitter sammelten, waren gelinde gesagt nicht gerade positiv. Der Empfänger all der Häme: Das neue ZEITmagazin MANN. Gestartet Anfang September, soll das Heft ab nun alle sechs Monate Geschichten, Interviews, Kommentare und Luxus-Modestrecken von und für den gebildeten Mann liefern. Ein für viele überraschender Schritt der ZEIT Verlagsgruppe, schließlich gelten Männer in der deutschen Medienlandschaft nicht gerade als unterrepräsentierte gesellschaftliche Gruppe.

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Gleichzeitig sieht der Markt für geschlechterspezifische Magazine abseits von Rollenklischees a la „Frauen wollen Diättipps, Männer irgendwas mit Autos" in Deutschland aber tatsächlich recht mau aus. Kommt nach Broadly, Missy Mag, Edition F und Co. also die große journalistische Offensive in Sachen alternative Männermedien? Und hilft es uns in Sachen Gleichberechtigung nicht allen, wenn auch Männer sich ein bisschen differenzierter mit sich und ihrer Rolle in der Gesellschaft auseinandersetzen? Wir haben Sascha Chaimowicz, verantwortlicher Redakteur beim neuen Männerheft der ZEIT, getroffen und mussten feststellen: So viele Unterschiede gibt es im Anspruchsdenken zwischen Frauen- und Männermagazinen gar nicht.

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Broadly: Als Broadly gelauncht wurde, habe ich mehrere Interviews gegeben und die Fragen, die da kamen, waren tatsächlich größtenteils dieselben. Warum eine Frauenseite? Ist Broadly eine feministische Plattform? Gleichzeitig schien es für viele eine komplette Antithese zum „anderen" Frauenmagazin zu sein, dass die amerikanische Broadly-Seite beispielsweise Horoskope macht, was die Frage aufwirft: Muss man sich als Frauenmagazin komplett von Beauty- und Liebesthemen verabschieden, oder kann man es nicht auch anders, cooler machen? Ich kann mir vorstellen, dass das für dich mit dem ZEITmagazin MANN jetzt auch ein Thema war. Da gibt es ja auch genug Klischees: Männer essen immer Fleisch, Männer lieben Autos …
Sascha Chaimowicz: Tipps für besseren Sex, so gelingt die Gehaltsverhandlung, so bekommst du jede Frau in der Bar rum, der perfekte Sixpack in sechs Wochen—das sind die Klassiker, oder? Es gibt einige Hefte, auch in Deutschland, die sich mit solchen Fragen beschäftigen. Und ich weiss noch, dass ich mit 14, 15 Jahren manchmal heimlich am Kiosk in solche Männermagazine geblättert habe, weil die Vorstellung, innerhalb weniger Wochen zum Sixpack zu kommen, damals sehr vielversprechend klang. Aber ich war halt 14. Heute verstehe ich nicht ganz, welcher erwachsene Mann sich von solchen Heften angesprochen fühlt. Für uns war klar, dass all diese Ratschläge und die nackten Frauen in unserem Heft nicht stattfinden würden. Wir wenden uns dem erwachsenen Mann zu, der Lust darauf hat, sich mit einer grundsätzlichen Frage zu beschäftigen: Wie werde ich zu einem glücklichen Menschen? Da sahen wir eine Lücke. Sich mit der eigenen Rolle im Leben zu befassen, findet in Männerzeitschriften bislang wenig statt.

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Wenn ich in den Nachrichten Konferenzen sehe und da sind nur Männer im Bild, denke ich mir auch: Kommt Leute, das ist doch jetzt nicht euer Ernst, wir haben 2016.

Bei Broadly kam wie gesagt häufiger die Frage, ob man sich als feministische Plattform versteht—als wäre das so ein Zusatzbegriff, den man sich auflädt. Oder als hätte sich irgendeine Chefredakteurin eines Frauenmagazins mal hingestellt und gesagt „Also wir sind BEWUSST keine feministische Plattform!". Meine Aussage dazu war immer, dass Feminismus und Gleichberechtigung für uns eine Selbstverständlichkeit ist. Wir diskutieren nicht mehr darüber. Trotzdem ist es auch für uns sehr wichtig, alte Rollenbilder immer wieder in Frage zu stellen. Ich glaube, Frauenmagazine sind diesbezüglich schon ein bisschen weiter. Das ist etablierter.
Ich bin 31 und ich glaube, wenn ich mir meinen männlichen Freundeskreis ansehe, dass sich die alten Rollenbilder für den Mann immer mehr auflösen. Ein Freund von mir ist vor einem Jahr Vater geworden. Es ist ihm wichtig, nicht in alte Rollenmuster zu fallen. Er will es zum Beispiel unbedingt vermeiden, zum Versorgervater zu werden, weil er der Meinung ist, dass ihn diese Aufteilung in der Familie, dass also die Frau daheim ist und er arbeiten geht, unglücklich machen würde. Deshalb ist er—ein Schweizer Graphiker mit Festanstellung—auf 50 Prozent runtergegangen. Nicht für eine kleine Phase von drei Monaten, sondern dauerhaft. Das fand ich gut und auch beeindruckend: Eine Entscheidung gegen die Karriere, gegen die alte Rolle und fürs persönliche Glück.

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Im Heft haben wir uns einen Mann angeschaut, der etwas ähnliches gemacht hat. Der Fussballer Marcell Jansen war vor einem Jahr 29, ein Typ in einem der klassischsten männlichen Berufsfelder, die es überhaupt gibt. Er war ein top bezahlter Fußballprofi und hatte Angebote, ins Ausland zu gehen, zwei Vereine warben um ihn, er hätte noch mal Millionen verdienen können—alle erwarteten, dass er weiterspielt. Jansen aber ist zurückgetreten, weil es ihn nicht mehr glücklich gemacht hat.

Wobei er davor natürlich auch Millionen verdient hat. Ein so wahnsinnig großes Risiko ist er damit jetzt nicht eingegangen. Aber Fußball ist ein ganz gutes Beispiel dafür, dass Sexismus und bestimmte festgefahrene Rollenbilder eben nicht nur Frauen schaden. Eine Diskussion dazu muss es von beiden Seiten geben, weil das vielen Männern vielleicht gar nicht so bewusst ist.
Ich glaube ja, dass man immer dann verstärkt über Rollenbilder nachdenkt, wenn große Entscheidungen anstehen: Wie mache ich das jetzt mit der Familie? Wie mache ich das mit dem Job? Für meinen Vater war es zum Beispiel selbstverständlich, dass er früh seine beruflichen Weichen so stellen muss, dass er irgendwann eine Familie ernähren kann. Ich gehe jetzt einfach davon aus, dass ich nur ungefähr die Hälfte zum Lebensunterhalt der Familie beitragen muss, sollte ich mal eine haben. Das eröffnet natürlich neue Möglichkeiten für die eigene Lebensplanung.

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Sascha Chaimowicz, 31, verantwortlicher Redakteur beim ‚ZEITmagazin MANN' | Foto: Franzi Heinz

**Unter dem Hashtag #PimmelZEIT haben sich die Leute ja so ein bisschen über das Konzept eures Magazins lustig gemacht und tatsächlich könnte man ganz plakativ sagen: Die Erfolgsgeschichten weißer heterosexueller Männer sind in der deutschen Medienlandschaft nicht unbedingt unterrepräsentiert. Wo ich aber tatsächlich eine Lücke sehe, sind genderspezifische Fragen, die von Männerseite aus diskutiert werden. *Natürlich sind Frauen viel mehr von Sexismus betroffen oder werden unter Druck gesetzt, irgendwelchen utopischen Idealen zu entsprechen, aber es gibt eben auch Männer, die da sitzen und sagen „OK, ich bin kein sexy Holzfäller. Ich gucke gerne Serien und bin nicht sonderlich groß—darf ich trotzdem ein Mann sein?"***
Wenn ich in den Nachrichten Konferenzen sehe und da sind nur Männer im Bild, denke ich mir auch: Kommt Leute, das ist doch jetzt nicht euer Ernst, wir haben 2016. Doch obwohl es in den Medien ständig um Männer geht, beschäftigen sich wenige mit der Gefühlswelt von Männern. Unser Heft steht in Deutschland ziemlich alleine da. Ich fände es deshalb übrigens auch gut, wenn tolle Internetseiten und Blogs folgen würden, in denen Männer sich mit sich selbst und ihren Rollen beschäftigen. Ein Bedürfnis ist auf jeden Fall da. Ich habe mich zum Beispiel in einem Essay mit der Frage beschäftigt, wie das eigentlich geht: Als Mann begehrenswert wirken auf Fotos. Ist ja gerade bei Tinder wichtig.

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Von Männern habe ich sehr positive und sehr viel Rückmeldung bekommen. Geichzeitig habe ich gemerkt, dass Frauen die Geschichte offenbar auch interessant fanden, aber belächelten. Nach dem Motto: „Willkommen im Club! Jetzt beschäftigt ihr euch also auch damit, wie ihr eigentlich ausseht?" oder—wie eine Facebook-Freundin öffentlich schrieb—: „Der neue Mann und seine Probleme … Irgendwie rührt mich das." Ich kann diese Reaktionen gut verstehen. Gleichzeitig glaube ich, dass Männer, die sich fragen, wie sie glücklicher werden, wie sie begehrenswert wirken, ob ihr Job wirklich der richtige ist, für alle Menschen gut sind: Solche Männer, die in großen und in kleinen Fragen an sich selbst zweifeln, sind angenehme Männer.

Ich glaube, dass genderspezifische Angebote, wo man dann auch mal bewusst davon wegkann, was ganz plakativ immer in der Mitte stattfindet, grundlegend immer erstmal was Gutes sind. Gleichzeitig verstehe ich aber auch, dass Frauen, die sich vielleicht schon seit Jahrzehnten feministisch engagieren, sich bei so einem Text denken: „Ach, das ist das größte Problem, dass Männer heutzutage haben? Wie furchtbar!"
Ich fände das ein richtiges Argument, wenn wir uns mit unserem Heft einfach einreihen würden in die Berichterstattung über Männer und irgendwelche männlichen Oldschool-Heldengeschichten erzählen würden. Ich höre aber mittlerweile auch von Leserinnen, dass die Auswahl der Männer, die wir zeigen, und die Art, wie wir von den Männern erzählen, einem nicht den Eindruck geben: Da feiern schon wieder Männer andere Männer ab. Und ich glaube, dass Frauen eine gut gemachte Männerzeitschrift lesen werden. Man sieht das ja auch an einigen exzellenten Frauenmagazinen, die es auf der Welt gibt: Die werden auch von Männern gelesen. Wichtig ist, dass sie gut gemacht sind. Genau so wenig wie ich irgendwelche klischeehaften „Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus und man muss sich erst mal verstehen lernen"-Frauenzeitschriften lese, würde ich auch keine Männerzeitschriften lesen, die mit alten Geschlechter-Klischees arbeiten.

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Männer, die in großen und in kleinen Fragen an sich selbst zweifeln, sind angenehme Männer.

Ich weiß nicht, wie da eure Pläne in der Zukunft aussehen, aber wenn wir über verschiedene Versionen von Männlichkeit sprechen, dann ist es natürlich auch wichtig, dass man da nicht nur heterosexuelle Cis-Männer abbildet. Transsexualität, Homosexualität—das sind Themen, die die vermeintlichen „richtigen" Männer immer gerne von sich wegstoßen und was dann tatsächlich eher in Frauenmagazinen thematisiert wird.
Das ist ein guter Punkt. Für mich ist das selbstverständlich, dass wir die Männer und auch die Frauen so zeigen, wie sie nun mal auch sind: nicht nur weiß zum Beispiel. Wer durch unsere erste Ausgabe blättert, wird nicht nur weiße Männer finden. Das heisst aber nicht, dass ich gezielt nach Geschichten mit schwarzen oder homosexuellen Protagonisten suche. Uns geht es erst mal um gute Geschichten. Und es ist ja in der Praxis auch nicht so, dass man zwei gleiche Geschichten angeboten bekommt, eine mit einem homosexuellen Protagonist, eine mit einem heterosexuellen, und dann sucht man einfach aus.

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So wie man nie die Quotenfrau sein will, will man natürlich auch nicht der Quotenhomosexuelle sein, damit das Magazin sich den Anstrich geben kann, wahnsinnig weltoffen zu sein. Es ist aber eben auch wichtig, wenn man davon spricht, alternative Modelle abseits dieses „typischen" Männerbildes zu zeigen, echte Diversität abzubilden. Jetzt mal so als Beispiel: Wenn du mit Stockfotos arbeitest, findest du sehr viele, auf denen weiße Menschen, die irgendwie durchschnittlich schön aussehen, sind. Du könntest natürlich die Fotos nehmen, weil es einfacher ist und schneller geht und im Endeffekt ist es sowieso nur ein Stockfoto, du kannst dir aber auch überlegen: Suche ich jetzt gezielt nach Bildern, auf denen die Leute keine Modelmaße oder eine andere Hautfarbe haben? Manchmal klappt's, manchmal nicht, aber man hat es zumindest versucht.
Ich finde das richtig, was du sagst, und ich glaube, das muss selbstverständlich sein. Ich fände es aber komisch, wenn wir im Heft so zeigefingermäßig sagen würden: „Das hier ist übrigens auch Männlichkeit". Ich finde es viel besser, wenn das eine selbstverständliche Sache ist, anstatt die Leser so explizit darauf hinzuweisen. Die Auswahl der Männer, die wir zeigen, ist natürlich wichtig. Das müssen Männer sein, die wir wirklich gut finden. Männer, denen Gleichberechtigung ein wichtiges Anliegen ist. Männer wie Ethan Hawke, der in unserem festen Format „Die Helden meines Lebens" selbstverständlich auch Frauen nennt. Männer, die nicht über irgendeine „Krise der Männer" jammern—allein das Wort „Krise" finde ich im Kontext von Männern absurd.

Jahrhundertelang wurden Frauen von Männern unterdrückt, und bis heute ist Gleichberechtigung noch nicht erreicht, da braucht man sich nur den Arbeitsmarkt ansehen. Da ist es doch irre, wenn Männer jammern, dass sie jetzt angeblich berufliche Nachteile erleben. Solche Beschwerden kann man ja allen Ernstes lesen. Also wie gesagt: Ich verstehe die Zurückhaltung, die erst mal kommt, wenn man ein Männermagazin ankündigt, aber unser Ziel wird es in jeder Ausgabe sein, ein Heft zu machen, das moderne Männer zeigt, die sich Fragen stellen und selbstkritisch sind und selbstironisch. Angenehme Männer eben.