Der Einsatz einer UFO-Religion gegen weibliche Genitalverstümmelung
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Der Einsatz einer UFO-Religion gegen weibliche Genitalverstümmelung

Die Raëlianer glauben, dass Aliens die Menschheit nach ihrem Ebenbild geschaffen haben—vom Kopf bis hin zur Klitoris. Doch ihr überzeugter Einsatz zum Schutz weiblicher Genitalien erweist sich als noch kontroverser als ihr Glaubensbekenntnis.

Citoraid, eine kontroverse humanitäre Organisation, die sich für das klitorale Lustempfinden von Frauen und die Opfer weiblicher Genitalverstümmelung einsetzt, gibt es mittlerweile bereist seit zehn Jahren. Clitoraid ist nicht nur der Hauptsponsor des Clitoris Awareness Month, mit dem jährlich über 120 Wiederherstellungsoperationen finanziert werden, die Organisation arbeitet zudem auch mit Überlebenden in ganz Westafrika zusammen, wo sie das weltweit erste Pleasure Hospital gegründet hat, und lanciert derzeit eine Schulungsreihe für kenianische Ärzte, die sich mit ihrer Arbeit auf die Wiederherstellungschirurgie von Genitalien spezialisieren wollen.

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Außerdem glauben sie an Aliens, was bei ihrer Arbeit eine nicht ganz unwesentliche Rolle spielt. Doch wie wurde aus der UFO-Religion eine Aktivistengruppe, die sich gegen weibliche Genitalverstümmelung und für das Lustempfinden von Frauen einsetzt?

Clitoraid wurde 2006 von Vertretern der Raëlianer gegründet, einer UFO-Sekte, deren Anhänger glauben, dass eine Alienrasse—auch bekannt als Elohim—vor tausenden von Jahren die Erde besucht und menschliches Leben geschaffen hat. Raëlianer glauben, dass die Außerirdischen technologisch so weit entwickelt waren, dass die ersten Menschen sie irrtümlich für omnipräsente Gottheiten hielten.

Nach Aussage der wahren Gläubigen haben die Elohim die Menschen nach ihrem Ebenbild geschaffen, mit all ihren Falten und Noppen. Die Aliens, so die Raëlianer, seien demzufolge auch pro Klitoris. (Genau wie sie für Nacktheit in der Öffentlichkeit sind, weshalb die Raëlianer auch den Obenohne-Tag ins Leben gerufen haben.)

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„Bei allem, was wir Menschen tun, geht es um das Empfinden von Lust", erklärt Nadine Gary, Leiterin der Kommunikationsabteilung von Clitoraid und Hohepriesterin der Raëlianer. „Auch die Klitoris dient dem Lustempfinden—das ist ihre Funktion. Wenn man sie jedoch abschneidet, kann sie ihre Funktion nicht mehr erfüllen."

Das Abschneiden der Klitoris (auch bekannt als weibliche Genitalverstümmelung oder female genital Mutilation, kurz FGM) war das Erste, was die Raëlianer dazu bewegt hat, sich für die Akzeptanz und die Wertschätzung der Klitoris einzusetzen. Die WHO geht davon aus, dass mehr als 200 Millionen Frauen und Mädchen weltweit von FGM betroffen sind. Allein in Deutschland gibt es laut der Schätzungen von Nichtregierungsorganisationen rund 30.000 betroffene Frauen und Mädchen. Nach wie vor werden Genitalbeschneidungen bei Mädchen und Frauen weltweit in mehr als 30 verschiedenen Ländern praktiziert—von Afrika über den Mittleren Osten und Asien bis hin zu verschiedenen Zuwanderergemeinschaften in Europa, Nordamerika und Australasien.

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Das Pleasure Hospital in Burkina Faso wurde vorübergehend geschlossen—aus Angst, es könnte für sexuelle Promiskuität werben. Foto: Clitoraid

In 80 Prozent der Fälle wird der Eingriff unter unhygienischen Verhältnissen und ohne Zugang zu schmerzlindernden Mitteln vorgenommen. Oftmals kommt es zu Infektionen und Abszessen an der Vulva. Die Sterblichkeitsrate ist extrem hoch. Die Beweggründe für FGM sind von Kultur zu Kultur verschieden, aber in den meisten Fällen geht es um Keuschheit und darum, sexuelle Versuchungen zu „beseitigen".

2003 traf sich der Gründer der Raëlianer, Claude Vorihon (auch bekannt als Rael) mit Überlebenden von FGM in Burkina Faso und kehrte—betroffen von ihren Schicksalen—zurück in die USA, wo er die Organisation Clitoraid gründete. In enger Zusammenarbeit mit Anti-FGM-Aktivisten in Burkina Faso entwickelte die Organisation schon bald das System „Adopt A Clitoris" (auf deutsch: „Adoptiere eine Klitoris")—ein Spendenprogramm mit dem Ziel, Operationen zur Wiederherstellung des Genitalbereichs zu finanzieren.

Wie die meisten finanzstarken Organisationen mit treuen Anhängern und einem recht undurchsichtigen Verhältnis zur Realität, wurden auch die Raëlianer immer wieder als Sekte bezeichnet. Eine offizielle Untersuchung dieser Behauptungen gab es jedoch bisher noch nicht. Daher hebt auch Clitoraid immer wieder gerne ihre Grundhaltung als humanitäre—und weniger als religiöse—Organisation hervor.

Adopt A Clitoris wurde 2007 auf einer Porno-Convention in Las Vegas vorgestellt. 2010 gab Clitoraid die Zusammenarbeit mit Good Vibrations, einem Sex-Shop mit Sitz in San Francisco, bekannt. Sowohl Adopt A Clitoris, als auch die Zusammenarbeit mit Good Vibrations haben Clitoraid von den Raëlianern finanziell unabhängig gemacht. Was Kritiker von Clitoraid jedoch viel mehr stört als das ganze Ding mit den Außerirdischen, ist die Tatsache, dass das Thema FGM von der Organisation auf das sexuelle Lustempfinden der Frauen reduziert wird.

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„[Clitoraid] ist in meinen Augen widerlich und in gewisser Weise geistesgestört", sagt Nimco Ali, eine Anti-FGM-Aktivisin aus London, die glaubt, dass Schamlippenkorrekturen ebenfalls eine Form der Genitalverstümmelung sind. „[Clitoraids] Verbindung zur Pornoindustrie, die FGM unter dem Deckmantel der Labioplastie befürwortet, ist mehr als beunruhigend."

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Zudem befürchten Kritiker, dass Clitoraid durch den Fokus auf das sexuelle Lustempfinden von Frauen Missinformationen über FGM streuen könnte, da sie dadurch suggerieren, dass der Verlust der sexuellen Lust eine der schlimmsten Nebenwirkungen sei. Zudem drücken sie Frauen, die eigentlich psychologische und medizinische Betreuung benötigen, eine westliche sexpositive Denkweise auf.

„Die psychologische und emotionale Betreuung von FGM-Überlebenden ist ein überaus wichtiges Thema", sagt Mary Wandia von der Organisation Equality Now. „Um FGM ein Ende zu setzen, braucht es mehr als eine körperliche Behandlung—obwohl natürlich auch das sehr wichtig ist."

Dr. Marci Bowers arbeitet als freiwillige Chirurgin für Clitoraid. Neben ihr stehen ihre Kollegen aus dem Pleasure Hospital in Burkina Faso. Foto: Clitoraid

Gary erwidert auf solche Anschuldigungen, dass die Motivation der Kritiker von Clitoraid oftmals nicht nur mit dem Wohl der Überlebenden zusammenhängt: „All die Kritiker sind Vertreter eines repressiven Systems, das den Leuten über Jahrhunderte hinweg Scham und Schuldgefühle in Bezug auf Sexualität und Sinnlichkeit beigebracht hat—ein System, das von patriarchalen Religionen geprägt ist, durch die die weibliche Bevölkerung konsequent in die Rolle des Opfers gedrängt wurde."

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Welche Auswirkungen ein solches Denken haben kann, konnte man bei der Eröffnung des Pleasure Hospitals sehen. Association Voie Feminine de l'Epanouissement (AVEFE) ist einer der größten Rechtsträger von Clitoraid in Burkina Faso. Gründerin ist Banemanie Tarore, eine lokale Aktivistin und FGM-Überlebende.

AVEFE war intensiv am Bau des weltweit einzigen Krankenhauses, das sich der genitalen und klitoralen Wiederherstellungschirurgie widmet, beteiligt. Eine Gruppe von Frauen, die beim Bau vor Ort geholfen haben, hat irgendwann angefangen, es das Pleasure Hospital, also das „Krankenhaus der Vergnügens" zu nennen. Der Name setzte sich durch. Das Krankenhaus sollte 2014 eröffnet werden, jedoch begann das Gesundheitsministerium von Burkina Faso irgendwann, Bedenken zu äußern, dass das Krankenhaus für sexuelle Promiskuität werben könnte.

Der Operationssaal des Pleasure Hospitals. Foto: Clitoraid

Burkina Faso ist eines der ärmsten Länder Afrikas und es gibt kaum Ausbildungsprogramme für angehende Ärzte. Im Gegensatz zu den Nachbarländern gibt es dort auch keine speziellen Behandlungsangebote für FGM-Überlebende. Das Pleasure Hospital wurde als Lehrkrankenhaus geplant und Befürworter des Krankenhauses sind der Ansicht), dass eine endgültige Schließung zeigen würde, dass Politik (und puritanische Ansichten) noch immer über der Gesundheit von Frauen stehen.

Vorwürfe, die Organisation fördere sexuelle Promiskuität, erwiesen sich als unbegründet. Clitoraid verklagte den Mann, der hinter der Kampagne gegen das Krankenhaus steckte, wegen Verleumdung und gewann den Prozess 2014. Der Vorwurf, ihr Vorhaben sei eine kultureller Fehltritt, hatte hingegen mehr Gewicht.

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Ali war in Burkina Faso, als die Eröffnung des Pleasure Hospitals verhindert wurde. „[Clitoraid] wurde hinausgeworfen, weil sie sich unsensibel und verletzend gegenüber Überlebenden verhalten haben", sagt sie. „In einem Land, in dem die Debatte über das Ende von FGM von der First Lady und mehreren Ministern bestimmt wird, hat [Clitoraid] über Lustempfinden gesprochen und Frauen zu sexuellen Objekten gemacht."

Gary entgegnet auf diese Anschuldigung, dass die damalige First Lady von Burkina Faso, Chantal Compaore, das Pleasure Hospital unterstützt hat. „Wenn FGM-Überlebende ihre sexuelle Identität und ihr Lustempfinden wiederentdecken, sind sie nicht mehr länger ‚rein sexuelle Objekte' und erlangen die Autonomie und die Selbstbestimmung über ihre Sexualität zurück."

Diese Menschen wurden ihres sexuellen Lustempfindens beraubt und wir sind hier, um es ihnen zurückzugeben.

Doch nicht nur die Tatsache, dass sie ihren Schwerpunkt auf das sexuelle Lustempfinden gelegt haben, hat Kritiker auf den Plan gerufen. Die britische Sexualtherapeutin Dr. Petra Boynton ist eine von Clitoraids lautesten Kritikern. Sie hinterfragt vor allem, warum sich die Organisation auf Länder wie Burkina Faso konzentriert. In ihrem Blog hebt Boyton hervor, dass es im Verlauf der langen (und verhängnisvollen) Geschichte bereits zahlreiche religiöse Organisationen gab, die Gesundheitsversorgungssysteme in Entwicklungsländern eingeführt haben.

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„Es reicht nicht, gute Absichten zu haben … Es muss geprüft werden, ob Clitoraids Einsatz das Ziel hat, Gutes zu tun oder ob sie sich damit nur selbst profilieren wollen und vielleicht sogar Betrüger sind." In Boytons Augen weist die Arbeit von Clitoraid kolonialistische Züge auf. Sie hebt hervor, wie widerwärtig das Konzept ist, „Menschen aus westlichen Ländern dazu aufzufordern, die Genitalien einer Frau in Afrika zu adoptieren."

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Als ich Gary frage, welche Rolle die Raëlianer bei Clitoraid spielen, erklärt sie mir, dass es Clitoraid um die Gesundheit von Frauen gehe und nicht um religiöse Überzeugungen. „[Die Patienten] interessieren sich nicht für die Raëlianer und wir erwähnen es ihnen gegenüber auch nicht—es sei denn, sie fragen!"

„Sie kommen nur zu uns, weil sie ihre Sexualität und ihre Persönlichkeit zurückhaben möchten", erklärt sie. „Uns interessiert nicht, welcher Religion die Menschen angehören. Es ist menschlich, ein Mensch zu sein. Diese Menschen wurden ihres sexuellen Lustempfindens beraubt und wir sind hier, um es ihnen zurückzugeben."

Natürlich hat Clitoraid gute Absichten, doch für einige Aktivisten ist die Sexualisierung von FGM-Überlebenden nicht zu entschuldigen. „Clitoraid", bekräftigt Ali, „fehlt es an gesundem Menschenverstand und sollte seine UFOs besser irgendwo anders landen lassen."


Foto: Interdimensional Guardians | Flickr | CC BY 2.0