Der deutsche Film, der weibliche Sexualität neu definiert
Fotos mit freundlicher Genehmigung von Dreifilm

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Der deutsche Film, der weibliche Sexualität neu definiert

‚Schau mich nicht so an‘ war Filmförderungsanstalten zu „weiblich, zu sexuell, zu radikal“. Wir haben mit Regisseurin Uisenma Borchu über weibliche Selbstbestimmung und die Probleme der Branche gesprochen.

Der deutsche Film mag in den vergangenen Jahren zwar deutlich progressiver geworden sein, trotzdem gibt es nach wie vor nur wenige Titel, die Beziehungsmodelle abseits der Heteronormativität zeigen, ohne sich in alten Klischees zu ergehen. Auch deswegen ist Schau mich nicht so an von Uisenma Borchu ziemlich besonders.

Die Regisseurin mit mongolischen Wurzeln zeichnet die ebenso vielschichtige wie ungewöhnliche Geschichte der bisexuellen Hedi, die eine Beziehung mit der alleinerziehenden Iva eingeht und trotz vermeintlicher Mutter-Mutter-Kind-Idylle schnell in destruktive Verhaltensmuster zurückfällt. Der Film, in dem Borchu auch selbst die Hauptrolle spielt, wurde unter anderem mit dem Bayerischen Filmpreis für Nachwuchsregie ausgezeichnet—und das, obwohl er von Filmförderungen und Sendern abgelehnt wurde. Schau mich nicht so an, der aktuell im Kino zu sehen ist, zeigt weibliches Verlangen, weibliche Verzweiflung, weiblichen Schmerz so authentisch, wie man es in der deutschen Filmbranche nur selten sieht. Deshalb haben wir die Chance genutzt und Uisenma Borchu gefragt, wie das eigentlich so ist, ziemlich allein auf weiter Flur zu sein.

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Broadly: Schau mich nicht so an" hat keine Filmfördergelder bekommen, angeblich weil er zu „weiblich, zu sexuell, zu radikal" sei. Hat das deutsche Kino ein Problem mit weiblicher Sexualität?
Uisenma Borchu: Das Weibliche ist wie eh und je etwas Unentdecktes, es gibt kaum deutsche Filme in neuerer Zeit, die sich ehrlich und unverschnörkelt diesem Wesen annähern. Die weibliche Sexualität dient, wenn sie mal auftaucht, der Befriedigung des Mannes. Sie kann nicht autonom bestehen. Ich verstehe das auch nicht, warum die Filmemacher dahingehend so leidenschaftslos, so plump sind. Es ist vielleicht die Angst vor dem Unbekannten.

Deine Hauptfigur, gespielt von dir selbst, trägt Achsel- und Intimbehaarung. Für viele ist alleine das schon auf bestimmte Art und Weise radikal. War das ein bewusstes Auflehnen gegen das, was man sonst in Film und Fernsehen sieht?
Ich habe nicht daran gedacht, mich aufzulehnen oder einen radikalen Film zu machen. Es liegt in der Luft. Es ist der gefühlte und erlebte Durst bei so vielen Frauen, die ich beobachten konnte.

Es gibt nichts Schöneres, als zu seinem Körper zu stehen.

Der Charakter Hedi begehrt in diesem Sinne nicht auf. Sie kennt keine Anpassung und schert sich nicht darum, ob ihr Geliebter die „ekligen" Haare am liebsten raus reißen würde oder nicht. Ich mag ihre Attitüde: „Nimm oder lass es sein". Das ist eine nicht oft gesehene Freiheit. Sie gefällt sich, denke ich, sehr gut mit ihrem Haar, und jeder der sie deswegen kritisieren würde, dem würde sie prompt in die Fresse spucken. Eine tolle Frau. Es gibt nichts Schöneres, als zu seinem Körper zu stehen.

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Es gibt viele Sex- oder zumindest Nacktszenen in dem Film. Hat beim Dreh der Mann/Frau-Szenen eine andere Stimmung geherrscht als bei denen zwischen den beiden Frauen?
Also, Catrina Stemmer ist Iva und ich übernehme Hedi. Wir kennen uns sehr lange und haben unsere Rollen lange vorbereitet. So erst konnte eine Improvisation möglich sein. Catrina hat ein leidenschaftliches Talent vor der Kamera und wir haben jeden Tag Grenzen überwunden. Die Sexszenen waren erotisch, sehr. Die Stimmung war bei jeder Sexszene immer intim und verletzlich. Das hat mir gut gefallen. Diese Ehrlichkeit ist selten und wir haben es aufrechterhalten können.

Wie uneitel muss man sein, um sich wortwörtlich so nackt vor der Kamera zu machen und das Ganze nicht nur zu spielen, sondern als Regisseurin auch noch selbst zu orchestrieren und auszuwerten?
Sobald man ehrlich darstellen will, bist du weg von Eitelkeit. Catrina und ich haben uns entschieden, diese Charaktere zu spielen. Da wird nicht auf Kompromisse eingegangen. Entweder du kannst dich frei lassen, körperlich sowie auch geistig, oder du spielst im falschen Film. Ich persönlich habe nicht darüber nachgedacht, ob ich nackt bin oder nicht, es muss aus der Figur kommen. Denn wenn du spielst, dann denkst du einfach nicht. Das wäre ja richtig scheiße. Ich wäre auch die ganze Zeit angezogen rumgelaufen, wenn es gefühlt so besser gewesen wäre. Als Regisseur wusste ich, was ich will, es gibt ja eine Vision. Auf die höre ich und tue, was ich kann für den Film. Das ganze Team macht alles für den Film. Aber dieser Prozess, der gedanklich intim ist, braucht eine gewisse Zeit. Daher war auch meine Doppelrolle als Darsteller und Regisseurinn sehr hilfreich. Ich konnte direkt intervenieren.

Du hast in einem Interview gesagt, dass der Regieberuf für Frauen härter ist. Warum ist das so? Wie äußert sich das?
Es ist ja kein Geheimnis, dass die Filmwelt männlich geprägt ist. Als Frau musst du dich besonders beweisen. Das heißt, es gibt Klischees, alte Denkmuster, die musst du alle erstmal von dir abstreifen bevor du weiter gehen kannst. Ich tue das und das kommt nunmal nicht so gut an, weil du eine Veränderung darstellst. Leider machen manche Frauen freiwillig mit und werden Dienstleister. Darauf habe ich keine Lust. Wozu soll ich dann Filme machen? Das macht keinen Sinn.

Man liebt sich selbst, ja, aber nicht so wirklich gegenseitig.

Glaubst du, dass die Gesellschaft offener wird? Dass es weniger um Geschlechterlabels geht und mehr darum, zu wem man sich hingezogen fühlt?
Ich weiß es nicht. Da bin ich hin und hergerissen. Ich habe das Gefühl, dass wir uns zurückentwickeln, was unseren Sex angeht. Andererseits gibt es aber auch eine Verrohung in unserer Gesellschaft, da all deine Wünsche erfüllt werden können. Mir fehlt dabei vor allem das Feingefühl und die Achtung vor deinem Gegenüber und seinem Körper. Wir schätzen uns nicht mehr gegenseitig. Man liebt sich selbst, ja, aber nicht so wirklich gegenseitig. Daher ist die Gesellschaft härter geworden.

Von all den Sätzen die im Film fallen—warum ist ausgerechnet Schau mich nicht so an der Titel geworden?
Es ist das Spiel zwischen den Figuren selbst und dann auch mit dem Publikum. Es ist eine Aufforderung, eine Forderung, die sehr viel will. Das ist schön, weil es alles will, bloß nicht den üblichen Blick.