"Du bist hübsch? Wen interessiert’s!": Dascha Polanco hat genug von Body-Shaming
Alle Fotos: Tereza Mundilová

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Kultur

"Du bist hübsch? Wen interessiert’s!": Dascha Polanco hat genug von Body-Shaming

Wir haben mit der "Orange is the new Black"-Schauspielerin über falsche Schönheitsideale, unsichere Männer und den Kampf mit sich selbst gesprochen.

Orange is the New Black ist ein Phänomen. Nicht unbedingt, weil ein Frauengefängnis ordentlich Gewalt und dramatische Storylines verspricht—auch wenn die vierte Staffel, die ab dem 17. Juni auf Netflix verfügbar ist, aller Voraussicht nach nicht mit Blut, unerwarteten Wendungen und den ganz großen Emotionen geizen wird. Nein, wirklich besonders machen die Serie ihre ebenso facettenreichen wie einzigartigen Protagonistinnen, die nicht nur charakterlich, sondern auch optisch mit den weiblichen Rollenklischees brechen, die man in Film und Fernsehen sonst so vorgesetzt bekommt.

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Dascha Polanco spielt die unsichere Daya, die im Gefängnis Mutter wird—insofern eine Parallele zum realen Leben der Schauspielerin, als dass auch sie sehr jung Mutter wurde. Wenn sie gerade nicht vor der Kamera steht, setzt sich Polanco lautstark gegen Sexismus und unrealistische Schönheitsstandards in der Gesellschaft ein und ist selbst der beste Beweis dafür, dass wir uns alle von bestimmten Kleidergrößen als ultimativem Attraktivitätsmaßstab verabschieden sollten. Wir haben die 33-Jährige in Berlin getroffen und mit ihr über die Show, die ihr Leben veränderte, die Macht positiver Rollenvorbilder und den ebenso aussichtslosen wie unnötigen Kampf vieler Frauen, unrealistischen Schönheitsidealen gerecht zu werden, gesprochen.

Mehr lesen: Das Leben von Frauen, deren Angehörige im Gefängnis sitzen

Broadly: Was Orange is the New Black als Serie international so erfolgreich macht ist, ist meiner Meinung nach, dass es gar nicht primär um das amerikanische Justizsystem oder das Leben im Gefängnis geht, sondern um Frauen und ihre Geschichten.
Dascha Polanco: Man sieht auch Menschen, die wie man selbst aussehen. Es gibt verschiedene Körperformen, Ethnien, Hintergründe, sexuelle Orientierungen—es ist für jeden etwas dabei. Jenji [Kohan] ist ein Genie. Sie hat Piper als Instrument genutzt, um alle anderen Charaktere einzuführen und konzentriert sich auf die verschiedenen Facetten und Ebenen und was da passiert. Es geht nicht darum, wer eine Person ist—es geht darum, was sie durchgemacht hat. Wo sie herkommt, warum sie Dinge tut. Da wird es interessant, weil du dich irgendwann selbst fragst: Hätte ich in derselben Situation dasselbe getan? Es lässt dich dein Urteilsvermögen hinterfragen. Stereotype Klischees werden oft verwendet, um den Leuten einen leichteren Zugang zur Person zu gewähren und das kann man natürlich auch machen, weil sie oft auf etwas Realem fußen. Aber man muss sich dann eben auch von diesem Stereotyp lösen und den Fokus verschieben—und das macht Orange. Ja, du hast eine Gruppe Latinas, die was mit Drogen zu tun hatten, aber nachdem wir das etabliert haben, schieben wir es beiseite und konzentrieren uns darauf, wie sie zueinander stehen und was mit ihnen los ist.

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Ich habe mich selbst wegen meinem Körper genug fertig gemacht, als dass ich es toleriere, dass das jemand anderes mit mir macht.

Du sprichst dich offen gegen Body-Shaming und unrealistische Schönheitsideale aus. Ich glaube, dass es auch eine der ganz großen Errungenschaften von OITNB ist, dass Frauen gezeigt werden, die man so normalerweise nicht im Fernsehen sieht.
Das stimmt und das war schon immer ein Problem. Als ich ein kleines Mädchen war, habe ich niemanden im Fernsehen gesehen, der so aussah wie ich. Die Frauen, die ich gesehen habe, waren weiß, blond und haben Size Zero getragen—und das bin ich einfach nicht. Das macht was mit deiner Psyche und deinem Unterbewusstsein und sorgt dafür, dass du denkst, dass du niemals gut genug sein wirst. Du brauchst Vorbilder, an denen du dich orientieren kannst, Vorbilder, die aussehen wie du und mit denen du dich verbunden fühlst. Du musst dich mit deinem Äußeren arrangieren, damit du dich auch innerlich gut fühlen kannst. Ich habe mich selbst wegen meinem Körper genug fertig gemacht, als dass ich es toleriere, dass das jemand anderes mit mir macht. Ich wollte mir eben eigentlich eine Jeans für das Interview anziehen und plötzlich hat die nicht mehr über meinen Hintern gepasst. Mein Gewicht schwankt, manchmal ist mein Hintern eben größer und Klamotten werden zu eng—scheiß drauf. Dann kaufe ich eben eine Größe größer. Gebt mir Hosen, die passen!

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Alle Fotos: Tereza Mundilová

Ich frage mich sowieso immer, warum genau manche Leute glauben, dass sie ein Recht haben, darüber zu entscheiden, wie man seinen Körper zu zeigen hat. Als Lena Dunham sich beispielsweise für Girls ausgezogen hat, haben sich insbesondere Männer beschwert, weil sie ihren Körper nicht „attraktiv" fanden.
Warum geht es überhaupt darum, ob jemand das attraktiv findet oder nicht? Es geht doch darum, eine Geschichte zu erzählen und es braucht so viel Mut, um das zu tun. Es braucht Mut, zu sagen: Hier, das bin ich. Du machst dich verletzlich. Das ist ein Moment, für den du wirklich bereit sein musst. Als sie mich bei Orange gefragt haben, ob ich mich ausziehen würde, habe ich gesagt: „Damit fühle ich mich jetzt noch nicht wohl." Auch wenn ich Haut zeige, sieht man mich nicht komplett nackt. Ich glaube auch nicht, dass das immer unbedingt notwendig ist, aber wenn es das ist und man es macht, sollte es gefeiert werden. Frauen sollten sich gegenseitig feiern. Du hast einen anderen Körperbau als ich, deine Fotografin ist wieder anders gebaut, und ihr seid beide wunderschön. Das ist doch das Schöne daran, ein Mensch zu sein—dass man exotisch ist, anders ist. Das ist auch das Problem, was ich mit dieser einen, sehr bekannten Hollywood-Familie habe. Ich will jetzt keine Namen nennen, aber: Sag was du willst, zeig dich nackt, aber mach es, ohne dich vorher mehrfach unters Messer gelegt zu haben. Zeig den Leuten, wer du wirklich bist. Ich habe nichts dagegen, wenn Leute was machen lassen, aber ich persönlich finde es wahnsinnig langweilig, wenn alle gleich aussehen. Dafür wurden wir nicht geschaffen. Du willst doch auch nicht jeden Tag einen Hot Dog essen! Wir brauchen Abwechslung.

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Mir wird oft von Modeleuten gesagt, dass ich meine Kurven mehr zeigen sollte—aber manchmal möchte ich das gar nicht.

Ich habe manchmal das Gefühl, dass sich viele Menschen gar nicht trauen, offen zuzugeben, dass sie auf etwas stehen, was nicht der vermeintlichen Norm entspricht.
Oh, solche Typen habe ich auch schon kennengelernt! Die meinten dann „Ich finde dich wirklich schön, aber …"—wen interessiert's? Wenn du das fühlst, kann es doch egal sein, was andere denken. Glücklicherweise war mein letzter Partner wirklich stolz auf mich. Dem war es egal, wenn ich zugenommen habe. Manchmal musst du die Leute einfach wissen lassen, dass du dich trotz allem liebst. Männer sind sehr auf das Äußere fixiert und ich glaube, dass bald eine Zeit kommt, in der sie sagen: „Oh Gott, alle sehen gleich aus. Das ist doch total langweilig."

Melden sich junge Frauen bei dir und fühlen sich bestätigt durch das, was du tust?
Durch die sozialen Medien bekommt man vor allem Trolle mit. Unglückliche Menschen, die sich nicht selbst lieben, Leute, die nichts besseres zu tun haben, deren Haus dreckig ist, die sich nicht geduscht haben, die aber trotzdem lieber vor dem Computer sitzen, um dir zu sagen, wie hässlich sie dich finden. Menschen, die einfach schrecklich sind. Ich treffe aber manchmal persönlich Leute, die mir dann sagen, dass sie sich in mir wiederfinden, und das bedeutet mir wirklich viel. Man bekommt schon auch positives Feedback. Mir wird oft von Modeleuten gesagt, dass ich meine Kurven mehr zeigen sollte—aber manchmal möchte ich das gar nicht. Manchmal möchte ich irgendwas Gemütliches anziehen, was Lockeres mit Turnschuhen statt High-Heels. Ich fühle mich dann trotzdem noch sexy. Ich arbeite da immer noch an mir, es ist ein ständiger Kampf, aber ich gehe mehr Risiken ein. „OK, heute fühle ich mich danach, meinen Körper zu zeigen. Deswegen werde ich etwas anziehen, was absolut alles zeigt und es könnte mir nicht egaler sein." Und dann wird es wieder Tage geben, an denen ich einfach irgendwas bequemes tragen möchte. Keine unfassbar hohen Schuhe, mit denen mir meine Füße so weh tun, dass ich gar keine Zeit habe, den Moment zu genießen, weil ich die ganze Zeit nur an die Schmerzen denke. Wobei ich auch sagen muss, das ich gerne hohe Schuhe trage. Ich liebe es, mich groß zu fühlen. Das steigert mein Selbstbewusstsein und ist übrigens auch ein sehr guter Weg um herauszufinden, welche Männer wirklich groß sind. Wenn ich High Heels tragen kann und du bist immer noch größer als ich, dann bist du wirklich ziemlich groß, Süßer!

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Die Autorin Caitlyn Siehl beschäftigt sich in einem Gedicht mit der Frage, was sie ihrer Tochter sagen würde, wenn die fragt: „Mama, bin ich schön?" Sie meinte, dass der erste Instinkt ist, zu sagen „Natürlich bist du das", dass es aber eigentlich richtiger wäre, zu sagen: „Es ist nicht dein Job, schön zu sein."
Weißt du, was ich meiner Tochter immer sage? „Du bist toll, du bist wunderschön, aber wie sind deine Noten? Hast du dein Zimmer aufgeräumt? Hast du deine Zähne geputzt? Behandelst du andere Menschen gut?" Es ist nämlich total egal, was andere Leute sagen. Du kannst so hart daran arbeiten, auszusehen wie die gängige Vorstellung davon, was schön ist, aber was dann? Vielleicht sieht dein Haus dafür furchtbar aus. Vielleicht warst du anderen Menschen gegenüber respektlos. „Du bist hübsch? Wen interessiert's!"—so wurde ich erzogen. Alles andere ist oberflächlich, Äußerlichkeiten vergehen. Schönheit liegt im Auge des Betrachters, das habe ich für mich herausgefunden. Schönheit kann alles sein. Meine Auffassung von Schönheit ist es, wie anders, wie einzigartig etwas ist.

Wir sind darauf konditioniert, bestimmte Kriterien zu erfüllen. Und selbst, wenn wir sie erfüllen, sind wir noch nicht gut genug.

Eine Freundin hat mir mal gesagt: „Alle deine Freunde sehen irgendwie hässlich aus." Für mich waren sie aber immer wunderschön. Für mich war da etwas. Ich hatte immer die, die pleite sind und keinen Job haben, weil es für mich überhaupt nicht um so etwas geht. Es geht um die Verbindung, die zwei Menschen haben und das ist auch genau das Problem, was ich heutzutage mit Mädchen habe. Denen geht es nur noch darum, dass sie schön sein müssen und Sachen auf Instagram posten und perfekte Augenbrauen haben. Warum spielen wir draußen nicht einfach Fangen? Warum tanzen wir nicht einfach? Alles konzentriert sich darauf, einem bestimmten optischen Ideal zu entsprechen. Warum? Für was? Ich finde das wirklich beunruhigend. Aber ich bin ganz guter Hoffnung, wenn immer mehr Frauen sich öffentlich dagegen stellen. Lasst uns aufhören, darüber zu reden, wie ich aussehe. Lasst uns über meinen IQ sprechen und was mein Job ist. Was sind meine Möglichkeiten, was sind meine Qualitäten?

Wir als Frauen müssen aufhören, uns gegenseitig aufgrund unseres Äußeren niederzumachen. Wenn wir als Frauen das nicht tun, obwohl wir wissen, was wir damit anrichten, wie wollen wir dann den Rest der Gesellschaft dazu bringen, etwas zu ändern?
Da belügen sich viele Frauen auch selbst, indem sie andere niedermachen. Ich denke mir da immer: Moment mal, du weißt doch, wie das ist, wenn man sich aufgebläht fühlt? Du weißt doch, wie es ist, seine Tage zu haben; wenn du keine Lust darauf hast, bestimmte Sachen zu tragen, weil du dich einfach nicht danach fühlst. Du weißt, wie gut es sich manchmal anfühlt, gar kein Make-up zu tragen und dir einfach durchs Gesicht und über die Augen reiben zu können. Oder dir einfach ins Haar zu fassen. Aber Frauen tun sich das gegenseitig an. Wir sind darauf konditioniert, bestimmte Kriterien zu erfüllen. Und selbst, wenn wir sie erfüllen, sind wir noch nicht gut genug. Aber wann sind wir es denn dann? Wann sind wir endlich gut genug?