Diese Weltraumarchäologin untersucht Müll, den Menschen im Kosmos hinterlassen
Image by Ashley Goodall and Sia Duff

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Diese Weltraumarchäologin untersucht Müll, den Menschen im Kosmos hinterlassen

Dr. Alice Gorman ist Weltraumarchäologin und eine Pionierin auf ihrem Gebiet. Uns hat sie erklärt, was wir aus Weltraumschrott lernen können und warum Sichtbarkeit für Frauen in der Raumfahrtindustrie so wichtig ist.

„Das hört sich jetzt vielleicht dumm an, aber ich habe eine Entstehungsgeschichte", sagt Dr. Alice Gorman. „Eigentlich habe ich es satt, sie zu erzählen. Ich kann sie dir natürlich erzählen, aber damit werde ich zu meinem eigenen Klischee."

Alice wuchs auf dem australischen Land auf und wollte unbedingt Astrophysikerin werden. Aus verschiedenen Gründen hat das nicht geklappt, also wurde sie stattdessen Archäologin. Und dann war da diese eine laue Nacht im Jahr 2004 …

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„Ich saß mit einem Bier in der Hand auf meiner Veranda [in Queensland], schaute zu den Sternen und dachte: ‚Mensch, einige davon sind überhaupt keine Sterne, sondern Satelliten, von denen viele Müll sind, weil sie überhaupt nicht mehr funktionieren.' Ich habe mich daraufhin gefragt, ob ich die Satelliten auch archäologisch untersuchen könnte."

Alice begann nachzuforschen, tauschte kurz darauf Ausgrabungsstätten gegen das Weltall und wurde zu einer Wegbereiterin auf dem Gebiet der „Weltraumarchäologie", einem wissenschaftlichen Feld, das den Weltraum als Kulturlandschaft betrachtet.

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In anderen Worten: Sie untersucht von Menschenhand gemachte Objekte, die im Weltraum herumschweben—wie Raketen, Satelliten oder menschliche Artefakte, die auf anderen Himmelskörpers zurückgelassen wurden.

Alice ist alles andere als ein Klischee. „Ich bin ziemlich stolz darauf, dass ich dir zu so ziemlich jedem Raumflugkörper sagen kann, um was es sich handelt und woher er kommt", sagt sie. Sie ist die erste Frau, die zum Vorstandsmitglied der australischen Space Industry Association gewählt wurde. „Wenn man die Geschichte eines Gegenstands betrachtet, dann besteht er niemals nur aus irgendwelchen technischen Komponenten wie Metall, Keramik oder Schaltkreisen. Alle Komponenten haben ihre ganz eigene interessante Geschichte."

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Alice Job ist es, diese Geschichte freizulegen. Hierzu verwendet sie historische Aufzeichnungen, Tracking-Datensätze, Fotos, die vor dem Start gemacht wurden, Material- und Herstellungsbestände, wissenschaftliche Untersuchungen von Raumflugkörper, die zur Erde zurückgekehrt sind und andere Daten, die mit dem Teleskop gesammelt wurden. „Ich nutze nicht nur Dokumente—wie es ein Historiker tun würde—, sondern analysiere auch die Materialien, die einem noch ganz andere Geschichten erzählen können."

Die Wand im Büro von Dr. Alice Gorman. Foto: Sia Duff

Alice blickt hinaus ins Nichts und sieht eine blühende „kulturelle Landschaft. Die Leute denken, das Weltall wäre ein leerer Raum, aber man stößt auf alle möglichen menschlichen Materialien." Durch die—wie sie es nennt—„Verwaltung einer kulturellen Landschaft" möchte sie zeigen, dass der Mensch und das Weltall nicht voneinander getrennt sind. „Sie sind beide Teil desselben Systems."

Besonders spannend findet sie „Weltraummüll", wie sie es nennt. Das heißt, alles von Menschen gemachte, was „aktuell oder in absehbarer Zukunft keine Verwendung mehr haben wird", wie alte Satelliten oder mehrstufige Raketen. Allerdings ist nicht alles davon Müll: Unter den 500.000 Weltraumtrümmern, die in diesem Augenblick die Welt umkreisen, gibt es einige alte Satelliten, die noch etwas Treibstoff und Energie übrig haben.

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„Sie wurden nicht mehr gebraucht, also wurden sie zurückgelassen. Dann wurden sie wieder reaktiviert, haben eine neue Verwendung bekommen und waren plötzlich kein Müll mehr", sagt Alice und meinte damit, dass eine Gruppe von Wissenschaftlern grünes Licht von der NASA bekommen hat und nun versucht, einem vier Jahrzehnte alten Raumschiff wieder „neues wissenschaftliches Leben einzuhauchen."

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Doch auch interstellare Objekte, die für andere nur Schrott sind, können eine historisch signifikante Bedeutung haben. Vanguard 1, der 1958 ins All geschossen wurde, ist einer der letzten noch verbliebenen Satelliten aus dieser Zeit und das älteste vom Menschen geschaffene Objekt in der Umlaufbahn. „Ist kulturelles Erbe Schrott?", fragt Alice. „Ich würde sagen Nein, weil es Menschen einen Eindruck von ihrem eigenen Platz im Weltall vermittelt."

Durch ihre Arbeit versucht Alice den Menschen zu erklären, welche Beziehung sie zum Weltraum haben. Der „Schrott" ist nicht immer mit bloßem Auge sichtbar, dennoch schwebt er Jahr ein Jahr aus stumm über uns. Menschen haben eine moralische und ethische Verpflichtung „die Lebensräume, über die wir kaum etwas wissen, nicht zu zerstören", sagt sie. „Wir dürfen nicht so tun, als wären wir die Herren über das Universum."

Sie pflichtet dem Begriff der „Verantwortung" aus der Denkmalpflege bei: Menschen sind die „Verwahrer" des Weltalls. „Es geht darum, dass wir uns denken sollten: ‚Hier haben wir eine einzigartige Gesteinsformation auf dem Mars. Wir bauen besser keine Siedlung direkt oben drauf.'" Dieses Denkmodell wird von Ingenieuren, Physikern und den Industrieverbänden der Raumfahrtindustrie, deren Ansichten eher an das „19. Jahrhundert" erinnern, nicht immer unterstützt.

„Sie haben nie Philosophie, Archäologie oder Anthropologie studiert. Sie kennen sich damit einfach nicht aus. Das ist nicht ihre Schuld, aber zum Glück gibt es ja einen Haufen Leute, die sich damit auskennen."

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Einige Bücher, in denen Arbeiten von Alice erschienen sind. Foto: Sia Duff

Im Moment erforscht Alice in einem Nebenprojekt Neugierde als Teil der menschlichen Natur. „Wenn man als Frau neugierig ist, dann heißt dass, dass man Unheil heraufbeschwört, dass man bestraft wird, weil man Fragen stellt und dass man seinen Platz nicht kennt", sagt sie. „Astronauten sind vorwiegend weiße Männer aus Industrienationen, das fängt aber langsam an sich zu verändern."

Alice ist nicht nur eine Spezialistin für Steinwerkzeuganalysen und die indigenen Kulturen Australiens, sondern ist auch als Dozentin für Archäologie tätig—ein Feld, das eine Geschlechterverteilung von nahezu 50/50 hat, „weil es Wissenschaft, Kunst, Geisteswissenschaften und Sozialwissenschaften vereint." Die Zahl der weiblichen Archäologieprofessoren liegt derweil allerdings nur bei 13 Prozent, sagt sie, doch bei Konferenzen ist der Anteil von weiblichen und männlichen Fachleuten fast gleich.

Wie ist es bei Konferenzen der Raumfahrtindustrie? „Nicht einmal annähernd ausgeglichen."

Unter ein paar hundert Teilnehmern „findet man bei einer normalen Raumfahrtveranstaltung in Australien vielleicht sieben oder acht Frauen, von denen auch nur die Hälfte als Raumfahrtingenieurinnen tätig ist. Die Leute haben ziemlich genaue Vorstellungen darüber, wer du bist und was du tust", sagt Alice, die selbst schon von einem bedeutenden Weltraumforscher bei einer öffentlichen Lesung für eine Verwaltungsmitarbeiterin gehalten wurde. „Als gesichtslose, auswechselbare Frau mittleren Alters war es ja unmöglich, dass ich zu ihm gehen würde, um mit ihm über Wissenschaft zu sprechen."

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Doch die Haltung gegenüber Frauen in MINT-Fächern ist dabei sich zu verändern—nur sehr langsam, aber Frauen wie Alice sind Teil dieser Veränderung. Im Rahmen der australischen National Science Week hat sie einige Vorträge in Tasmanien gehalten. Danach kam „ein kleines Mädchen auf mich zu und fragte mich, ob sie ein Foto mit mir machen darf. Da waren ein paar ziemlich berühmte Leute bei dieser Veranstaltung und ich dachte nur: ‚Wow, ich war nur hier und hab ein wenig über meine Arbeit erzählt und sie war total begeistert.' Es ist also doch wichtig, einfach sichtbar zu sein."

Im Oktober 2016 hat Alice die Rednertribüne bei den Vereinten Nationen für Weltraumfragen übernommen. Bei einem Treffen mit dem Vorsitzenden für Raumfahrtanwendungen hat sie über ihr Spezialgebiet gesprochen: Weltraumarchäologie. Die Diskussion war „ein Erfolg" und in Kürze wird sie ihre Arbeit vor dem Ausschuss für die friedliche Nutzung des Weltraums der Vereinten Nationen vorstellen.

„Eines meines Lebensmottos ist: Wenn ich einen Penis hätte, was würde ich dann tun? Ich wäre ziemlich wichtig und berühmt", sagt sie und lacht. „Also werde ich verdammt noch mal was draus machen, denn wenn ich ein Kerl wäre, würde ich es mit Sicherheit tun."