Die deutsche Pick-Up-Szene ist eine Brutzelle für Rechtspopulisten
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Politik

Die deutsche Pick-Up-Szene ist eine Brutzelle für Rechtspopulisten

Es ist kein Zufall, dass Sexismus und Rassismus oft Hand in Hand gehen. Was die Alt-Right-Bewegung und Donald Trump in den USA groß machte, könnte sich auch hierzulande zur Bundestagswahl rächen.

Selbstbewusst, dominant und zielstrebig: So wird Donald Trump von vielen seiner Bewunderer wahrgenommen. Auch im größten deutschen Pick-Up-Forum wird diskutiert, ob der US-Präsident ein Vorbild sein kann. Ein im ersten Moment überraschend politisches Thema für ein Board, das sich eigentlich um das möglichst effektive Verführen von Frauen dreht. Obwohl die meisten User in ihren Reaktionen auf diesen Post Trump als "Psychopathen" oder "Narzissten" beschreiben, ist es bezeichnend, dass gerade hier über Trumps Männlichkeit diskutiert wird und einige User – wenn auch nicht die Mehrheit – ihn als Vorbild betrachten.

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"Mit Pick-Up bewegt man sich immer am Rande vom Maskulinismus, denn die meisten wurden von Frauen enttäuscht und nutzen das, um ihrem kleinen Ego und ihrer Wut Luft zu machen", sagt ein ehemaliger deutscher Pick-Up-Artist (PUA). Mittlerweile hat er sich als Persönlichkeitscoach selbstständig gemacht und sucht bewusst Abstand zur Szene, die er als manipulativ und einseitig erlebt hat. Deswegen möchte er anonym bleiben. Neben Sexismus seien auch generelle Gesellschaftskritik, Rassismus und ein Hang zu Verschwörungstheorien a la "fake news" in Teilen der Szene verbreitet, sagt er. "Häufig hört man auch, ein 'ordentliches männliches Rollenbild' habe es in der Familie nicht gegeben oder sei auch in der Gesellschaft nicht vorhanden."

Klingt bekannt? Kein Wunder, propagiert doch die Alternative für Deutschland immer wieder öffentlichkeitswirksam die Stärkung der "klassischen" Vater-Mutter-Kind-Familie. Damit scheint sie einen Nerv zu treffen: Aktuellen Umfragen zufolge, wird die AfD problemlos in den Bundestag einziehen.

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Bereits in den USA sammelte Donald Trump viele Stimmen in der Pick-Up Szene. Geholfen hat ihm dabei sie sogenannte Alt-Right-Bewegung. Aktuell eine wilde Mischung aus enttäuschten oder wütenden, meist jungen weißen Männern. Ganz bewusst mischen sich deren Anhänger in Pick-Up-Foren und verbinden hier den latenten Sexismus der Pick-Up-Szene mit Rassismus, um damit Stimmung zu machen: Gegen Frauen, gegen Moslems, gegen Lateinamerikaner, gegen Menschen mit dunkler Haut. Es ist dabei nicht so, dass die Pick-Up-Szene von Grund auf frauenfeindlich oder rassistisch sei, doch auch hier tummeln sich viele junge Männer, die nach einer Projektionsfläche für ihre Frustration suchen.

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Die Mehrheit der Pick-Up-Anhänger ist männlich, zwischen 18 und 30 Jahre alt und hat überwiegend einen Universitätsabschluss. So schätzt Dr. Andreas Baranowski, Professor für Evolutionspsychologie an der Uni Mainz und Pick-Up-Forscher im Gespräch mit Broadly die deutsche PU-Community ein.

Die westlichen Männer wurden von Feministinnen ihrer Männlichkeit beraubt und glauben aufgrund der Manipulation der Medien auch noch an das Märchen der Gleichberechtigung.

Gerade Männer, die das Gefühl haben, sie kämen bei Frauen nicht an, kommen in Foren wie Pickup-Tipps zusammen, um sich gegenseitig über ihre Erfahrungen auszutauschen. Nicht wenige sind dabei nicht nur von Frauen, sondern auch von der Gesellschaft an sich enttäuscht. Eine gefährliche Mischung – gerade wenn der Hass auf Frauen mit der Ablehnung gegen Fremde kombiniert wird. In beiden Fällen fühlen sich die Männer als Opfer und Verlierer unserer Gesellschaft und geben Frauen oder eben Menschen mit Migrationshintergrund die Schuld.

Die einen glauben, dass Frauen ihnen ihre Männlichkeit abstreiten. Die anderen, dass Einwanderer ihnen ihren Platz in der Gesellschaft wegnehmen. Wenn beides zusammen kommt, fühlen sie sich übergangen und von allen Seiten bedroht. Das mag im ersten Moment absurd klingen, doch die Gefahr ist, dass diese Männer sich immer weiter abschotten. Sie entwickeln Theorien, die ihnen besser in den Kram passen und nennen sie rote Pille oder alternative Fakten.

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Ein Wählerpotential, das auch den Rechtspopulisten hierzulande in die Karten spielt. Sowohl Pegida als auf die AfD nutzen bereits Onlinestrategien, die auf enttäuschte Wähler und wütende Bürger zielen. Pegida hat immer wieder betont, wie einseitig die Berichterstattung in deutschen Medien sei und dabei den Begriff "Lügenpresse" wieder aus der Schublade geholt. Die AfD wiederum spricht mittlerweile mit Vorliebe von "fake news", wenn ihnen eine Berichterstattung politisch zu linksgefärbt erscheint oder einfach nicht passt – eine Strategie, die Donald Trump salonfähig gemacht hat.

Dass hierzulande der ideologische Unterbau vieler Pick-Up-Anhänger nicht direkt ersichtlich ist, liegt auch daran, dass die einschlägigen Foren streng moderiert werden. Memes werden in den großen Foren selten geteilt und feindlich anmutende Pauschalisierungen gegen Linke und Muslime häufig kritisch hinterfragt. Fremden- und extrem frauenfeindliche Beiträge werden entfernt, zumindest offen rassistisch ist die Szene nicht. Die Überschneidungen zwischen Rechtspopulismus und Pick-Up sind deswegen deutlich subtiler als in den USA. Aufschlussreicher sind die Äußerungen deutscher Nutzer auf den wesentlich aggressiveren, anonymen Foren von 8chan und 4chan oder auf Seiten wie Wikimannia. Viele lassen sich außerdem auf Blogs, insbesondere über die Kommentare, aus.

Hier werden im Grunde frauenfeindliche Ansichten – mit Bezug zur Pick-Up-Szene – mit der Idee der "Lügenpresse" verknüpft. Der Ansatz ist dabei immer ähnlich: Die westlichen Männer wurden von Feministinnen ihrer Männlichkeit beraubt und glauben aufgrund der Manipulation der Medien auch noch an das Märchen der Gleichberechtigung. Diese Männer werden abfällig "Betas" genannt. Die Betreiber dieser Seiten haben es sich daher zur Aufgabe gemacht, die Beta-Männer wieder zu Alphas zu machen und sie über die unverschämten Lügen der linksliberalen Medien aufzuklären.

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Wikimannia ist beispielsweise ein Online-Lexikon, ähnlich aufgebaut wie Wikipedia, das eine „alternative" (also weiße, männliche) Weltsicht darstellen möchte. Die Ideen zu Geschlechterrollen basieren dabei auf den Evolutionstheorien der PUA. So werden Frauen als hinterhältige, betrügerische "Weiber" bezeichnet, die sich ihre Reize schamlos zunutze machen, um Männer auszunutzen.

Wie fließend diese offensichtliche Frauenfeindlichkeit in ein allgemeines, rechtes Weltbild übergeht, zeigt sich besonders deutlich im Artikel zu Rechtsextremismus. Dort wird sich ausschweifend darüber beschwert, dass man nicht einfach ein bisschen rechts sein kann: "Unter rechtsextrem machen sie es nicht, nie. So was wie leichtrechts, mittelrechts, normalrechts kommt in deren Vokabular nicht vor. Wer aber einfach alles für extrem hält, der hat den Sinn dieses Begriffes nicht verstanden. Wieder mal so eine Wortverdrehung, Bedeutungsvertauschung, um etwas zum Kampfbegriff zu machen."

Ein weiteres Beispiel ist der Eintrag zur "Opferkultur". Die Autoren lassen sich hier unter anderem über das "Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz" in Deutschland aus, nach dem niemand aufgrund seines Geschlechts, seiner Hautfarbe, seiner Religion oder seiner sexuellen Identität oder Orientierung benachteiligt werden darf. Während das für den größten Teil der Gesellschaft als fortschrittlich gilt, sieht Wikimannia dies als evolutionären Rückschritt. Schließlich sei der Mensch "jahrtausendelang" dazu gezwungen gewesen, Stärke zu zeigen, um sich gegen andere durchzusetzen. Heute hingegen werde Schwäche als Stärke gewertet.

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Der ehrbare gute Deutsche als Opfer, in seiner Existenz bedroht und mit seinen Problemen nicht ernstgenommen – die perfekte Keimzelle für griffige Feindbilder.

Das Problem dabei sei, dass die Mehrheit der Bevölkerung aufgrund dieser Opfer-Minderheiten ständig benachteiligt und ignoriert würde. So heißt es weiter: "Nicht jede Minderheiten-Zugehörigkeit qualifiziert automatisch für den Opferstatus. Erben, Jäger und die deutsche Hausfrau zum Beispiel schaffen es nie auf die Liste bedrohter Arten. Sie stehen zwar zuverlässig am Pranger, als Subjekte, deren reine Existenz schon irgendwie gesellschaftsschädlich ist; sie hätten also reichlich Grund, sich diskriminiert zu fühlen, doch ihre Opferlobby hat versagt: kein Minderheitenbonus."

Der ehrbare gute Deutsche als Opfer, in seiner Existenz bedroht und mit seinen Problemen nicht ernstgenommen – die perfekte Keimzelle für griffige Feindbilder: Menschen mit einer anderen Hautfarbe, Menschen mit einer anderen Religion, Menschen mit einer anderen sexuellen Orientierung und natürlich auch Frauen. Jeder Akt, jede Aussage, jedes Gesetz, das Minderheiten hervorhebt, ist ein neuer Beweis dafür, dass die Opfer viel mehr Macht haben als sie zugeben und Stück für Stück die Daseinsberechtigung dieser weißen, heterosexuellen Männer in Frage stellen. Während sich Minderheiten also als Opfer darstellen, haben sie eigentlich die Macht. Wer das nicht als "Krebs" der Gesellschaft erkennt, ist bereits ein Opfer der linksliberalen Medien-Propaganda.

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So ist auch der Betreiber des Blogs "Meinungen und Deinungen" sicher, dass die Mainstream-Medien alle Tatsachen verdrehen. Als jemand, der oft auf einschlägigen Pick-Up-Blogs wie "Alles Evolution" kommentiert und auf seiner eigenen Seite gegen Feminismus wettert, ist er davon überzeugt, dass die Medien absichtlich Fakten manipulieren, um sie frauenfreundlicher und linksliberaler erscheinen zu lassen. So schreibt er darüber, wie er bei einer Google-Suche nach bedeutenden amerikanischen Erfindern eine linksliberale Verschwörung aufgetan hat. Google, so seine Vermutung, würde ganz bewusst primär afro-amerikanische Erfinder anzeigen. Weiße Erfinder würden derweil absichtlich per "social engineering" ausgeklammert werden.

In der Tat ist es so, dass man auf die Suchanfrage "American Inventors" eine Bilderreihe von vorwiegend schwarzen Erfindern sieht. Das könnte damit zusammenhängen, dass Google als häufigste Keyword-Kombination in Verbindung mit "American Inventors" wahrscheinlich die Anfrage "African American Inventors" bekommt und deshalb auch bei nur zwei der drei Keywörtern annimmt, man wolle spezifisch afro-amerikanische Erfinder suchen. Das lässt sich ganz einfach überprüfen. Wer beispielsweise "Famous Inventors" oder "Inventors United States" bei Google eingibt, bekommt überwiegend weiße Erfinder angezeigt.

"Wenn man sich einmal auf eine bestimmte Sichtweise einschießt, sieht man diese immer wieder bestätigt, weil man so sehr darauf fixiert ist", erklärt Dr. Andreas Baranowski. Sprich, wer davon ausgeht, dass alle Medien ihn ständig belügen und alle Frauen ihn unterwürfig machen wollen, der sucht stets danach und wird dafür auch genug Belege finden. Ausnahmen oder Tatsachen, die nicht ins Bild passen, werden aus der Filterblase ausgeklammert und "fake news" oder "blaue Pille" genannt.

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Genau darauf verweist auch immer wieder der "Rote Pille Blog". Untertitel: "Männlichkeit entwickeln. Maskuline Persönlichkeitsentwicklung. Gegen Feminismus und Massenmedien". Er wird von Henry Fenech betrieben, der sich selbst als digitaler Nomade, und #Antifeminist beschreibt. Dieser ist ebenfalls ein großer Fan von Pick-Up-Artists und hat dabei ein besonderes Anliegen: Westliche Beta-Männer, die von den Frauen verweichlicht und von den Medien manipuliert wurden, sollten sich wieder ihrer Alpha-Qualitäten bewusst werden. Seine These: "PUA geht nur mit Red Pill Wissen". Wie im Film Matrix will er seinen Lesern die rote Pille verabreichen, ihnen also die Wahrheit hinter all der Manipulationsmaschinerie (blaue Pille) zeigen.

Er vertritt in Blogposts ein ganz klares Rollenschema: Männer müssen maskulin-dominant (also aktiv) auftreten und Frauen haben weiblich (also passiv und unterwürfig) zu sein. Eine typische Denkweise in der Pick-Up-Gemeinschaft, wie wissenschaftliche Analysen der Szene zeigen. Fenech glaubt, dieses Verhalten sei biologisch determiniert und habe sich in der Evolution auch als erfolgreichstes Modell bewiesen. Wer das nicht erkennt, ist entweder ein Beta oder wurde bereits von der Blauen-Pille-Konditionierung manipuliert. Oder beides. Wie man es als Mann besser macht? Fenechs Paradebeispiel scheint Donald Trump zu sein. So lobt er beispielsweise in einem Tweet Trumps mutmaßliche Verweigerung eines Händedrucks mit Merkel als charakterstark oder feierte den Präsidenten unter dem Titel "Make Männlichkeit great again" als positives Vorbild für jeden Alpha-Mann.

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Er hat Angst, dass er keine Frau abbekommt und genauso hat er Angst, dass die dunkelhäutigen Männer ihm alle Frauen wegnehmen.

Gerade in Europa, wo sich laut ihm viel zu viele Feministinnen und Beta-Männer tummeln, steht die Männlichkeit kurz vor dem Kollaps. Den Beweis dafür glaubt Fenech unter anderem in einem Video-Interview des TV-Senders Russia Tody entdeckt zu haben. In diesem Interview geht es um eine Kundgebung in den Niederlanden, in denen holländische Männer in Röcken unter dem Slogan "Sexueller Missbrauch ist kein Frauenproblem" gegen die Übergriffe der Silvesternacht in Köln protestieren. Auf Nachfrage der RT-Reporterin sagt die interviewte dänische Journalistin Iben Thranholm dazu: "Das ist genau das Problem, das wir in Europa haben – Männer, die sich wie Frauen verhalten. Die Flüchtlinge respektieren Frauen nicht und wenn Männer sich hier wie Frauen geben, haben wir keine männliche Kraft in unserer Gesellschaft, um uns dagegen zu verteidigen."

Europäische Männer haben also nicht nur das Problem, dass sie völlig verweichlicht worden sind, sie müssen nun auch noch befürchten, dass die Flüchtlinge, ihnen deswegen die Frauen wegschnappen. Das Video hat Fenech nach eigener Aussage auf dem Blog von Chateau Heartiste gefunden, einem Pick-Up-Guru, der immer wieder mit problematischen Posts zum Thema Hautfarbe auf sich aufmerksam macht. Frauen- und Fremdenfeindlichkeit liegen in diesen Kreisen also erkennbar beieinander – aber warum ist das so?

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Dr. Andreas Baranowski erkennt in dieser Verbindung ein jahrhundertealtes Muster. Es sei schließlich nicht das erste Mal, dass Männer, die nicht blond und blauäugig sind, von Europäern als Bedrohung wahrgenommen werden.

"Dem zugrunde liegt ein Mann, der Angst hat. Er hat Angst, dass er keine Frau abbekommt und genauso hat er Angst, dass die dunkelhäutigen Männer ihm alle Frauen wegnehmen", erklärt er diesen irrealen Abwehrmechanismus. "Natürlich sind dunkelhäutige Männer nach diesen Rassentheorien einerseits zwar animalistischer, aber dadurch gleichzeitig auch männlicher. Und Frauen können dann gar nicht anders, als sich zu diesen dominanteren Alpha-Männern hingezogen zu fühlen."

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So entsteht eine interessante Weiße-Männer-Theorie, mit der die westliche, emanzipierte Frau in ihre angeblich natürlich unterwürfige Rolle zurückgeführt soll, während man sie gleichzeitig vor den barbarischen Flüchtlingen retten muss. Sowohl Frauen als auch Migranten werden bei diesem Diskurs nicht als gleichwertig gesehen. Interessanterweise sind sie dabei gleichzeitig unterlegen UND eine Bedrohung für den weißen Mann.

In den USA war es die Trump nahestehende, "sexistische, rassistische, internetbasierte und meme-freundliche" Alt-Right-Bewegung, die erfolgreich in diesem Milieu fischte. Denn wer sowieso schon unsicher und unzufrieden ist, braucht nur ein Ventil – und genau das liefert die "alternative Rechte" diesen Männern mit ihren rassistischen und frauenfeindlichen Parolen.

Auch wenn die Pick-Up-Szene in Deutschland insgesamt bei weitem nicht so radikalisiert und politisiert ist wie in den USA, zeigt dies, in welche Nischen sich Menschen mit extremen Ansichten zurückziehen und oft unbeachtet weiter radikalisiert werden können. Gerade das könnte sich zur Bundestagswahl rächen.

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Titelfoto: Elti Meshau | Pexels | CC0 [bearbeitet]